Die Urminus-These (zur Frage nach der Entstehung der Polarität/Gegensätzlichkeit)
- Jörn Budesheim
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Man kann das Universum nur zu einem Lebewesen machen, wenn man den Begriff verdreht. Lebewesen bezieht sich auf das, was wir hier auf unserem Planeten beobachten. Daher kommt der Begriff und das sind Flöhe, Pilze, Blumen, Bäume, Katzen und so weiter. Und das Universum ist sicherlich weit davon entfernt, so etwas zu sein. Aber wenn man den Begriff umdefiniert, was hat man dann erreicht? Dann hat man ein Wort, das gut klingt, aber nicht mehr die Bedeutung hat, die es eigentlich hat.
Ich sehe das Universum als so eine Art alleinstehender Wal im Ozean des Nichts.
Jedes Lebewesen enthält Abermilliarden weitere Lebewesen. Stimmst Du mir da zu? Alles ist ein Nest im Nest im Nest ...
Mit diesem Bild komme ich irgendwann an ein äußerstes Nest. Warum sollte ich dem das Lebendige absprechen?
Ich sehe im Lebensbegriff durchaus die Wichtigkeit der Mehrzähligkeit. Die ist in meinem Walbild enthalten; nur eben nicht durch weitere Wale, sondern durch die Vielgestaltigkeit dieses einen Wals per se. Jedes Nest lebt, auch das äußerste.
Jedes Lebewesen enthält Abermilliarden weitere Lebewesen. Stimmst Du mir da zu? Alles ist ein Nest im Nest im Nest ...
Mit diesem Bild komme ich irgendwann an ein äußerstes Nest. Warum sollte ich dem das Lebendige absprechen?
Ich sehe im Lebensbegriff durchaus die Wichtigkeit der Mehrzähligkeit. Die ist in meinem Walbild enthalten; nur eben nicht durch weitere Wale, sondern durch die Vielgestaltigkeit dieses einen Wals per se. Jedes Nest lebt, auch das äußerste.
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Okay das kannst Du so betrachten, dann müssen wir hier den Dissens feststellen :)
Besteht der Dissens auch in dieser Behauptung? "Jedes Lebewesen enthält Abermilliarden weitere Lebewesen."
(Einzeller und dergleichen kann man vielleicht ausschließen, wenn man von organischen Molekülen absieht. Aber Insekten, Hunde etc. enthalten viele Zellen.)
(Einzeller und dergleichen kann man vielleicht ausschließen, wenn man von organischen Molekülen absieht. Aber Insekten, Hunde etc. enthalten viele Zellen.)
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Der Dissens besteht darin, dass ich das Universum nicht als ein Lebewesen ansehe und du schon. Ein Wal im Nichts ist zwar ein schönes Bild, aber er würde ja zugrunde gehen. Wir brauchen das aber nicht zu vertiefen, für mich gibt es einfach viel zu wenige nachvollziehbare Hinweise darauf, das zu glauben.
Ja, die Welt als Ganzes ist kein Lebewesen; aber nicht alle Lebewesen sind "Erlebewesen", d.i. (subjektiv) empfindende/fühlende Wesen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 27. Apr 2024, 19:26Ich vermute, dass wir keinen plausiblen Grund haben zu glauben, dass irgendeiner dieser Punkte auf das Universum zutrifft, geschweige denn alle vier.
Unter "Denken" im weiten psychologischen Sinn von "Kognition" versteht LeDoux "die Fähigkeit, die interne Repräsentation von Information zu benutzen, um mentale Modelle der Welt zu konstruieren" ("the ability to use the internal representation of information to construct mental models of the world" [The Four Realms of Existence, p. 138]) oder einfacher "die Fähigkeit, Repräsentationen zu bilden und sie zur Verhaltenslenkung zu benutzen" ("the ability to form representations and use them to guide behavior" [LeDoux, The Deep History of Ourselves, p. 34])."All living things, all organisms, exist biologically. But some of these, namely animals, evolved nervous systems, and so they also exist neurobiologically. Of these, some can think and plan, and thus exist cognitively. Finally, some cognitive organisms also exist consciously."
———
"Alle Lebewesen, alle Organismen existieren biologisch. Aber manche von diesen, nämlich Tiere, haben Nervensysteme entwickelt, und sie existieren somit auch neurobiologisch. Von diesen können manche denken und planen, und existieren folglich kognitiv. Schließlich existieren manche kognitiven Organismen auch bewusst."
[© meine Übers.]
(Le Doux, Joseph E. The Four Realms of Existence: A New Theory of Being Human. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2023. p. x)
Denken in diesem kognitionspsychologischen Sinn ist nicht mit bewusstem Denken (mittels einer natürlichen Sprache) gleichzusetzen.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Es besteht ein Unterschied zwischen echten vielzelligen Organismen und bloßen Kolonien einzelliger Organismen. Die einzelnen Zellen eines echten vielzelligen Organismus (wie eines menschlichen Körpers) sind keine selbstständigen Organismen.Quk hat geschrieben : ↑Mi 1. Mai 2024, 16:44Besteht der Dissens auch in dieser Behauptung? "Jedes Lebewesen enthält Abermilliarden weitere Lebewesen."
(Einzeller und dergleichen kann man vielleicht ausschließen, wenn man von organischen Molekülen absieht. Aber Insekten, Hunde etc. enthalten viele Zellen.)
"Kolonien sind keine Vielzeller im eigentlichen Sinne, denn ihre Zellen sind offiziell nicht Komponenten eines einheitlichen Körperganzen. Eine bestimmte Sort Kolonie diente allerdings als Startrampe für echte Vielzelligkeit.
Eine Kolonie ist eine Gruppe einzelliger Organismen, die sich aneinanderheften. Chemische Absonderungen bewirken, dass sie zusammenhalten (Haftmoleküle) und miteinander kommunizieren (Signalmoleküle)."
(LeDoux, Joseph. Bewusstsein: Die ersten vier Milliarden Jahre. Übers. v. Elsbeth Ranke & Sabine Reinhardus. Stuttgart: Klett-Cotta, 2021. S. 110-1)
"Wo also liegt der Unterschied zwischen Kolonien und echten Vielzellern? Bei einem echten vielzelligen Organismus werden physiologische Konflikte und Defektion dadurch reduziert, dass alle Zellen genetisch homogen sind. Außerdem wird die Arbeitsteilung über ein genetisches Programm erreicht, nach dem die Zellen sich in spezifische Typen differenzieren und als solche Gewebe und Organe mit speziellen Funktionen bilden. Die unterschiedlichen Gewebezellen sind aber voneinander abhängig, getrennt vom Gesamtorganismus können sie nicht überleben. Damit ist das Überleben der individuellen Zelle dem Überleben des Gesamtorganismus untergeordnet, und das führt zu Kooperation.
Kolonien sind das Zwischenstadium zwischen einzelligen und vielzelligen Organismen, denn sie haften bereits aneinander und kommunizieren, um gemeinsame Überlebensziele zu erreichen."
(LeDoux, Joseph. Bewusstsein: Die ersten vier Milliarden Jahre. Übers. v. Elsbeth Ranke & Sabine Reinhardus. Stuttgart: Klett-Cotta, 2021. S. 112-3)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Ja, es besteht ein Unterschied, aber der ist nicht kantig sondern geschmeidig entlang einer Bandbreite.
Innerhalb dieser Geschmeidkeit an beliebiger Stelle eine harte Grenze zu setzen ist nichts anderes als ein Verwaltungsakt im Gedankensortiersystem. Die praktische Empirie aber zeigt unendlich viel mehr Verflechtungen als die simplifizierende Zweierlei-Verwaltung vorgibt.
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Das wissen wir nicht. Wir wissen allerdings auch nicht das Gegenteil. Ich habe den vierten Punkt hinzugefügt, weil meines Erachtens in der Liste die Sicht der Lebewesen selbst systematisch ausgeblendet war. Vielleicht kann (oder sollte) man die Formulierung von Punkt 4 noch verbessern, keine Ahnung.
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Hallo Jörn,Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 1. Mai 2024, 09:15"Schließt du es denn gänzlich aus, dem Ursprung des Universums die Lebenseigenschaft zuzuordnen?"
Die Frage ist so kompliziert gestellt, dass ich sie nicht wirklich verstehe. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich keinen Grund für die Annahme sehe, dass das Universum ein Lebewesen ist.
Dazu ist es sicherlich sinnvoll sich zu fragen, welche Bedeutung der Begriff Leben hat. Ich bin natürlich kein Biologe, trotzdem will ich ein Beispiel geben. Nehmen wir also zum Beispiel einen Hund. Ein Hund wurde geboren und wird sterben, er existiert in der Kette des Lebens und ist, metaphorisch gesprochen, auch ein "Produkt" der Evolution. Im Fall des Hundes spielt sicherlich auch der Mensch eine große Rolle der ihm gleichsam durch "kulturelle Auswahl" zudem gemacht hat, was er überhaupt ist.
Er könnte nicht existieren, wenn es nicht seinesgleichen gäbe, also viele andere Hunde und natürlich auch andere Lebensformen insgesamt. Wichtig sind vor allem die vielen anderen, ganz unterschiedlichen Lebensformen, die in verschiedener Hinsicht für seine Existenz notwendig sind, sei es als Partner, sei es als Nahrung oder was auch immer.
Wichtig: Lebewesen existieren immer in größeren Zusammenhängen, manchmal nennt man das, glaube ich, Biosphäre oder so. Viele andere Dinge sind wichtig, die ich hier nicht erwähnt habe, z.B. die Subjektivität, also sein Erleben und Denken und vieles mehr.
Eine, wenn nicht die gängige Antwort auf solche Einwände ist immer: Woher willst du wissen, dass es mit dem Universum nicht genauso ist? Das ist für mich aber kein gültiges Argument, denn wer behauptet, das Universum sei lebendig, muss zeigen, dass es plausibel ist, solche Zusammenhänge anzunehmen. Das ist eine Bringschuld desjenigen, der die Behauptung aufstellt. Argumente wie "man könnte sich aber doch vorstellen..." halte ich für abwegig.
ja, das sehe ich auch so. Um herauszufinden, was dafürspricht, dem Universum im Ganzen die Lebenseigenschaft zuzuordnen, kann man zum einen das, was wir über das Universum erfahren haben, dem gegenüberstellen, was wir über Lebewesen/biologische Organismen erfahren haben und schauen, ob es Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen gibt, z.B. Feinabstimmung, Fraktalität, Wachstum. Über diesen Weg kommt man vielleicht zu einer plausiblen Annäherung, dass dem Universum die Lebenseigenschaft zugeordnet werden könnte, mehr aber vermutlich nicht – was wiederum auch keine klare Aussage zulässt, ob zumindest ein Punkt aus Nurses Auflistung auf das Universum zutrifft oder nicht.
Doch der Weg, den ich hier gegangen bin, ist ein anderer, da ich mit meiner Argumentation auf den Ursprung des Universums gezielt habe (um das hervorzuheben habe ich vielleicht auch die Frage so kompliziert gestellt). Wenn ich diesem Entstehungspunkt Lebenseigenschaften plausibel zuordne, dann ist sie auch dem Universum im Ganzen plausibel zugeordnet. Ob man das Universum im Ganzen infolgedessen als Lebewesen, Lebensform, Organismus, überirdisches Wesen oder Gott bezeichnet werden dürfte, ist dann ein weiterer Klärungspunkt. Ich habe dem Entstehungspunkt die Lebenseigenschaften Teilung und Bilden einer Gegensätzlichkeit zugeordnet, doch anscheinend ist es mir nicht gelungen, meine Argumente hierfür plausibel rüberzubringen, da hier die Richtigkeit meiner These, dass Plus ursprünglich aus Minus entstanden ist, noch nicht einmal in Betracht gezogen wird, wie mir scheint.
Woran liegts, frage ich mich? Vielleicht daran, dass weiterhin die Gegensätze ausnahmslos in einer voneinander abhängigen Relation gesehen werden, wie es beispielsweise bei den Gegensatzpaaren klein/groß oder links/rechts der Fall ist?
BG
Mit Recht, denn es gibt aus biologischer Sicht keinerlei Rechtfertigung dafür, subjektives Erleben (neben dem Stoffwechsel und der Fortpflanzung) zu einem Wesensmerkmal des Lebens zu erklären.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 4. Mai 2024, 07:06Das wissen wir nicht. Wir wissen allerdings auch nicht das Gegenteil. Ich habe den vierten Punkt hinzugefügt, weil meines Erachtens in der Liste die Sicht der Lebewesen selbst systematisch ausgeblendet war.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
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Das kann ich dir nicht sagen. Ich hab den Startbeitrag noch mal gelesen und verstehe ehrlich gesagt die Pointe nicht und die Begriffe sind mir wohl zu abstrakt. Ich erfasse deinen Grundgedanken nicht. Das kann man sich vielleicht so klarmachen: Wenn ich jemandem die These in einfachen Worten wiedergeben sollte, könnte ich es nicht.
Zudem teile ich diese Prämisse nicht: Alles im Universum Existente ist in seiner Entstehung – unabhängig vom jeweiligen Entstehungszeitpunkt – nach dem Kausalitätsprinzip auf den Ursprung* des Universums zurückzuführen. Nicht alles ist kausal. Gründe spielen zum Beispiel für uns eine immense Rolle, sie verursachen unser Denken und Handeln nicht einfach, finde ich. Normativität im Allgemeinen ist von so großer Bedeutung, dass ich diese Prämisse nicht teilen kann.
- Jörn Budesheim
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Zurück zur Frage, ob das Universum ein Lebewesen ist. Unsere Begriffe fallen ja nicht vom Himmel, sondern beziehen sich in der Regel auf reale Gegenstände. Und von diesen hängt auch die Bedeutung ab - zumindest ganz grob. Wenn ich jemandem, der kein Deutsch spricht, erklären soll, was eine Parkbank ist, ist es oft am einfachsten, auf ein paar Parkbänke zu zeigen. Bedeutungen sind nicht im Kopf, sie haben viel mit den Gegenständen der Realität zu tun.
Der Ausdruck "Lebewesen" bezieht sich - Überraschung - auf Lebewesen. Aber nicht alles, was existiert, ist lebendig. Blumen, Pilze und Katzen sind Beispiele für Lebewesen. Um plausibel zu machen, dass das Universum ein Lebewesen ist, sollte man erklären können, dass es diesen oder anderen Lebewesen in relevanter Weise gleicht. Ähnliches habe ich bereits oben geschrieben.
Der Hinweis auf den Ursprung des Universums hilft mir einfach nicht weiter.
Der Ausdruck "Lebewesen" bezieht sich - Überraschung - auf Lebewesen. Aber nicht alles, was existiert, ist lebendig. Blumen, Pilze und Katzen sind Beispiele für Lebewesen. Um plausibel zu machen, dass das Universum ein Lebewesen ist, sollte man erklären können, dass es diesen oder anderen Lebewesen in relevanter Weise gleicht. Ähnliches habe ich bereits oben geschrieben.
Der Hinweis auf den Ursprung des Universums hilft mir einfach nicht weiter.
Das ist mir klar, dass bei einem Gespräch über Lebewesen eher die Katze vorkommt als das Universum. Aber ich denke, man kann eine Bedeutung im engen Sinn oder im weiten Sinn lesen. Natürlich sehe ich im engen Sinn eher die Katze. Im weiten Sinn sehe ich darin auch das Universum.
Ist es überhaupt möglich, Prosa völlig frei von Poesie und Metaphern zu halten?
Ist es überhaupt möglich, Prosa völlig frei von Poesie und Metaphern zu halten?
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Ich sehe aber auch im weiten Sinn das Universum nicht als Lebewesen :-) Ich sehe einfach keine Ähnlichkeit.