Wie oft kann man in den selben Fluss steigen?

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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So 29. Okt 2023, 14:13

Natürlich kenne ich das berühmte Rätsel. Meine Antwort sollte nicht sibyllinisch sein. Hier nur einige Worte, um zu skizzieren, worum es mir geht.

Du schreibst, es gehe nicht um Funktionen und Besitzverhältnisse, sondern um ein ontologisches Rätsel. Aber genau das war mein Punkt. Auch Funktionen und Besitzverhältnisse sind Teil dessen, was ist. Und wenn man das berücksichtigt, dann treten andere Dinge in den Hintergrund. Eine Funktion kann z.B. auf verschiedene Weise realisiert werden und bleibt trotzdem die selbe. Bei den Besitzverhältnissen stellen sich wiederum andere Fragen, z.B. normative und rechtliche. Es gibt nicht nur eine "ontologisch korrekte" Weise, die Wirklichkeit zu erfassen.




Jonas Kahnwald
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So 29. Okt 2023, 21:17

Hallo,

ich denke die Hauptaussage von Heraklit soll einfach nur aufzeigen, dass sich Verhältniss und Inhalt ständig ändern. Wenn man sagt man könnte jedoch in den selben Fluss steigen, dann müssten auch die Verhältnisse (Wasserhöhe, Tierart zu Tierart usw.) und die Inhalte (es gibt genau 193993347757455845848585 Planktonwesen auf 1qm) gleich sein.




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Jörn Budesheim
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Mo 30. Okt 2023, 07:25

Jonas Kahnwald hat geschrieben :
So 29. Okt 2023, 21:17
Wenn man sagt man könnte jedoch in den selben Fluss steigen, dann müssten auch die Verhältnisse (Wasserhöhe, Tierart zu Tierart usw.) und die Inhalte (es gibt genau 193993347757455845848585 Planktonwesen auf 1qm) gleich sein.
Gegen diese Sicht argumentiere ich ja. Quasarkarotte sieht es ähnlich:
Quasarkarotte hat geschrieben :
Fr 27. Okt 2023, 12:09
Obwohl die Elbe sich im Zeitraum von gestern zu heute in vielerlei Hinsicht verändert hat, ist die heutige Elbe mit der gestrigen Elbe trotzdem identisch, da die Veränderung zu den Eigentümlichkeiten der Elbe zählt
Flüsse existieren in der Zeit, sie sind vierdimensionale Dinge. Man kann sich das wie eine vierdimensionale "Zeitwurst" vorstellen :-) Wenn ich zum zweiten Mal in die Zeitwurst eintrete, dann zu einer anderen Zeit, aber es ist die gleiche Zeitwurst. Fluss-t₃ ist nicht identisch mit Fluss-t₉, aber beide Zeitpunkte gehören zum selben Fluss: t₁ t₂ t₃ t₄ t₅ t₆ t₇ t₈ t₉ t₁₀




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Quk
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Mo 30. Okt 2023, 07:56

Es ist doch so einfach:

Wenn man den Fluss als "Zeitwurst" auffasst, steigt man jedes Mal in die gleiche Zeitwurst, also in den selben Fluss.

Wenn man den Fluss in jedem Moment als Schnappschuss auffasst, steigt man jedes Mal in einen anderen Schnappschuss, also in einen anderen Fluss.

Die Zeitwurst enthält unendlich viele Wurstscheiben. Man kann die gesamte Wurst als Wurst auffassen, und man kann auch eine einzelne Scheibe als Wurst auffassen: "Frau Metzger, ich hätte gerne 50 Gramm Wurst." Dann gibt sie mir ein paar Scheiben Wurst.

Ich meine, beide Auffassungen sind plausibel und sinnvoll. Man muss nur sagen, welche Auffassung man meint.




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Jörn Budesheim
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Quk hat geschrieben :
Mo 30. Okt 2023, 07:56
Ich meine, beide Auffassungen sind plausibel und sinnvoll. Man muss nur sagen, welche Auffassung man meint.
Ich finde nur eine plausibel, nämlich die, wo der Fluss fließt :-) Wenn wir es in jedem Moment mit einem anderen Fluss zu tun haben, dann gibt es keinen Fluss, der fließt, sondern nur unendlich viele verschiedene Nicht-Flüsse.




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Quk
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Mo 30. Okt 2023, 08:25

Und der Supermarkt muss auch notwendig fließen, um Supermarkt zu sein?

Und der See muss auch notwendig fließen, um See zu sein?

Gibt es zugefrorene Flüsse?
Zuletzt geändert von Quk am Mo 30. Okt 2023, 08:34, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Mo 30. Okt 2023, 08:34

Ja, wenn es gut läuft, freut er sich über die Kundenströme :-)

Raumzeitliche Dinge wie der Fluss und der See sind raumzeitliche Dinge, das muss man von Fall zu Fall betrachten. Ich vermute, der Fluss ist für Heraklit nur ein "Sinnbild", schließlich heißt es bei ihm auch "Alles fließt". (Was ich auch für falsch halte, die 7 fließt sicher nicht.) Allerdings verstehe ich meine Kritik daran nicht als Heraklit-Exegese, es kann gut sein, dass er etwas anderes meinte.




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Jörn Budesheim
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Mo 30. Okt 2023, 08:42

Ja: (Vieles) fließt.
Nein: Daraus folgt einfach nicht, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann, das ist einfach ein Fehlschluss.




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Quk
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Mo 30. Okt 2023, 08:43

Noch ein Zusatz:

Ja, eine raumzeitliche Sache enthält eine zeitliche Ausdehnung. Aber die Ausdehnung muss nicht notwendig unendlich lang sein. Es reicht auch eine Sekunde oder ein Jahr.

Am Montag bade ich stundenlang in der montäglichen zeitlichen Ausdehnung der Elbe.
Am Dienstag bade ich stundenlang in der dienstäglichen zeitlichen Ausdehnung der Elbe.

Die montägliche Elbe ist anders als die dienstägliche. Beide haben eine zeitliche Ausdehnung, aber sie sind nicht dieselben täglichen Elben.

In einen Fluss zu steigen braucht übrigens auch eine zeitliche Ausdehnung von mindestens einigen Sekunden. Man muss das also nicht einmal als Schnappschuss auffassen.
Zuletzt geändert von Quk am Mo 30. Okt 2023, 08:48, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Mo 30. Okt 2023, 08:47

Ich schätze, wir kommen hier einfach nicht zusammen, macht auch nichts. :-)




Jonas Kahnwald
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Mo 30. Okt 2023, 09:57

Hallo,

ich habe nun die Beiträge gelesen und mir erscheint die Logik nicht ganz.

Es wird ja behauptet, dass der Fluss die Eigenschaft "Veränderung" ja inhärent hat, darum kann man 2x in den selben Fluss steigen. Das macht für mich wenig Sinn, denn wenn wir das auf andere Beispiele übertragen, sehen wir es: Ein Mensch hat auch die Eigenschaft "Veränderung", aber ist es wirklich so, dass wenn du mit deinem 8 jährigen Sohne sprichst und dann wieder wenn er 35 Jahre alt ist, dass du mit dem "selben Mensch" sprichst?

Veränderung ist ja quasi das, was "selbiges" verhindert. Wenn "alles fließt" gibt es nichts selbiges (zumindest nicht im Fließen)




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Jonas Kahnwald hat geschrieben :
Mo 30. Okt 2023, 09:57
aber ist es wirklich so, dass wenn du mit deinem 8 jährigen Sohne sprichst und dann wieder wenn er 35 Jahre alt ist, dass du mit dem "selben Mensch" sprichst?
Ja. Veränderung, ja Verwandlung gehört zum Menschsein.




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Quk
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Mo 30. Okt 2023, 10:55

Jörn, warum ist Dir diese Kontinuität so wichtig, dass Du von den zwei Auffassungs-Möglichkeiten -- der gegliederten und der ungegliederten -- immer alle gegliederten Zeitabschnitte kategorisch ablehnst? Deine bisherigen Argumente waren gegen Schnappschüsse gerichtet. Das kann ich noch mit Mühe nachvollziehen. Aber warum nun auch gegen gegliederte dauerhafte Zeitausdehnungen, die länger sind als Schnappschüsse? Ein Menschenleben hat doch auch einen Anfang und ein Ende. Ist der Mensch vor seiner Geburt und nach seinem Tod auch derselbe? Ja, kann man sagen, wenn man das als unendliche Zeitausdehung auffasst. Aber man kann das auch gliedern, und so kann man dann auch die einzelnen Zeitabschnitte für sich auffassen. Je nach Auffassung kann man das eine oder das andere bejahen, meine ich. Warum ist Dir diese unendliche Kontinuität so wichtig?




Jonas Kahnwald
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Mo 30. Okt 2023, 10:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Okt 2023, 10:30
Jonas Kahnwald hat geschrieben :
Mo 30. Okt 2023, 09:57
aber ist es wirklich so, dass wenn du mit deinem 8 jährigen Sohne sprichst und dann wieder wenn er 35 Jahre alt ist, dass du mit dem "selben Mensch" sprichst?
Ja. Veränderung, ja Verwandlung gehört zum Menschsein.
Vielleicht zum "Menschsein" aber nicht zu dem Menschen X, im Beispiel dein Sohn. Denn dann könntest du ihn ja auch mit 8 Jahren Auto fahren lassen oder ihn ein Referat über Kants kategorischen Imperativ halten lassen.




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Jörn Budesheim
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Quk hat geschrieben :
Mo 30. Okt 2023, 10:55
Warum ist Dir diese unendliche Kontinuität so wichtig?
Hmmm, ... Ist mir das wichtig? Mag sein. Mir ist die Wahrheit wichtig. Meiner Meinung nach ist es wahr, dass man zweimal in denselben Fluss steigen kann, und es ist falsch, dass man es nicht kann. Meiner Meinung nach ist es wahr, dass Menschen in ihrem Leben viele Veränderungen und oft sogar Brüche erleben, aber es ist falsch, dass es nicht so ist.

Man sollte Selbigkeit nicht mit Unveränderlichkeit verwechseln.




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Jörn Budesheim
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Mo 30. Okt 2023, 11:11

Damit es eine Veränderung geben kann, muss es doch etwas geben, was sich verändert, oder? Wenn es aber so etwas, wie einen Fluss gar nicht gibt, was ändert sich denn dann?




Jonas Kahnwald
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Okt 2023, 11:11
Damit es eine Veränderung geben kann, muss es doch etwas geben, was sich verändert, oder? Wenn es aber so etwas, wie einen Fluss gar nicht gibt, was ändert sich denn dann?
Den Fluss gibt es eben nicht unabhängig von seinen Anteilen und da seine Anteile sich stetig verändern, gibt es so etwas wie "den selben Fluss" nicht.




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Jörn Budesheim
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Mo 30. Okt 2023, 11:20

Das Argument verstehe ich nicht.




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Jörn Budesheim
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Quk hat geschrieben :
Mo 30. Okt 2023, 08:43
Schnappschuss
Was meinst du damit?




Jonas Kahnwald
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Mo 30. Okt 2023, 11:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Okt 2023, 11:20
Das Argument verstehe ich nicht.
Na der Fluss besteht ja aus Flußbett, dem Wasser, den Bewohnern, Steinen, Algen, Sand, Strömung usw.

Dies sind die Teile des Flusses und verändern sich stetig (eben nach Heraklits These: "Alles fließt")

Du denkst den Fluss sehr wahrscheinlich als "Ding" - aber ohne seine Teile (oben genannt) gibt es keinen Fluss, da Fluss kein "Ding" ist.




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