Ich stimme dir hier durchaus in sehr vielem zu: "Kein Märchen ist nur erfunden – jedes verdichtet Möglichkeiten, die für Menschen ohnehin immer bestehen [und von existenzieller Bedeutung sind]: Freude und Leid, Trennung und Wiederkehr, Verlust und Rettung." Im Märchen zeigen sich auch nach meiner Vorstellung oft Wahrheiten, die für uns von existenzieller Bedeutung sein können, selbst wenn die Geschichte, die erzählt wird, sich eben nur im Märchen so abgespielt hat. Allerdings spiegeln sich in Märchen natürlich oft auch die Vorurteile und verfestigten Ordnungen ihrer Zeit. Und ja: solange Menschen leben und Menschen sind, werden sie sich auch Geschichten erzählen, daran habe ich keine Zweifel.Pommesbude hat geschrieben : ↑Sa 27. Sep 2025, 21:42Metaphysik und andere MärchenJörn P Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 26. Sep 2025, 15:11Es gibt auch Fiktionen. Es ist beispielsweise eine Tatsache, dass es eine Fiktion namens „Die kleine Meerjungfrau” gibt. Aber Fiktionen könnten gar nicht existieren, wenn niemand an sie denkt.
Über die Metaphysik:
Soziale Ordnung prägt Ontologie.
Ontologie stabilisiert soziale Ordnung.
Welterfahrung durchzieht immer beides.
Sprache und Symbolik füllen die Form.
Metaphysik fällt nicht vom Himmel,
sie wächst wie ein Myzel –
unsichtbar verflochten mit Gesellschaft, Sprache und Welt.
Jede Kultur ist ein anderes Geflecht,
jede Kultur zeigt andere Fruchtkörper.
So ist die Doppelfunktion der Metaphysik:
Sie erschließt die Welt – und verschließt sie zugleich.
Dem Inhalt nach verschieden,
identisch in der Form.
Auch die Verneinung der Metaphysik –
bleibt Metaphysik.
Über die Märchen:
Es gibt ein Reservoir menschlicher Fiktionen –
nicht als abstraktes Reich,
sondern als Summe der endlichen Möglichkeiten,
unseres leiblichen, naturgebundenen Bewusstseins
in der endlichen Welt.
Dort existiert „Die kleine Meerjungfrau“ –
als künstlerische Verdichtung einer Möglichkeit im Gesamthorizont menschlicher Welterfahrung.
Kein Märchen ist nur erfunden –
jedes verdichtet Möglichkeiten, die für Menschen ohnehin immer bestehen:
Freude und Leid, Trennung und Wiederkehr, Verlust und Rettung.
Auch Religionen sind nicht bloße Märchen,
es sind die großen, notwendigen Erzählungen:
Verdichtungen von Leben und Tod, Glaube und Hoffnung, dem Einzelnen und der Gemeinschaft.
Fantasie ist kein Reich neben der Welt,
sondern deren Spiegel und Fortsetzung – in Bildern, Geschichten und Möglichkeiten.
In jedem Märchen erscheint das Leben selbst –
und solange Menschen leben und erzählen,
werden Märchen nötig und möglich sein.
Metaphysik und Märchen:
zwei Formen, ein Ursprung –
beide Spiegel fundamentaler Strukturen menschlicher Existenz.
Ich stimme dir auch zu, dass Fantasie kein Reich neben der Welt ist. Wenn man von einem Reich neben der Welt spricht, ist das vermutlich nur metaphorisch gemeint, oder? – denn logisch betrachtet kann nichts außerhalb oder neben der Welt existieren, weil das, was daneben oder außerhalb wäre natürlich schon wieder Teil der Welt wäre. Fantasie ist ganz sicher nicht neben der Welt, sie ist eine unserer Grundkräfte und für uns unverzichtbar: nicht nur, um Märchen zu erzählen oder andere Geschichten, sondern auch, um die Wirklichkeit zu erkennen und zu verstehen. Ich habe schon vor einiger Zeit hier dazu einen Faden angelegt.
Metaphysik fällt nicht vom Himmel,
sie wächst wie ein Myzel –
unsichtbar verflochten mit Gesellschaft, Sprache und Welt.
Jede Kultur ist ein anderes Geflecht,
jede Kultur zeigt andere Fruchtkörper.
Auch hier stimme ich im Großen und Ganzen zu. Allerdings wäre es nicht schlecht, den Ausdruck Metaphysik etwas zu klären. In der Philosophie wird er, wie so oft, uneinheitlich verwendet. Nach meinen Lektüre-Erfahrungen ist aber folgende Verwendung weit verbreitet: In der Metaphysik geht es immer ums Ganze. Ihre typischen Aussagen haben die Form: "Alles ist x." Die Philosophie ist voll davon: Alles ist Wasser; alles besteht aus Atomen und Leere; alles ist Geist; und heutzutage sehr beliebt: alles ist Materie, Energie, Raum und Zeit. In bestimmten Kontexten ist die Physik die angesagte Metaphysik. Solche Vorstellungen fallen keineswegs vom Himmel, wie du zurecht sagst, sondern sind verflochten mit Gesellschaft, Sprache und Weltanschauungen.
Deinem Satz „Auch die Verneinung der Metaphysik bleibt Metaphysik“ würde ich allerdings widersprechen. Für mich ist nicht klar, warum das so sein sollte. Wer glaubt, dass es keine wahren materialen Sätze der Form "Alles ist x" geben kann, betreibt eben keine Metaphysik. Wer – wie ich – der Ansicht ist, dass nicht alles physikalisch ist (wie zum Beispiel Märchen), betreibt meines Erachtens nur Ontologie. Aber nicht jede Frage danach, was es gibt, oder was „existieren“ überhaupt bedeutet, ist schon Metaphysik im oben skizzierten Sinn. Ontologie kann also, so verstehe ich sie, auch ganz ohne Metaphysik auskommen.
Dieser Faden heißt z.b Ontologie der Tatsachen und wer glaubt, dass Tatsachen abstrakte Entitäten sind, betreiben damit meines Erachtens ist nicht automatisch Metaphysik. Wie gesagt: dazu müsste man die Begriffe vielleicht noch etwas genauer klären. In manchen Kontexten wird die Ontologie auch als Teilbereich der Metaphysik betrachtet.
Aus einer Vorlesung ist mir folgendes schöne Wort in Erinnerung geblieben: "Metahysik ist immer das was die anderen machen."