Starentanz

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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Jörn Budesheim
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Fr 3. Jan 2025, 10:14

Vogelschwärme sind für mich paradigmatische Fälle von irreduzibler Emergenz. Ihr Verhalten lässt sich eben nicht auf die Eigenschaften einzelner Vögel oder gar deren Inneres reduzieren. Zwar sind die physiologischen und neurologischen Prozesse im Inneren eines Vogels notwendige Bedingungen, aber nicht hinreichend, um das Schwarmverhalten vollständig zu erklären. Entscheidend sind vielmehr die Interaktionen der Vögel untereinander und ihre unmittelbaren gegenseitigen Wahrnehmungen, die auf einer mittleren Skalenebene stattfinden. Dieses Phänomen zeigt die Grenzen des Reduktionismus. Jeder Vogel folgt dabei – nach allem, was ich bisher recherchieren konnte – vermutlich einfachen Regeln: Er fliegt in die gleiche Richtung wie seine Nachbarn, hält einen gewissen Abstand und vermeidet Kollisionen. Aus diesen lokalen, scheinbar simplen Interaktionen emergieren dann die beeindruckenden, sich ständig wandelnden Muster des Schwarms. Diese Muster sind ein Beispiel für sog. Selbstorganisation: Es gibt keine zentrale Steuerung, sondern die Ordnung entsteht durch die Interaktion der Individuen. Zudem zeigen Schwärme eine bemerkenswerte dynamische Anpassungsfähigkeit, etwa bei Hindernissen oder Bedrohungen.




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Consul
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Di 7. Jan 2025, 02:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 3. Jan 2025, 10:14
Vogelschwärme sind für mich paradigmatische Fälle von irreduzibler Emergenz. Ihr Verhalten lässt sich eben nicht auf die Eigenschaften einzelner Vögel oder gar deren Inneres reduzieren. Zwar sind die physiologischen und neurologischen Prozesse im Inneren eines Vogels notwendige Bedingungen, aber nicht hinreichend, um das Schwarmverhalten vollständig zu erklären. Entscheidend sind vielmehr die Interaktionen der Vögel untereinander und ihre unmittelbaren gegenseitigen Wahrnehmungen, die auf einer mittleren Skalenebene stattfinden. Dieses Phänomen zeigt die Grenzen des Reduktionismus. Jeder Vogel folgt dabei – nach allem, was ich bisher recherchieren konnte – vermutlich einfachen Regeln: Er fliegt in die gleiche Richtung wie seine Nachbarn, hält einen gewissen Abstand und vermeidet Kollisionen. Aus diesen lokalen, scheinbar simplen Interaktionen emergieren dann die beeindruckenden, sich ständig wandelnden Muster des Schwarms. Diese Muster sind ein Beispiel für sog. Selbstorganisation: Es gibt keine zentrale Steuerung, sondern die Ordnung entsteht durch die Interaktion der Individuen. Zudem zeigen Schwärme eine bemerkenswerte dynamische Anpassungsfähigkeit, etwa bei Hindernissen oder Bedrohungen.
Die Gestalt und Bewegung eines Vogelschwarms lässt sich vollständig auf das interaktive Flugverhalten der einzelnen Vögel zurückführen, sodass wir es nicht mit einem Fall "irreduzibler [ontischer] Emergenz" zu tun haben. Denn ein Vogelschwarm als Ganzes hat keine (ontisch) emergenten Eigenschaften, vermöge deren er das Flugverhalten der einzelnen Vögel im emergentistischen Sinn einer "Abwärtsverursachung" beeinflusst und steuert.
"It is important to distinguish cases in which particles’ behavior is affected by their membership in collections from cases in which a property of a collection as a whole affects the collection’s members. Atoms and molecules making up complex molecular systems can, and typically do, affect, and even modify, one another in myriad ways. Particles in combination unquestionably behave differently than particles individually or in pairs. Interactions of this kind, however, do not seem to be instances of downward causation, they do not seem to be cases in which wholes, which after all include the parts, exercise causal influence over their parts."
——————
"Es ist wichtig, Fälle, in denen das Verhalten von Teilchen durch ihre Zugehörigkeit zu einer Kollektion [einem Kollektiv] beeinflusst wird, von Fällen zu unterscheiden, in denen eine Eigenschaft einer Kollektion als Ganzes die Mitglieder der Kollektion beeinflusst. Atome und Moleküle, aus denen komplexe molekulare Systeme bestehen, können sich gegenseitig auf unzählige Arten beeinflussen und sogar verändern, und das tun sie normalerweise auch. Teilchen in Kombination verhalten sich zweifellos anders als Teilchen einzeln oder in Paaren. Wechselwirkungen dieser Art scheinen jedoch keine Fälle von Abwärtskausalität zu sein; sie scheinen keine Fälle zu sein, in denen Ganzheiten, zu denen schließlich auch die Teile gehören, einen kausalen Einfluss auf ihre Teile ausüben."
[Übersetzt von Google Translate mit verbessernden Änderungen meinerseits]

(Heil, John. Appearance in Reality. New York: Oxford University Press, 2021. p. 138)



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Jörn Budesheim
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Di 7. Jan 2025, 12:03

Consul hat geschrieben :
Di 7. Jan 2025, 02:12
Die Gestalt und Bewegung eines Vogelschwarms lässt sich vollständig auf das interaktive Flugverhalten der einzelnen Vögel zurückführen, sodass wir es nicht mit einem Fall "irreduzibler [ontischer] Emergenz" zu tun haben. Denn ein Vogelschwarm als Ganzes hat keine (ontisch) emergenten Eigenschaften, vermöge deren er das Flugverhalten der einzelnen Vögel im emergentistischen Sinn einer "Abwärtsverursachung" beeinflusst und steuert.
Das interaktive Flugverhalten der einzelnen Vögel gibt es nicht. Was sollte das auch sein? Das interaktive Flugverhalten der Vögel des Schwarms hingegen gibt es schon. Und das ist bereits ein Fall von "irreduzibler [ontischer] Emergenz". Wir kommen nicht auf die Ebene der "Elementarteile", falls es dergleichen gibt. Der Schwarm ist nicht einfach nur von "unten nach oben" gesteuert. Was auf den verschiedenen höheren Skalenebenen geschieht, beeinflusst auch, was auf den niedrigeren geschieht, und umgekehrt – es ist ein Ineinandergreifen der vielen Bereiche.

Vereinfacht:
Bottom-up: Individuelle Verhaltensweisen und lokale Interaktionen führen zu emergenten Mustern auf höheren Ebenen.
Top-down: Das Gesamtverhalten des Schwarms beeinflusst wiederum die Bewegungen und Entscheidungen einzelner Vögel.

Ich weiß nicht, wie viele Ebenen da im Spiel sind. Holzschnittartig vielleicht so:
  • Individuelle Ebene: Jeder Vogel folgt einfachen Regeln wie Ausrichtung, Abstandhaltung und Kollisionsvermeidung – das wird natürlich biologisch realisiert.
  • Lokale Interaktionsebene: Vögel orientieren sich an 6–7 unmittelbaren Nachbarn.
  • Mittlere Skalenebene: Informationen breiten sich wellenartig (habe ich irgendwo gelesen) durch den Schwarm aus.
  • Globale Schwarmebene: Emergente Muster und koordinierte Bewegungen des gesamten Schwarms entstehen und wirken auf die verschiedenen Ebenen zurück.

Hier fehlt natürlich die gesamte Umwelt und ihre Bedeutung für das Ereignis. Denn auch die Umwelt spielt eine Rolle – nicht nur durch ihre objektive Beschaffenheit, sondern auch dadurch, wie die Vögel sie wahrnehmen und interpretieren. Das beeinflusst ihr Verhalten und prägt die Dynamik des Schwarms.




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Quk
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Di 7. Jan 2025, 13:50

Consul, kennst Du Regelkreise?

Ein Kochherd, zum Beispiel, enthält einen Regelkreis. Der Stromschalter schließt, folglich wird der Draht heißer, folglich krümmt sich das Bimetall, folglich öffnet der Schalter, folglich kühlt der Draht, folglich begradigt sich das Bimetall, folglich schließt der Schalter, folglich wird der Draht heißer ...

Welche Stelle in diesem Regelkreis ist die Einzelkommandantin?




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Consul
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Di 7. Jan 2025, 20:37

@Jörn:
Nein, da gibt es nur eine Seinsebene ohne ontische Emergenz. Ein Vogelschwarm ist nichts weiter als eine Summe interagierender Vögel, die ihr Flugverhalten mit demjenigen von Nachbarvögeln koordinieren. Daraus ergeben sich (resultieren, nicht emergieren!) die ganzheitlichen Bewegungsmuster des Schwarms.
Dass sich fliegende Vögel innerhalb eines Schwarms anders verhalten als außerhalb eines Schwarms, bedeutet nicht, dass hier ontische emergente und irreduzible Eigenschaften des Schwarms mitwirken; denn ein Schwarm (eine Herde oder Gruppe) ist, wie gesagt, nichts weiter als ein Kollektiv interagierender Individuen.



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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jan 2025, 09:06

Consul hat geschrieben :
Di 7. Jan 2025, 20:37
Ein Vogelschwarm ist nichts weiter als eine Summe interagierender Vögel
Selbst das wäre ja schon "ontische Emergenz", weil eben die Vögel als Ganze - also Elemente der mittleren Skalenbereiche - kausal wirksam sind.




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jan 2025, 09:24

Hier meine Rechercheergebnisse:
Vogelschwärme weisen Merkmale auf, die als stark oder ontisch emergent bezeichnet werden können, da ihre Eigenschaften nicht einfach aus den Eigenschaften der einzelnen Vögel abgeleitet werden können.

Hier sind einige Aspekte, die dies verdeutlichen:
  • Irreduzibilität: Die Form, Größe, Richtung, Geschwindigkeit und Wellenbewegungen eines Schwarms sind emergente Eigenschaften im Verhältnis zum einzelnen Vogel. Diese Eigenschaften sind nicht auf die einzelnen Vögel reduzierbar, sondern entstehen durch die Interaktion der Individuen im Kollektiv. Die einzelnen Vögel folgen einfachen Regeln und interagieren nur mit ihren nächsten Nachbarn. Die kollektiven Bewegungsmuster, die dadurch entstehen, sind jedoch nicht auf das Verhalten der einzelnen Vögel zurückzuführen.
  • Nicht-Vorhersagbarkeit: Das Verhalten des Schwarms als Ganzes, wie plötzliche Richtungswechsel oder das Ausweichen vor Raubvögeln, sind nicht vorhersehbar aus dem Verhalten einzelner Vögel. Die Bewegungen des Schwarms laufen schneller ab, als es die Reaktionsfähigkeit eines einzelnen Vogels zulassen würde. Die koordinierte Reaktion des Schwarms auf einen Raubvogel, bei der der Schwarm dem Feind entgegentritt, ist ein weiteres Beispiel für nicht-vorhersagbares Verhalten.
  • Neue Eigenschaften: Durch die Interaktion der Vögel entstehen neue Eigenschaften auf der Ebene des Schwarms, die die einzelnen Vögel nicht besitzen. Beispielsweise können die Vögel im Schwarm eine Art kollektive Intelligenz entwickeln, die es ihnen ermöglicht, als Einheit zu agieren und sich vor Feinden zu schützen. Es entsteht ein neues "Einzelwesen" aufgrund der emergenten Kräfte zwischen den einzelnen Vögeln.
  • Abwärtsverursachung: Die Ordnung des Schwarms, die auf der Ebene der Vogelindividuen nicht vorhanden ist, wirkt "von oben nach unten" auf die einzelnen Vögel zurück, indem sie deren Verhalten und Bewegungen beeinflusst. Die übergeordnete Ordnung des Schwarms lenkt die Wechselwirkungen der einzelnen Elemente.
Diese Punkte verdeutlichen, dass Vogelschwärme mehr sind als die Summe ihrer einzelnen Vögel. Sie sind ein Beispiel für ein System, bei dem durch die Interaktion der Elemente neue Eigenschaften und Verhaltensweisen entstehen, die nicht auf die Eigenschaften der einzelnen Elemente reduziert werden können.

Es gibt in der Philosophie unterschiedliche Auffassungen darüber, ob solche emergente Eigenschaften auf ein epistemologisches (theorie-relatives) oder auch auf ein ontologisches (absolutes) Problem hinweisen. Während einige argumentieren, dass Emergenz nur ein Ausdruck unserer Unfähigkeit ist, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen, sehen andere sie als eine reale, objektive Eigenschaft der Welt.

Im Falle der Vogelschwärme scheint es sich um eine ontologische Emergenz zu handeln, da die Schwarmintelligenz und die damit verbundenen Verhaltensweisen nicht durch eine bloße Steigerung unserer Erkenntnisfähigkeit erklärt werden können. Die Eigenschaften treten tatsächlich erst auf der höheren Ebene des Vogelschwarms auf.




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Mi 8. Jan 2025, 19:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 09:06
Consul hat geschrieben :
Di 7. Jan 2025, 20:37
Ein Vogelschwarm ist nichts weiter als eine Summe interagierender Vögel
Selbst das wäre ja schon "ontische Emergenz", weil eben die Vögel als Ganze - also Elemente der mittleren Skalenbereiche - kausal wirksam sind.
Eine abgeschossene Kanonenkugel kann als Ganzes etwas bewirken—z.B. den Einsturz einer Mauer—, das ihre Elementarteile als Einzelne nicht bewirken können; aber das bedeutet nicht, dass sie ontisch emergente Eigenschaften oder Vermögenheiten (Kräfte/Mächte) besitzt.

Skalenbereiche sind keine ontologisch irreduziblen Seinsebenen/-schichten im Sinn des ontologischen Emergentismus. Es gibt keine Seinsebenen/-schichten bzw. nur eine einzige, nämlich die grundlegende (physikalische), auf der sich alles Sein und Werden "horizontal" abspielt. Ein System existiert nicht auf einer höheren Seinsebene als seine Elemente; und alle Verursachungen (oder Wechselwirkungen) sind "Seitwärtsverursachungen" auf der Grundebene, und keine "vertikalen" Abwärts- oder Aufwärtsverursachungen.
Was es hingegen gibt, sind unterschiedliche semiotische und theoretische Ebenen, d.h. verschiedene Ebenen der Verbegrifflichung, Beschreibung und Erklärung der einen ontologischen Ebene.

Außerdem: Ich habe bereits an anderer Stelle gegen die Möglichkeit ontisch emergenter Eigenschaften von Kollektiven (Schwärmen, Herden, Gruppen, etc.) argumentiert.



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Jörn Budesheim
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Mi 8. Jan 2025, 19:32

Consul hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 19:09
Es gibt keine Seinsebenen/-schichten bzw. nur eine einzige, nämlich die grundlegende (physikalische), auf der sich alles Sein und Werden "horizontal" abspielt.
Dafür bräuchtest du einige sehr starke Argumente, weil es ja offensichtlich anders ist. Ich finde, wenn man in etwas behauptet, was gegen jede Erfahrung ist, ist man in der Beweispflicht.




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Consul
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Mi 8. Jan 2025, 20:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 09:24
Hier meine Rechercheergebnisse:
Vogelschwärme weisen Merkmale auf, die als stark oder ontisch emergent bezeichnet werden können, da ihre Eigenschaften nicht einfach aus den Eigenschaften der einzelnen Vögel abgeleitet werden können.

Hier sind einige Aspekte, die dies verdeutlichen:
  • Irreduzibilität: Die Form, Größe, Richtung, Geschwindigkeit und Wellenbewegungen eines Schwarms sind emergente Eigenschaften im Verhältnis zum einzelnen Vogel. Diese Eigenschaften sind nicht auf die einzelnen Vögel reduzierbar, sondern entstehen durch die Interaktion der Individuen im Kollektiv. Die einzelnen Vögel folgen einfachen Regeln und interagieren nur mit ihren nächsten Nachbarn. Die kollektiven Bewegungsmuster, die dadurch entstehen, sind jedoch nicht auf das Verhalten der einzelnen Vögel zurückzuführen.
Doch, denn "die kollektiven Bewegungsmuster" des Schwarms resultieren aus nichts weiter als dem Flugverhalten der einzelnen Vögel.
Wenn sich viele Vögel gemeinsam soundso fliegerisch verhalten, dann haben wir einen sich soundso bewegenden Vogelschwarm. Dass das Flugverhalten der einzelnen Vögel als Teile eines Schwarms nicht unabhängig stattfindet, sondern interaktiv koordiniert und organisiert ist, ist nicht auf das Vorhandensein irgendwelcher ontisch emergenter Schwarmeigenschaften zurückzuführen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 09:24
[*]Nicht-Vorhersagbarkeit: Das Verhalten des Schwarms als Ganzes, wie plötzliche Richtungswechsel oder das Ausweichen vor Raubvögeln, sind nicht vorhersehbar aus dem Verhalten einzelner Vögel. Die Bewegungen des Schwarms laufen schneller ab, als es die Reaktionsfähigkeit eines einzelnen Vogels zulassen würde. Die koordinierte Reaktion des Schwarms auf einen Raubvogel, bei der der Schwarm dem Feind entgegentritt, ist ein weiteres Beispiel für nicht-vorhersagbares Verhalten.
Aus der Nichtvorhersagbarkeit eines Phänomens folgt nicht, dass darin ontische emergente Eigenschaften involviert sind.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 09:24
[*]Neue Eigenschaften: Durch die Interaktion der Vögel entstehen neue Eigenschaften auf der Ebene des Schwarms, die die einzelnen Vögel nicht besitzen. Beispielsweise können die Vögel im Schwarm eine Art kollektive Intelligenz entwickeln, die es ihnen ermöglicht, als Einheit zu agieren und sich vor Feinden zu schützen. Es entsteht ein neues "Einzelwesen" aufgrund der emergenten Kräfte zwischen den einzelnen Vögeln.
Wie gesagt, ich bestreite dass ein Vogelschwarm als Ganzes überhaupt irgendwelche emergenten Eigenschaften besitzen kann—d.h. dass ein Schwarm (oder irgendeine andere Art von Kollektiv) Träger einer irreduziblen attributiven Entität sein kann. Dass es Prädikate gibt, die auf Systeme zutreffen, aber nicht auf deren Elemente, ist wohlgemerkt unbestritten; aber ich spreche ontologisch von Eigenschaften (Attributen) als Entitäten, die keine Wörter (Begriffswörter) sind.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 09:24
[*]Abwärtsverursachung: Die Ordnung des Schwarms, die auf der Ebene der Vogelindividuen nicht vorhanden ist, wirkt "von oben nach unten" auf die einzelnen Vögel zurück, indem sie deren Verhalten und Bewegungen beeinflusst. Die übergeordnete Ordnung des Schwarms lenkt die Wechselwirkungen der einzelnen Elemente.[/list]
Diese Punkte verdeutlichen, dass Vogelschwärme mehr sind als die Summe ihrer einzelnen Vögel. Sie sind ein Beispiel für ein System, bei dem durch die Interaktion der Elemente neue Eigenschaften und Verhaltensweisen entstehen, die nicht auf die Eigenschaften der einzelnen Elemente reduziert werden können.

Es gibt in der Philosophie unterschiedliche Auffassungen darüber, ob solche emergente Eigenschaften auf ein epistemologisches (theorie-relatives) oder auch auf ein ontologisches (absolutes) Problem hinweisen. Während einige argumentieren, dass Emergenz nur ein Ausdruck unserer Unfähigkeit ist, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen, sehen andere sie als eine reale, objektive Eigenschaft der Welt.

Im Falle der Vogelschwärme scheint es sich um eine ontologische Emergenz zu handeln, da die Schwarmintelligenz und die damit verbundenen Verhaltensweisen nicht durch eine bloße Steigerung unserer Erkenntnisfähigkeit erklärt werden können. Die Eigenschaften treten tatsächlich erst auf der höheren Ebene des Vogelschwarms auf.
Die Schwarmordnung ist eine ontologisch "horizontale" dynamische Struktur, d.i. ein Gefüge von Wechselwirkungen (Interaktionen) zwischen (benachbarten) Vögeln, und damit eine strukturelle Eigenschaft des Schwarms. Der entscheidende Punkt ist nun, dass strukturelle Eigenschaften eines Kollektivs (Komplexes oder Systems) keine ontisch emergenten Eigenschaften sind, weil sie aus (räumlichen, zeitlichen und ursächlichen) Beziehungen zwischen (und Eigenschaften von) denjenigen Individuen bestehen, die zusammen das Kollektiv bilden.

Wenn es ontisch emergente Eigenschaften gibt, dann werden sie von strukturellen Eigenschaften hervorgebracht (verursacht) und sind davon abhängig, ohne mit diesen identisch zu sein. Du verwechselst die strukturellen Eigenschaften eines Vogelschwarms mit ontisch emergenten Eigenschaften!

Ein Vogelschwarm ist zweifellos mehr als eine bloße Summe einzelner fliegender Vögel; aber er ist nicht mehr als die "erweiterte Summe" (David Lewis) der beteiligten Vögel samt ihrer räumlichen Beziehungen und Wechselwirkungen.

Was die angebliche emergentistische "Abwärtsverursachung" betrifft, wie könnte die denn überhaupt verständlicherweise ablaufen?
"The question to be asked is a simple one: How do things that are identical with constituents of a whole have effects on the whole that includes themselves? It is no better to speak of top-down causality. There the question would arise, how does a whole thing that is constituted of its constituents cause something concerning what it is constituted by? The constituents that are being affected by the whole must be part of the cause upon themselves. Added to this is the obvious problem of apparent 'overdetermination' occurring at each and every level. That is what is 'mysterious about such bottom-up causation' or top-down causation and what is not 'a straightforward matter.' [John Searle] There appears to be a mystical invocation of levels of being."
——————
"Die zu stellende Frage ist einfach: Wie wirken sich Dinge, die mit Bestandteilen eines Ganzen identisch sind, auf das Ganze aus, das sie selbst einschließt? Es ist nicht besser, von Top-down-Kausalität zu sprechen. Da würde die Frage aufkommen, wie ein Ganzes, das aus seinen Bestandteilen besteht, etwas in Bezug auf das bewirkt, woraus es besteht? Die Bestandteile, die vom Ganzen beeinflusst werden, müssen selbst Teil der Ursache sein. Hinzu kommt das offensichtliche Problem der scheinbaren ‚Überdeterminierung‘, die auf jeder einzelnen Ebene auftritt. Das ist das ‚Mysteriöse an einer solchen Bottom-up-Kausalität‘ oder Top-down-Kausalität und was keine ‚einfache Angelegenheit‘ ist [John Searle]. Es scheint eine mystische Berufung auf Seinsebenen zu geben."
[Übersetzt von Google Translate mit einer Änderung meinerseits]

(Martin, C. B. The Mind in Nature. Oxford: Oxford University Press, 2007. pp. 35-6)



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Consul
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Mi 8. Jan 2025, 21:37

"[Timothy] O’Connor (1994: 98 [Emergent Properties]) defines emergence, within the framework of strong emergence, as follows:

Property P is an emergent property of a (mereologically-complex) object O iff:

1. P supervenes on properties of the parts of O;
2. P is not had by any of the object’s parts;
3. P is distinct from any structural property of O; and
4. P has direct (“downward”) determinative influence on the pattern of behaviour involving O’s parts.
(O’Connor 1994: 98)

(1) asserts complete synchronic ontological dependence for emergent properties on their bearer’s microstructure; (2) refers to the higher-level status of emergent properties; (3) points to the requirement of radical novelty: an emergent property needs to be different in kind from its bearer’s structural properties which are constituted by the properties of the object’s parts (…); and (4) appeals to the

very strong sense in which an emergent’s causal influence is irreducible to that of the micro-properties on which it supervenes: it bears its influence in a direct, “downward” fashion, in contrast to the operation of a simple structural macro-property, whose causal influence occurs via the activity of the micro-properties that constitute it.
(O’Connor 1994: 97f)"
——————
"[Timothy] O’Connor (1994: 98 [Emergent Properties]) definiert Emergenz im Rahmen starker Emergenz wie folgt:

Eigenschaft P ist eine emergente Eigenschaft eines (mereologisch komplexen) Objekts O genau dann, wenn:

1. P superveniert auf Eigenschaften der Teile von O;
2. P wird von keinem der Teile des Objekts besessen;
3. P unterscheidet sich von jeder strukturellen Eigenschaft von O; und
4. P hat direkten („abwärts gerichteten“) determinierenden Einfluss auf das Verhaltensmuster, an dem O’s Teile beteiligt sind.
(O’Connor 1994: 98)

(1) behauptet eine vollständige synchrone ontologische Abhängigkeit emergenter Eigenschaften von der Mikrostruktur ihres Trägers; (2) bezieht sich auf den Status emergenter Eigenschaften auf höherer Ebene; (3) weist auf die Anforderung radikaler Neuheit hin: Eine emergente Eigenschaft muss sich in ihrer Art von den strukturellen Eigenschaften ihres Trägers unterscheiden, die durch die Eigenschaften der Teile des Objekts konstituiert werden (…); und (4) beruft sich auf den

sehr starken Sinn, in dem der kausale Einfluss einer emergenten Eigenschaft nicht auf denjenigen der Mikroeigenschaften reduzierbar ist, worauf er superveniert: Er übt seinen Einfluss auf eine direkte, „nach unten gerichtete“ Weise aus, im Gegensatz zur Wirkung einer einfachen strukturellen Makroeigenschaft, deren kausaler Einfluss über die Aktivität der Mikroeigenschaften erfolgt, aus denen er besteht.
(O’Connor 1994: 97f)"
[Übersetzt von Google Translate mit Änderungen meinerseits]

(Meincke, Anne Sophie. "Emergent Properties." In The Routledge Handbook of Properties, edited by A. R. J. Fisher & Anna-Sofia Maurin, 347-357. Abingdon: Routledge, 2021. p. 351)
Fußnote:
"Structural properties are divided into relational and non-relational structural properties, depending on whether or not they involve relations."
——————
"Strukturelle Eigenschaften werden in relationale und nichtrelationale strukturelle Eigenschaften unterteilt, abhängig davon, ob Relationen darin einbezogen sind oder nicht." [meine Übers.]

(Armstrong, D. M. A Theory of Universals. Vol. 2 of Universals & Scientific Realism. Cambridge: Cambridge University Press, 1978. p. 176)
Eine nichtrelationale strukturelle Eigenschaft eines Systems besteht also nur aus intrinsischen Eigenschaften seiner Elemente, wohingegen eine relationale strukturelle Eigenschaft entweder nur aus Relationen zwischen den Elementen bzw. relationalen/extrinsischen Eigenschaften der Elemente besteht, oder aus Relationen/relationalen Eigenschaften plus intrinsischen Eigenschaften.



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Wolfgang Endemann
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Do 9. Jan 2025, 10:21

@ Jörn, @ Consul

Ihr habt beide nicht ganz unrecht, aber Ihr denkt beide zu einseitig. Wenn man die Emergenz leugnet, behauptet man einen Reduktionismus. Das ist richtig und verkehrt. Richtig ist: Weder entsteht durch Soziales eine neue Superidentität zusätzlich zu den individuellen Organismen, noch entsteht durch Leben eine neue Chemie oder Physik. Alles beruht auf der Wirkweise der Elementarteilchen. Alles Soziale beruht auf individuellen Organismen, und alle Lebensvorgänge lassen sich chemophysikalisch erklären. Dennoch ist der Reduktionismus Quatsch. Denn niemand käme auf die Idee, die jeweils neue emergente Organisationsebene zu ignorieren, das Zusammengesetzte ist nicht das Gleiche wie die Summe der elementaren Bestandteile, aus denen das Zusammengesetzte zusammengesetzt ist. Daher reden wir von Systemen und Organisationsebenen.

Das Schwarmverhalten der Vögel oder die Existenz der Bienenvölker kann man nicht chemophysikalisch, sondern muß man biofunktional erklären. Und die Biofunktionalität betrifft selbstverständlich nicht nur die Organismen als Individuen, sondern als Sozialverbände. Sehr früh im Tierreich (einschließlich der Pflanzen) emergiert das Soziale. Dabei kann man, muß man noch unterscheiden, was evolutiv zustandekommt und sich als Sozialform durchsetzt, und was bewußt als Soziales kreiert wird. in diesem Sinn unterscheiden sich Menschen und höherentwickelte Tiere von den primitiveren, die sich noch nicht als Subjekte selbstorganisieren. Daher spreche ich bei Tieren noch von Quasisubjekten. Die kognitive Selbstorganisation ist eine neue emergente Seinsebene, die sich nicht auf Objektives zurückführen läßt. Es ist albern, die virulente Beschäftigung der Menschen mit ihrer Freiheit, auch wenn sie zum Teil illusionär ist, wenn die Menschen falsch denken, auf Biochemie zurückführen zu wollen.




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Jörn Budesheim
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Do 9. Jan 2025, 12:03

Wichtig ist mir der Blick auf das Ganze, nicht allein auf die einzelnen Teile. Manches Ganze, das mehr ist als die Summe der Teile, konstituiert seine Elemente selbst - sie können bei Bedarf auch durch andere Teile, die die gleiche Funktion ausüben, ersetzt werden. Die Eigenschaften der Teile ergeben sich (nicht nur, aber auch) aus ihrer Funktion innerhalb des Systems. Ein Teil ist also nicht unabhängig bestimmt, sondern sein Sosein erklärt sich durch seine Eingebundenheit in das System. Diese Sichtweise stellt die Annahme infrage, dass die grundlegenden Elemente stets "vor" dem System existieren und es völlig bestimmen. Vielmehr denke, dass das emergente System eine eigene Ordnung ist, die die Eigenschaften seiner Teile mit hervorbringt und sie in ein Netzwerk von (funktionalen) Beziehungen einbettet. Ich gehe dabei von einem Ineinander von Buttom-Up und Top-Down-Kausalität aus.




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Do 9. Jan 2025, 19:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 19:32
Consul hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 19:09
Es gibt keine Seinsebenen/-schichten bzw. nur eine einzige, nämlich die grundlegende (physikalische), auf der sich alles Sein und Werden "horizontal" abspielt.
Dafür bräuchtest du einige sehr starke Argumente, weil es ja offensichtlich anders ist.
Mein (von John Heil übernommenes) Argument gegen die ontologische Möglichkeit ontisch emergenter Eigenschaften komplexer Objekte ist ein sehr starkes Argument gegen eine Hierarchie irreduzibler Seinsebenen/-schichten!

Anyway, wenn der ontologische Emergentismus wahr ist, dann ist seine Wahrheit keineswegs offensichtlich.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 19:32
Ich finde, wenn man in etwas behauptet, was gegen jede Erfahrung ist, ist man in der Beweispflicht.
Welche empirischen Tatsachen widersprechen denn dem ontologischen Antiemergentismus?



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Fr 10. Jan 2025, 07:39

Consul hat geschrieben :
Do 9. Jan 2025, 19:34
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 19:32
Ich finde, wenn man in etwas behauptet, was gegen jede Erfahrung ist, ist man in der Beweispflicht.
Welche empirischen Tatsachen widersprechen denn dem ontologischen Antiemergentismus?
Ich spreche nicht von "empirischen Tatsachen", sondern von unseren Erfahrungen. Welche Erfahrungen "widersprechen denn dem ontologischen Antiemergentismus"? Im Prinzip unsere gesamte Erfahrungs- und Lebenswelt. Wir leben gleichsam im Leben, überall wimmelt es davon. Und Leben ist geradezu ein paradigmatischer Fall von Emergenz. Man muss schon extrem von allen Erfahrungen absehen, um zu glauben, dass der "ontologische Antiemergentismus" wahr ist - den Antiemergentismus erleben wir ja nie.




Wolfgang Endemann
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Fr 10. Jan 2025, 10:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 07:39
Man muss schon extrem von allen Erfahrungen absehen, um zu glauben, dass der "ontologische Antiemergentismus" wahr ist - den Antiemergentismus erleben wir ja nie.
Zumal sich Consul selbst nicht an den Antiemergentismus hält. Denn danach gibt es keinen Grund, von (biologischen) Organismen zu sprechen, real ist nur das ungetrennte Ganze der Chemophysik. Alles, was es gibt, ist die Natur, das unmittelbare Sein der Elementarteilchen. Wir verstehen die Welt, wenn wir die Elementarteilchen verstehen, alles andere ist Firlefanz.




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Fr 10. Jan 2025, 19:17

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 10:30
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 07:39
Man muss schon extrem von allen Erfahrungen absehen, um zu glauben, dass der "ontologische Antiemergentismus" wahr ist - den Antiemergentismus erleben wir ja nie.
Zumal sich Consul selbst nicht an den Antiemergentismus hält. Denn danach gibt es keinen Grund, von (biologischen) Organismen zu sprechen, real ist nur das ungetrennte Ganze der Chemophysik. Alles, was es gibt, ist die Natur, das unmittelbare Sein der Elementarteilchen. Wir verstehen die Welt, wenn wir die Elementarteilchen verstehen, alles andere ist Firlefanz.
Antiemergentisten/Reduktionisten müssen keine mereologischen Nihilisten sein, laut deren es keine nichteinfachen, zusammengesetzten (komplexen) Objekte gibt. Ich bin kein mereologischer Nihilist! Organismen existieren als Ganzheiten genauso wie die einzelnen Elementarteilchen, aus denen sie bestehen.

Es begegnen uns in der Tat allerlei mereologisch komplexe physikalische, chemische, biologische, psychologische und soziologische Phänomene; doch im Gegensatz zu Emergentisten bestreiten Antiemergentisten, dass in jene Phänomene ontisch emergente Attribute involviert sind, und dass sie deshalb auf ontisch irreduziblen höheren Seinsebenen/-schichten oberhalb der physikalischen Grundebene/-schicht existieren.

Physikalisten, die ontologische Antiemergentisten/Reduktionisten sind, müssen keineswegs behaupten, dass alle Wissenschaften außer der Physik "Firlefanz" sind, und dass deren jeweilige Terminologien und Theorien in die Terminologie und Theorien der Physik übersetzt und dadurch ersetzt werden können; denn der Wissenschaftspluralismus ist mit ihrer Position durchaus vereinbar. Sie bestreiten nicht, dass es im Bereich der Wissenschaft einen repräsentationalen Pluralismus mit unterschiedlichen Ebenen der Begriffsbildung, Beschreibung und Erklärung gibt, sondern nur dass dieser mit einem ontologischen Pluralismus und einer Hierarchie ontisch irreduzibler Seinsebenen im Sinn des ontologischen Emergentismus einhergeht.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Wolfgang Endemann
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Sa 11. Jan 2025, 11:58

Consul hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 19:17


Es begegnen uns in der Tat allerlei mereologisch komplexe physikalische, chemische, biologische, psychologische und soziologische Phänomene; doch im Gegensatz zu Emergentisten bestreiten Antiemergentisten, dass in jene Phänomene ontisch emergente Attribute involviert sind, und dass sie deshalb auf ontisch irreduziblen höheren Seinsebenen/-schichten oberhalb der physikalischen Grundebene/-schicht existieren.

Aber genau das bedeutet doch "ontisch irreduzible Seinsebene", daß die Dinge im Zusammenhang sich nicht erklären/deuten lassen durch die Dinge außerhalb des Zusammenhangs. Die genaueste Entschlüsselung des Urknalls erklärt nichts aus der Menschenwelt.




Körper
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So 12. Jan 2025, 09:25

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 11. Jan 2025, 11:58
Aber genau das bedeutet doch "ontisch irreduzible Seinsebene", daß die Dinge im Zusammenhang sich nicht erklären/deuten lassen durch die Dinge außerhalb des Zusammenhangs.
Klar, wenn man etwas mit etwas anderem erklären möchte, das damit gar nichts zu tun hat, dann geht da rein gar nichts.
Wer z.B. ein Gewicht mit einer Uhrzeit erklären/deuten möchte, steht vor einer "gewissen Schwierigkeit".

Man sollte aber halt einfach nur darauf achten, was "innerhalb" und "ausserhalb" des Zusammenhanges ist.

Bei "Emergenz" wird grundsätzlich übersehen, dass "innerhalb" für "Beachtungszusammenhänge" steht.
Diese sogenannte "neue Seinsebene" ist immer nur für einen Beobachter "eine Ebene".
(der Vogelschwarm ist hierfür ein eindeutiges Beispiel)

Anstatt dann zu fragen, wie funktioniert dieses "für einen Beobachter eine (neue) Ebene sein" (also den Effekt "im Beobachter", in den Abläufen des Beobachters, zu suchen), springt man zum Ausrufen von Weltanteilen, die "nebeneinander" vorhanden sein sollen.

Die komplette Bankrotterklärung findet statt, wenn solche "Spezialisten" am Ende auch noch den Beobachter mit ihren "Emergenz"-Verdrehungen erklären wollen.




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