Es gibt nichts Desintegrierenderes als eine ontologische Aufspaltung der Welt in drei irreduzible Paralleluniversen: Welt 1 der materiellen Entitäten + Welt 2 der mentalen Entitäten + Welt 3 der abstrakten Entitäten.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 4. Mai 2024, 07:51Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Versuche einen rationalen Kern haben. Es ist sinnvoll, eine Theorie wie den Materialismus gegen Einwände und störende Phänomene zu verteidigen und zu versuchen, sie in das Bild zu integrieren. Aber ich glaube, das hat Grenzen. Wenn es sich als unmöglich erweist, wichtige Phänomene in die Theorie zu integrieren, dann muss man irgendwann darüber nachdenken, die Theorie aufzugeben. Und ich glaube, an diesem Punkt sind wir längst, und das ist einer der Gründe, warum es so viele verschiedene Ansätze gibt, Bewusstsein anders als materialistisch zu erklären, weil letztlich alle Versuche, es in den Materialismus zu integrieren, bisher gescheitert sind.
So schwierig und langwierig sie auch sein mag, die materialistische Integration der Welt 2 in die Welt 1 durch die Naturwissenschaft hat sich mitnichten als unmöglich erwiesen. Die kognitive Neurowissenschaft macht in Sachen unbewusster Geist ständig Fortschritte; und so bleibt den den attributsdualistischen Emergentisten eigentlich nur noch der bewusste Geist (die Empfindungen und Gefühle, die "Qualia") als letzter Hoffnungsschimmer, wobei ich den attributsdualistischen Emergentismus (insbesondere den nichtepiphänomenalistischen mit seiner mysteriösen "Abwärtsverursachung") nicht einmal für ontologisch kohärent halte.
Was den Substanzdualismus (und den spiritualistischen Substanzmonismus) anbelangt, so wissen seine Anhänger nicht einmal, wie sie überhaupt beginnen könnten, das Bewusstsein von Seelensubstanzen und dessen Entstehung daraus wissenschaftlich zu erklären. Körper und Gehirne kann man sinnlich wahrnehmen, sezieren und mikroskopisch untersuchen, unsichtbare und unantastbare Geister dagegen nicht. Eine spiritualistische "Übernaturwissenschaft" des Bewusstseins wird es nie geben.
"Compare now what the neuroscientist can tell us about the brain, and what she can do with that knowledge, with what the dualist can tell us about spiritual substance, and what he can do with those assumptions. Can the dualist tell us anything about the internal constitution of mind-stuff? Of the nonmaterial elements that make it up? Of the nonphysical laws that govern their behavior? Of the mind's structural connections with the body? Of the manner of the mind's operations? Can he explain human capacities and pathologies in terms of its structures and defects? The fact is, the dualist can do none of these things because no detailed theory of mind-stuff has ever even be formulated. Compared to the rich resources and the explanatory successes of current materialism, dualism is not so much a theory of mind as it is an empty space waiting for a genuine theory of mind to be put in it."
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"Vergleichen Sie nun, was uns der Neurowissenschaftler über das Gehirn mitteilen kann, und was er [sie] mit diesem Wissen tun kann, damit, was uns der Dualist über spirituelle Substanzen mitteilen kann, und was er mit jenen Annahmen tun kann. Kann uns der Dualist irgendetwas über das innere Gefüge des Geiststoffes mitteilen? Über die nichtmateriellen Elemente, aus denen er besteht? Über die nichtphysikalischen Gesetze, die deren Verhalten bestimmen? Über die strukturellen Verbindungen des Geistes mit dem Körper? Über die Funktionsweisen des Geistes? Kann er menschliche Fähigkeiten und Krankheiten unter Bezug auf dessen Strukturen und Defekte erklären? Tatsächlich kann der Dualist nichts dergleichen tun, weil niemals eine detaillierte Theorie des Geiststoffes auch nur formuliert worden ist. Verglichen mit den ergiebigen Ressourcen und den Erklärungserfolgen des aktuellen Materialismus, ist der Dualismus keine Theorie des Geistes, sondern vielmehr eine Leerstelle, die darauf wartet, von einer echten Theorie des Geistes besetzt zu werden."
[© meine Übers.]
(Churchland, Paul M. Matter and Consciousness. 3rd ed. Cambridge, MA: MIT Press, 2013. p. 31)
"If the rivals of materialism have any advantage it must be because there are some residual phenomena which they can explain better. Now, most of the phenomena which the supernaturalist throws in the naturalist's teeth are such as the supernaturalist himself has never explained."
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"Wenn die Rivalen des Materialismus irgendeinen Vorteil haben, muss er darin bestehen, dass es einige Restphänomene gibt, die sie besser erklären können. Nun, die meisten der Phänomene, die der Supernaturalist dem Naturalisten entgegenhält sind dergestalt, dass sie der Supernaturalist selbst niemals erklärt hat."
[© meine Übers.]
(Williams, Donald Cary. "Naturalism and the Nature of Things." In Principles of Empirical Realism: Philosophical Essays, 212-238. Springfield, IL: Charles C Thomas, 1966. p. 234)
"Von vielen"? Bezogen auf alle Naturwissenschaftler bezweifle ich das.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 4. Mai 2024, 07:51Unabhängig davon, ob der Panpsychismus richtig oder plausibel ist, zeigt allein die Tatsache, dass er offensichtlich von vielen namhaften Wissenschaftlern in Betracht gezogen wird, viel.
Ich hoffe nicht, aber das ist eh sehr unwahrscheinlich!Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 4. Mai 2024, 07:51Wer hätte das vor ein oder zwei Jahrzehnten für möglich gehalten? Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir gerade einen Wendepunkt erleben.
Wenn der Panpsychismus von einigen namhaften Wissenschaftlern im Jahr 2024 wieder ernst genommen wird, dann spricht das nicht für sie.
Dass Giulio Tononis viel diskutierte Integrated Information Theory of Consciousness panpsychistische Implikationen hat, werte ich als reductio ad absurdum.
Elementarteilchen mit Empfindungen oder Gefühlen? Echt jetzt?!
Schlimmer noch, denn ein konsequenter Panpsychist (der nicht zum Emergentisten werden will) muss ernsthaft behaupten, dass bereits in der megaheißen energetischen Ursuppe direkt nach dem Urknall Empfindungen oder Gefühle herumschwammen. Wie glaubwürdig ist das?!
Im Bereich der Philosophie der Mathematik stehen dem Materialisten nichtplatonistische/nominalistische Alternativen zur Verfügung wie der mathematische Fiktionalismus und der mathematische Formalismus.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 4. Mai 2024, 07:51Bewusstsein ist ja nicht das einzige Phänomen, das den Materialismus herausfordert, auch die abstrakten Formen der Mathematik gehören dazu und hier ist der Aspekt der Wahrheit der mathematischen Aussagen von größter Bedeutung.
* Den emergentistischen Begriff der "Abwärtsverursachung" halte ich für widersinnig. Ich glaube eh nicht, dass es irgendwelche ontisch emergenten Eigenschaften oder Vermögenheiten (causal powers) komplexer Objekte oder Systeme gibt oder auch nur geben könnte Die einzigen echten Eigenschaftsträger sind einfache (unzusammengesetzte, ungegliederte) Substanzen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 4. Mai 2024, 07:51Meiner Meinung nach gibt es noch viele andere Phänomene, die den Materialismus in Frage stellen (man muss eigentlich nur die Augen öffnen), z.B. soziale Phänomene. Jede Form von Normativität. Wenn Donald Trump aufgrund eines Gerichtsurteils ins Gefängnis kommt, was ich mir wünsche, dann kann man das meines Erachtens nicht rein materialistisch erklären. Hier müsste man vielleicht noch intensiver über das Zusammen- oder Ineinanderspiel von Bottom-up- und Top-down-Kausalitäten und deren Zusammenhang mit Normativität nachdenken.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Rationalität, d.h. die Beziehung des "Sprechens für". Das ist offensichtlich etwas ganz Reales und wohl nicht materialistisch zu erklären, allein schon wegen des normativen Moments.
Auch Bilder und Geschichten, die sinnhaft strukturiert sind und nicht einfach kausal, aber für unser Leben so wichtig sind, lassen sich meines Erachtens nicht materialistisch erklären.
* Wenn von Normativität und Rationalität die Rede ist, dann erfordert deren ethische oder psychologische Besprechung und Erklärung nicht die Postulierung immaterieller Entitäten. Die Annahme des moralischen Realismus, dass es moralische Eigenschaften und moralische Tatsachen als Entitäten eigener Art gibt, wird von Materialisten natürlich als haltlos zurückgewiesen.
* Es ist ein Irrtum zu glauben, dass der ontologisch reduktive Materialismus wesensmäßig behauptet, dass sich alle ethischen oder psychologischen/soziologischen Diskurse oder Theorien bzw. alle darin vorkommenden Beschreibungen und Erklärungen in eine der Wissenschaftssprachen der Naturwissenschaften, insbesondere in diejenige der Physik als der fundamentalen Naturwissenschaft, übersetzen lassen.
(Fußnote: Bäume und Sträucher sind Holzgewächse, was Blumen und Kräuter wie der Löwenzahn nicht sind.)"Physicalism may be characterized as a reductionist thesis. However, it is reductionist in an ontological sense, not as a thesis that all statements can be translated into statements about physical particles, and so on."
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"Der Physikalismus kann als eine reduktionistische These beschrieben werden. Er ist jedoch in einem ontologischen Sinn reduktionistisch, nicht als eine These, dass alle Aussagen in Aussagen über physikalische Teilchen usw. übersetzt werden können."
[© meine Übers.]
(Smart, J. J. C. Our Place in the Universe: A Metaphysical Discussion. Oxford: Blackwell, 1989. p. 81)
"In taking the identity theory (in its various forms) as a species of physicalism, I should say that this is an ontological, not a translational physicalism. It would be absurd to try to translate sentences containing the word ‘brain’ or the word ‘sensation’ into sentences about electrons, protons and so on. Nor can we so translate sentences containing the word ‘tree’. After all ‘tree’ is largely learned ostensively, and is not even part of botanical classification. If we were small enough a dandelion might count as a tree. Nevertheless a physicalist could say that trees are complicated physical mechanisms."
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"Wenn ich die Identitätstheorie (in ihren verschiedenen Formen) als eine Art von Physikalismus darstelle, sollte ich sagen, dass dies ein ontologischer, kein translatorischer Physikalismus ist. Es wäre absurd zu versuchen, Sätze, die das Wort 'Gehirn' oder das Wort 'Empfindung' enthalten, in Sätze über Elektronen, Protonen usw. zu übersetzen. Wir können so auch nicht das Wort 'Baum' enthaltende Sätze übersetzen. Außerdem wird 'Baum' überwiegend auf ostensive Weise erlernt, und ist nicht einmal Teil der botanischen Klassifikation. Wenn wir klein genug wären, könnte ein Löwenzahn als Baum zählen. Nichtsdestoweniger könnte ein Physikalist sagen, dass Bäume komplizierte physische Mechanismen sind."
[© meine Übers.]
—J. J. C. Smart: https://plato.stanford.edu/entries/mind-identity/
Es gibt unterschiedliche Arten von Reduktionismus, sodass leicht Missverständnisse entstehen. Wenn von Reduktion die Rede ist, dann stellt sich die Frage, was genau worauf reduziert wird (bzw. werden soll). So besteht ein Unterschied zwischen einem repräsentationalen/semiotischen Reduktionismus und einem existenziellen/ontologischen Reduktionismus.
1. repräsentationaler/semiotischer Reduktionismus:
Hier geht es um die Übersetzung bzw. die semantische (definitorische) Gleichsetzung von Zeichen der Sprache einer "höherstufigen" Wissenschaft (z.B. Psychologie) in/mit andere(n) Zeichen der Sprache einer "niederstufigen" Wissenschaft (z.B. Physik).
Unter Zeichen sind Wörter (Begriffe), Sätze (Aussagen), Texte (Theorien) oder nichtsprachliche Symbole (Formeln) zu verstehen.
2. existenzieller/ontologischer Reduktionismus:
Hier geht es um die ontologische Gleichsetzung "höherstufiger" außersymbolischer Entitäten (die zur Ontologie einer "höherstufigen" Wissenschaft gehören, z.B. zur Ontologie der Psychologie) mit (Komplexen/Systemen von) "niederstufigen" außersymbolischen Entitäten (die zur Ontologie einer "niederstufigen" Wissenschaft gehören, z.B. zur Ontologie der Physik).
Zu den außersymbolischen Entitäten zählen Dinge (Objekte/Substanzen), Eigenschaften, Beziehungen, Sachverhalte, Tatsachen, Zustände, Ereignisse und Vorgänge.
Wichtig ist nun der Punkt, dass man als reduktiver Materialist/Physikalist ohne Selbstwiderspruch 2 annehmen und 1 ablehnen kann. Das heißt, der Glaube an die ontologische Selbigkeit (Identität) aller nichtphysikalischen Entitäten mit (Komplexen von) physikalischen Entitäten erfordert nicht unbedingt den Glauben an die semiotische (linguistische) Übersetzbarkeit aller nichtphysikalischen Wissenschaftssprachen in die Sprache der Physik.
Die frühen reduktiven Physikalisten des 20. Jh.s aus dem logisch-positivistischen Kreis der Wiener Schule wie Rudolf Carnap befürworteten den repräsentationalen Reduktionismus in Bezug auf Begriffe und Aussagen nichtphysikalischer Wissenschaftssprachen, hatten damit jedoch in der Praxis kaum Erfolg. Der Versuch, alle psychologischen oder soziologischen Begriffe (mikro-)physikalisch zu definieren, oder alle psychologischen oder soziologischen Aussagen in (mikro-)physikalische Aussagen (oder gar entsprechende mathematische Formeln) zu übersetzen, erscheint in der Tat aussichtslos.
Daraus haben spätere reduktive Physikalisten wie Jack Smart (& David Armstrong) ihre Lehre gezogen und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der von ihnen vertretene materialistische Reduktionismus "ein ontologischer, kein translatorischer Physikalismus ist". Sie sind also keineswegs Wissenschaftsreduktionisten, die alle nichtphysikalischen Wissenschaften und deren jeweilige Wissenschaftssprachen auf die Physik und deren Wissenschaftssprache reduzieren wollen.