Was heißt Natur?

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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Mi 20. Sep 2017, 20:57

Elim Garak hat geschrieben :
Mi 20. Sep 2017, 20:53
Die Gesamtheit aller Dinge, die einen Einfluss auf die Entwicklung der Natur haben
Das klingt zirkulär, weil das, was zu definieren ist, in der Definition vorkommt... Du willst den Begriff Natur erklären, nutzt ihn aber in der Erlärung, was heißt, dass du ihn voraussetzt.




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Elim Garak
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Mi 20. Sep 2017, 21:03

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 20. Sep 2017, 20:57
Elim Garak hat geschrieben :
Mi 20. Sep 2017, 20:53
Die Gesamtheit aller Dinge, die einen Einfluss auf die Entwicklung der Natur haben
Das klingt zirkulär, weil das, was zu definieren ist, in der Definition vorkommt... Du willst den Begriff Natur erklären, nutzt ihn aber in der Erlärung, was heißt, dass du ihn voraussetzt.
Ganz ehrlich? Dann streiche die Natur heraus.
Dann ist es die Gesamtheit aller Dinge.



"Die Wahrheit, Doktor, die liegt im Auge des Betrachters. Ich erzähle nie die Wahrheit, weil ich der Ansicht bin, dass die Wahrheit nicht existiert." DS9 - Cardassians

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Elim Garak
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Mi 20. Sep 2017, 21:06

Dass die Natur in ihrer Definition vorkommt sollte darauf hinweisen, dass die Dinge ineinander und miteinander interagieren. Dinge fördern Dinge, beenden andere usw.



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Jörn Budesheim
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Mi 20. Sep 2017, 21:10

Das macht die Definition nicht weniger zirkulär.

Du hast übrigens zu Beginn selbst ein paar Beispiele gebracht, die nicht natürlich sind. Nämlich die Kinder, die imitieren. Imitieren steht unter Gelingensbedingungen. Imitieren kann richtig und falsch sein. Es kann gelingen oder misslingen. Hier haben den normative Aspekte, die wir keineswegs einfach der Natur zuschlagen können.




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Elim Garak
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Mi 20. Sep 2017, 21:13

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 20. Sep 2017, 21:10
Das macht die Definition nicht weniger zirkulär.

Du hast übrigens zu Beginn selbst ein paar Beispiele gebracht, die nicht natürlich sind. Nämlich die Kinder, die imitieren. Imitieren steht unter Gelingensbedingungen. Imitieren kann richtig und falsch sein. Es kann gelingen oder misslingen. Hier haben den normative Aspekte, die wir keineswegs einfach der Natur zuschlagen können.
Die Natur ist eben ein System, das auch Zyklen aufweist. Kann ich nichts machen.

Und zum Gelingen: Warum ist es unnatürlich, wenn ein Individuum "falsch imitiert"? Behinderungen sind ja auch natürlich. Aber hier geht es um Normen.

EDIT:
Die Imitation ist ein natürlicher, evolutionär entstandener Mechanismus. Bei manchen gelingt es, bei anderen nicht. Bei beiden ist es aber natürlich. Die Natur hat die Imitation hervorgebracht, wer sonst?



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Hermeneuticus
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Elim Garak hat geschrieben :
Mi 20. Sep 2017, 17:47
Die Menschen sind doch selber ein Teil der Natur.
Oder ist nur der Zeitpunkt vor den ersten Menschen "wirkliche Natur"?
Und wenn ja, warum? Weil wir gottgleich sind und uns quasi über die Natur, auf und mit der wir leben, stellen?
Man kann den Naturbegriff zweifellos so umfassend verstehen, dass alles, was geschieht, geschehen ist und jemals geschehen wird, darunter fällt. Trotzdem bleibt der Begriff der Natur eine menschliche "Erfindung", und es steht uns frei, ihn in unterschiedlicher Weise zu verwenden. Damit ist auch schon das Stichwort gefallen, das Gedanken über eine mögliche Binnendifferenzierung des umfassenden Naturbegriffs anregen könnte, nämlich "Freiheit".

In unserem täglichen Zusammenleben machen wir Menschen ja durchgängig einen Unterschied zwischen solchen Geschehnissen, die wir als zwangsläufig oder blind zufällig beurteilen, und solchen, für die wir uns gegenseitig verantwortlich und haftbar machen. Zwei Beispiele:

- Ein Fußballspieler stolpert im vollen Lauf, geht heftig zu Boden und fällt dabei so unglücklich auf das Bein eines Gegenspielers, dass dieser einen Knochenbruch erleidet. Ein solches Ereignis ordnen wir als "Pech", "Unfall", "Versehen" o.ä. ein. Anders sieht es aus, wenn ein Fußballer mit offener Sohle so heftig in die Beine seines Gegenspielers grätscht, dass dieser verletzt vom Platz getragen werden muss. Dafür wird der "Spieler persönlich verantwortlich gemacht; ihm wird "Absicht" oder zumindest mangelnde Rücksicht ("Fahrlässigkeit") unterstellt und er erhält eine Strafe für sein "Foul"-Spiel.

- Ein freilaufender Hund greift auf einem Spielplatz ein Kind an und beißt es; das Kind erleidet schwere Verletzungen. Niemand käme auf die Idee, dafür den Hund verantwortlich zu machen und ihn zu bestrafen. Wir wissen: Hunde sind nun einmal Raubtiere und können manchmal aggressiv werden; das liegt sozusagen in ihrer "Natur". Darum wird in diesem Fall auch nicht der Hund belangt, sondern sein Halter, der seinen Hund entweder nicht im Griff hatte oder falsch einschätzte, in jedem Fall aber dafür hätte sorgen müssen, dass das Tier nicht zu einer Gefahr für Dritte wird.

Wir operieren also mit zwei verschiedenen Kategorien von Geschehnissen, und diese Unterscheidung ist für unser Zusammenleben von schlechterdings grundlegender Bedeutung. In die eine Kategorie fallen Geschehnisse, die quasi "von selbst" ablaufen, so dass wir sie nicht beeinflussen oder kontrollieren können. In die andere Kategorie gehören Ereignisse, von denen wir unterstellen, dass sie in der "Macht" einer ganz bestimmten Person liegen. Diese Person machen wir daher auch als "Urheber" für das betreffende Ereignis verantwortlich; wir rechnen es ihr als ihre"Tat" an und sanktionieren diese Tat als ihr Verdienst oder Verschulden.

Also, wenn wir auch alles, was geschieht, als "natürlich" beurteilen mögen, scheint doch eine weitere Differenzierung innerhalb der "natürlichen" Abläufe sinnvoll zu sein - sonst würden wir sie ja nicht auf Schritt und Tritt in unserem Zusammenleben und in unserem Umgang mit der nicht-menschlichen Natur praktizieren. Irgendwie scheint diese Unterscheidung ihren Grund in der "Natur der Sache" zu haben. Aber natürlich hat sie nichts mit der Annahme zu tun, dass Menschen etwa "gottgleich" seien oder "über der Natur" stünden. Es ist einfach so, dass wir Menschen manche unserer Eigenarten und Regungen von anderen natürlichen Abläufen (kausalen oder blind zufälligen) grundsätzlich unterscheiden.




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Jörn Budesheim
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Do 21. Sep 2017, 05:28

Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 01:03
Man kann den Naturbegriff zweifellos so umfassend verstehen, dass alles, was geschieht, geschehen ist und jemals geschehen wird, darunter fällt.
Allerdings würde er dann jede Bedeutung, jede Charakteristik verlieren.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 01:03
"Natur der Sache"
Du hast diese Formulierung vermutlich bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Zur Ergänzung sei gesagt, dass hier ein anderer Naturbegriff in Anschlag gebracht wird. Wenn wir nach der Natur einer Sache fragen, dann fragen wir nach ihrem Wesen, nach dem was die Sache ausmacht, was ihre essentiellen Eigenschaften sind, gegenüber ihren zufälligen ... (Auch wenn die Wesens-Analyse mittlerweile zumeist der Begriffsanalyse Platz gemacht hat...)




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Jörn Budesheim
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Do 21. Sep 2017, 06:13

Elim Garak hat geschrieben :
Mi 20. Sep 2017, 21:13
Die Imitation ist ein natürlicher, evolutionär entstandener Mechanismus.
Imitation ist eben gerade kein Mechanismus. Imitation ist die Voraussetzung dafür, dass die Evolution in eine neue ganz anders geartete Phase treten konnte. Und zwar markiert das den Übergang von der biologischen zur kulturellen Evolution. Das heißt die Weitergabe von "Informationen" erfolgt nun nicht mehr mechanisch/natürlich, also durch genetische Vererbung, sondern durch Lehren und Lernen und Tradition/Kultur. Auf diese Weise sind ganz neue Bereiche entstanden, die ganz eigene BinnenLogiken aufweisen, die man nicht mehr in toto naturgesetzlich erläutern kann, ohne ihre Charakter zu verfehlen.

Btw: das es in der Natur zu Zyklen gibt, ist unbestritten. Das macht aber zirkuläre Definition um keinen Deut besser :) daher noch mal die Frage, was verstehst du unter Natur?

Was ist gemeint, wenn die Menschen sagen, wir machen einen Ausflug in die Natur? Wenn die Natur doch alles ist, dann können Sie keinen Ausflug in die Natur machen, da sie sich ja immer in der Natur befinden. Was soll es heißen, dass Lebensmittel naturbelassen sind, wenn alles Natur ist? Dann sind Lebensmittel, die auf rein chemische Art und Weise im Labor produziert wurden eben auch natürlich... Warum fordert man für Tiere eine natürliche Haltung? Statt beengter Verhältnisse im Käfig, wo doch alles Natur ist? "Ich hatte gestern ein wunderbares Naturerlebnis, ich habe eine Serie bei Netflix geschaut." Offensichtlich würde dieser Satz höchstens als Witz durchgehen, aber entspricht nicht unserem Gebrauch des Begriffs Natur. Darunter verstehen wir ganz offensichtlich etwas ganz anderes. Der berühmte Slogan "zurück zur Natur" wäre völlig bedeutungslos und unverständlich, wenn wir unter Natur im einfach "alles" verstehen würden... Wohin sollten wir denn dann zurück? Wir sind doch immer schon da.

Es ist offensichtlich, dass wir den Begriff Natur gegen anderes abgrenzen. Dazu gehören Kultur, Zivilisation, Geist, für manche auch die Schöpfung und sicherlich noch einiges mehr.




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Jörn Budesheim
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Do 21. Sep 2017, 06:26

Mich interessiert über die Fragen, die wir diskutieren, hinaus folgender Punkt. In einer gewissen Hinsicht haben wir heute den Naturbegriff im Grunde den Naturwissenschaften übereignet. Aber untersuchen die Naturwissenschaften eigentlich das, was wir unter Natur verstehen? Gehören z.b. die Bereiche der subatomaren Partikel zu dem, was wir unter Natur verstehen? Denken wir an den Urknall, wenn wir von Naturerlebnissen sprechen? Die Naturwissenschaften legen zudem die Ergebnisse der Forschungen in einer Sprache vor, die die meisten von uns überhaupt nicht verstehen... die Sprache der Mathematik und nicht etwa in der Sprache der Poesie, wie im Eingangsbeitrag von Goethe.

Wie kann man jenseits von Esoterik & bloßer Schwärmerei einen Naturbegriff haben, der der Sache entspricht, aber nicht hinter den Stand des neuzeitlichen Wissens zurückfällt. Was können die Philosophie und die Kunst noch über die Natur sagen?




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Herr K.
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Do 21. Sep 2017, 08:47

"Natur" ist ein unscharfer Begriff, es kann damit Unterschiedliches gemeint sein, je nachdem, was der Gegenbegriff zu "natürlich" sein soll. So kann man damit das Universum meinen (hier wäre der Gegenbegriff "übernatürlich"); alles das, was nicht von Menschen geschaffen wurde (hier wäre der Gegenbegriff "künstlich") oder der Gegenbegriff kann auch "kultürlich" sein. Was jeweils gemeint ist, hängt wohl vom Kontext ab, ich denke nicht, dass es eine einzige richtige Verwendung von "Natur" gibt.

Nun kann man noch unterscheiden zwischen unbelebter und belebter Natur, unter den Naturwissenschaften untersucht die Physik ersteren Bereich, die Chemie beide und die Biologie letzteren Bereich.

Wieso sollten nun subatomare Partikel oder der Urknall nicht zur Natur gehören? Falls es sie gibt bzw. gab, dann sind/waren sie doch wohl sowohl Teil des Universums als auch nicht künstlich bzw. kultürlich. Unabhängig davon, ob man daran denkt, wenn man Nordlichter oder eine Rose betrachtet.

Auch wenn man als Gegenbegriff zu "Natur" "künstlich" oder "kultürlich" nimmt, ist es ein bisschen merkwürdig, zu sagen, man führe in die Natur oder bestimmte Lebensmittel "naturbelassen" zu nennen, denn zumindest in Deutschland gibt es wohl nur Kulturlandschaften (keine "unberührte Natur" mehr) und die meisten Lebensmittel sind auch wohl eher Kulturprodukte - zumindest aber eine Mischform. Noch merkwürdiger ist es, von bestimmten Lebensmitteln zu sagen, da sei keine Chemie drin; ein Lebensmittel, in dem keine Chemie drin ist, kann es schlecht geben.




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Jörn Budesheim
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Do 21. Sep 2017, 09:07

Herr K. hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 08:47
Wieso sollten nun subatomare Partikel oder der Urknall nicht zur Natur gehören?
Meine Frage war jedoch ein andere: Gehören (z.b.) die Bereiche der subatomaren Partikel zu dem, was wir unter Natur verstehen? Und zwar dann, wenn wir an Erlebnisse denken, wie die, die in dem Gedicht von Goethe thematisiert werden. Denken wir an den Urknall, wenn wir von solchen Naturerlebnissen sprechen? Ich würde sagen: eher nicht. Wer am Meer steht und die "Unendlichkeit" des Meeres spürt, der sieht schlechterdings nicht die Chemie des Meeres. In den Fällen, an die ich denke, können wir uns selbst nicht einfach rausrechnen. Die Molekularstruktur des Wassers ist die, die sie ist, egal, ob wir sie in den Blick nehmen oder nicht. Die Erhabenheit der Berge (zum Beispiel) lässt sich nicht mit naturwissenschaftlichen Mitteln erforschen, das ist auch kein Kausalzusammenhang. Aber solche Phänomene gehören im weiten Sinn zu unserem Begriff der Natur, denn sie ist schön, beängstigend, erstaunlich, fröhlich, ruhig, stürmisch, ...

Im Lexikon der Philosophie finden wir demgegenüber: mit dem naturwissenschaftlichen Durchbruch und der Entstehung eines neuen Weltbildes wird Natur als eine zwecklose raumzeitliche Welt ausgedehnter, materieller Körper betrachtet welche universal gültigen Gesetzmäßigkeiten gehorchen. Meines Erachtens ist das jedoch ein verkürzter Begriff von Natur.




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Herr K.
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Do 21. Sep 2017, 09:53

Das Problem, das Du zu sehen scheinst, entsteht doch aber nur dann, wenn man meinte, dass "Natur" eine einzige, genau festgelegte Bedeutung haben müsse. Das meine ich jedoch nicht, ich denke, das ist kontextabhängig, was damit gemeint ist. Und wenn man subatomare Partikel oder den Urknall betrachtet, dann kann man uns dabei so ziemlich rausrechnen, wenn es aber darum geht, unsere Auffassungen, Gefühle, Handlungen etc. zu betrachten, dann jedoch (mE trivialerweise) nicht.

Hier gibt es mE mal wieder kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als-auch bzw. ein kommt-auf-die-Umstände-an.




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Jörn Budesheim
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Do 21. Sep 2017, 11:05

Herr K. hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 09:53
trivialerweise
Vielleicht ist das, was ich meine aber gar nicht so trivial? Ist doch eine Möglichkeit, die man in Betracht ziehen könnte, oder? :-)

Es geht mir nicht einfach nur um unsere Gefühle (wobei ich natürlich nicht weiß, wie du den Begriff fasst). Es geht mir um die Natur selbst und um objektive Momente dieser Natur. In einem Wort von McDowell gesagt, geht es mir um die "Wiederverzauberung" der Natur.




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Alethos
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 11:05
Herr K. hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 09:53
trivialerweise
Vielleicht ist das, was ich meine aber gar nicht so trivial? Ist doch eine Möglichkeit, die man in Betracht ziehen könnte, oder? :-)

Es geht mir nicht einfach nur um unsere Gefühle (wobei ich natürlich nicht weiß, wie du den Begriff fasst). Es geht mir um die Natur selbst und um objektive Momente dieser Natur. In einem Wort von McDowell gesagt, geht es mir um die "Wiederverzauberung" der Natur.
Wobei es ja nicht ausgeschlossen ist, vom Blick auf die Welt der Partikel und der subatomaren Ebene auch ein Gefühl der Erhabenheit zu haben. Ob es gleichwertig ist mit einem Spaziergang am Meer oder mit einem ruhenden Blick über die Gipfel bei einer Wanderung, das liesse sich wohl nicht wirklich unterscheiden?

Ich denke, was uns beide Ansichten von Natur liefern (die auf über den Berg, die ins Mikroskop), sind zwei ganz verschiedene Weltkonzepte. In der einen Perspektive machen wir eine Erfahrung des Ursprungs und der 'Allumfasstheit', es ist ein tragendes Gefühl des Geborgenseins. Mir geht es jedenfalls so, wenn ich auf den See und die Berge schaue oder am Meer spazieren gehe. Das ist ein Gefühl der Ruhe und tiefen Verwurzelung. Bei den naturwissenschaftlichen Perspektiven kommt eine analysierende Unruhe ins Spiel, eine treibende Neugier, weil wir die Welt neu und in Ebenen erfahren, die wir in den Jahrtausenden unserer Entstehung nie zu Gesicht bekommen haben.

Hat das erstere also etwas Behütendes, Umsorgendes, ja, Vertrautes, hat das andere mehr Abenteuercharakter aus der Perspektive des Nichtbeteiligten. Denn ja, wir mögen aus Partikel bestehen, aber uns ist dieses Selbstkonzept im Grunde fremd. Es ist kontraintuitiv, uns als Zusammengesetzte zu denken..



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Alethos hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 11:44
Perspektive
Was Perspektiven sind, dazu müsste man mal einen Thread machen :-) Sind sie objektiv? Subjektiv? Passt das Begriffspaar überhaupt?




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 11:51
Alethos hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 11:44
Perspektive
Was Perspektiven sind, dazu müsste man mal einen Thread machen :-) Sind sie objektiv? Subjektiv? Passt das Begriffspaar überhaupt?
Bin gerne dabei, bin aber kein Spezialist für Perspektivisches :)

Zur Ergänzung meines Beitrags von vorher (ging glatt vergessen). Philosophen waren in Urzeiten (zu Zeiten Parmenides, Anaximander, Zenon von Elea etc) immer auch Naturphilosophen. Die Dichotomien von Ethik, Kunst, Technik und Natur sind nicht jüngeren philosophischen Datums. Die konkurrierenden Modelle von Kulturalismus und Naturalismus scheinen manchmal unversöhnbar, manchmal stehen sie sich wohlgesinnter gegenüber. Im Moment herrscht wohl mehr ein 'Groove' für den Naturalismus. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir deshalb Gefühle bei einer Wanderung auf quantenmechanische Erklärungen reduzieren können. Da gehört mehr dazu, nur was und wie könnte man es beschreiben?



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Alethos hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 12:07
Im Moment herrscht wohl mehr ein 'Groove' für den Naturalismus.
Naja, da habe ich keine empirischen Daten zu :-) Ich meine jedoch, dass es sehr viele Philosophen gibt (auch bei den neuen Realisten) die diese verengte Sichtweise zu überwinden suchen.




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Herr K. hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 08:47
"Natur" ist ein unscharfer Begriff, es kann damit Unterschiedliches gemeint sein, je nachdem, was der Gegenbegriff zu "natürlich" sein soll. So kann man damit das Universum meinen (hier wäre der Gegenbegriff "übernatürlich"); alles das, was nicht von Menschen geschaffen wurde (hier wäre der Gegenbegriff "künstlich") oder der Gegenbegriff kann auch "kultürlich" sein. Was jeweils gemeint ist, hängt wohl vom Kontext ab, ich denke nicht, dass es eine einzige richtige Verwendung von "Natur" gibt.
Ja, das sehe ich auch so. Darum verstehe ich - mit Peter Janich und seiner Schule - "Natur" als einen Reflexionsbegriff. Reflexionsbegriffe heißen so, weil sie nicht funktionieren wie gewöhnliche objektsprachliche Prädikate, mit denen wir Eigenschaften an konkreten Gegenständen feststellen. Ihr Gebrauch ist vielmehr ein meta-sprachlicher, daher "reflexiver": mit ihnen nehmen wir Unterscheidungen an objektsprachlichen Bestimmungen vor bzw. sortieren objektsprachliche Bestimmungen nach thematischen Feldern oder übergeordneten Aspekten. Beispiele für Reflexionsbegriffe, die in der philosophischen Tradition eine wichtige Rolle gespielt haben, sind etwa "Identität-Differenz", "Form-Materie", "Wesen-Erscheinung". Janich hat darauf aufmerksam gemacht, dass bereits Aristoteles auch den Naturbegriff schon als Reflexionsbestimmung verwendete.

Das vielleicht wichtigste Merkmal von Reflexionsbegriffen liegt darin, dass es zu Widersprüchen oder Paradoxien führt, wenn man sie extensional verwenden oder definieren will. Als "Extension" (oder "Umfang") eines Begriffs wird ja die Klasse der Gegenstände bezeichnet, die unter ihn fallen. Wenn nun aber ein bestimmter Gegenstand einer bestimmten Klasse zugewiesen wird, kann er nicht zugleich (und in derselben Hinsicht) Element einer anderen Klasse sein. Damit höbe man die gerade vollzogene Bestimmung wieder auf, widerspräche sich selbst. Nichts hindert allerdings, den so und so klassifizierten Gegenstand in einer anderen Hinsicht zu einer anderen Klasse zu zählen. - So können etwa die Steine, aus denen ein Haus besteht, als "Materie" von der "Form" des Hauses unterschieden werden. Solange die Steine aber noch unverbaut auf der Baustelle herumliegen, lassen sich an ihnen wiederum sinnvoll "Form" und "Materie" unterscheiden. Der Umstand, dass die Steine eine eigene Form "haben", verträgt sich ohne weiteres mit dem Umstand, dass die Steine zur Materie des Hauses gehören. - Kurz, es hängt von der jeweiligen "Hinsicht" ab, was jeweils zur Form oder zur Materie gezählt werden kann. Es lässt sich daher die Welt nicht einteilen in jene Dinge, die zur Klasse "Form" gehören, und jene Dinge, die zur Klasse "Materie" gehören. Vielmehr lassen sich an jedem einzelnen Ding seine "formalen" und seine "materiellen" Bestimmungen unterscheiden und sortieren.

Analoges gilt auch für den Natur-Begriff. Ob etwas zur "Natur" gehört, hängt immer davon ab, in welchem begrifflichen Spannungsfeld wir den Begriff verwenden, in welche begrifflichen Oppositionen wir ihn stellen. Und so kann auch an einzelnen Gegenständen ihr "natürlicher" Aspekt von anderen, nicht-natürlichen Aspekten unterschieden werden - z.B. an einem Haus die "künstliche" architektonische Konzeption, das "Design" und die "natürlichen" Materialien, die im Haus verbaut sind; z.B. an einem Computer-Chip die hoch artifizielle, "kultürliche" Funktion einerseits und die natürlichen Materialien, aus denen er besteht, andererseits; an einem Rehpinscher die natürliche Abstammung vom Wolf und seine durch menschliche Züchtung und ihre Zwecke bestimmte Gestalt usw.

Wieso sollten nun subatomare Partikel oder der Urknall nicht zur Natur gehören? Falls es sie gibt bzw. gab, dann sind/waren sie doch wohl sowohl Teil des Universums als auch nicht künstlich bzw. kultürlich. Unabhängig davon, ob man daran denkt, wenn man Nordlichter oder eine Rose betrachtet.
Die Kontroverse über die Frage, ob subatomare Partikel und ihre Gesetzmäßigkeiten "zur Natur gehören" oder nicht, lässt sich mithilfe der angedeuteten Überlegung und dem Vorschlag, "Natur" als Reflexionsbegriff zu verstehen, leicht schlichten. Ihr müsstet nur davon ablassen, den Naturbegriff extensional und objektsprachlich zu verwenden. ;)




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Jörn Budesheim
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Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 12:21
Ihr müsstet nur davon ablassen, den Naturbegriff extensional und objektsprachlich zu verwenden. ;)
Das heißt, von dem abzulassen, was mich eigentlich an dem Thema interessiert. Kein Vorschlag, der für mich attraktiv ist :-)




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 12:24
Hermeneuticus hat geschrieben :
Do 21. Sep 2017, 12:21
Ihr müsstet nur davon ablassen, den Naturbegriff extensional und objektsprachlich zu verwenden. ;)
Das heißt, von dem abzulassen, was mich eigentlich an dem Thema interessiert. Kein Vorschlag, der für mich attraktiv ist :-)
Tja, Du möchtest den Kuchen gern aufessen und ihn behalten. Einerseits revoltierst Du dagegen, dass die Naturwissenschaften alles, was es gibt, als "Materie" klassifizieren, die bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt; darin kämen wir, als belebte, denkende, fühlende, geistige Wesen nicht vor. Darum könnten die Naturwissenschaft bestenfalls einen bloßen Ausschnitt, einen Aspekt erfassen von allem, was es gibt. Aber auf der anderen Seite willst Du, dass die geistigen Aspekte, die aus der naturwissenschaftlichen Forschung herausfallen, keine bloßen Aspekte sein sollen, sondern Dinge mit Eigenschaften. Aber dann müsstest Du gerechter Weise auch den Naturwissenschaften zugestehen, dass sie von Dingen und ihren Eigenschaften handeln.

Du optierst - mit M.Gabriel - für einen ontologischen Pluralismus, aber mit der Folge, dass dann ein und dasselbe Ding - z.B. Herr Horst aus Bremen-Vegesack - in beliebig viele verschiedene "ontologische" Bereiche zerfällt. Und da es keinen übergeordneten ontologischen Bereich gibt (die Welt), kann Herr Horst auch keine definite ontische Einheit sein; er bleibt für immer zersplittert... Das ist der Preis, den Du für die Verdinglichung von Aspekten zu zahlen bereit sein müsstest. Welcome back to Postmodernism! :D




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