Wie oft kann man in den selben Fluss steigen?
- Jörn Budesheim
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„Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ (Heraklit)
Ich halte das für falsch. Der Grund ist einfach: Der Fluss fließt. Das Fließen ist Teil seiner Identität. Nur weil er fließt, ist er ein bzw. dieser Fluss. Deshalb steige ich in denselben Fluss, auch wenn er das Wasser fließt. Es ist also falsch zu glauben, dass ich nicht in denselben Fluss steigen kann, weil er sich verändert hat, denn Veränderung ist Teil seiner Identität.
Ich halte das für falsch. Der Grund ist einfach: Der Fluss fließt. Das Fließen ist Teil seiner Identität. Nur weil er fließt, ist er ein bzw. dieser Fluss. Deshalb steige ich in denselben Fluss, auch wenn er das Wasser fließt. Es ist also falsch zu glauben, dass ich nicht in denselben Fluss steigen kann, weil er sich verändert hat, denn Veränderung ist Teil seiner Identität.
Ich hatte Heraklit so verstanden, dass das Bild, die Form, der Geruch, der Geschmack, der Ton des Flusses sich ständig wandelt. Der Fluss ist wahrlich ein chaotisches Ding, genauso wie das Leben einer Schildkröte. Sie ändert sich in jeder Nanosekunde. Sie ist nicht statisch, genauso wie der Fluss nicht statisch ist, nicht einmal im gefrorenen Zustand.
Du meinst das Prinzip, oder? Das Prinzip des Flusses im Sinn des Fließbegriffs ist immer dasselbe. Ja.
Du meinst das Prinzip, oder? Das Prinzip des Flusses im Sinn des Fließbegriffs ist immer dasselbe. Ja.
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Aber wo ist "statisch sein" überhaupt erforderlich? Um zweimal mit zeitlichem Abstand in denselben Fluss zu steigen, muss es nur derselbe Fluss sein, sonst nichts. Es ist derselbe Fluss, weil sein Sein, einschließlich aller Veränderungen, sich in der Zeit ausdehnt. Der Fluss ist eben (zumindest) vierdimensional, er verändert sich ständig. Das gehört zu seinem Wesen. Deshalb ist seine ständige Veränderung kein Hindernis, zweimal (dreimal...) in ihn zu steigen. Das ist einfach ein ziemlich krasser Fehlschluss, finde ich.Quk hat geschrieben : ↑Do 14. Sep 2023, 14:49Ich hatte Heraklit so verstanden, dass das Bild, die Form, der Geruch, der Geschmack, der Ton des Flusses sich ständig wandelt. Der Fluss ist wahrlich ein chaotisches Ding, genauso wie das Leben einer Schildkröte. Sie ändert sich in jeder Nanosekunde. Sie ist nicht statisch, genauso wie der Fluss nicht statisch ist, nicht einmal im gefrorenen Zustand.
Naja, wie gesagt, ich denke, es kommt drauf, in welchem Kontext Du den Begriff "Fluss" verwendest. Die Elbe ist die Elbe, gestern, heute, morgen ist sie die Elbe, ja. Jörn ist Jörn, zu jedem Lebenszeitpunkt. Ja. Das sind zeitlose Identitäten, Prinzipien, Ideen, Zahlen, Figuren, Konstrukte -- allesamt unveränderlich: Eine Vier ist eine Vier. Ein Kreis ist ein Kreis.
Ich vermute, Heraklit verwendete den "Fluss" als Metapher für die stetige Veränderung der Gesellschaftsformen, Kulturen, Geschmäcker, Sprachen, politischen Interessen, Bäume, Tiere und so weiter. Ich habe mal gelesen, ich glaube bei Popper, dass es schon zu Platons Zeiten große Lebensveränderungen gab, und dass es reaktionäre, konservative Köpfe gab, die gegen diese Veränderung ankämpften und kein "panta rhei" wollten -- dazu gehörte Platon, der eine gesäuberte Philosophenherrschaft vorschlug, damit die Welt -- in ihrem Wandeldrang -- schön starr bleibt.
Ich vermute, Heraklit verwendete den "Fluss" als Metapher für die stetige Veränderung der Gesellschaftsformen, Kulturen, Geschmäcker, Sprachen, politischen Interessen, Bäume, Tiere und so weiter. Ich habe mal gelesen, ich glaube bei Popper, dass es schon zu Platons Zeiten große Lebensveränderungen gab, und dass es reaktionäre, konservative Köpfe gab, die gegen diese Veränderung ankämpften und kein "panta rhei" wollten -- dazu gehörte Platon, der eine gesäuberte Philosophenherrschaft vorschlug, damit die Welt -- in ihrem Wandeldrang -- schön starr bleibt.
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Aber das würde an der falschen Schlussfolgerung erst einmal nichts ändern, oder? Aber ich bleibe erst einmal bei der wörtlichen Auslegung.
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Aber das meine ich gerade nicht :-) Ich bin keine zeitlose Identität, sondern existiere eben in der Zeit. (Vier Dimensionen) Quine hat dafür das Bild der Zeitwurst gefunden :-)
Ich meine "zeitlos" im Sinn von "zeitfrei", so wie in "4+4=8": Diese Identität ist zu jeder Zeit und sogar in der Zeitlosigkeit der Prä-Urknall-Singularität gültig.
Die Dimension Zeit ist darin nicht enthalten.
Steht "4+4" aber auf einer Fahne, die nur heute abend weht, dann haben wir eine Identität die sich auf heute abend beschränkt und in diesem Sinn nicht zeitlos ist. Diese Art der Zeitlosigkeit meine ich nicht. Wenn Du Dich als Lebendiger identifizierst, hört diese nach Deinem Tod auf. Wenn Du Dich als berühmter Künstler identifizierst und Deine Bilder noch 1000 Jahre ausgestellt bleiben, bleibt Deine Identität 1000 Jahre erhalten. Eintagsfliegen nennen sowas schon "fast zeitlos". Aber egal; diese Art der Zeitlosigkeit meine ich nicht.
Die Dimension Zeit ist darin nicht enthalten.
Steht "4+4" aber auf einer Fahne, die nur heute abend weht, dann haben wir eine Identität die sich auf heute abend beschränkt und in diesem Sinn nicht zeitlos ist. Diese Art der Zeitlosigkeit meine ich nicht. Wenn Du Dich als Lebendiger identifizierst, hört diese nach Deinem Tod auf. Wenn Du Dich als berühmter Künstler identifizierst und Deine Bilder noch 1000 Jahre ausgestellt bleiben, bleibt Deine Identität 1000 Jahre erhalten. Eintagsfliegen nennen sowas schon "fast zeitlos". Aber egal; diese Art der Zeitlosigkeit meine ich nicht.
Ich denke, es kommt darauf an, was Du mit "Fluss" meinst:Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Do 14. Sep 2023, 16:03Aber das würde an der falschen Schlussfolgerung erst einmal nichts ändern, oder? Aber ich bleibe erst einmal bei der wörtlichen Auslegung.
• Das Wesen des Flusses, sprich: "Fließendes Wasser" als Funktion.
• Dasjenige, was am Ort des Flusses sich verändert, z B. die Form von Alge Fritz und die Zusammenkunft der Tropfen Ute und Uwe.
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Mir geht es darum, dass die Form des Arguments falsch ist. Warum kann man angeblich nicht zweimal in denselben Fluss steigen? Weil der Fluss fließt. Das Argument ist meines Erachtens ungültig, weil aus der Tatsache, dass X sich in sich ändert, nicht allgemein folgt, dass X nicht mit sich selbst identisch ist. Das gilt insbesondere dann nicht, wenn Änderungen zum Sein des X gehören. Oder anders ausgedruckt, wenn X eine Ausdehnung in der Zeit hat. Das ist im Fall von Flüssen so und in vielen anderen Fällen auch. Man steigt dann gewissermaßen in zwei verschiedene Zeitabschnitte desselben Flusses.
Das Wort "zweimal" interpretiere ich bei Heraklit als "5 Uhr 11" (ein Karpfen grinst) und "5 Uhr 12" (ein Kieselstein rollt los).
Also, ich interpretiere "zweimal" als zwei Punkte auf der Zeitachse X, wobei auf Achse Y es chaotisch auf und ab geht.
Du interpretierst "zweimal" etwa wie Seite 44 und 77 eines unchronologischen Telefonbuches?
Also, man kann beliebig oft auf Seite 44 springen; sie ändert sich nicht.
Also, ich interpretiere "zweimal" als zwei Punkte auf der Zeitachse X, wobei auf Achse Y es chaotisch auf und ab geht.
Du interpretierst "zweimal" etwa wie Seite 44 und 77 eines unchronologischen Telefonbuches?
Also, man kann beliebig oft auf Seite 44 springen; sie ändert sich nicht.
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Es geht um die Zeit. Mehrmals in denselben Fluss steigen heißt, zu T¹, T², T³, T⁴ etc. also in voranschreitender Zeit immer wieder in denselben Fluss steigen. Eine Sekunde, zwei Sekunden, 5 Minuten, 10 Tage später: es kann immer noch derselbe Fluss sein.
Jörns Identität bleibt unverändert sein Leben lang. Wann immer man ihn besucht, er ist und bleibt der Jörn, der im Leben bestimmte Sachen gemacht hat.
Diese Art der Unveränderlichkeit, so vermute ich, hatte Heraklit mit seiner Fluss-Metapher nicht im Sinn, sondern Jörns stetige Formveränderung und Wissenserweiterung.
Einen Widerspruch sehe ich demnach nur dann, wenn man die Fluss-Metapher auf die Fluss-Identität beschränkt.
Diese Art der Unveränderlichkeit, so vermute ich, hatte Heraklit mit seiner Fluss-Metapher nicht im Sinn, sondern Jörns stetige Formveränderung und Wissenserweiterung.
Einen Widerspruch sehe ich demnach nur dann, wenn man die Fluss-Metapher auf die Fluss-Identität beschränkt.
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Ich bin mir noch nicht sicher, ob wir dasselbe meinen. Mein Punkt ist: zu denjenigen Dingen, die in der Zeit existieren, gehört Veränderung dazu. Ich wäre gar kein Lebewesen, wenn es anders wäre.
Ja, in diesem Kontext zähle ich die Tatsache, dass der Fluss sich verändert, zur Identität dazu. Ich meine, das "Sich-verändern" als Tatsache, wie etwa das Fließen, Gefrieren, Auftauen, Austrocknen als solche, gehören überhaupt zum Wesentlichen in der Identität eines Flusses.
Aber ich glaube nicht, dass Heraklit die Identität meinte.
Aber ich glaube nicht, dass Heraklit die Identität meinte.
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Gut, dann sind wir uns einig.Quk hat geschrieben : ↑Fr 15. Sep 2023, 11:14Ja, in diesem Kontext zähle ich die Tatsache, dass der Fluss sich verändert, zur Identität dazu. Ich meine, das "Sich-verändern" als Tatsache, wie etwa das Fließen, Gefrieren, Auftauen, Austrocknen als solche, gehören überhaupt zum Wesentlichen in der Identität eines Flusses.
Jetzt kommt der wichtigste Punkt. Wie kann man das so erklären (ohne jeden Bezug auf Heraklit und, was er womöglich gemeint hat), dass es einfach zu verstehen ist? Ich hab das schon oft versucht, es ist mir noch nie gelungen. Ich brauche eine ganz leichte, für (fast) jede Person nachvollziehbare Erläuterung.
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Der Punkt, an dem wir uns einig sind. (Wie oft kann man in den selben Fluss steigen?) Ich suche nach einer allgemein verständlichen Erklärung dafür, dass man beliebig oft in denselben Fluss steigen kann. Es geht mir nicht darum, Heraklit richtig zu interpretieren. Das ist mir egal. ("Mir geht es darum, dass die Form des Arguments falsch ist", wie ich weiter oben schon schrieb.)
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Muss nicht, aber in der Regel diskutiere ich es u.a. an dem Beispiel.