Metaphysik und Ontologie

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Jörn Budesheim

So 5. Mai 2024, 17:23

Burkart hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 10:33
Wenn es mehrere Welten gibt, gestehst du ihnen dann zu, dass alle mehr oder weniger direkt zusammenhängen? Also z.B. irgendwelche Schnittstellen haben...
Nach dieser Ontologie gibt es viele, wahrscheinlich unendlich viele Bereiche. Manche hängen zusammen, überschneiden sich, überlappen sich, spielen zusammen, andere nicht. Es gibt dafür keine generelle Regel, das wäre wieder Metaphysik. Es hängt nicht alles mit allem zusammen.




Wolfgang Endemann
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So 5. Mai 2024, 17:24

Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 03:35


Hier wird irreführenderweise der bedeutsame Unterschied zwischen dem innergeistigen Inhalt und dem außergeistigen Gegenstand der Vorstellung verwischt, den Kasimir Twardowski (1866-1938) schon vor 130 Jahren in aller Klarheit beschrieben hat: In der Vorstellung existieren als deren Inhalt nur geistige Bilder, durch die der seiende oder nichtseiende Vorstellungsgegenstand vergegenwärtigt (repräsentiert) wird.

Das ist korrekt. Gedanken existieren als von physiologischen Prozessen getragene Repräsentation von vorgestellten Inhalten, seinen es Dinge der realen Welt oder selbst schon Dinge in Gedankenform.




Timberlake
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So 5. Mai 2024, 17:36

Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 03:35

Harry Potter existiert als Fiktion (fiktive Person) weder innerhalb noch außerhalb unserer Vorstellung. Er ist ein nichtexistenter Vorstellungsgegenstand, der durch existente Vorstellungsinhalte (geistige Bilder) vergegenwärtigt wird. Und keiner dieser Vorstellungsinhalte heißt "Harry Potter", denn keiner davon ist Harry Potter.
.. um dazu einmal Feuerbach zu zitieren ..
  • "Das Licht ist nicht nur für den Menschen da, es affiziert auch die Tiere, auch die Pflanzen, auch die unorganischen Stoffe: es ist ein allgemeines Wesen. Um zu erfahren, was das Licht ist, betrachten wir darum nicht nur die Eindrücke und Wirkungen desselben auf uns, sondern auch auf andere, von uns unterschiedene Wesen. Notwendig, objektiv begründet ist daher hier die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand an sich selbst und dem Gegenstand für uns, namentlich zwischen dem Gegenstand in der Wirklichkeit und dem Gegenstand in unserem Denken und Vorstellen. Gott aber ist nur ein Gegenstand des Menschen."
    Feuerbach .. Grundsätze der Philosophie der Zukunft
Im Unterschied zum Licht , dass nicht nur uns Menschen , sondern auch Tiere, Pflanzen und unorganischen Stoffe affiziert, affiziert Harry Potter "nur" uns Menschen. Er wäre als solches gleichfalls "nur" ein Gegenstand des Menschen. Ein Gegenstand , der nur in unserem Denken und unserer Vorstellung existiert. Wie sollte er demnach ein nichtexistenter Vorstellungsgegenstand sein? Dann doch schon eher ein nichtexistenter Wirklichkeitsgegenstand!
Zuletzt geändert von Timberlake am So 5. Mai 2024, 17:54, insgesamt 3-mal geändert.




Wolfgang Endemann
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So 5. Mai 2024, 17:38

Burkart hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 14:46


1. (Physische) Welt - 2. Mensch (oder anderes Lebewesen) - 3. Ideen/Abstraktes.

Mir erscheinen die Schnittstellen zwischen ihnen klar:
Der Mensch ist Teil der Welt, die Ideen kommen aus dem menschlichen Denken.
Es handelt sich um drei Stufen der Komplexität. Die einfache Welt der Dinge, die sind, was sie sind, nicht mehr und nicht weniger. Die zweite Stufe sind reflexive, rekursive Strukturen, die sich nicht auf einfache Strukturen zurückführen lassen. Das ist organisches Leben. Die dritte Stufe ist die Selbstreflexion, eine imprädikative Rekursivität, das ist Bewußtsein, Denken.




Jörn Budesheim

So 5. Mai 2024, 17:46

Wenn ich an Hamburg denke, dann ist Hamburg selbst der Gegenstand des Denkens. Ich denke nicht an einen Vorstellung von Hamburg.




Timberlake
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So 5. Mai 2024, 17:57

.. bezugnehmend auf das Feuerbachzitat werden denn gleichsam dem Licht , auch von Hamburg Tiere, Pflanzen und unorganischen Stoffe affiziert?
  • "Luft bedarf ich zum Atmen, Wasser zum Trinken, Licht zum Sehen, pflanzliche und tierische Stoffe zum Essen, aber nichts, wenigstens unmittelbar, zum Denken. Ein atmendes Wesen kann ich nicht denken ohne die Luft, ein sehendes nicht ohne Licht, aber das denkende Wesen kann ich für sich isoliert denken. Das atmende Wesen bezieht sich notwendig auf ein Wesen außer ihm, hat seinen wesentlichen Gegenstand, das, wodurch es ist, was es ist, außer sich; aber das denkende Wesen bezieht sich auf sich selbst, ist sein eigener Gegenstand, hat sein Wesen in sich selbst, ist, was es ist, durch sich selbst.
    Feuerbach .. Grundsätze der Philosophie der Zukunft"

.. oder anders gefragt , zu was bedarf ich denn Hamburg ? Möglicherweise nur unmittelbar zum Denken.. So wie ich übrigens auch Gott oder Harry Potter nur unmittelbar zum denken bedarf. Ein denkendes Wesen , dass sich auf diese Weise (wie auch immer ) auf sich selbst bezieht. Wohlgemerkt jenseits dessen , wodurch es als solches außer sich ist, durch Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Licht zum Sehen, pflanzliche und tierische Stoffe zum Essen.
Zuletzt geändert von Timberlake am So 5. Mai 2024, 18:27, insgesamt 5-mal geändert.




Jörn Budesheim

So 5. Mai 2024, 18:12

"Fiktion: 1. etwas, was nur in der Vorstellung existiert; etwas Vorgestelltes, Erdachtes." (DUDEN: Das Fremdwörterbuch)

Was da im Duden steht, ist offensichtlich falsch.

Hier ein einfaches Gegenbeispiel, weiter oben habe ich schon etwas dazu geschrieben: Gestern habe ich mir Terminator dark fate angeschaut. Eine Fiktion, keine Frage. Aber das, was ich da gestern gesehen habe, ist nicht nur in meiner Phantasie, sondern das, was mein Tablet ausgestrahlt hat, ist Teil des Geschehens. Die Fiktion würde zwar nicht existieren, wenn es niemanden gäbe, der sie performg, aber das ist nicht alles, was zu der komplexen Struktur einer Fiktion gehört.

(Außerdem ist zu beachten, dass der Duden implizit schreibt, dass es Dinge geben kann, die in der Vorstellung existieren, was hier im Thread bestritten wird. Es mag Dinge geben, die nur in der Vorstellung existieren, aber das bedeutet natürlich nicht, dass sie nicht existieren, sondern das Gegenteil.)




Wolfgang Endemann
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So 5. Mai 2024, 22:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 17:46
Wenn ich an Hamburg denke, dann ist Hamburg selbst der Gegenstand des Denkens. Ich denke nicht an einen Vorstellung von Hamburg.
Das ist nicht ganz richtig. Denke ich an Hamburg in der Nacht, nein, im Ernst, dann denke ich an eine ziemlich genau lokalisierbare Stadt, aber auch an eine Unzahl von Assoziationen, mit zutreffenden und falschen Vorstellungen, eine Denotation und viele Konnotationen, Bedeutungen.




Timberlake
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Mo 6. Mai 2024, 00:37

.. eine ziemlich genau lokalisierbare Stadt ...
  • "Um zu verstehen, inwiefern der Neue Realismus eine neue Einstellung zur Welt mit sich bringt, wählen wir in einfaches Beispiel: Nehmen wir an, Astrid befinde sich gerade in Sorrent und sehe den Vesuv, während wir (also Sie, lieber Leser, und ich) gerade in Neapel sind und ebenfalls den Vesuv betrachten. Es gibt also in diesem Szenario den Vesuv, den Vesuv von Astrid aus (also aus Sorrent) gesehen und den Vesuv von uns aus (also aus Neapel) gesehen .Die Metaphysik behauptet, dass es in diesem Szenario einen einzigen wirklichen Gegenstand gibt, nämlich den Vesuv. Dieser wird gerade zufällig einmal aus Sorrent und ein andermal aus Neapel betrachtet, was ihn aber hoffentlich ziemlich kaltlässt. Es geht den Vesuv nichts an, wer sich für ihn interessiert. Das ist Metaphysik."
    Markus Gabriel ... Der neue Realismus
.. nach Ansicht von Markus Gabriel lässt sich dergleichen jedenfalls nur durch die nur Metaphysik ziemlich genau lokalisieren. Kein Vergleich zu den unzähligen Sichweisen , auf was und wie auch immer.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 17:38
Burkart hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 14:46


1. (Physische) Welt - 2. Mensch (oder anderes Lebewesen) - 3. Ideen/Abstraktes.

Mir erscheinen die Schnittstellen zwischen ihnen klar:
Der Mensch ist Teil der Welt, die Ideen kommen aus dem menschlichen Denken.
Es handelt sich um drei Stufen der Komplexität. Die einfache Welt der Dinge, die sind, was sie sind, nicht mehr und nicht weniger. Die zweite Stufe sind reflexive, rekursive Strukturen, die sich nicht auf einfache Strukturen zurückführen lassen. Das ist organisches Leben. Die dritte Stufe ist die Selbstreflexion, eine imprädikative Rekursivität, das ist Bewußtsein, Denken.
Weil die Metaphysik als solches die einfache Welt der Dinge wiedergibt , dürfte es sich bei ihr zumindest um den Versuch handeln der ersten Stufe , der drei Stufen der Komplexität zu entsprechen .Wohin gehend die Unzahl von Assoziationen, mit zutreffenden und falschen Vorstellungen, Denotation und viele Konnotationen sowie Bedeutungen von einem Gegenstand wie Hamburg oder auch den Vesuv wiederum zur dritten Stufe zu zählen ist. Wie wollte man solche abstrakte Ideen auch sonst realisieren , wenn nicht durch eine vom Denken und vom Bewusstsein vollzogene Selbstreflektion.




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Mo 6. Mai 2024, 06:04

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 17:46
Wenn ich an Hamburg denke, dann ist Hamburg selbst der Gegenstand des Denkens. Ich denke nicht an einen Vorstellung von Hamburg.
Das ist richtig, denn der innergeistige Vorstellungsinhalt (das Vorstellungsbild) ist nicht der außergeistige Vorstellungsgegenstand. Aber ohne Ersteren kann man sich Letzteren nicht vorstellen, denn eine inhaltslose (bildlose) Vorstellung ist auch gegenstandslos und damit eine Nichtvorstellung. Der Vorstellungsgegenstand wird stets durch (mittels) einen ihn vergegenwärtigenden (repräsentierenden) Vorstellungsinhalt vorgestellt.

Übrigens, der Vorstellungsgegenstand kann ein außergeistiges, materielles Bild sein—wie eine Fotografie oder ein Gemälde des Hamburger Hafens; aber auch hier besteht ein Unterschied zwischen dem Vorstellen des Hamburger Hafens und dem Vorstellen einer Fotografie oder eines Gemäldes des Hamburger Hafens.
Zuletzt geändert von Consul am Mo 6. Mai 2024, 06:15, insgesamt 1-mal geändert.



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Mo 6. Mai 2024, 06:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 07:49
Es gibt nicht nur eine Welt; das ist meines Erachtens unbegründete und daher dogmatische Metaphysik. Das wird einfach behauptet. Und das akzeptiere ich nicht.

Nichts existiert einfach so, alles existiert immer in Zusammenhängen. Welchen Ausdruck man dafür verwenden will, lasse ich offen. Eingeführt ist der Begriff Bereich, Markus Gabriel verwendet den Begriff Sinnfeld, weiter oben wurde Bühne vorgeschlagen, wenn auch vielleicht mit etwas anderem Zungenschlag.
Ich habe gesehen, dass es bereits zwei andere Threads gibt, die sich mit Gabriels "fiktionalem Realismus" und seiner "Sinnfeldontologie" befassen. Ich werde mich in den nächsten Tagen dort dazu äußern, damit dieser Thread nicht zu sehr thematisch zerfasert.



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Mo 6. Mai 2024, 06:23

Consul hat geschrieben :
Mo 6. Mai 2024, 06:04
Das ist richtig, denn der innergeistige Vorstellungsinhalt (das Vorstellungsbild) ist nicht der außergeistige Vorstellungsgegenstand. Aber ohne Ersteren kann man sich Letzteren nicht vorstellen, denn eine inhaltslose (bildlose) Vorstellung ist auch gegenstandslos und damit eine Nichtvorstellung. Der Vorstellungsgegenstand wird stets durch (mittels) einen ihn vergegenwärtigenden (repräsentierenden) Vorstellungsinhalt vorgestellt.
Der Vorstellungsinhalt (das Vorstellungsbild) kann selbst zum Gegenstand innerer Wahrnehmung oder Beobachtung (Introspektion) werden, in welchem Fall er aber nicht mittelbar durch ein Wahrnehmungsbild des Vorstellungsbildes, sondern unmittelbar wahrgenommen wird. Das heißt, ein Vorstellungsinhalt als innerer Wahrnehmungsgegenstand ist nicht mittelbar gegeben = vergegenwärtigt (repräsentiert), sondern unmittelbar gegeben = gegenwärtigt (präsentiert).



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Wolfgang Endemann
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Mo 6. Mai 2024, 10:02

Timberlake hat geschrieben :
Mo 6. Mai 2024, 00:37
Wie wollte man solche abstrakte Ideen auch sonst realisieren , wenn nicht durch eine vom Denken und vom Bewusstsein vollzogene Selbstreflektion.
So ist es.




Wolfgang Endemann
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Mo 6. Mai 2024, 10:04

Consul hat geschrieben :
Mo 6. Mai 2024, 06:04


Das ist richtig, denn der innergeistige Vorstellungsinhalt (das Vorstellungsbild) ist nicht der außergeistige Vorstellungsgegenstand. Aber ohne Ersteren kann man sich Letzteren nicht vorstellen, denn eine inhaltslose (bildlose) Vorstellung ist auch gegenstandslos und damit eine Nichtvorstellung. Der Vorstellungsgegenstand wird stets durch (mittels) einen ihn vergegenwärtigenden (repräsentierenden) Vorstellungsinhalt vorgestellt.
Auch das ist richtig. Es gibt ein extensionales Hamburg, einen extensionalen Vesuv, das nennen wir objektive Wahrheit, einschließlich aller Daten, die wir mit unseren Meßstationen in Hamburg, am Vesuv ermitteln, und es gibt intensionales H,V, in dem die Hoffnungen und Befürchtungen und alle Erfahrungen der Menschen enthalten sind, die Bedeutungen, die sich mit dem extensionalen H,V verbinden. Die reine Extensionalität hat keinerlei Bedeutung und käme daher nie ins menschliche Bewußtsein. Da Wissen Macht ist, interessiert sich der Mensch für Extensionalität, aber genau dadurch wird schon sie zur Intensionalität.




Timberlake
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Mi 8. Mai 2024, 00:14

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mo 6. Mai 2024, 10:04
Es gibt ein extensionales Hamburg, einen extensionalen Vesuv, das nennen wir objektive Wahrheit, einschließlich aller Daten, die wir mit unseren Meßstationen in Hamburg, am Vesuv ermitteln, und es gibt intensionales H,V, in dem die Hoffnungen und Befürchtungen und alle Erfahrungen der Menschen enthalten sind, die Bedeutungen, die sich mit dem extensionalen H,V verbinden. Die reine Extensionalität hat keinerlei Bedeutung und käme daher nie ins menschliche Bewußtsein. Da Wissen Macht ist, interessiert sich der Mensch für Extensionalität, aber genau dadurch wird schon sie zur Intensionalität.
Weil es hier um Metaphysik und Ontologie geht ...
  • "Nun gibt es solche Verbindung von Subjekt und Prädikat auch im Sinne der anderen Kategorien; denn eine jede derselben, Qualität und Quantität, Zeit,[97] Ort und Bewegung, erfordert ein Substrat. Da ist nun die Frage, ob es für jede solche Verbindung einen Ausdruck des Wesensbegriffes gibt, und ob auch ihnen ein begriffliches Wesen zugrunde liegt, z.B. für den blassen Menschen ein Wesensbegriff des Blasser-Mensch-seins. Gesetzt, es gäbe für »blasser Mensch« einen einfachen Ausdruck, etwa das Wort »Gewand«. Was bedeutet dann das »Gewand-sein«? Zu dem, was als An-sich-seiendes ausgesagt wird, gehört doch gewiß auch dies nicht. Indessen man versteht allerdings unter dem Nicht-an-sich-Sein ein Zweifaches: erstens ist etwas nicht an sich, weil es an einem Substrat Akzidens ist, zweitens aber auch, ohne daß dies der Fall ist. Das eine Mal nämlich heißt etwas nicht an sich seiend, sofern es einem andern anhaftet, was dadurch näher bestimmt wird; das wäre z.B. der Fall, wo jemand den Begriff des Blaß-seins als »blasser Mensch« definieren wollte. Das andere Mal heißt etwas ein nicht an sich Seiendes, sofern im Gegenteil ein anderes ihm anhaftet; so wäre es z.B., wenn jemand »Gewand«, das statt »blasser Mensch« gesetzt ist, als das Blasse definieren wollte. Ein blasser Mensch ist freilich etwas Blasses; aber er ist doch nicht das begriffliche Wesen des Blaß-seins selber.
    Aristoteles .. Metaphysik
... kann man denn das, was wir dort "objektive Wahrheit" nennen , im Sinne von Aristoteles Metaphysik auch als "an sich seiend " bezeichnen und wie kann uns bei der Beantwortung der Frage ggf. die Ontologie als "Lehre von Sein" behilflich sein ? Nach der "Lehre des Seins" des Aristoteles ( womit übrigens die Ontologie unter die Metaphysik fallen dürfte ) , heißt etwas "nicht an sich seiend" , sofern es einem andern anhaftet. Würde man demzufolge vom extensionalem Hamburg nicht sagen können , das ihm der Begriff "Stadt" und dem extensionalen Vesuv, der Begriff "Vulkan" anhaftet? Somit also beides als "nicht an sich seiend " zu bezeichnen wäre . Stadt und Vulkan hingegen wären an sich seiend. Das würde übrigens auch auf den Mörder zu treffen ...
  • "Denken? Abstrakt? – Sauve qui peut! Rette sich, wer kann! So höre ich schon einen vom Feinde erkauften Verräter ausrufen, der diesen Aufsatz dafür ausschreit, daß hier von Metaphysik die Rede sein werde. Denn Metaphysik ist das Wort, wie abstrakt und beinahe auch Denken, ist das Wort, vor dem jeder mehr oder minder wie vor einem mit der Pest Behafteten davonläuft... Wer denkt abstrakt? Der ungebildete Mensch, nicht der gebildete. Die gute Gesellschaft denkt darum nicht abstrakt, weil es zu leicht ist, weil es zu niedrig ist, niedrig nicht dem äußeren Stande nach, nicht aus einem leeren Vornehmtun, das sich über das wegzusetzen stellt, was es nicht vermag, sondern wegen der inneren Geringheit der Sache. ..
    Ich brauche für meinen Satz nur Beispiele anzuführen, von denen Jedermann zugestehen wird, daß sie ihn enthalten. Es wird also ein Mörder zur Richtstätte geführt. Dem gemeinen Volke ist er nichts weiter als ein Mörder. .. Dies heißt abstrakt gedacht, in dem Mörder nichts als dies Abstrakte, daß er ein Mörder ist, zu sehen."
    Hegel .. Wer denkt abstrakt?
.. wenn man denn Hegel glauben schenken darf , Metaphysik ( und Ontologie ) kann offenbar so einfach sein. Zu einfach für den "Gebildeten" und die "gute Gesellschaft " . ;)




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Consul
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Di 30. Sep 2025, 11:28

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
So 28. Sep 2025, 09:09
…Ontologie kann also, so verstehe ich sie, auch ganz ohne Metaphysik auskommen.

Dieser Faden heißt z.b Ontologie der Tatsachen und wer glaubt, dass Tatsachen abstrakte Entitäten sind, betreiben damit meines Erachtens ist nicht automatisch Metaphysik. Wie gesagt: dazu müsste man die Begriffe vielleicht noch etwas genauer klären. In manchen Kontexten wird die Ontologie auch als Teilbereich der Metaphysik betrachtet.
So sehe ich es. Donald Williams hat die Metaphysik in analytische Ontologie und spekulative Kosmologie unterteilt (wobei Erstere ebenfalls Spekulation betreibt). Die Ontologie in Williams' engerem Sinn ist Kategoriologie, Kategorienlehre: SEP: Kategorien
"Die Ontologie ist die allgemeinste Wissenschaft oder Lehre vom Sein, der Existenz oder der Wirklichkeit. Im umgangssprachlichen Sinne bezeichnet der Begriff, was ein Philosoph im Allgemeinen als Inhalt der Welt betrachtet. So heißt es beispielsweise, Descartes habe eine dualistische Ontologie vorgeschlagen oder es gebe in d’Holbachs Ontologie keine Götter. In ihrer formaleren Bedeutung ist Ontologie jedoch derjenige Aspekt der Metaphysik, der darauf abzielt, die Wirklichkeit zu charakterisieren, indem er all ihre wesentlichen Kategorien identifiziert und die Beziehungen zwischen ihnen darlegt." [Google Translate]

(Campbell, Keith. "Ontology." In Encyclopedia of Philosophy, Vol. 7, 2nd ed., edited by Donald M. Borchert, 21-27. Detroit: Thomson Gale/Macmillan Reference USA, 2006. pp. 21-2)
"In der nützlichen Unterscheidung von Donald Williams unterteilt sich die Metaphysik in spekulative Kosmologie (eine Darstellung der grundlegendsten und allgegenwärtigsten Elemente und Kräfte der Welt) und analytische Ontologie (eine Bestandsaufnahme der Seinskategorien wie Substanz, Eigenschaft oder Ereignis, zusammen mit einer Darstellung der Beziehungen zwischen ihnen, insbesondere der Abhängigkeit oder Ableitung)." [Google Translate]

(Campbell, Keith. "D. M. Armstrong and the Recovery of Ontology." In Categories of Being: Essays on Metaphysics and Logic, edited by Leila Haaparanta and Heikki J. Koskinen, 420-438. New York: Oxford University Press, 2012. p. 422)
"Williams stellte die ‚analytische Ontologie‘ der ‚spekulativen Kosmologie‘ gegenüber. Doch trotz des strengen Klangs der ersten Formulierung und des freizügigen Beigeschmacks der zweiten sprach Williams über eine Unterscheidung, die innerhalb der fundamentalen Metaphysik getroffen werden muss. Die analytische Ontologie greift die tiefsten und abstraktesten Fragen von allen auf, beispielsweise ob alles auf der Welt rein partikulär ist. Die spekulative Kosmologie befasst sich mit (relativ!) weniger abstrakten Themen wie der Natur von Raum und Zeit, der Natur des Geistes usw., also Themen, bei denen Beobachtungen und wissenschaftliche Entdeckungen von unmittelbarerer Relevanz zu sein scheinen." [Google Translate]

(Armstrong, D. M. "Reply to Forrest." In Ontology, Causality and Mind: Essays in Honour of D. M. Armstrong, edited by John Bacon, Keith Campbell and Lloyd Reinhardt, 65-72. Cambridge: Cambridge University Press, 1993. p. 66)



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Mi 1. Okt 2025, 09:37

Consul hat geschrieben :
Di 30. Sep 2025, 11:28
"Die Ontologie ist die allgemeinste Wissenschaft oder Lehre vom Sein, der Existenz oder der Wirklichkeit. Im umgangssprachlichen Sinne bezeichnet der Begriff, was ein Philosoph im Allgemeinen als Inhalt der Welt betrachtet. So heißt es beispielsweise, Descartes habe eine dualistische Ontologie vorgeschlagen oder es gebe in d’Holbachs Ontologie keine Götter. In ihrer formaleren Bedeutung ist Ontologie jedoch derjenige Aspekt der Metaphysik, der darauf abzielt, die Wirklichkeit zu charakterisieren, indem er all ihre wesentlichen Kategorien identifiziert und die Beziehungen zwischen ihnen darlegt." [Google Translate]

(Campbell, Keith. "Ontology." In Encyclopedia of Philosophy, Vol. 7, 2nd ed., edited by Donald M. Borchert, 21-27. Detroit: Thomson Gale/Macmillan Reference USA, 2006. pp. 21-2)
"Inhalt der Welt" - das wäre dann nach meinem Verständnis: "Ontotheologie" - also die Vermischung von Metaphysik und Ontologie. Wobei mir natürlich klar ist, dass der Begriff "Ontotheologie" auch andere Verwendungen kennt.




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Mi 1. Okt 2025, 13:33

"Facts in the first sense are existent or real entities…"
———
"Tatsachen im ersten Sinn sind existente oder reale Entitäten…" [meine Übers.]

(Lemos, Ramon M. Metaphysical Investigations. Rutherford, NJ: Fairleigh Dickinson University Press, 1988. p. 124)
Eine Entität ist per definitionem etwas Seiendes, Existierendes, sodass der Ausdruck "seiende/existierende Entität" pleonastisch (wie "alter Greis") und der Ausdruck "nichtseiende/nichtexistierende/Entität" kontradiktorisch ist (wie "rundes Quadrat").

Ob hingegen der Ausdruck "reale Entität" pleonastisch beziehungsweise der Ausdruck "nichtreale Entität" kontradiktorisch ist, hängt davon ab, ob bloßes Existieren eine sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingung des Realseins ist. Im "dünnen" Sinn von "Realität" ist dies der Fall, wohingegen im "dicken" Sinn Existenz zwar notwendig, aber nicht hinreichend ist. In letzterem Sinn muss Existierendes eine bestimmte zusätzliche Unabhängigkeitsbedingung erfüllen, um zum Realen zu gehören, z.B. Geist- oder Sprachunabhängigkeit. Entitäten, die eine derartige Unabhängigkeitsbedingung nicht erfüllen, können dann widerspruchsfrei als "nichtreale Entitäten" bezeichnet werden.

Ich gebrauche den Realitätsbegriff normalerweise im "dünnen" Sinn, dem nach kein Unterschied zwischen Existieren und Realsein besteht.

Was den Ausdruck "in-/nonexistentes Objekt" anbelangt, so halte ich ihn nicht für selbstwidersprüchlich, zumal es hier um intentionale Objekte geht, die entweder existieren oder nicht existieren. Ein intentionales Objekt ist als Denkgegenstand etwas Gedachtes, ein cogitatum oder Kogitat; und es gilt eben nicht: cogitari est esse – denn aus dem Gedachtsein/-werden von etwas folgt nicht dessen Sein.
Die Rede von in-/nonexistenten Kogitaten (Denkobjekten) ist also nicht widersprüchlich.



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Mi 1. Okt 2025, 13:40

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Mi 1. Okt 2025, 09:37
"Inhalt der Welt" - das wäre dann nach meinem Verständnis: "Ontotheologie" - also die Vermischung von Metaphysik und Ontologie. Wobei mir natürlich klar ist, dass der Begriff "Ontotheologie" auch andere Verwendungen kennt.
Ich verwende diesen (überflüssigen) Begriff gar nicht.



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Mi 1. Okt 2025, 17:46

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
So 28. Sep 2025, 09:09
.... und wer glaubt, dass Tatsachen abstrakte Entitäten sind, betreiben damit meines Erachtens ist nicht automatisch Metaphysik.
Sobald jemand glaubt, dass es Tatsachen oder andere Abstrakta als eigenständige, raum- und zeitlose Entitäten gibt, die notwendig existieren, handelt es sich um eine platonische Position – klassische Metaphysik.
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
So 28. Sep 2025, 09:09
Der Mond hat sich schon lange um die Erde gedreht, bevor es irgendjemand wahrgenommen hat.
Sobald wir etwas beobachten, denken, vorstellen oder formulieren, steht es immer bereits in Bezug zu uns und kann nicht mehr als vollständig unabhängig bezeichnet werden.
Darum können wir über Tatsachen, die vollständig unabhängig von uns existieren, nichts sinnvolles sagen – Aussagen wie „Tatsachen passieren, unabhängig davon, ob wir sie wahrnehmen" sind immer schon metaphysisch aufgeladen.
Die Behauptung der Unabhängigkeit ist immer eine abhängige Aussage über etwas, das außerhalb aller Sagbarkeit liegt.




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