Tatsachen behaupten

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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Do 5. Okt 2023, 19:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 08:04
In der vorliegenden Situation könnte man mein Wahrnehmungsurteil vielleicht mit folgenden Gründen anzweifeln: "Es ist dunkel und du hast deine Brille nicht an, du hast aus Versehen mein Tablet genommen, schau doch auf die Markierung." Zweifeln gehört zum Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen!
Meine Beispiele für Gründe: jeweils Tatsachen, die für oder gegen etwas sprechen.

Die Tatsache, dass es dunkel ist, spricht dafür, dass du die Dinge vielleicht etwas schlechter siehst.

Die Tatsache, dass du deine Brille nicht anhast, obwohl sie brauchst, spricht auch dafür.

Die Tatsache, dass dort am Tablet eine Markierung ist, spricht dafür, dass es mein Tablet ist, du hast die Tablets verwechselt.




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Quk
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Do 5. Okt 2023, 20:07

Die Tatsache, dass ich mich irren kann, spricht dafür, dass der Knall vielleicht nicht von einem Gewitter kam.

Deine Beispiele sehe ich nur mit viel Mühe als Zweifels-Beispiele. Sie erscheinen mir eher wie vollendete Tatsachen.

Wo ist da der Zweifelsprozess? Zweifeln heißt für mich Nachdenken. Wo ist das Nachdenken in Deinen Beispielen?
Zuletzt geändert von Quk am Do 5. Okt 2023, 20:11, insgesamt 1-mal geändert.




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AufDerSonne
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Do 5. Okt 2023, 20:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 4. Okt 2023, 18:06
Was folgt daraus für mein "Recht" zu behaupten, dass vor mir eine Tafel steht, in die ich gerade diesen Text eintippe? Meiner Meinung nach nichts!

Allein aus der Tatsache, dass ich mich mit jeder Ansicht irren kann, folgt meines Erachtens eine ganze Reihe von Dingen nicht:
  • Es folgt nicht, dass ich jede Aussage mit einem Caveat versehen muss.
  • Es folgt meines Erachtens natürlich kein genereller Skeptizismus.
  • Es folgt natürlich auch nicht, dass ich z.B. meinen Wahrnehmungen nicht mehr glaube.
  • Es folgt nicht, dass ich die Tatsache nicht einfach behaupten darf.
  • usw.
Damit etwas von dem folgt, was ich gerade (unvollständig) aufgezählt habe, muss es einen guten Grund geben. Auch Skepsis muss begründet sein. Die Tatsache, dass ich mich irren könnte, reicht für sich allein genommen keinesfalls aus, finde ich. Daraus dass ich mich irren könnte, folgt trivialerweise nicht, dass ich mich irre. Unbegründeter Skeptizismus ist eine Form von make believe, wie man manchmal sagt.
Ich denke schon, dass du im Falle des Tablets, gute Gründe hast, anzunehmen, dass diese Tatsache wahr ist. Du, als Person, hast ein grösseres Recht deine Behauptung für wahr zu halten als ich, da ich nicht dabei war. Ich habe nur über diese Tatsache gelesen. Ich denke, wenn man direkt am einem Geschehen beteiligt ist, hat man mehr Gründe anzunehmen, dass sich alles so zugetragen hat, wie man denkt, als jemand, der nicht unmittelbar dabei war. Man kann auch immer mit dem gesunden Menschenverstand, dem common sense, argumentieren. Bei deiner Schilderung des Erlebnisses spricht nichts gegen den common sense. Allerdings finde ich das philosophisch gesehen eher ein schwaches Argument.

Und jetzt kommt noch meine Meinung. Wenn man nicht an die Existenz der Materie glaubt, dann wird deine Behauptung aber tatsächlich schwierig und anzweifelbar.



Ohne Gehirn kein Geist!

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Jörn Budesheim
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Do 5. Okt 2023, 20:11

Quk hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 20:07
Die Tatsache, dass ich mich irren kann, spricht dafür, dass der Knall vielleicht nicht von einem Gewitter kam.
Finde ich nicht. Ich wüsste nicht, warum.




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Quk
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Do 5. Okt 2023, 20:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 20:11
Quk hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 20:07
Die Tatsache, dass ich mich irren kann, spricht dafür, dass der Knall vielleicht nicht von einem Gewitter kam.
Finde ich nicht. Ich wüsste nicht, warum.
Bitte das Wort "vielleicht" beachten :-)




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Jörn Budesheim
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Fr 6. Okt 2023, 08:17

Quk hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 20:07
Wo ist das Nachdenken in Deinen Beispielen?
Das ist für meine Argumentation eigentlich unerheblich. Entscheidend für das, was ich sagen will, ist allein, dass der Zweifel begründet ist, gleichgültig, ob er sich sofort ohne Nachdenken einstellt, weil er (vielleicht einem anderen, der mehr sieht oder weiß als ich) ganz offensichtlich ist, oder erst nach längerem Nachdenken, weil die Gründe schwer zu erkennen sind.

Übrigens, warum sollte jemand nachdenken, wenn er nicht nach Gründen sucht? Also nach Fakten, die dafür sprechen, dass der Knall etwas anderes war als ein Gewitterknall?




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Jörn Budesheim
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Fr 6. Okt 2023, 08:27

Ich akzeptiere, dass wir fallibel sind (Tatsache!) und dass wir in fast allen Fällen eines Besseren belehrt werden könnten. Darin sind wir uns wohl einig.

Der (relativ große) Dissens besteht zwischen uns in dem, was daraus jeweils folgt. Für mich folgt daraus keineswegs, dass ich keine Wahrheitsansprüche mehr erhebe. Es müsste schon sehr triftige Gründe geben, damit ich plötzlich bezweifele, dass Hamburg nördlich von Kassel liegt, dass die Fünf größer ist als die Drei und dass ich noch nie auf dem Mond war, um nur einige besonders krasse Fälle zu nennen. Solche und andere Dinge werde ich auch weiterhin ohne Einschränkung als Tatsachen ansprechen.

Was akzeptable Gründe sind, an Gewissheiten zu zweifeln, muss wohl von Fall zu Fall entschieden werden.




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Quk
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Fr 6. Okt 2023, 11:09

Einverstanden :-)




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