Der Materialismus/Physikalismus

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Consul
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Sa 4. Mai 2024, 23:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 07:51
Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Versuche einen rationalen Kern haben. Es ist sinnvoll, eine Theorie wie den Materialismus gegen Einwände und störende Phänomene zu verteidigen und zu versuchen, sie in das Bild zu integrieren. Aber ich glaube, das hat Grenzen. Wenn es sich als unmöglich erweist, wichtige Phänomene in die Theorie zu integrieren, dann muss man irgendwann darüber nachdenken, die Theorie aufzugeben. Und ich glaube, an diesem Punkt sind wir längst, und das ist einer der Gründe, warum es so viele verschiedene Ansätze gibt, Bewusstsein anders als materialistisch zu erklären, weil letztlich alle Versuche, es in den Materialismus zu integrieren, bisher gescheitert sind.
Es gibt nichts Desintegrierenderes als eine ontologische Aufspaltung der Welt in drei irreduzible Paralleluniversen: Welt 1 der materiellen Entitäten + Welt 2 der mentalen Entitäten + Welt 3 der abstrakten Entitäten.

So schwierig und langwierig sie auch sein mag, die materialistische Integration der Welt 2 in die Welt 1 durch die Naturwissenschaft hat sich mitnichten als unmöglich erwiesen. Die kognitive Neurowissenschaft macht in Sachen unbewusster Geist ständig Fortschritte; und so bleibt den den attributsdualistischen Emergentisten eigentlich nur noch der bewusste Geist (die Empfindungen und Gefühle, die "Qualia") als letzter Hoffnungsschimmer, wobei ich den attributsdualistischen Emergentismus (insbesondere den nichtepiphänomenalistischen mit seiner mysteriösen "Abwärtsverursachung") nicht einmal für ontologisch kohärent halte.

Was den Substanzdualismus (und den spiritualistischen Substanzmonismus) anbelangt, so wissen seine Anhänger nicht einmal, wie sie überhaupt beginnen könnten, das Bewusstsein von Seelensubstanzen und dessen Entstehung daraus wissenschaftlich zu erklären. Körper und Gehirne kann man sinnlich wahrnehmen, sezieren und mikroskopisch untersuchen, unsichtbare und unantastbare Geister dagegen nicht. Eine spiritualistische "Übernaturwissenschaft" des Bewusstseins wird es nie geben.
"Compare now what the neuroscientist can tell us about the brain, and what she can do with that knowledge, with what the dualist can tell us about spiritual substance, and what he can do with those assumptions. Can the dualist tell us anything about the internal constitution of mind-stuff? Of the nonmaterial elements that make it up? Of the nonphysical laws that govern their behavior? Of the mind's structural connections with the body? Of the manner of the mind's operations? Can he explain human capacities and pathologies in terms of its structures and defects? The fact is, the dualist can do none of these things because no detailed theory of mind-stuff has ever even be formulated. Compared to the rich resources and the explanatory successes of current materialism, dualism is not so much a theory of mind as it is an empty space waiting for a genuine theory of mind to be put in it."
———
"Vergleichen Sie nun, was uns der Neurowissenschaftler über das Gehirn mitteilen kann, und was er [sie] mit diesem Wissen tun kann, damit, was uns der Dualist über spirituelle Substanzen mitteilen kann, und was er mit jenen Annahmen tun kann. Kann uns der Dualist irgendetwas über das innere Gefüge des Geiststoffes mitteilen? Über die nichtmateriellen Elemente, aus denen er besteht? Über die nichtphysikalischen Gesetze, die deren Verhalten bestimmen? Über die strukturellen Verbindungen des Geistes mit dem Körper? Über die Funktionsweisen des Geistes? Kann er menschliche Fähigkeiten und Krankheiten unter Bezug auf dessen Strukturen und Defekte erklären? Tatsächlich kann der Dualist nichts dergleichen tun, weil niemals eine detaillierte Theorie des Geiststoffes auch nur formuliert worden ist. Verglichen mit den ergiebigen Ressourcen und den Erklärungserfolgen des aktuellen Materialismus, ist der Dualismus keine Theorie des Geistes, sondern vielmehr eine Leerstelle, die darauf wartet, von einer echten Theorie des Geistes besetzt zu werden."
[© meine Übers.]

(Churchland, Paul M. Matter and Consciousness. 3rd ed. Cambridge, MA: MIT Press, 2013. p. 31)
"If the rivals of materialism have any advantage it must be because there are some residual phenomena which they can explain better. Now, most of the phenomena which the supernaturalist throws in the naturalist's teeth are such as the supernaturalist himself has never explained."
———
"Wenn die Rivalen des Materialismus irgendeinen Vorteil haben, muss er darin bestehen, dass es einige Restphänomene gibt, die sie besser erklären können. Nun, die meisten der Phänomene, die der Supernaturalist dem Naturalisten entgegenhält sind dergestalt, dass sie der Supernaturalist selbst niemals erklärt hat."
[© meine Übers.]

(Williams, Donald Cary. "Naturalism and the Nature of Things." In Principles of Empirical Realism: Philosophical Essays, 212-238. Springfield, IL: Charles C Thomas, 1966. p. 234)
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 07:51
Unabhängig davon, ob der Panpsychismus richtig oder plausibel ist, zeigt allein die Tatsache, dass er offensichtlich von vielen namhaften Wissenschaftlern in Betracht gezogen wird, viel.
"Von vielen"? Bezogen auf alle Naturwissenschaftler bezweifle ich das.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 07:51
Wer hätte das vor ein oder zwei Jahrzehnten für möglich gehalten? Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir gerade einen Wendepunkt erleben.
Ich hoffe nicht, aber das ist eh sehr unwahrscheinlich!
Wenn der Panpsychismus von einigen namhaften Wissenschaftlern im Jahr 2024 wieder ernst genommen wird, dann spricht das nicht für sie.
Dass Giulio Tononis viel diskutierte Integrated Information Theory of Consciousness panpsychistische Implikationen hat, werte ich als reductio ad absurdum.

Elementarteilchen mit Empfindungen oder Gefühlen? Echt jetzt?!
Schlimmer noch, denn ein konsequenter Panpsychist (der nicht zum Emergentisten werden will) muss ernsthaft behaupten, dass bereits in der megaheißen energetischen Ursuppe direkt nach dem Urknall Empfindungen oder Gefühle herumschwammen. Wie glaubwürdig ist das?!
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 07:51
Bewusstsein ist ja nicht das einzige Phänomen, das den Materialismus herausfordert, auch die abstrakten Formen der Mathematik gehören dazu und hier ist der Aspekt der Wahrheit der mathematischen Aussagen von größter Bedeutung.
Im Bereich der Philosophie der Mathematik stehen dem Materialisten nichtplatonistische/nominalistische Alternativen zur Verfügung wie der mathematische Fiktionalismus und der mathematische Formalismus.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 07:51
Meiner Meinung nach gibt es noch viele andere Phänomene, die den Materialismus in Frage stellen (man muss eigentlich nur die Augen öffnen), z.B. soziale Phänomene. Jede Form von Normativität. Wenn Donald Trump aufgrund eines Gerichtsurteils ins Gefängnis kommt, was ich mir wünsche, dann kann man das meines Erachtens nicht rein materialistisch erklären. Hier müsste man vielleicht noch intensiver über das Zusammen- oder Ineinanderspiel von Bottom-up- und Top-down-Kausalitäten und deren Zusammenhang mit Normativität nachdenken.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Rationalität, d.h. die Beziehung des "Sprechens für". Das ist offensichtlich etwas ganz Reales und wohl nicht materialistisch zu erklären, allein schon wegen des normativen Moments.

Auch Bilder und Geschichten, die sinnhaft strukturiert sind und nicht einfach kausal, aber für unser Leben so wichtig sind, lassen sich meines Erachtens nicht materialistisch erklären.
* Den emergentistischen Begriff der "Abwärtsverursachung" halte ich für widersinnig. Ich glaube eh nicht, dass es irgendwelche ontisch emergenten Eigenschaften oder Vermögenheiten (causal powers) komplexer Objekte oder Systeme gibt oder auch nur geben könnte Die einzigen echten Eigenschaftsträger sind einfache (unzusammengesetzte, ungegliederte) Substanzen.

* Wenn von Normativität und Rationalität die Rede ist, dann erfordert deren ethische oder psychologische Besprechung und Erklärung nicht die Postulierung immaterieller Entitäten. Die Annahme des moralischen Realismus, dass es moralische Eigenschaften und moralische Tatsachen als Entitäten eigener Art gibt, wird von Materialisten natürlich als haltlos zurückgewiesen.

* Es ist ein Irrtum zu glauben, dass der ontologisch reduktive Materialismus wesensmäßig behauptet, dass sich alle ethischen oder psychologischen/soziologischen Diskurse oder Theorien bzw. alle darin vorkommenden Beschreibungen und Erklärungen in eine der Wissenschaftssprachen der Naturwissenschaften, insbesondere in diejenige der Physik als der fundamentalen Naturwissenschaft, übersetzen lassen.
"Physicalism may be characterized as a reductionist thesis. However, it is reductionist in an ontological sense, not as a thesis that all statements can be translated into statements about physical particles, and so on."
———
"Der Physikalismus kann als eine reduktionistische These beschrieben werden. Er ist jedoch in einem ontologischen Sinn reduktionistisch, nicht als eine These, dass alle Aussagen in Aussagen über physikalische Teilchen usw. übersetzt werden können."
[© meine Übers.]

(Smart, J. J. C. Our Place in the Universe: A Metaphysical Discussion. Oxford: Blackwell, 1989. p. 81)

"In taking the identity theory (in its various forms) as a species of physicalism, I should say that this is an ontological, not a translational physicalism. It would be absurd to try to translate sentences containing the word ‘brain’ or the word ‘sensation’ into sentences about electrons, protons and so on. Nor can we so translate sentences containing the word ‘tree’. After all ‘tree’ is largely learned ostensively, and is not even part of botanical classification. If we were small enough a dandelion might count as a tree. Nevertheless a physicalist could say that trees are complicated physical mechanisms."
———
"Wenn ich die Identitätstheorie (in ihren verschiedenen Formen) als eine Art von Physikalismus darstelle, sollte ich sagen, dass dies ein ontologischer, kein translatorischer Physikalismus ist. Es wäre absurd zu versuchen, Sätze, die das Wort 'Gehirn' oder das Wort 'Empfindung' enthalten, in Sätze über Elektronen, Protonen usw. zu übersetzen. Wir können so auch nicht das Wort 'Baum' enthaltende Sätze übersetzen. Außerdem wird 'Baum' überwiegend auf ostensive Weise erlernt, und ist nicht einmal Teil der botanischen Klassifikation. Wenn wir klein genug wären, könnte ein Löwenzahn als Baum zählen. Nichtsdestoweniger könnte ein Physikalist sagen, dass Bäume komplizierte physische Mechanismen sind."
[© meine Übers.]

—J. J. C. Smart: https://plato.stanford.edu/entries/mind-identity/
(Fußnote: Bäume und Sträucher sind Holzgewächse, was Blumen und Kräuter wie der Löwenzahn nicht sind.)

Es gibt unterschiedliche Arten von Reduktionismus, sodass leicht Missverständnisse entstehen. Wenn von Reduktion die Rede ist, dann stellt sich die Frage, was genau worauf reduziert wird (bzw. werden soll). So besteht ein Unterschied zwischen einem repräsentationalen/semiotischen Reduktionismus und einem existenziellen/ontologischen Reduktionismus.

1. repräsentationaler/semiotischer Reduktionismus:
Hier geht es um die Übersetzung bzw. die semantische (definitorische) Gleichsetzung von Zeichen der Sprache einer "höherstufigen" Wissenschaft (z.B. Psychologie) in/mit andere(n) Zeichen der Sprache einer "niederstufigen" Wissenschaft (z.B. Physik).
Unter Zeichen sind Wörter (Begriffe), Sätze (Aussagen), Texte (Theorien) oder nichtsprachliche Symbole (Formeln) zu verstehen.

2. existenzieller/ontologischer Reduktionismus:
Hier geht es um die ontologische Gleichsetzung "höherstufiger" außersymbolischer Entitäten (die zur Ontologie einer "höherstufigen" Wissenschaft gehören, z.B. zur Ontologie der Psychologie) mit (Komplexen/Systemen von) "niederstufigen" außersymbolischen Entitäten (die zur Ontologie einer "niederstufigen" Wissenschaft gehören, z.B. zur Ontologie der Physik).
Zu den außersymbolischen Entitäten zählen Dinge (Objekte/Substanzen), Eigenschaften, Beziehungen, Sachverhalte, Tatsachen, Zustände, Ereignisse und Vorgänge.

Wichtig ist nun der Punkt, dass man als reduktiver Materialist/Physikalist ohne Selbstwiderspruch 2 annehmen und 1 ablehnen kann. Das heißt, der Glaube an die ontologische Selbigkeit (Identität) aller nichtphysikalischen Entitäten mit (Komplexen von) physikalischen Entitäten erfordert nicht unbedingt den Glauben an die semiotische (linguistische) Übersetzbarkeit aller nichtphysikalischen Wissenschaftssprachen in die Sprache der Physik.

Die frühen reduktiven Physikalisten des 20. Jh.s aus dem logisch-positivistischen Kreis der Wiener Schule wie Rudolf Carnap befürworteten den repräsentationalen Reduktionismus in Bezug auf Begriffe und Aussagen nichtphysikalischer Wissenschaftssprachen, hatten damit jedoch in der Praxis kaum Erfolg. Der Versuch, alle psychologischen oder soziologischen Begriffe (mikro-)physikalisch zu definieren, oder alle psychologischen oder soziologischen Aussagen in (mikro-)physikalische Aussagen (oder gar entsprechende mathematische Formeln) zu übersetzen, erscheint in der Tat aussichtslos.

Daraus haben spätere reduktive Physikalisten wie Jack Smart (& David Armstrong) ihre Lehre gezogen und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der von ihnen vertretene materialistische Reduktionismus "ein ontologischer, kein translatorischer Physikalismus ist". Sie sind also keineswegs Wissenschaftsreduktionisten, die alle nichtphysikalischen Wissenschaften und deren jeweilige Wissenschaftssprachen auf die Physik und deren Wissenschaftssprache reduzieren wollen.



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So 5. Mai 2024, 00:13

Consul hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 23:36
"Compare now what the neuroscientist can tell us about the brain, and what she can do with that knowledge, with what the dualist can tell us about spiritual substance, and what he can do with those assumptions. Can the dualist tell us anything about the internal constitution of mind-stuff? Of the nonmaterial elements that make it up? Of the nonphysical laws that govern their behavior? Of the mind's structural connections with the body? Of the manner of the mind's operations? Can he explain human capacities and pathologies in terms of its structures and defects? The fact is, the dualist can do none of these things because no detailed theory of mind-stuff has ever even be formulated. Compared to the rich resources and the explanatory successes of current materialism, dualism is not so much a theory of mind as it is an empty space waiting for a genuine theory of mind to be put in it."
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"Vergleichen Sie nun, was uns der Neurowissenschaftler über das Gehirn mitteilen kann, und was er [sie] mit diesem Wissen tun kann, damit, was uns der Dualist über spirituelle Substanzen mitteilen kann, und was er mit jenen Annahmen tun kann. Kann uns der Dualist irgendetwas über das innere Gefüge des Geiststoffes mitteilen? Über die nichtmateriellen Elemente, aus denen er besteht? Über die nichtphysikalischen Gesetze, die deren Verhalten bestimmen? Über die strukturellen Verbindungen des Geistes mit dem Körper? Über die Funktionsweisen des Geistes? Kann er menschliche Fähigkeiten und Krankheiten unter Bezug auf dessen Strukturen und Defekte erklären? Tatsächlich kann der Dualist nichts dergleichen tun, weil niemals eine detaillierte Theorie des Geiststoffes auch nur formuliert worden ist. Verglichen mit den ergiebigen Ressourcen und den Erklärungserfolgen des aktuellen Materialismus, ist der Dualismus keine Theorie des Geistes, sondern vielmehr eine Leerstelle, die darauf wartet, von einer echten Theorie des Geistes besetzt zu werden."
[© meine Übers.]

(Churchland, Paul M. Matter and Consciousness. 3rd ed. Cambridge, MA: MIT Press, 2013. p. 31)
Es gibt einen materialistischen Substanzdualismus und einen transmaterialistischen Substanzdualismus:

1. Dem materialistischen Substanzdualismus zufolge gibt es außer der sinnlich wahrnehmbaren, "grobstofflichen" Materie, die der Naturwissenschaft zugänglich ist, eine sinnlich unwahrnehmbare, "feinstoffliche" Materie, die sich der naturwissenschaftlichen Untersuchung entzieht (und damit nur Gegenstand des Okkultismus sein kann). Wenn Churchland von einem "Geiststoff" ("mind-stuff") spricht und nach dessen Struktur und Elementen fragt, dann findet dies im Rahmen des materialistischen Substanzdualismus statt und setzt voraus, dass der Geiststoff räumlich ausgedehnt ist; denn ein nulldimensionales Etwas wie ein mathematischer Punkt hat grundsätzlich keine Bestandteile, und damit weder eine innere Struktur noch eine innere Dynamik. Eine dreidimensionale Seelensubstanz, die aus ausgedehnter okkulter Materie besteht, ist wesentlich verschieden von einer Seelensubstanz im folgenden zweiten Sinn; denn jene ist kryptophysischer Natur, während diese hyperphysischer Natur ist.

2. Dem transmaterialistischen Substanzdualismus zufolge gibt es außer der Materie und den materiellen Substanzen, die der Naturwissenschaft zugänglich sind, absolut immaterielle (unkörperlich-unstoffliche) Wesen, nämlich nulldimensionale spirituelle Substanzen (Seelen/Geister), die im Sinne Descartes' nicht nur räumlich unausgedehnt, sondern auch räumlich unverortet sind. Man kann die Bedingung der Unverortetheit jedoch weglassen und an punktgroße Seelen/Geister glauben, die im Raum umherspuken.

Wenn Seelen nulldimensionale spirituelle Substanzen sind ("Seelenpunkte"), die keinerlei Komponenten und keinerlei Struktur aufweisen, dann wird es vollkommen unbegreiflich und unerklärlich, wie "darin" Bewusstseinszustände entstehen und bestehen könnten.



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So 5. Mai 2024, 00:41

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 08:03
Wie wird man eigentlich Materialist? Was macht eine Theorie, die offensichtlich nichts mit unserer Erfahrung zu tun hat, so attraktiv, dass ihr so viele Menschen anhängen?
Immaterielle Dinge wie Seelen oder Zahlen haben mit meiner Erfahrung nichts zu tun.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 08:03
Eigentlich müsste ich die Antwort kennen, denn ich war sicher lange Materialist, wahrscheinlich Physikalist. Ich erinnere mich noch gut an Diskussionen, in der ich die Position vertrat, dass letztlich alles physikalisch sei. Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, was mich dazu gebracht hat, wahrscheinlich war es kein reflexiver Prozess, man war einfach Materialist, weil es für einen aufgeklärten Menschen, glaube ich, als alternativlose Möglichkeit galt. Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum Materialisten so schnell die Gotteskarte spielen, weil sie alle Abweichungen vom Materialismus als Esoterik, Spinnerei und irrationalen Glauben interpretieren.

(Inzwischen neige ich manchmal dazu, den Materialismus selbst als eine Form der Religion zu betrachten. An Gottes Stelle tritt dann wohl die G.U.T. Aber wie dem auch sei, der Materialismus ist mit Sicherheit keine bodenständige, diesseitige Sicht der Dinge, dazu muss er einfach viel zu viele Verrenkungen machen, um zu versuchen, die offensichtlichen Tatsachen zu integrieren. Das Ganze erinnert mich ein wenig an das geozentrische Weltbild. Um die abweichenden Beobachtungen zu erklären, mussten immer neue, immer "raffiniertere" Dinge wie Epizyklen oder was auch immer postuliert werden. Bis man schließlich das geozentrische Weltbild durch ein besseres ersetzte.)
Die Existenz von subjektivem Erleben/Empfinden ist eine offensichtliche Tatsache, wohingegen die Existenz immaterieller Konkreta (hyperphysischer mentaler Substanzen oder Attribute) und die Existenz immaterieller Abstrakta alles andere als offensichtliche Tatsachen sind.

Die Neurowissenschaft des Bewusstseins mag noch in ihren Kinderschuhen stecken, aber es gibt keinen vernünftigen Grund für die pessimistische Meinung, dass sich subjektive Erlebnisse niemals reduktionistisch in das materialistisch-naturalistische Weltbild integrieren lassen. In den neurologischen Mechanismen des Gehirns spuken keine hyperphysischen Qualia herum. There is no ghost in the machine!



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Timberlake
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So 5. Mai 2024, 03:17

Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 00:41
Die Existenz von subjektivem Erleben/Empfinden ist eine offensichtliche Tatsache, wohingegen die Existenz immaterieller Konkreta (hyperphysischer mentaler Substanzen oder Attribute) und die Existenz immaterieller Abstrakta alles andere als offensichtliche Tatsachen sind.
Von was reden wir denn beim "subjektivem Erleben/Empfinden" , wenn nicht genau von dem , was offensichtlich keine Tatsache ist , die Existenz von "immaterieller Konkreta" und die Existenz immaterieller Abstrakta.
Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 00:41
Die Neurowissenschaft des Bewusstseins mag noch in ihren Kinderschuhen stecken, aber es gibt keinen vernünftigen Grund für die pessimistische Meinung, dass sich subjektive Erlebnisse niemals reduktionistisch in das materialistisch-naturalistische Weltbild integrieren lassen. In den neurologischen Mechanismen des Gehirns spuken keine hyperphysischen Qualia herum. There is no ghost in the machine!
Gleichwohl von den "materiellen" neurologischen Mechanismen des Gehirns doch wohl noch "immaterielle" hyperphysischen Qualia (wie auch immer) erzeugt werden. Ich denke mal , dass sich diese subjektive Erlebnisse in das materialistisch-naturalistische Weltbild in etwa so reduktionistisch integrieren lassen , wie die Quantenmechanik in die Relativitätstheorie.
  • "Die leichte Taube, indem sie im freien Fluge die Luft teilt, deren Widerstand sie fühlt, könnte die Vorstellung fassen, daß es ihr im luftleeren Raum noch viel besser gelingen werde. Ebenso verließ Plato die Sinnenwelt, weil sie dem Verstande so vielfältige Hindernisse legt, und wagte sich jenseit derselben auf den Flügeln der Ideen, in den leeren Raum des reinen Verstandes. Er bemerkte nicht, daß er durch seine Bemühungen keinen Weg gewönne, denn er hatte keinen Widerhalt, gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen, und woran er seine Kräfte anwenden konnte, um den Verstand von der Stelle zu bringen."
    Kant .. Kritik der reinen Vernunft
Denn auch diesbezüglich gibt es .. keinen Widerhalt, gleichsam zur Unterlage, worauf man sich steifen, und woran man seine Kräfte anwenden konnte, um den Verstand von der Stelle zu bringen.
Zuletzt geändert von Timberlake am So 5. Mai 2024, 04:10, insgesamt 2-mal geändert.




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So 5. Mai 2024, 04:05

Timberlake hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 03:17
Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 00:41
Die Existenz von subjektivem Erleben/Empfinden ist eine offensichtliche Tatsache, wohingegen die Existenz immaterieller Konkreta (hyperphysischer mentaler Substanzen oder Attribute) und die Existenz immaterieller Abstrakta alles andere als offensichtliche Tatsachen sind.
Von was reden wir denn beim "subjektivem Erleben/Empfinden" , wenn nicht genau von dem , was offensichtlich keine Tatsache ist , die Existenz von "immaterieller Konkreta" und die Existenz immaterieller Abstrakta.
Alle mentalen/psychischen Okkurrenzen (1, einschließlich aller subjektiven Erlebnisse, sind Konkreta (im ontologischen Sinn des Wortes); aber aus der Sicht des Materialismus sind sie natürlich keine immateriellen/hyperphysischen Konkreta.

(1: Ich verwende den Terminus "Okkurrenz" [Engl. "occurrence"] als Oberbegriff für Zustände, Ereignisse, Vorgänge und Sachverhalte als nichtsubstanziellen Entitäten. Diese können zwar eine Substanz als Substrat enthalten, was sie selbst aber nicht zu Substanzen macht.)
Timberlake hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 03:17
Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 00:41
Die Neurowissenschaft des Bewusstseins mag noch in ihren Kinderschuhen stecken, aber es gibt keinen vernünftigen Grund für die pessimistische Meinung, dass sich subjektive Erlebnisse niemals reduktionistisch in das materialistisch-naturalistische Weltbild integrieren lassen. In den neurologischen Mechanismen des Gehirns spuken keine hyperphysischen Qualia herum. There is no ghost in the machine!
Gleichwohl von den "materiellen" neurologischen Mechanismen des Gehirns doch wohl noch "immaterielle" hyperphysischen Qualia (wie auch immer) erzeugt werden. Ich denke mal , dass sich diese subjektive Erlebnisse in das materialistisch-naturalistische Weltbild in etwa so reduktionistisch integrieren lassen , wie die Quantenmechanik in die Relativitätstheorie.
Wie könnte ein rein neurophysischer (elektrochemischer) Vorgang im Gehirn (auf natürliche Weise) irgendetwas Nichtphysisches erzeugen?!



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Timberlake
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So 5. Mai 2024, 04:55

Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 04:05
Timberlake hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 03:17
Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 00:41
Die Existenz von subjektivem Erleben/Empfinden ist eine offensichtliche Tatsache, wohingegen die Existenz immaterieller Konkreta (hyperphysischer mentaler Substanzen oder Attribute) und die Existenz immaterieller Abstrakta alles andere als offensichtliche Tatsachen sind.
Von was reden wir denn beim "subjektivem Erleben/Empfinden" , wenn nicht genau von dem , was offensichtlich keine Tatsache ist , die Existenz von "immaterieller Konkreta" und die Existenz immaterieller Abstrakta.
Alle mentalen/psychischen Okkurrenzen (1, einschließlich aller subjektiven Erlebnisse, sind Konkreta (im ontologischen Sinn des Wortes); aber aus der Sicht des Materialismus sind sie natürlich keine immateriellen/hyperphysischen Konkreta.

Um dazu noch mals Kant zu zitieren ...
  • "Ein großer Teil, und vielleicht der größte, von dem Geschäfte unserer Vernunft besteht in Zergliederungen der Begriffe, die wir schon von Gegenständen haben. Dieses liefert uns eine Menge von Erkenntnissen, die, ob sie gleich nichts weiter als Aufklärungen oder Erläuterungen desjenigen sind, was in unsern Begriffen, (wiewohl noch auf verworrene Art) schon gedacht worden, doch wenigstens der Form nach neuen Einsichten gleich geschätzt werden, wiewohl sie der Materie oder dem Inhalte nach die Begriffe, die wir haben, nicht erweitern, sondern nur auseinander setzen."
    Kant .. Kritik der reinen Vernunft
.. so sieht mir das , so wie dergleichen die Begriffe , die wir haben , nicht erweitern , sondern nur auseinander setzen, doch schon sehr nach diesem großen Teil und dem vielleicht größten Teil von dem Geschäfte unserer Vernunft aus. .
Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 04:05

Wie könnte ein rein neurophysischer (elektrochemischer) Vorgang im Gehirn (auf natürliche Weise) irgendetwas Nichtphysisches erzeugen?!
Ganz so , wie aus einem quantenmechanischen Vorgang irgendetwas gemäß der Relativitätstheorie erzeugt wird. Womit ich mich zugegebenermaßen selbst diesem großen bzw. größten Teil vom dem Geschäft unserer Vernunft bedient haben dürfte. Machen wir uns doch nichts vor. Es wird von einem rein neurophysischer (elektrochemischer) Vorgang im Gehirn (auf natürliche Weise) irgendetwas Nichtphysisches erzeugt.
  • "Nun ist hieraus klar: 1. daß durch analytische Urteile unsere Erkenntnis gar nicht erweitert werde, sondern der Begriff, den ich schon habe, auseinandergesetzt, und mir selbst verständlich gemacht werde; 2. daß bei synthetischen Urteilen ich außer dem Begriffe des Subjekts noch etwas anderes (X) haben müsse, worauf sich der Verstand stützt, um ein Prädikat, das in jenem Begriffe nicht liegt, doch als dazu gehörig zu erkennen.
    Bei empirischen oder Erfahrungsurteilen hat es hiermit gar keine Schwierigkeit. Denn dieses X ist die vollständige Erfahrung von dem Gegenstande, den ich durch einen Begriff A denke, welcher nur einen Teil dieser Erfahrung ausmacht.
    Kant .. Kritik der reinen Vernunft
.. und zwar gemäß dem , was ich als vollständige Erfahrung von dem Gegenstande habe. Hiermit hat es tatsächlich gar keine Schwierigkeiten. Um die Frage beantworten zu können benötige ich noch etwas anderes , worauf sich der Verstand dabei stützt. Wenn du dazu etwas an zu bieten hast , ich bin für alles offen.
Zuletzt geändert von Timberlake am So 5. Mai 2024, 05:04, insgesamt 3-mal geändert.




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So 5. Mai 2024, 04:58

Quk hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 03:56
Consul, woher bekommst Du die Gewissheit, dass Dein "Körper" materiell ist? Ist das wahrlich Wissen oder eher Vermutung -- oder Glaube?
Was mich die Naturwissenschaften über die Welt und insbesondere über Lebewesen gelehrt haben (und weiterhin lehren), sowie mein eigenes philosophisches Studium der Argumente für und gegen die materialistisch-naturalistische Weltanschauung haben mich zu der Überzeugung geführt, dass der (reduktive) Materialismus wahr ist, d.h. dass die konkrete MERZ-Welt (MERZ = Materie-Energie-Raum-Zeit) die ganze und einzige Wirklichkeit ist, und dass darin weder gespenstische spirituelle Substanzen (Seelen/Geister) noch gespenstische spirituelle Qualia vorkommen.

(An göttliche oder nichtgöttliche Seelen/Geister habe ich bereits als Kind und Jugendlicher nicht geglaubt. Ich bin Atheist, seit ich denken kann.)

Weiß ich, dass der (reduktive) Materialismus wahr ist? Ich weiß nicht, ob ich es weiß; aber ich glaube mit einem sehr hohen Maß an subjektiver Gewissheit, dass er wahr ist. In der Metaphysik sollte man mit Wissensansprüchen zurückhaltend sein. (Subjektive Gewissheit und objektive Gewissheit sind bekanntlich nicht dasselbe.)



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So 5. Mai 2024, 07:06

Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 00:13
Es gibt einen materialistischen Substanzdualismus und einen transmaterialistischen Substanzdualismus:

1. Dem materialistischen Substanzdualismus zufolge gibt es außer der sinnlich wahrnehmbaren, "grobstofflichen" Materie, die der Naturwissenschaft zugänglich ist, eine sinnlich unwahrnehmbare, "feinstoffliche" Materie, die sich der naturwissenschaftlichen Untersuchung entzieht (und damit nur Gegenstand des Okkultismus sein kann). Wenn Churchland von einem "Geiststoff" ("mind-stuff") spricht und nach dessen Struktur und Elementen fragt, dann findet dies im Rahmen des materialistischen Substanzdualismus statt und setzt voraus, dass der Geiststoff räumlich ausgedehnt ist; denn ein nulldimensionales Etwas wie ein mathematischer Punkt hat grundsätzlich keine Bestandteile, und damit weder eine innere Struktur noch eine innere Dynamik. Eine dreidimensionale Seelensubstanz, die aus ausgedehnter okkulter Materie besteht, ist wesentlich verschieden von einer Seelensubstanz im folgenden zweiten Sinn; denn jene ist kryptophysischer Natur, während diese hyperphysischer Natur ist.
In esoterisch-okkultischen Kreisen ist von "Astralleibern" und "Ätherleibern" die Rede.
"Der dualistische Materialismus:
Ein Zugeständnis an die tatsächlich sich doch aufdrängende Besonderheit des seelischen Lebens ist es, wenn dasselbe zwar auf die Materie zurückgeführt, aber zweierlei Materie angenommen wird, der Seele also eine besondere Art materiellen Daseins zugeschrieben wird. Eine Annäherung an diese Auffassung findet sich in der griechischen Philosophie, wenn die Seele als besonders feiner und beweglicher Stoff, nach Analogie der Luft oder des Feuers, gedacht wird, oder wenn sie nach der Meinung der Atomistiker aus den feinsten, glattesten und beweglichsten Atomen bestehen soll. Deutlich ist sie ausgesprochen bei dem Erneuerer der antiken Atomistik, bei Gassendi (1592–1655), nach welchem der Mensch aus zwei Körpern besteht, einem grobsinnlichen und einem 'subtilen', den 'man Geist, Seele zu nennen pflegt'. Als Beispiel aus der neueren Literatur könnte trotz seines Auftretens gegen den Materialismus der Göttinger Physiologe Rudolf Wagner angeführt werden, der auf der Naturforscherversammlung zu Göttingen 1854 in seinem durch den Materialismusstreit berühmt gewordenen Vortrag 'Menschenschöpfung und Seelensubstanz' die Seele als einen Gehirnäther bezeichnete, der wie Licht und Elektrizität in einen anderen Weltraum gelangen könnte.
Da aber auch die weitgehendste Verfeinerung des als Seele gedachten Stoffes für die wissenschaftliche Erklärung keinen Vorteil gewährt, sofern auch der feinste Stoff eben doch Stoff bleibt, und andrerseits dem Einheitsbedürfnis des Denkens weniger entspricht, so sehen wir weit überwiegend die materialistischen Anschauungen der Neuzeit von einer solchen Besonderheit des 'Seelenstoffes' absehen."

(Elsenhans, Theodor. Lehrbuch der Psychologie. Tübingen: Mohr, 1912. S. 58-9)
"Die Vedanta-Philosophie lehrt die Existenz eines Astralleibes, eines feinen Seelenleibes (»açraya, sûkshmam çarîam«). …PORPHYR (Sent. 32), JAMBLICH (De myst. Aegypt. I, 8; V, 10), HIEROKLES (sôma aitherion), SYRIANUS, PRISCIAN (Solut. p. 255 b) nehmen einen »Ätherleib« (s. d.) an. - Im Neuen Testamente unterscheidet PAULUS sarx und sôma. Das sôma pneumatikon, der pneumatische, geistige Leib, wird dereinst auferstehen (2. Kor. 5, 1 ff.; 1. Kor. 15, 44; Röm. 8, 21, 29). …Nach JOH. SCOTUS ERIUGENA schafft sich die Seele einen intelligiblen Körper geistiger Art (De divis. natur. IV, 9; IV, 12). Der sinnliche Leib ist ein Produkt der Seele nach dem Sündenfalle (l.c. II, 25; IV, 13). Einen »siderischen« Leib (Astralleib) nimmt die Kabbalâ an, ferner PARACELSUS (»corpus spiritus«, »unsichtiger Leib«, »corpus spirituale«, »syderischer Leib«, Phil. sag. I, 1; I, 3; I, 6; I, 9; De lunatic. II, 1; De virt. imag. WW. 1, 274; II, 406, 550). Ähnlich AGRIPPA, der den Seelenleib »Wagen der Seele« nennt (Occ. Philos. III, 36 f.)."

(Rudolf Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, 1904: Leib)



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Consul
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So 5. Mai 2024, 08:21

Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 07:06
In esoterisch-okkultischen Kreisen ist von "Astralleibern" und "Ätherleibern" die Rede.
Der (nicht unbedeutende) walisische Philosoph Henry Price (1899-1984), der sich auch für Parapsychologie interessierte, spricht in einem Aufsatz (Parapsychology and Human Nature, 1959) von einem "okkultistischen Materialismus" ("occultistic materialism") oder "Astralleib-Materialismus" ("astral-body materialism").
Der naturalistische Materialismus, den ich vertrete, hat mit Okkultismus und spiritualistischer Esoterik nichts zu tun.



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Timberlake
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So 5. Mai 2024, 15:13

Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 08:21
Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 07:06
In esoterisch-okkultischen Kreisen ist von "Astralleibern" und "Ätherleibern" die Rede.
Der (nicht unbedeutende) walisische Philosoph Henry Price (1899-1984), der sich auch für Parapsychologie interessierte, spricht in einem Aufsatz (Parapsychology and Human Nature, 1959) von einem "okkultistischen Materialismus" ("occultistic materialism") oder "Astralleib-Materialismus" ("astral-body materialism").
Der naturalistische Materialismus, den ich vertrete, hat mit Okkultismus und spiritualistischer Esoterik nichts zu tun.
Nun wissen wir zwar womit der naturalistische Materialismus, den du vertrittst , nichts zu tun hat. Mit was hat er denn anstatt dessen zu tun?
Consul hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 23:36


Es gibt unterschiedliche Arten von Reduktionismus, sodass leicht Missverständnisse entstehen. Wenn von Reduktion die Rede ist, dann stellt sich die Frage, was genau worauf reduziert wird (bzw. werden soll). So besteht ein Unterschied zwischen einem repräsentationalen/semiotischen Reduktionismus und einem existenziellen/ontologischen Reduktionismus.

1. repräsentationaler/semiotischer Reduktionismus:
Hier geht es um die Übersetzung bzw. die semantische (definitorische) Gleichsetzung von Zeichen der Sprache einer "höherstufigen" Wissenschaft (z.B. Psychologie) in/mit andere(n) Zeichen der Sprache einer "niederstufigen" Wissenschaft (z.B. Physik).
Unter Zeichen sind Wörter (Begriffe), Sätze (Aussagen), Texte (Theorien) oder nichtsprachliche Symbole (Formeln) zu verstehen.

2. existenzieller/ontologischer Reduktionismus:
Hier geht es um die ontologische Gleichsetzung "höherstufiger" außersymbolischer Entitäten (die zur Ontologie einer "höherstufigen" Wissenschaft gehören, z.B. zur Ontologie der Psychologie) mit (Komplexen/Systemen von) "niederstufigen" außersymbolischen Entitäten (die zur Ontologie einer "niederstufigen" Wissenschaft gehören, z.B. zur Ontologie der Physik).
Zu den außersymbolischen Entitäten zählen Dinge (Objekte/Substanzen), Eigenschaften, Beziehungen, Sachverhalte, Tatsachen, Zustände, Ereignisse und Vorgänge.

Wichtig ist nun der Punkt, dass man als reduktiver Materialist/Physikalist ohne Selbstwiderspruch 2 annehmen und 1 ablehnen kann. Das heißt, der Glaube an die ontologische Selbigkeit (Identität) aller nichtphysikalischen Entitäten mit (Komplexen von) physikalischen Entitäten erfordert nicht unbedingt den Glauben an die semiotische (linguistische) Übersetzbarkeit aller nichtphysikalischen Wissenschaftssprachen in die Sprache der Physik.

Hat er denn etwas damit zu tun , dass man als reduktiver Materialist/Physikalist ohne Selbstwiderspruch 2 annehmen und 1 ablehnen kann. Wenn es dazu heißt , dass der Glaube an die ontologische Selbigkeit (Identität) aller nichtphysikalischen Entitäten mit (Komplexen von) physikalischen Entitäten nicht unbedingt den Glauben an die semiotische (linguistische) Übersetzbarkeit aller nichtphysikalischen Wissenschaftssprachen in die Sprache der Physik erfordert , so kann man sicherlich dieser Meinung sein.
Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 00:41
Die Neurowissenschaft des Bewusstseins mag noch in ihren Kinderschuhen stecken, aber es gibt keinen vernünftigen Grund für die pessimistische Meinung, dass sich subjektive Erlebnisse niemals reduktionistisch in das materialistisch-naturalistische Weltbild integrieren lassen. In den neurologischen Mechanismen des Gehirns spuken keine hyperphysischen Qualia herum. There is no ghost in the machine!
Nur erfordert die Integration der subjektive Erlebnisse , in das materialistisch-naturalistische Weltbild , nicht genau eben das . Die Übersetzung der subjektive Erlebnisse , in das materialistisch-naturalistische Weltbild ? Gesetzt natürlich für den Fall , dass diese subjektive Erlebnisse für diese nichtphysikalischen Wissenschaftssprachen und das materialistisch-naturalistische Weltbild für die Sprache der Physik steht.




Timberlake
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So 5. Mai 2024, 18:42

Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 04:58
Quk hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 03:56
Consul, woher bekommst Du die Gewissheit, dass Dein "Körper" materiell ist? Ist das wahrlich Wissen oder eher Vermutung -- oder Glaube?
Was mich die Naturwissenschaften über die Welt und insbesondere über Lebewesen gelehrt haben (und weiterhin lehren), sowie mein eigenes philosophisches Studium der Argumente für und gegen die materialistisch-naturalistische Weltanschauung haben mich zu der Überzeugung geführt, dass der (reduktive) Materialismus wahr ist, d.h. dass die konkrete MERZ-Welt (MERZ = Materie-Energie-Raum-Zeit) die ganze und einzige Wirklichkeit ist, und dass darin weder gespenstische spirituelle Substanzen (Seelen/Geister) noch gespenstische spirituelle Qualia vorkommen.

(An göttliche oder nichtgöttliche Seelen/Geister habe ich bereits als Kind und Jugendlicher nicht geglaubt. Ich bin Atheist, seit ich denken kann.)

Weil andernorts gerade von ihm die Rede ..
  • "Der Empirismus oder Realismus, worunter hier überhaupt die sogenannten realen Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften verstanden werden, negiert die Theologie, aber nicht theoretisch, sondern praktisch – durch die Tat, indem der Realist das, was die Negation Gottes oder wenigstens nicht Gott ist, zur wesentlichen Angelegenheit seines Lebens, zum wesentlichen Gegenstand seiner Tätigkeit macht. Wer aber Geist und Herz nur auf das Materielle, das Sinnliche konzentriert, der spricht dem übersinnlichen tatsächlich seine Realität ab; denn nur das ist, für den Menschen wenigstens, wirklich, was ein Objekt reeller, wirklicher Tätigkeit ist. »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«. Die Rede, man könne vom übersinnlichen nichts wissen, ist nur eine Ausrede. Man weiß nur dann nichts mehr von Gott und göttlichen Dingen, wenn man von ihnen nichts mehr wissen mag."
    Feuerbach .. Grundsätze der Philosophie der Zukunft
,.. solch ein Standpunkt erinnert , zumindest mich , doch sehr an besagter Ausrede und der Feuerbach These "Man weiß nur dann nichts mehr von Gott und göttlichen Dingen, wenn man von ihnen nichts mehr wissen mag."




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Jörn Budesheim
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So 5. Mai 2024, 20:32

Consul hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 23:36
Es gibt nichts Desintegrierenderes als eine ontologische Aufspaltung der Welt in drei irreduzible Paralleluniversen: Welt 1 der materiellen Entitäten + Welt 2 der mentalen Entitäten + Welt 3 der abstrakten Entitäten.
Was habe ich damit zu schaffen? Ich habe nichts dergleichen geschrieben.




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Consul
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Mo 6. Mai 2024, 06:53

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 08:19
Quk hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 07:48
was denn überhaupt "materiell" bedeuten soll
Ja, das ist auch ein wichtiger Punkt, denn letztendlich weiß man das gar nicht so genau. Die Vorstellungen darüber, was eigentlich materiell ist, haben sich ja auch im Laufe der Zeit verändert. Das, was man ursprünglich als Materie bezeichnet hat, zerrinnt uns heute zwischen den Fingern, so dass manche Physiker der Meinung sind, das es letztlich nur Information gibt.
Physisch unrealisierte oder unimplementierte Information ist eine Fiktion!

Hier sind zwei berühmte Zitate von Bertrand Russell:
"Now, owing chiefly to two German physicists, Heisenberg and Schrödinger, the last vestiges of the old solid atom have melted away, and matter has become as ghostly as anything in a spiritualist séance."
———
"Jetzt sind, hauptsächlich dank zweier deutscher Physiker, Heisenberg und Schrödinger, die letzten Überreste des alten soliden Atoms dahingeschwunden, und die Materie ist so geisterhaft geworden wie nur irgendetwas in einer spiritistischen Séance."
[© meine Übers.]

(Russell, Bertrand. An Outline of Philosophy. 1927. Reprint, London: Routledge, 1995. p. 78)

"The main point for the philosopher in the modern theory is the disappearance of matter as a 'thing'. It has been replaced by emanations from a locality – the sorts of influences that characterise haunted rooms in ghost stories. …All sorts of events happen in the physical world, but tables and chairs, the sun and moon, and even our daily bread, have become pale abstractions, mere laws exhibited in the succession of events which radiate from certain regions."
———
"Der Hauptpunkt für den Philosophen in der modernen Theorie [der Quantenmechanik—hinzugefügt] ist das Verschwinden der Materie als eines 'Dinges'. Sie ist ersetzt worden durch Ausströmungen von einem Ort – die Art von Einflüssen, die Spukgemächer in Geistergeschichten ausmachen. …Alle Arten von Ereignissen geschehen in der physischen Welt, aber Tische und Stühle, die Sonne und der Mond, und selbst unser tägliches Brot sind bleiche Abstraktionen geworden, bloße Gesetzmäßigkeiten, die sich in der Abfolge von Ereignissen zeigen, die von bestimmten Regionen ausstrahlen."
[© meine Übers.]

(Russell, Bertrand. An Outline of Philosophy. 1927. Reprint, Abingdon: Routledge, 2009. pp. 116-7)



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Mo 6. Mai 2024, 06:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 20:32
Consul hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 23:36
Es gibt nichts Desintegrierenderes als eine ontologische Aufspaltung der Welt in drei irreduzible Paralleluniversen: Welt 1 der materiellen Entitäten + Welt 2 der mentalen Entitäten + Welt 3 der abstrakten Entitäten.
Was habe ich damit zu schaffen? Ich habe nichts dergleichen geschrieben.
Was ist denn dein ontologischer Standpunkt in Bezug auf die "drei Welten" und deren ontologische Beziehungen?



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Sicherlich plausibler als irgendeine Form von Monismus. Aber wie Popper sich das ausgemalt hat, weiß ich nicht.




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Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 00:41
Die Neurowissenschaft des Bewusstseins mag noch in ihren Kinderschuhen stecken, aber es gibt keinen vernünftigen Grund für die pessimistische Meinung, dass sich subjektive Erlebnisse niemals reduktionistisch in das materialistisch-naturalistische Weltbild integrieren lassen.
Ava Noë hat geschrieben : Es gibt zwei Behauptungen, über die sich "alle" einig sind, die sich mit den Neurowissenschaften der Kognition und des Bewusstseins beschäftigen. Die erste ist, dass das Gehirn für alles verantwortlich ist, und die zweite ist, dass wir keine Ahnung haben, wie das Gehirn das macht. Und ich glaube, dass es eine Spannung zwischen diesen beiden Grundannahmen gibt.
Matthias Eckoldt im Gespräch mit Markus Gabriel hat geschrieben : MATTHIAS ECKOLDT
[...] Da gab es einiges an Erkenntnispessimismus, der teilweise bis in eine geradezu depressive Stimmungslage reichte. Ich erinnere mich an Formulierungen, dass die Neurowissenschaft noch auf dem Stand von »Jägern und Sammlern« sei. Zugleich gab es aber auch die großen Debatten über den freien Willen, die von den Neurowissenschaftlern angestoßen wurden.

MARKUS GABRIEL​
Das Manifest führender Hirnforscher wurde hier in Bonn u. a. vom Neurowissenschaftler Christian Elger auf einer Tagung angestoßen. Elger ist einer der weltweit am meisten zitierten Epileptologen, also eine richtige Koryphäe in seinem Fach. Auf einem Podium hat er mir jüngst bestätigt, dass dasjenige, was sie über den freien Willen und das Bewusstsein damals so gesagt haben, nicht aufgegangen ist, das zieht er alles zurück.

Auch die sehr technisch orientierten Neurowissenschaftler, mit denen ich hier in Bonn zusammenarbeite, sagen mir: Du kannst von uns etwas über Neurone lernen, aber auf Fragen nach Bewusstsein und freiem Willen können wir fürs Erste – und auf sehr lange Sicht – einfach gar nichts sagen.
Felix Häusler, Neuromythologie, Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung hat geschrieben : Allzu oft bleibt nach der Lektüre eines neurowissenschaftlichen Fachartikels wenig mehr als die ernüchternde »Na und?«-Frage. Typischerweise enden viele dieser Publikationen mit ähnlichen, stets auf die Zukunft verweisenden Äußerungen. Beliebt ist die Standardfloskel, dass es zwar »noch großer Forschungsanstrengungen bedarf, um das Phänomen XY zu verstehen«, die sicher bald einmal gewonnenen »Einsichten in die zugrunde liegenden biologischen Prozesse« letztlich aber zur Entwicklung ganz neuer Anwendungen beziehungsweise Therapien führen werden. Gerne wird zur Rechtfertigung des Grabens zwischen Erklärungsanspruch und Datenlage auf Zeit gespielt. Noch stecke man zwar in den Anfängen, so die Erklärung, aber schon bald seien fundamentale Durchbrüche im Verständnis von Gehirn und Geist zu erwarten. Für die Wissenschaftshistoriker Michael Hagner und Cornelius Borck ist es geradezu »typisch für das Feld, dass ›bahnbrechende Resultate‹ unter Verweis auf die zwar bereits sehr fortschrittliche, aber noch nicht voll ausgereifte Technologie stets für eine nicht mehr ganz so ferne Zukunft in Aussicht gestellt werden.«

["Man setzt also auf das, was Karl Popper einen »versprechenden Materialismus/promissory materialism« nannte. Man sagt, sehr bald oder auch erst in 200 Jahren werden wir es sehen,... (Markus Gabriel)]




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Quk
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Mo 6. Mai 2024, 07:34

Consul hat geschrieben :
Mo 6. Mai 2024, 06:53
Hier sind zwei berühmte Zitate von Bertrand Russell:
Siehst Du diese Zitate als Antwort auf meine Frage?

Soweit ich mich erinnere, war Russell weder Materialist noch das Gegenteil, sondern hat die harte Trennung zwischen materiell und geistig aufgegeben. Das entspricht auch meiner Auffassung. In den Zitaten spricht er darüber, wie sinnlos es ist, so eine Trennung aufrecht zu halten.




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Consul
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Mo 6. Mai 2024, 07:53

Timberlake hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 04:55
Consul hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 04:05
Wie könnte ein rein neurophysischer (elektrochemischer) Vorgang im Gehirn (auf natürliche Weise) irgendetwas Nichtphysisches erzeugen?!
Ganz so , wie aus einem quantenmechanischen Vorgang irgendetwas gemäß der Relativitätstheorie erzeugt wird.
Womit ich mich zugegebenermaßen selbst diesem großen bzw. größten Teil vom dem Geschäft unserer Vernunft bedient haben dürfte. Machen wir uns doch nichts vor. Es wird von einem rein neurophysischer (elektrochemischer) Vorgang im Gehirn (auf natürliche Weise) irgendetwas Nichtphysisches erzeugt.
Ein quantenphysikalischer Vorgang kann genauso wenig wie ein neurophysiologischer Vorgang (auf natürliche Weise) irgendetwas Hyperphysisches erzeugen. Das wäre "kategoriale Magie"—gewissermaßen so, wie wenn zwei Tiere eine Pflanze zeugten.
Zuletzt geändert von Consul am Mo 6. Mai 2024, 08:19, insgesamt 1-mal geändert.



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Mo 6. Mai 2024, 08:05

Quk hat geschrieben :
Mo 6. Mai 2024, 07:34
Soweit ich mich erinnere, war Russell weder Materialist noch das Gegenteil, sondern hat die harte Trennung zwischen materiell und geistig aufgegeben. Das entspricht auch meiner Auffassung. In den Zitaten spricht er darüber, wie sinnlos es ist, so eine Trennung aufrecht zu halten.
Russell vertritt einen neutralen Monismus und eine Ereignis-Ontologie (mit "freien" oder "reinen" Ereignissen ohne dinglichen Kern, d.h. ohne ein substanzielles Substrat). Ich lehne beides ab!

Aus der Quantenmechanik lässt sich nicht einfach eine bestimmte ontologische Lehre ziehen! Wer behauptet, sie hätte gezeigt, dass der Materiebegriff veraltet und zu verwerfen ist, hat schlicht unrecht.
"Everything in the world is composed of 'events'; that, at least, is the thesis I wish to maintain. An 'event', as I understand it, is something having a small finite duration and a small finite extension in space; or rather, in view of the theory of relativity, it is something occupying a small finite amount of space-time. If it has parts, these parts, I say, are again events, never something occupying a mere point or instant, whether in space, in time, or in space-time. The fact that an event occupies a finite amount of spacetime does not prove that it has parts. Events are not impenetrable, as matter is supposed to be; on the contrary, every event in space-time is overlapped by other events." (p. 287)

"If we assume, as I propose to do, that every event has only a finite number of parts, then every event is composed of a finite number of events that have no parts. Such events I shall call "minimal events ". It will simplify our discussion to assume them, but by a little circumlocution this assumption could be eliminated." (p. 288)

"A piece of matter, like a space-time point, is to be constructed out of events" (p. 289)

"In this system…we are led to construct matter out of systems of events, which just happen, and do not happen 'to' matter or 'to' anything else." (p. 289)

(Russell, Bertrand. An Outline of Philosophy. London: George Allen & Unwin, 1927.)



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Mo 6. Mai 2024, 08:40

Timberlake hat geschrieben :
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Die Neurowissenschaft des Bewusstseins mag noch in ihren Kinderschuhen stecken, aber es gibt keinen vernünftigen Grund für die pessimistische Meinung, dass sich subjektive Erlebnisse niemals reduktionistisch in das materialistisch-naturalistische Weltbild integrieren lassen. In den neurologischen Mechanismen des Gehirns spuken keine hyperphysischen Qualia herum. There is no ghost in the machine!
Nur erfordert die Integration der subjektive Erlebnisse , in das materialistisch-naturalistische Weltbild , nicht genau eben das . Die Übersetzung der subjektive Erlebnisse , in das materialistisch-naturalistische Weltbild ? Gesetzt natürlich für den Fall , dass diese subjektive Erlebnisse für diese nichtphysikalischen Wissenschaftssprachen und das materialistisch-naturalistische Weltbild für die Sprache der Physik steht.
Natürlich suchen die Neurologen nach einer (reduktiven) Erklärung psychischer Phänomene in ihrer Wissenschaftssprache, was aber nicht erfordert, dass die psychologischen Beschreibungen psychischer Phänomene so sprachlich übersetzt werden, dass sie zu Synonymen neurologischer Beschreibungen werden.
Wenn die materialistische Identitätstheorie wahr ist, und alle psychologischen Phänomene mit neurologischen Phänomenen identisch sind, dann sind die entsprechenden psychologischen Begriffe und Beschreibungen sowie die entsprechenden neurologischen Begriffe und Beschreibungen bezugsgleich, aber nicht bedeutungsgleich. (Frege würde sagen: "…bedeutungsgleich, aber nicht sinngleich.") Das heißt, in diesem Fall sind psychologische Beschreibungen nichts weiter als höherstufige alternative Beschreibungen neurologischer Tatsachen.



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