"Stellen wir uns vor, es gebe genau drei Gegenstände: x, y, z. Unter einer Tatsache verstehe man etwas, das über etwas wahr ist, und unter Wahrheit den Umstand, dass etwas in einem bestimmten Zusammenhang auf etwas zutrifft (ontische Wahrheit) und deswegen auch zutreffend ausgesagt werden kann (Aussagenwahrheit). So könnte es beispielsweise über x wahr sein, dass es ein Bär, und über y, dass es ein Hase ist, während es über z wahr sein könnte, dass es sich um einen Wald handelt. Natürlich wird dies weitere Tatsachen nach sich ziehen, wie etwa diejenigen, dass Bär und Hase im Wald leben oder dass der Bär regelmäßig versucht, den Hasen zu töten. Der Einfachheit halber wollen wir annehmen, es gebe endlich viele Wahrheiten über die x-y-z-Welt, das heißt endlich viele Tatsachen: T1, T2, …, Tn. Als Nächstes beschließen wir, eine Liste anzufertigen, die alle Tatsachen dieser Welt erfasst, in welche die Gegenstände jeweils eingebettet sind. Diese Liste wäre eine Darstellung der Totalität der Tatsachen, ein Weltbild."
(Gabriel, Markus. Sinn und Existenz: Eine realistische Ontologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2016. S. 46)
"Ein Objekt ist etwas, das in eine Tatsache eingebettet ist. Eine Tatsache ist etwas, das über ein Objekt wahr ist." (S. 68) [Google Translate mit einer Änderung meinerseits]
"Eine Tatsache wird durch Sinne bestimmt. Der Sinn, ein Staatsoberhaupt zu sein, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom Sinn, ein Mensch zu sein. Sicherlich hängen diese Tatsachen insofern zusammen, als derzeit nur Menschen in der Lage sind, Staatsoberhäupter zu sein (sofern „Staatsoberhaupt“ bestimmte Rollen auswählt, die durch rechtliche Verfahren definiert sind, und nicht irgendeinen umfassenderen Begriff einer Hierarchie, die durchaus auch anderswo im Tierreich vorkommen könnte). Eine Tatsache präsentiert ihre Objekte auf eine bestimmte Art und Weise." (S. 70) [Google Translate]
"FOS ist also eine Form der Faktenontologie, die auf einem realistischen Sinnverständnis beruht." (S. 72) [Google Translate]
"Laut FOS ist ein Objekt etwas, über das etwas wahr ist. Eine Tatsache ist etwas, was über ein Objekt wahr ist." (S. 80) [Google Translate]
(Gabriel, Markus. Sense, Nonsense, and Subjectivity. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2024.)
Frege hat den Sinn eines Zeichens als
"die Art des Gegebenseins" des Zeichengegenstandes definiert (im Englischen meistens als
"mode of presentation" übersetzt); und darauf bezieht sich Gabriel wohl, wenn er sagt: "Eine Tatsache präsentiert ihre Objekte auf eine bestimmte Art und Weise."
Gabrielsche Tatsachen scheinen somit dasselbe zu sein wie wahre fregesche Gedanken als "Sinnverhalte". Wenn dies zutrifft, dann können aber keine Gegenstände darin "eingebettet" sein, die selbst keine Wortsinne (und auch keine Wörter) sind. Der Bezugsgegenstand einer
sinnverhaltlichen (oder
begriffsverhaltlichen) Tatsache kann kein Bestandteil davon sein. Wahre Propositionen über Bären oder Hasen enthalten keine Bären oder Hasen!
P.S.:
Kurz bevor ich auf
Absenden klicken wollte, ist mir die Unterscheidung von
fregeschen Propositionen und
russellschen Propositionen wieder eingefallen.
"Singuläre Propositionen (auch „Russellsche Propositionen“ genannt) sind Propositionen, die sich auf ein bestimmtes Individuum beziehen, weil dieses Individuum ein direkter Bestandteil ist.
…
Wir gehen ohne weitere Argumentation von einer propositionalistischen Semantik aus, nach der Sätzen (im Kontext) Propositionen als Inhalte zugewiesen werden, die primäre Träger von Wahrheitswerten, Träger modaler Eigenschaften wie Kontingenz und Notwendigkeit und Objekte propositionaler Einstellungen wie Glauben, Hoffen und Sagen sind. Wir können zwei große Klassen von Theorien über Propositionen unterscheiden. Vertreter der ersten, fregeschen Sichtweise akzeptieren Freges Unterscheidung zwischen Sinn und Referenz, Vertreter der zweiten, russellschen Sichtweise hingegen nicht. Wenn der Fregeanismus wahr ist, ist alles Denken über konkrete Individuen indirekt, vermittelt durch Sinne, die von diesen Individuen unabhängig sind. (Manche behaupten, Frege habe
de-re-Sinne – Sinne, deren Existenz und Identität von ihrer Referenz abhängt – als Inhalt von Eigennamen anerkannt; in diesem Fall hätte er sich nicht einer fregeschen Theorie, wie oben beschrieben, angeschlossen.)
Am einfachsten lässt sich dies verstehen, wenn man sich Sinne als rein qualitative Erfüllungsbedingungen vorstellt. Eine solche Bedingung bestimmt ein Objekt aufgrund der Eigenschaften, die es verkörpert. Dem Russellianismus zufolge können wir andererseits direkt über ein Individuum nachdenken; wir können einen Gedanken über ein Individuum haben, indem wir dieses Individuum als unmittelbaren Bestandteil des Gedankens haben. Nach der Standardinterpretation Freges sind Individuen
keine Bestandteile von Propositionen. Propositionen bestehen aus Sinnen, nicht aus Individuen, und Sinne werden unabhängig von jedem Individuum individualisiert. Wenn der Fregeanismus wahr ist, gibt es keine singulären Propositionen. Wenn der Russellianismus wahr ist, dann spielen singuläre Propositionen eine entscheidende Rolle in der Semantik und jeder vollständigen Theorie des Denkens."
SEP:
Singuläre Propositionen [Google Translate]
Russellsche Propositionen (als etwas von fregeschen Propositionen Verschiedenes) ergeben für mich keinen rechten Sinn. Was enthalten sie denn noch neben außersprachlichen Gegenständen? Wenn die prädikative Komponente in
Eigenschaften besteht, dann unterscheiden sich russellsche "Propositionen" nicht von nichtpropositionalen Sachverhalten (à la Armstrong).
"Dem Russellianismus zufolge können wir andererseits direkt über ein Individuum nachdenken; wir können einen Gedanken über ein Individuum haben, indem wir dieses Individuum als unmittelbaren Bestandteil des Gedankens haben." – Ja, der erste Teil stimmt, aber der zweite Teil nicht; denn der Gegenstand eines geistigen (nichtfregeschen) Gedankens in meinem Kopf kann kein Bestandteil des Gedankens sein. Ich habe keinen Bären oder Hasen im Kopf, wenn ich über einen nachdenke oder mir einen vorstelle.