Was heißt Natur?

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Stefanie
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Do 21. Sep 2017, 21:53

O.k., oder ein halbes Aha.... dann sind Deine Ausführungen Beitrag 3685 im Grunde hauptsächlich quasi mathematisch (sprach)logisch hergeleitet? A kann nicht gleichzeitig mit der identischen "Bedeutung" (meinst Du das mit derselben bzw. anderen Hinsicht?) zwei Klassen gleichzeitig zugeordnet werden? Rein logisch gesehen. In diesem Sinne bildest Du Klassen, die eine Ordnung ergeben, ohne Berücksichtigung des "immateriellen Wertes" (mir fällt gerade keine anderen Beschreibung ein) des Sachverhaltes, um des es geht.

Wieso geht das eigentlich nicht mit der Zuordnung zu zwei Klassen mit derselben Hinsicht? Erstens legen wir das nicht fest? Und zweitens:
"Die Frau Stefanie ist pink." Dann müsste ich das so übersetzen:
In dieser Aussage fungiert dann "Frau Stefanie" als Bezeichnung für einen Gegenstand, von dem etwas Bestimmtes ausgesagt wird, nämlich, dass es pink ist. Ich bin also im logischen Sinne ein Gegenstand. (?)
Dann würde das hier:
"
Wenn nun aber ein bestimmter Gegenstand einer bestimmten Klasse zugewiesen wird, kann er nicht zugleich (und in derselben Hinsicht) Element einer anderen Klasse sein. Damit höbe man die gerade vollzogene Bestimmung wieder auf, widerspräche sich selbst. Nichts hindert allerdings, den so und so klassifizierten Gegenstand in einer anderen Hinsicht zu einer anderen Klasse zu zählen"
auch für mich bzw. für ein Lebewesen gelten? Ich fühle mich gerade etwas eindimensional und meiner immateriellen Bedeutung und Wesenshaftigtkeit beraubt, wenn ich das rein formal, logisch betrachte.

Gibt es eigentlich einen verwirrt drein gucken Smiley.



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novon
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Do 21. Sep 2017, 22:14

Stefanie hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 21:53
Ich bin also im logischen Sinne ein Gegenstand.
Na ja... Du bist potentiell Gegenstand von Aussagen, Diskussionen, Darstellungen, Mutmaßungen, Hypothesen, Romanen, Geschichten, Gedichten, Spekulationen, Kritiken, etcpp... ;)




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Stefanie
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Do 21. Sep 2017, 22:17

Ich bin grundsätzlich ein Subjekt von Aussagen, Spekulationen, Diskussionen etc., außer in Romanen und Gedichten. ;- )



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novon
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Do 21. Sep 2017, 23:16

Hmm... Ich wittere einen semantischen Impact... *g
"Subject" im Englischen bedeutet synonym "Gegenstand". "Gegenstand" im Deutschen bezeichnet allerdings nicht "Subjekt", sondern das, was diesem quasi entgegen steht. Gegenstand der Kritik ist das Kritisierte, der des Romans das Erzählte, der der Gerüchts das Gemutmaßte...




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Jörn Budesheim
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Fr 22. Sep 2017, 06:49

Stefanie hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 19:44
Ich komme nicht mehr mit.
[...]
Geht das in die Richtung, dass man die objektiven Momente der Natur erfassen muss, um die Natur als berührendes Naturerlebnis zu erleben, oder auch, um die Schönheit der Natur erkennen zu können? In die Richtung Deiner Auffassung zur Schönheit?
Danke für deinen schönen Beitrag!

Es geht mir aber nicht darum, dass man objektive Momente der Natur erfassen muss, um ein berührendes Naturerlebnis zu haben, sondern es geht mir eher "umgekehrt" darum, dass man dabei objektive Momente der Natur selbst erfassen kann. Nach meiner Intuition sind solche Erlebnisse nicht einfach grundsätzlich bloße Projektionen oder "nur" Hinsichten. Ich meine, dass unsere Gefühle gegenüber der Natur gelegentlich, zumindest gelegentlich veritable Tatsachen erfassen.

Und die Richtung ist natürlich die, die du vermutet hast. Strukturell dürfte das vergleichbar sein.

Mir fällt dazu gerade die alte philosophische Frage ein, ob ein umstürzender Baum im Wald tatsächlich ein Geräusch macht, auch wenn keiner zuhört. Meine Antwort darauf lautet ja und ebenso singen die Vöglein im Walde, selbst wenn Goethe schon lange tot ist und auch sonst niemand da ist, der ihnen lauscht.

Die Aliens, die oben angeführt wurden, könnten diese Tatsachen möglicherweise nicht erfassen, falls sie nicht mit der angemessenen Registratur ausgestattet sind. Das Krachen des Baumes, die singenden Vögel... das liegt dennoch objektiv vor. Und bei vielen anderen Naturerlebnissen dürfte es ähnlich sein.

Nach meiner Einschätzung handelt es sich bei der Frage, die wir gerade diskutieren, auch nicht um ein entweder oder. Ich selbst zweifle keine Sekunde daran, dass unsere Naturwissenschaften ganz erstaunliche Tatsachen über die Welt herausbringen. Bei der Frage, was die Natur ist, gehören sie zu den ersten Adressen... ebenso wie die Philosophie und die Kunst etc. pp.




Hermeneuticus
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Elim Garak hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 16:33
Mir ging es darum, dass die Natur als Gesamtheit aller Dinge jemandem vielleicht nicht genug sein kann, jedoch eine treffende Definition von Natur ist. Wenn dann noch eine Ebene des "Seins" hinein soll, gerne, nur wie?
Sagt mir jemand: "dieser Fichtenwald ist natur, aber diese Schrebergärtenanlage nicht", da kann ich doch nicht ruhig nicken.
Ich hätte da echt gerne eine Definition, die Bezug auf die Wirkung des Menschen nimmt.
Man könnte Natur als das verstehen, was ohne menschlichen Eingriff und ohne menschliche Zwecksetzung - also "von sich aus" - geschieht. Oder kurz: Natürlich ist, was nicht handelt. Aber das macht nur Sinn, wenn man 1. den Begriff der Handlung erläutert und 2. "Natur" nicht als Klasse von Gegenständen versteht, sondern als einen Aspekt an Gegenständen.
Und bei dir geht es auch um Rechtswissenschaft. Alle Beispiele wären in einer Strafrechts- oder Zivilrechtsvorlesung super aufgehoben. Und eben das ist der Punkt, die Kategorisierungen dienen der Legitimation von Sanktion. (...)
Natürlich haben diese Dinge einen direkten Einfluss auf unseren Alltag und wirken. Aber auch das ist für mich natürlich.
Mir ging es mit meinen Beispielen weniger um Rechtswissenschaft, als um den Unterschied zwischen natürlichen Geschehnissen und Handlungen. Eine elementare Eigenschaft von Handlungen ist die, dass wir uns gegenseitig für sie verantwortlich machen, dass wir uns als ihre "Urheber" begreifen. Darum ist auch vor Gericht stets zu klären, ob der jeweils zu beurteilende Sachverhalt auf "vorsätzliche" Handlungen zurückzuführen ist und ob die beteiligten Personen "schuldfähig" waren, d.h. ob sie zum Zeitpunkt der Tat überhaupt vorsätzlich handeln konnten.

In einem kausalen Ablauf ist alles, was geschieht, Wirkung von gegebenen Ursachen und zugleich Ursache für weitere Wirkungen. In einer Reihe von kippenden Dominosteinen fällt jeder Stein um, weil der Stein vor ihm umfiel. Es gibt in dieser Verkettung von Wirkungen/Ursachen keinen unbedingten, freien Anfang. Kein einziger Stein ist Urheber seiner Bewegung. Seine Bewegung ergibt sich zwangsläufig und vorausberechenbar aus den gegebenen Bedingungen. - Handlungen verstehen wir grundsätzlich anders. Handlungen sind gewissermaßen immer "Originale", sie werden auf den Willen und die rationale Zwecksetzung eines handelnden "Subjekts" zurückgeführt, nicht auf gegebene kausale Bedingungen.

Dabei betrachten wir keineswegs jede beliebige Regung eines Mitmenschen als "Handlung", für die er/sie persönlich verantwortlich zu machen ist. Wir unterscheiden da sehr genau. Solche Regungen wie Wachsen, Altern, Verdauen, Stolpern, Husten, Niesen, sich Versprechen... gelten uns nicht als Handlungen. Sie geschehen ohne oder sogar gegen unseren "Willen". Wir können sie nicht unterlassen und nicht gezielt herbeiführen. Sie stoßen uns gewissermaßen zu - so wie dem Dominostein der Fall des benachbarten Steins zustößt. Und analog betrachten wir auch alle "natürlichen" Geschehnisse nicht als Handlungen, für die ein bestimmtes "Subjekt", eine "selbstbestimmte Person" verantwortlich zu machen wäre. (Siehe mein Beispiel mit dem beißenden Hund und seinem Halter.) Wir nehmen sie einfach hin (oder versuchen zumindest, sie hinzunehmen), weil wir wissen: daran ist "nichts zu machen", niemand "kann etwas dafür".

Nun betrachtest Du alles, was geschieht und was es gibt, als natürlich. Aber Du wirst doch wohl zugeben, dass wir Menschen de facto den hier angedeuteten Unterschied zwischen Handlungen und Nicht-Handlungen machen. Unser ganzes Zusammenleben und auch unser Umgang mit der nicht-menschlichen Natur basieren auf dieser Unterscheidung. Und es dürfte schlicht unmöglich sein, so zu leben, als gäbe es diesen Unterschied nicht. Wer es versucht, wird sehr schnell an Grenzen stoßen und entweder im Knast oder in der Psychiatrie landen - als bösartiger oder unzurechnungsfähiger Gefahrenherd für sich und seine Mitmenschen.

Aber es dürfte auch klar sein, dass an unserem Handeln so wenig "Übernatürliches" ist wie an unserem Wachsen, Verdauen, Stolpern. Also benötigen wir eine Naturbegriff, der flexibel genug für diese Unterscheidung ist. Darum der Vorschlag, den Naturbegriff nicht an Dingen/Gegenständen festzumachen, so dass sie nur entweder natürlich oder nicht-natürlich sein können, sondern an Aspekten von Gegenständen. Es ist doch kein unüberwindliches begriffliches Problem, an einem Fichtenwald diejenigen Aspekte oder "Anteile" zu bestimmen, die ohne menschliches Zutun entstanden sind und geschehen, und diejenigen Aspekte, die auf planvolle, zweckgerichtete menschliche Eingriffe zurückzuführen sind. Oder, um ein anderes, aktuelles Beispiel zu nennen, am gegenwärtigen Klimawandel die natürlichen Ursachen von denen zu unterscheiden, die auf menschliches Handeln zurückgehen und für die also "wir" verantwortlich sind.




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Jörn Budesheim
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Fr 22. Sep 2017, 16:07

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 22. Sep 2017, 14:02
[ein] Aspekt an Gegenständen
Was verstehst du darunter? Was bedeutet Aspekt? Ist das etwas, was wir machen? Dann ergäbe sich, dass es Handlungen also gar nicht wirklich gibt. Oder?




Hermeneuticus
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Fr 22. Sep 2017, 23:13

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 22. Sep 2017, 16:07
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 22. Sep 2017, 14:02
[ein] Aspekt an Gegenständen
Was verstehst du darunter? Was bedeutet Aspekt? Ist das etwas, was wir machen? Dann ergäbe sich, dass es Handlungen also gar nicht wirklich gibt. Oder?
Da unser ganzes Zusammenleben sich am Unterschied zwischen (vorsätzlichen, zweckgerichteten) Handlungen und (unwillkürlichem, unkontrollierbarem) Verhalten orientiert, lässt sich kaum sinnvoll bezweifeln, dass es Handlungen "wirklich gibt". Oder sollten wir ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen, dass die gesamte Menschheit sich Handlungen nur einbildet, dass also "in Wirklichkeit" kein nennenswerter Unterschied besteht zwischen der Tat eines Brandstifters und einem Blitzschlag? Das wird man den Menschen kaum plausibel machen können.

Allerdings liegt auch keine "metaphysische" Kluft zwischen unseren Handlungen und unseren unwillkürlichen Regungen. Unsere Handlungen fallen nicht vom Himmel, sie werden von natürlichen Wesen vollzogen, die natürlichen Notwendigkeiten unterliegen, und zwar auch während ihres Handelns. Während ich hier sehr konzentriert meine Sätze schreibe und somit vorsätzlich, überlegt und zweckgerichtet handele, schlägt mein Herz unwillkürlich, sind meine inneren Organe ohne meine bewusste Kontrolle tätig usw. Mein Handeln wäre auch gar nicht möglich, wenn diese organischen Prozesse nicht selbsttätig nebenbei abliefen. Wenn ich mich beim Schreiben um jede dafür erforderliche Muskelkontraktion explizit kümmern müsste, käme ich vor lauter Bewegungssteuerung nicht mehr dazu, mir Gedanken über den Inhalt und die Form meiner Sätze zu machen. - So gesehen, ist mein Handeln nur ein "Aspekt" oder ein "Moment" all der komplexen organischen Funktionen, die dabei ablaufen und notwendiger Weise ablaufen müssen. Man kann die Handlung nicht säuberlich vom nicht-handelnden Rest abtrennen - so, wie man die Komponenten eines Motors oder eines Computers isolieren und auswechseln kann. Man kann das Handeln nur begrifflich vom Rest unterscheiden, und zwar mit guten Gründen. Diese Unterscheidung "macht Sinn", sie bekommt offenbar etwas zu fassen, das es "wirklich gibt" und das die Art und Weise unseres menschlichen Über- und Zusammenlebens ganz erheblich prägt.




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Jörn Budesheim
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Sa 23. Sep 2017, 06:24

Frege hat geschrieben : „Ich verstehe unter Gedanken nicht das subjektive Tun des Denkens, sondern dessen objektiven Inhalt, der fähig ist, gemeinsames Eigentum von vielen zu sein.


Das Zitat passt auch sehr gut hier und nicht nur in den Thread über das Denken.




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Alethos
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Sa 23. Sep 2017, 10:48

'Das Natürliche ist das, was durch sich selbst besteht und aus sich selbst entsteht.', so klar sagte es ein Mitdiskutant in einem Gespräch. Wenn er aber recht hat, dann ist das Künstliche resp. die Technologie auch etwas Natürliches, insofern es etwas von Menschen Gemachtes ist, Menschen aber natürliche Wesen sind?



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Jörn Budesheim
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Sa 23. Sep 2017, 14:11

Das künstlerische entsteht eben gerade nicht von selbst, sondern ist gemacht - in welchem Sinne auch immer.




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Alethos
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 14:11
Das künstlerische entsteht eben gerade nicht von selbst, sondern ist gemacht - in welchem Sinne auch immer.
Ich kann mit dieser Postion gut leben. Wir haben aber die Frage nach den tiefen Naturerlebnissen etwas aus den Augen verloren. Was entgeht uns, in Bezug auf umfassende Naturerlebnisse, wenn wir die Natur durchs Elektronenmikroskop befragen?



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Jörn Budesheim
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Sa 23. Sep 2017, 14:42

Etymologisch enthält das Wort Natur vom lateinischen her: "das geboren werden". In der ursprünglichen Bedeutung meint der Begriff: "das Werden eines organisch Wachsenden." (Handbuch philosophischer Grundbegriffe.) Im Lexikon der Philosophie finden wir hingegen einen "neueren" Begriff: "mit dem naturwissenschaftlichen Durchbruch und der Entstehung eines neuen Weltbildes wird Natur als eine zwecklose raumzeitliche Welt ausgedehnter, materieller Körper betrachtet welche universal gültigen Gesetzmäßigkeiten gehorchen." Und etwas später liest man da: "der Naturbegriff des 20 Jahrhunderts beruht im wesentlichen auf dem des 17 Jahrhunderts." (Wow!)

Was entgeht uns? Eine Natur, die wir im Sinne der ersten Definition begreifen, wendet uns im weitesten Sinne "ein lesbares Gesicht" zu, selbst wenn sie uns gelegentlich abgründig erscheint. (In Verdrehung einer Formulierung von Foucault: „Wir müssen uns nicht einbilden, dass uns die Welt ein lesbares Gesicht zuwendet, welches wir nur zu entziffern haben.") Bei den Naturerlebnissen, die ich im Sinn habe, tritt uns die Natur nicht bloß ""als zwecklose raumzeitliche Welt ausgedehnter, materieller Körper" entgegen meine ich, sondern als schön, erschreckend, beunruhigend, als Mutter Natur usw.

"Die schönen Dinge" - sagt Kant - "zeigen an, dass der Mensch in die Welt passe". Wenn wir die Natur jedoch nur noch als "kalte Heimat" verstehen können, dann scheint mir mit unserer Metaphysik was schief gelaufen zu sein :-) denn dann begreifen wir uns selbst in einem substanziellen Sinn als "Weltfremdlinge" wie Welsch es formuliert. Aber warum sollte das so sein?




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Jörn Budesheim
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Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 22. Sep 2017, 23:13
"wirklich gibt", "in Wirklichkeit", "metaphysische", nur ein "Aspekt" oder ein "Moment", Unterscheidung "macht Sinn", "wirklich gibt" [Auslassungen von mir]
Für meinen Geschmack viel zu viele Anführungszeichen. Und zwar immer dann, wenn wenn es ans Eingemachte geht :) im Grunde immer, wenn es um die Frage geht, ob es etwas wirklich gibt.

Anführungszeichen sind Distanz-Zeichen. Du scheinst dich davon zu distanzieren, dass es Handlungen wirklich und tatsächlich gibt. Aber macht eine Unterscheidung "wirklich Sinn", wenn sie nicht etwas erfasst, was es wirklich, tatsächlich und an sich selbst gibt.

Sollte sich am Ende herausstellen, dass unsere Handlungen nicht wirklich bestehen, sondern nur eine nützliche Fiktion sind, etwas was wir uns gegenseitig bloß zuschreiben, dann sind wir schließlich doch nichts als Bio-Automaten, die aus diesem Selbst-Missverständnis einfach nicht herauskommen.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 08:27
Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 22. Sep 2017, 23:13
"wirklich gibt", "in Wirklichkeit", "metaphysische", nur ein "Aspekt" oder ein "Moment", Unterscheidung "macht Sinn", "wirklich gibt" [Auslassungen von mir]
Anführungszeichen sind Distanz-Zeichen. Du scheinst dich davon zu distanzieren, dass es Handlungen wirklich und tatsächlich gibt. Aber macht eine Unterscheidung "wirklich Sinn", wenn sie nicht etwas erfasst, was es wirklich, tatsächlich und an sich selbst gibt.
Wie könnte ein in der Wolle gefärbter und bekennender Pragmatist an der Realität von Handlungen zweifeln? Hast Du das von mir gestartete "Projekt Pragmatismus" schon vergessen?

Was es wirklich gibt, ja was "Wirklichkeit" überhaupt bedeutet, erweist sich nach meiner Überzeugung primär am Handeln und seinen Folgen. Darum habe ich in der Tat ein distanziertes Verhältnis - aber zur Ontologie, also zu den Versuchen, den Sinn von Sein theoretisch zu erfassen.




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Jörn Budesheim
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Hermeneuticus hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 11:21
Wie könnte ein in der Wolle gefärbter und bekennender Pragmatist an der Realität von Handlungen zweifeln?
Weiß ich nicht. Aber dein Beitrag erweckt in mir genau diesen Eindruck. Wenn jemand schreibt xyz gibt es wirklich, denke ich er glaubt, xyz gibt es wirklich. Schreibt jemand hingegen, xyz gibt es "wirklich", denke ich nicht, dass er denkt, xyz gibt es wirklich. Welchen Sinn sollten sonst die Anführungszeichen haben?




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 11:46
Hermeneuticus hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 11:21
Wie könnte ein in der Wolle gefärbter und bekennender Pragmatist an der Realität von Handlungen zweifeln?
Weiß ich nicht. Aber dein Beitrag erweckt in mir genau diesen Eindruck. Wenn jemand schreibt xyz gibt es wirklich, denke ich er glaubt, xyz gibt es wirklich. Schreibt jemand hingegen, xyz gibt es "wirklich", denke ich nicht, dass er denkt, xyz gibt es wirklich. Welchen Sinn sollten sonst die Anführungszeichen haben?
Die Bedeutung von Zeichen ergibt sich woraus? Na, aus dem Zusammenhang ihres Gebrauchs. (Eine pragmatistische Devise!) Das gilt auch für Anführungszeichen. Ob also Anführungszeichen eine Distanzierung ausdrücken oder vielleicht auch etwas anderes, erschließt sich aus dem Zusammenhang. So habe ich "Aspekt" und "Moment" in Anführungszeichen gesetzt, weil diese Ausdrücke nicht von mir stammen, sondern von zwei recht unterschiedlichen Philosophen, die mir aber mit diesen Ausdrücken den gleichen Sachverhalt zu bezeichnen scheinen. Um anzudeuten, dass es sich um austauschbare Bezeichnungen für denselben Sachverhalt handelt, habe ich ihnen Gänsefüßchen gegeben, wie das auch unsere Grammatik verlangt, wenn wir über Sprachliches sprechen.

Dagegen habe ich Deinen Ausdruck "wirklich geben" in der Tat distanzierend in Anführungszeichen gesetzt, weil er mir zu blass erscheint. Worin die Wirklichkeit des Handelns besteht, habe ich aber mit dem Beitrag insgesamt ausgeführt.

Auch der Umstand, dass ich vorgeschlagen habe, "Natur" relativ zum Handeln zu begreifen ("Natur ist das, was nicht handelt"), sollte eigentlich deutlich machen, dass für mich das Handeln von zentraler , grundlegender Bedeutung ist.




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Jörn Budesheim
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So 24. Sep 2017, 12:24

Nebenbei: Alle diese Verwendungen markieren, wenn auch in unterschiedlicher Weise Distanzierungen. Zitieren heißt ja: Das hab nicht ich gesagt, sondern jemand anders. Und auch wenn man den Unterschied zwischen Erwähnung und Gebrauch damit bezeichnet, bezeichnet man auch eine Distanzierung - eben vom wörtlichen Gebrauch.

Ich nehm' das mal so hin. Aber ich bin ehrlich gesagt nicht ganz überzeugt :-)




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Mo 25. Sep 2017, 10:57

Stefanie hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 21:53
O.k., oder ein halbes Aha.... dann sind Deine Ausführungen Beitrag 3865 im Grunde hauptsächlich quasi mathematisch (sprach)logisch hergeleitet? A kann nicht gleichzeitig mit der identischen "Bedeutung" (meinst Du das mit derselben bzw. anderen Hinsicht?) zwei Klassen gleichzeitig zugeordnet werden? Rein logisch gesehen. In diesem Sinne bildest Du Klassen, die eine Ordnung ergeben, ohne Berücksichtigung des "immateriellen Wertes" (mir fällt gerade keine anderen Beschreibung ein) des Sachverhaltes, um des es geht.
Meine Überlegungen sind nicht logisch hergeleitet, ich habe nur einen logischen Grund angeführt, der dagegen spricht, den Naturbegriff "an Dingen festzumachen". Vielleicht formuliere ich diesen Grund noch einmal prägnanter: Eine Rose kann rot, grün, braun, stachelig, samtig, schön, ärgerlich und vieles mehr zugleich sein. Manche dieser Eigenschaften lassen sich eindeutig bestimmten Teilen der Rose (z.B. Blüte, Blätter, Stängel) zuordnen, darum sind auch die Aussagen: "Die Rose ist rot", "...ist braun", "...ist grün" durchaus miteinander verträglich. Aber die abgegrenzten Teile der Rose können - jeweils für sich genommen - dann nicht zugleich rot und nicht-rot, grün und nicht-grün, braun und nicht-braun sein.

Zu Problemen kann es auch kommen, wenn wir begriffliche Oppositionen bilden wie Teil/Ganzes, Materie/Form, Natur/Kultur und sie als Bezeichnungen für distinkte Klassen von Gegenständen verstehen. Denn dann kann ein und derselbe Gegenstand nur entweder zur einen oder zur anderen Klasse gehören. Wenn wir aber - analog zur Rose, die ohne Widerspruch zugleich rot, grün und braun sein kann -, z.B. die begriffliche Opposition Natur/Kultur nur auf "Teile" oder "Hinsichten" erstrecken, kann ein und derselbe Gegenstand sowohl natürlich als auch kultürlich sein. Und offenbar ist es "realistisch", der Wirklichkeit angemessen, so zu verfahren. Unsere Fichtenwälder z.B. wurden künstlich angepflanzt, um möglichst große Erträge an Nutzholz zu erzielen; es handelt sich also um zweckbestimmte Kulturprodukte. Aber selbstverständlich bestehen diese Wälder aus Pflanzen, die ohne menschliches Zutun in der Natur vorkommen und die auch ohne menschliches Zutun wachsen usw. Ohne zweckbestimmtes menschliches Handeln gäbe es in Deutschland gar keine Fichtenwälder; denn Fichten sind hier nicht heimisch und würden nach und nach von den heimischen Gehölzen verdrängt werden, wenn man die Wälder sich selbst überließe. Kurz, unsere Fichtenwälder sind - wie das meiste andere, von dem wir umgeben sind, hinsichtlich der begrifflichen Unterscheidung Natur/Kultur "Zwischendinge".


Aber noch einmal zurück zur Rose, die zugleich rot, grün und braun sein kann. - Jede dieser Eigenschaft erstreckt sich ja nur auf einen "Teil" der Rose. Allerdings kommen diese "Teile" nicht isoliert voneinander vor - es sei denn, wir zerlegen die Rose in diese Teile, womit wir aber die Pflanze zerstören würden. An der lebenden Rose besteht zwischen diesen Teilen ein organisches Kontinuum, so dass die Rede von "Teilen" dem Sachverhalt nicht ganz gerecht wird. Denn bei "Teilen" denkt man an solche Gegenstände, die aus isolierten Komponenten zusammengesetzt sind und sich auch wieder in sie zerlegen lassen - also z.B. an Möbel, Uhren, Motoren. Von dieser Art sind die Rose und ihre "Teile" offenbar nicht. Bei ihr müssen wir gewissermaßen die Trennschärfe unserer Begriffe immer etwas abmildern.

Was meine ich mit der "begrifflichen Trennschärfe"? Indem wir einem Gegenstand ein Prädikat zusprechen, teilen wir gewissermaßen alle Dinge in zwei Klassen ein: in die Klasse derjenigen Dinge, denen dieses Prädikat zukommt, und in die Klasse derjenigen Dinge, denen es nicht zukommt. Das liegt daran, dass Prädikate immer allgemein sind. Mit ihnen greifen wir jeweils etwas heraus, das unabsehbar vielen Dingen gemeinsam ist. Wir bilden also mit Prädikaten immer "Klassen" oder "Mengen", zu denen unabsehbar viele einzelne Gegenstände gehören. In der Logik wird die Menge von Individuen, die jeweils unter einen Begriff fallen, auch die "Extension" oder der "Umfang" dieses Begriffs genannt. - Wenn man nun der Rose die Prädikate "rot", "grün" und "braun" zuspricht, so verteilt man die Rose gewissermaßen auf drei verschiedene Klassen von Gegenständen. Aber offenbar ist das nur eine virtuelle "Verteilung", denn die einzelne Rose bleibt ja ganz. Darum ist es sinnvoller, hier eher von verschiedenen "Hinsichten" oder "Aspekten" der Rose zu sprechen, als von ihren roten, grünen und braunen "Teilen", die jeweils einer anderen Klasse von Dingen angehören. Ein und dasselbe Ding kann nicht zugleich Teil von verschiedenen Mengen sein, wenn wir diese Mengen als Ansammlungen von Konkreta, also von wirklichen Dingen verstehen. Die "Mengen" oder "Klassen", die wir mit unseren Begriffen bilden, können daher sinnvoll nur als Abstrakta verstanden werden.




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Stefanie
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Mo 25. Sep 2017, 19:13

Tja.... ich habe den Text jetzt einmal zwischendurch und zweimal in Ruhe gelesen.... und ... tja mein Verständnisanteil liegt gerade bei unter 1 %. Erste spontane Reaktion am Anfang, ein Rose kann nicht ärgerlich sein. Zweite spontane Reaktion zum Beispiel Fichtenwald, wieso Zwischending, es ist doch eindeutig, dass es eine Kulturlandschaft ist und dritte spontane Reaktion nach Leseende, das ist mir alles zu unlogisch. Kurz: Das wird noch was dauern, bis ich darauf richtig antworten kann.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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