Backe, backe Kuchen: Wir basteln uns eine Theorie von allem

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Tosa Inu
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Mi 11. Okt 2017, 19:00

Alethos hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:28
Ich plädiere noch immer für einen nicht (rein) diskursiven Verlauf, sondern für einen experimentellen.
Ich auch.
Ich wollte möglichst wenig Vorgaben geben, eher lockeren Input und dann mal schauen, was passiert.

Es darf sich schon gerne um diese dualistische Lücke zwischen Gehirn und Geist, Bewusstsein und Welt drehen, aus schon genannten Gründen, aber wenn einer eine flotte Idee hat, wie die Materie in die Welt kam oder Bewusstsein rauf und runter erklären kann, bin ich nicht böse.

Gerne kann man aber auch von der anderen Seite her beginnen und die genannten Begriffe "Wirkung" und "Überzeugung" (oder Wissen, Glauben, Verstehen!) klären, wenden und durchleuchten. Ich glaube, dass die Begriffe einander überlappen und man beim Druchdringen derselben, sich dieser Lücke auch nähern kann.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Mi 11. Okt 2017, 19:22

Tosa Inu hat geschrieben : Es darf sich schon gerne um diese dualistische Lücke zwischen Gehirn und Geist, Bewusstsein und Welt drehen, aus schon genannten Gründen, aber wenn einer eine flotte Idee hat, wie die Materie in die Welt kam oder Bewusstsein rauf und runter erklären kann, bin ich nicht böse.

Gerne kann man aber auch von der anderen Seite her beginnen und die genannten Begriffe "Wirkung" und "Überzeugung" (oder Wissen, Glauben, Verstehen!) klären, wenden und durchleuchten. Ich glaube, dass die Begriffe einander überlappen und man beim Durchdringen derselben, sich dieser Lücke auch nähern kann.
Ich weiß nicht, ob ich dazu kommen werde, aber vielleicht schüttelt es jemand von Euch aus dem Ärmel - hat nicht Pierce die gesuchte Theorie bereits geliefert?! :lol: Als Ausgangspunkt nehme man (apropos Backen: "man nehme") die "Pragmatistische Maxime" in ihren siebenfachen Varianten, insbesondere wohl die zweite.




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Tarvoc
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Mi 11. Okt 2017, 20:00

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:10
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 16:56
Das subjektive Gefühl ist aber nicht die Erkenntnis und man kann sie auch nicht an ihm festmachen.
Weil?
Weil etwas nicht dadurch richtig wird, dass du das so fühlst. Ich hab' jetzt auch schon mehrmals erklärt, warum das nicht läuft. Hat eigentlich die ganze bisherige Diskussion hier nicht stattgefunden?
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:10
Nehmen wir an, Du hälst Dich für eine aufrichtigen (integeren, originellen, traurigen, nachdenklichen ... Inhalt egal) Menschen. Wie bist Du zu diesem Urteil gekommen?
Wie bin ich zu dem Urteil gekommen, dass ich nachdenklich bin? Wie habe ich die Verwendung des Wortes "nachdenklich" erlernt? Bin ich alleine zu dem Urteil gekommen? Wie käme ich dazu, wenn es nicht Anzeichen dafür gäbe, durch die auch andere dazu kommen, und ich nicht erlernt hätte, diese Anzeichen auch bei anderen zu erkennen? Alles Fragen, die einen Komplex bilden - aber als klassischer "Bewusstseinsphilosoph" will man natürlich nur eine davon abstrakt behandeln, nämlich das bloße Faktum des Urteils. Im Übrigen kann man eben auch mit solchen Einschätzungen über sich selbst durchaus auch grundfalsch liegen. (Man muss sich z.B. nur mal ansehen, was pathologische Narzissten so alles über sich selbst glauben, und das dann mit ihrem tatsächlichen geäußerten Charakter vergleichen.)
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:10
Hältst Du es für eine Erkenntnis?
Die Aussage, dass ich nachdenklich bin, als "Erkenntnis" zu bezeichnen... also ich würde dieses Wort aus verschiedenen Gründen recht generell für sowas nicht verwenden. "Mit den mir bekannten Fakten meines Lebens weitestgehend übereinstimmende grobe Einschätzung" trifft es eher. (Bin ich immer nachdenklich? Wohl nicht. Die sogenannte "Charaktereigenschaft" als Abstraktion auf der Basis statistischer Häufung.)
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:10
Wann würdest Du Dich umstimmen lassen, etwa wenn jemand (oder viele) sagt (sagen), das meintest Du nur?
Soll ich das jetzt im Voraus festlegen oder was? Dass es sich nicht um eine wissenschaftliche Hypothese handelt, sollte klar sein. Es kommt dann darauf an, mit welchen Gründen sie sowas sagen.

Die Sache ist doch bei sowas eher die, dass mich das zunächst mal nicht "umstimmen", sondern sehr viel grundlegender in Verwirrung stürzen würde.



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Tarvoc
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Mi 11. Okt 2017, 20:19

Alethos hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:28
Ich plädiere noch immer für einen nicht (rein) diskursiven Verlauf, sondern für einen experimentellen.
Was genau schwebt dir vor?



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Alethos
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Mi 11. Okt 2017, 21:18

Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:19
Alethos hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:28
Ich plädiere noch immer für einen nicht (rein) diskursiven Verlauf, sondern für einen experimentellen.
Was genau schwebt dir vor?
Wir können auch so weitermachen, vielleicht ist die klassisch dialektische Methode die einzig richtige. Ich weiss es nicht. Natürlich habe ich kein Rezept, aber es gibt verschiedene Kreativitätstechniken, z.B. Brainstorming, Synektik oder semantische Intuition, die wir ausprobieren könnten.

Ich meine natürlich nicht, dass wir einfach so zu einer fixfertigen Theorie durchdringen können, es lässt sich ja wohl kaum ein Jahrhundertwerk :) herbeiwürfeln, aber vielleicht eröffnen sich ganz neue Wege, an Themen heranzugehen. Es gibt hier sicher keine Garantie auf Gelingen, ich habe das ja auch noch nie gemacht.



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Do 12. Okt 2017, 11:12

Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
Weil etwas nicht dadurch richtig wird, dass du das so fühlst.
Wieso meinst Du, dass ich das aussagen will?
Erläuterungen unten.
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
Wie bin ich zu dem Urteil gekommen, dass ich nachdenklich bin? Wie habe ich die Verwendung des Wortes "nachdenklich" erlernt? Bin ich alleine zu dem Urteil gekommen? Wie käme ich dazu, wenn es nicht Anzeichen dafür gäbe, durch die auch andere dazu kommen, und ich nicht erlernt hätte, diese Anzeichen auch bei anderen zu erkennen?
Ich kenne die Argumente von Wittgenstein, Austin und Habermas in dem Zusammenhang. Ich habe ja auch schon erwähnt, dass ich sie gut und richtig finde, Du hast aber offenbar den Eindruck, ich wolle hinter sie zurück?

Was ich meine ist aber: Wenn man die öffentlichen Sprachspiele und Urteile der anderen verinnerlicht hat, dann arbeiten die ja in einem, erfahren minimale Bedeutungsverschiebungen, werden reflexiv gedreht und gewendet und kommen vielleicht in neuen Kontexten hervor. Kurz: Man ist keine reine Reproduktionsmaschine, die etwas 'richtig' oder 'falsch' gebraucht, sondern wir interpretieren statt nur zu reproduzieren, uns kann man bei Unklarheiten Fragen stellen.
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
Alles Fragen, die einen Komplex bilden - aber als klassischer "Bewusstseinsphilosoph" will man natürlich nur eine davon abstrakt behandeln, nämlich das bloße Faktum des Urteils.
Ich verstehe nicht, was Du damit sagen willst.
Dass es falsch wäre nur einen Begriff zu klären und dass es Kontexte gibt? Dass ich irgend etwas falsch gemacht oder unterlassen hätte? Was wäre das dann?
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
Im Übrigen kann man eben auch mit solchen Einschätzungen über sich selbst durchaus auch grundfalsch liegen.
Nur ist die Tatsache, dass einige Menschen stehlen oder man sich auch irren kann, noch nie ein Argument gegen Moral, Logik oder Erkenntnis gewesen.
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
(Man muss sich z.B. nur mal ansehen, was pathologische Narzissten so alles über sich selbst glauben, und das dann mit ihrem tatsächlichen geäußerten Charakter vergleichen.)
Das ist der Aspekt von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung. Aber warum sollten wir da bei den pathologischen Veränderungen beginnen, bei jenen, deren Selbsturteil wir schon per def als gestört bezeichnen?
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
Die Aussage, dass ich nachdenklich bin, als "Erkenntnis" zu bezeichnen... also ich würde dieses Wort aus verschiedenen Gründen recht generell für sowas nicht verwenden. "Mit den mir bekannten Fakten meines Lebens weitestgehend übereinstimmende grobe Einschätzung" trifft es eher.
Okay.
Was würdest Du denn dann überhaupt als Erkenntnis ansehen?
Das klingt insgesamt eher stark erkenntnispessimistisch.

Um die Spannung der Selbstwahrnehmung/Fremdwahrnehmung ging es ja auch, bei der hier diskutierten Frage:
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:10
Wann würdest Du Dich umstimmen lassen, etwa wenn jemand (oder viele) sagt (sagen), das meintest Du nur?
Soll ich das jetzt im Voraus festlegen oder was? Dass es sich nicht um eine wissenschaftliche Hypothese handelt, sollte klar sein. Es kommt dann darauf an, mit welchen Gründen sie sowas sagen.

Die Sache ist doch bei sowas eher die, dass mich das zunächst mal nicht "umstimmen", sondern sehr viel grundlegender in Verwirrung stürzen würde.
Ja.
Und dann würde man ggf. weiter schauen; Wer sagt das? Wie viele äußern das? Wie ernst ist mir deren Meinung? Wie gut kennen die mich? Wie stehen die zu mir? Usw. Dann gewichtet man, ich würde sagen anhand eigener Hierarchien. Der psychologische Profi oder der enge Freund haben vermutlich ein anderes Gewicht, als der Briefträger oder jemand, der bekanntermaßen oberflächlich ist.

Du sprichst von Irritationen, aber was irritiert denn da, wenn nicht die Disprepanz zwischen Selbsterkenntnis/-zuschreibung (anhand zuhandener Sprachspiele) und Erkenntis der anderen/Fremdzuschreibung?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Do 12. Okt 2017, 11:32

Friederike hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 19:22
Ich weiß nicht, ob ich dazu kommen werde, aber vielleicht schüttelt es jemand von Euch aus dem Ärmel - hat nicht Pierce die gesuchte Theorie bereits geliefert?! :lol: Als Ausgangspunkt nehme man (apropos Backen: "man nehme") die "Pragmatistische Maxime" in ihren siebenfachen Varianten, insbesondere wohl die zweite.
Das ist in jedem Fall ein Volltreffer.

Von Peirce wusste ich bisher nur, dass er als amerikanisches Philosophie-Genie gilt, er Pragmatiker war, sich Apel stark mit ihm beschäftigt hat und er vor Popper von der Falsifizierbarkeit sprach, gelesen habe ich so gut wie nichts von ihm. Dass Peirce sich so ausfürlich mit Überzeugungen beschäftigte (die auch mich umtreiben) ist mir neu. :idea: Ich werde schauen, wo sich Parallelen und Abweichungen ergeben.

Der Wiki-Artikel über die Pragmatische Maxime ist gut, darin enthalten auch Ausführungen über Überzeugungen.



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Tosa Inu
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Do 12. Okt 2017, 12:36

Zum Artikel über die Pragmatische Maxime:
Peirces Fragestellung dreht sich vor allem um eine wissenschaftstheoretische Begründung von Erkenntnis. Wissenschaftliche Tätigkeit setzt das Experiment sowie Schlussfolgerungen mit den Methoden der Logik voraus. Richtiges Schlussfolgern bedeutet, dass wahre Konklusionen aus wahren Prämissen gezogen werden.
Ob die Prämissen wahr sind, spielt so weit ich weiß, für das logisch korrekte Schließen gerade keine Rolle, zumal man ja oft auch nicht weiß, ob sie es sind.
„Das, was uns festlegt, aus gegebenen Prämissen einen Schluss eher als einen anderen zu ziehen, ist eine Gewohnheit (habit) des Geistes, ob sie nun konstitutionell oder erworben ist.“ (CP 5.367) Der Schluss wird dabei als gültig betrachtet, unabhängig von seiner Wahrheit. Eine solche Denkgewohnheit als Grundlage eines Schlusses nennt man „Leitendes Prinzip“. Im alltäglichen, praktischen Leben spielt ein solches leitendes Prinzip keine Rolle, weil es nicht bewusst ist und man einer Gewohnheit einfach folgt. Aber in ungewohnten Situationen ist es manchmal hilfreich, das leitende Prinzip eines Schlusses zu kennen.
Das ist auch meine Auffassung.
Die, oft unbewusste, Gewichtung der Prämissen, also die Denkgewohnheit, ist bereits die halbe Miete. Der Rest, ob man aus den Prämissen korrekt schließt, ist dann interessant, wenn man Fehler macht, aber richtiges Schließen garantiert darüber hinaus noch gar nichts. Die Stichhaltigkeit der Prämissen muss separat geprüft werden.
Bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass einem Schluss oft viele als selbstverständlich geltende Tatsachen als Voraussetzung zugrunde liegen. Dabei kommt es manchmal zu Verwirrungen, wenn Begriffe, die Gegenstand von logischer Reflexion sind, sich mit gewöhnlichen Gedanken mischen.
Korrekt.
Hierzu zählt zum Beispiel der Begriff der Qualität, den man als solchen niemals beobachten kann. „Wir wissen allgemein, wann wir eine Frage stellen und wann wir ein Urteil aussprechen, da es zwischen dem Gefühl des Zweifels und dem der Überzeugung einen Unterschied gibt.“ (CP 5.370) Überzeugungen sind leitende Prinzipien für Handlungen, soweit sie zur Gewohnheit werden.
Ja.
Brandom greift das später auf und spricht von zwei Wegen des Wahrmachens, einem theoretischen und einem praktischen und davon, dass man aus Handlungen auf Überzeugungen schließen kann.
Zweifel ist ein unangenehmer Zustand, aus dem die Menschen immer in den Zustand der Überzeugung wechseln möchten. „Mit dem Zweifel beginnt der Kampf und mit dem Aufhören des Zweifels endet er. Folglich ist das alleinige Ziel der Nachforschung die Festlegung einer Meinung. Wir mögen uns vorstellen, dies sei nicht genug für uns, und wir suchten nicht nur eine Meinung, sondern eine wahre Meinung. Aber man prüfe diese Vorstellung und sie erweist sich als unbegründet; denn sobald eine sichere Überzeugung erreicht ist, sind wir gänzlich zufrieden, ob die Überzeugung nun wahr ist oder nicht.“ (CP 5.375)
Wunderschön, das ist genau das, was ich auch zu beobachten gemeint habe.
Es gibt ja in der Psychologie den Begriff der kognitiven Dissonanz. Damit meint man in der Regel, dass zwei einander widersprechende Einstellungen oder Konzepte ein Gefühl des Unwohlseins erzeugen und man bestrebt ist, diese Dissonanz zu überwinden.
Gewiss gibt es das. Aberwie häufig erlebt man Menschen, die sich inmitten - für einen Beobachter - himmelschreiender Widersprüche behaglich einrichten und scheinrbar überhaupt kein Unwohlsein, keine Spannung*, keine Dissonanz empfinden?
Was wir offenbar brauchen, wie die Luft zum Atmen, ist eine Ideologie, die uns in jenen Schlummer einer sicher geglaubten Überzeugung wiegt.

* Zur Spannung, kurz: Es ist ein tradierter Mythos, der Mensch strebe nach einer maximalen Reduktion von Spannungen. Es stimmt einfach nicht.

Zum Abschnitt: Methoden zum Erreichen einer festen Überzeugung
Überzeugungen gewinnt man nicht, indem man in Zweifel stehende Argumente einfach immer wieder wiederholt, kritische Argumente einfach ignoriert oder sich an bestehenden Argumenten festklammert. Den Kopf wie ein Strauß in den Sand zu stecken, ist irrational. Leute, die dieser Methode der Beharrlichkeit beispielsweise aus religiösen Motiven folgen, mögen zufrieden sein. Man soll sie gewähren lassen. Im Laufe der Zeit wird sie der Trieb der Gemeinschaft überrollen. Denn nachhaltig werden Überzeugungen nicht im Individuum, sondern in der Gemeinschaft der Menschen festgelegt.
Nur ist das zum großen Teil nicht unser Problem. Die beharrlichen Motive, Zweifel zu verleugnen, zu bagatellisieren sind heute kein Privileg der religiösen Denkmuster mehr, sondern tauchen inmitten der Wissenschaft auf.
Ob man das als Ausnahmen von der Regel oder schwarze Schafe in der weißen Herde betrachtet oder als größeres bis ernstes Problem ist vermutlich so einer "Gewohnheit des Geises" geschuldet, mit der sich beide Seiten beruhigen. (M.E. ist das auch kaum auf eine 'richtige Sicht' runterzubrechen, da die erstens, niemand kennt und zweitens, eine riesige ideologische Abwehr in Gang setzen.)
Wenn nun Institutionen oder Systeme, die ausreichend Macht haben, eine bestimmte Meinung mit Gewalt durchsetzen und die Menschen in Unwissenheit halten, so ist das die Methode der Autorität. Für solche theologischen oder politischen Lehren gibt es genügend Beispiele. Das wohl vollkommenste ist das der katholischen Kirche. Dazu zählen auch Aristokratie und Zunftwesen. Solche Systeme werden oftmals von einzelnen Führern begründet, leben von Kameradschaft und sind zu den schlimmsten Gräueltaten fähig. Aber den Zweifel können solche Systeme nicht dauerhaft unterdrücken. Und der Zweifel ist der Motor des Zerfalls solcher Systeme.

Lässt man die allgemeine Volksmeinung vorherrschen, so werden Überzeugungen nach Fragen des Geschmacks und der gefälligen Argumentation gebildet. Die Geschichte der Philosophie, in der das Pendel zwischen materialistischen und spiritualistischen Philosophien hin und her schwankt, ist voll von solchen Annahmen ohne Bezug zu Tatsachen. „Plato fand es beispielsweise der Vernunft entsprechend, dass die Abstände der himmlischen Sphären zueinander proportional sind zu den verschiedenen Längen von Saiten, die harmonische Akkorde erzeugen.“ (CP 5.382) Auch bei Descartes, Kant oder Hegel fand Peirce entsprechende Aussagen. Durch Induktion entstehen Meinungen mit zufälligen und willkürlichen Elementen. Peirce nannte ein solches Vorgehen zur Erlangung von Überzeugungen, das nicht auf Tatsachen beruht, A-priori-Methode. Diese Methode ist denen der Beharrlichkeit und der Autorität vom Standpunkt der Vernunft her eindeutig vorzuziehen. Sie ist aber unbefriedigend, weil sie oftmals den Zweifel nicht wirklich ausräumt.

Man wird daher nach Peirce eine Methode suchen, die den Zweifel wirksamer zur Ruhe bringt. Diese Methode sollte nicht vom Individuellen, nicht vom rein Menschlichen abhängen, sondern den Maßstab außerhalb vom Subjekt suchen, denn Wahrheit ist etwas Öffentliches. Erst wenn die Konklusionen eines jeden Menschen letztendlich die gleichen sind, hat man einen objektiven Maßstab und dies ist die Realität. Die Annahme der Realität ist zwar eine Hypothese, sie ist aber die einzige, mit der die wissenschaftliche Methode in Harmonie ist. Zweifel bedeutet, dass sich zwei Aussagen widersprechen und das setzt bereits Realität voraus. Die wissenschaftliche Methode ist die einzige mit der man Wahrheit erkennen kann. Dies gilt insbesondere im Vergleich zu den als Beispiel aufgeführten Alternativen. An Tatsachen vorbeizugehen, wie auch immer eine solche Verhaltensgewohnheit begründet ist, betrachtete Peirce als unredlich und unmoralisch. Die Entscheidung, den Maßstab der Wahrheit anzuerkennen, ist wie die Entscheidung für eine Braut. „Man sollte den Genius der logischen Methode lieben und verehren.“ (CP 5.387).
Der Gedanke ist für mich fassbar, aber hier weiche ich ab.
Diese vorausgesetzte Koalition von Tatsachen, Wahrheit und Wissenschaft bezweifle ich in ihrer Selbstverständlickeit. Was uns als Tatsache erscheint, ist doch oft genug selektiv, ideologisch überfrachtet und man macht sich die Welt, gerade indem man auf vermeintlichen Tatsachen verweist, die man stets passend hingebogen kriegt, wie sie einem gefällt.



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Friederike
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Do 12. Okt 2017, 14:00

Tosa Inu hat geschrieben : Es darf sich schon gerne um diese dualistische Lücke zwischen Gehirn und Geist, Bewusstsein und Welt drehen, aus schon genannten Gründen, aber wenn einer eine flotte Idee hat, wie die Materie in die Welt kam oder Bewusstsein rauf und runter erklären kann, bin ich nicht böse.
Du hast fürs erste den Strang der "Überzeugungen" aufgegriffen @Tosa. Mir schwirrt aber auch zu dem anderen, von Dir oben genannten Punkt, dem Denken im Grundmuster eines Dualismus von Materie und Geist noch im Kopf herum, daß man da hinein mit der Pierce'schen höchst komplexen Zeichentheorie (auf der Grundlage der zuvor von ihm erstellten Kategorienlehre) möglicherweise eine Bresche schlagen kann ... hm, das ist blöd formuliert, weil die Theorie die Bresche ja schließen soll. Du ermutigst mich, diese Idee wenigstens zu erwähnen. Ich finde Pierce nur derart schwierig zu verstehen, daß ich mich ohne neuerliches Einlesen außerstande sehe, irgendeinen konkreteren Hinweis mit Nagel und Kopf zu geben.




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Do 12. Okt 2017, 15:06

Friederike hat geschrieben :
Do 12. Okt 2017, 14:00
Mir schwirrt aber auch zu dem anderen, von Dir oben genannten Punkt, dem Denken im Grundmuster eines Dualismus von Materie und Geist noch im Kopf herum, daß man da hinein mit der Pierce'schen höchst komplexen Zeichentheorie (auf der Grundlage der zuvor von ihm erstellten Kategorienlehre) möglicherweise eine Bresche schlagen kann ... hm, das ist blöd formuliert, weil die Theorie die Bresche ja schließen soll. Du ermutigst mich, diese Idee wenigstens zu erwähnen. Ich finde Pierce nur derart schwierig zu verstehen, daß ich mich ohne neuerliches Einlesen außerstande sehe, irgendeinen konkreteren Hinweis mit Nagel und Kopf zu geben.
Immer gern, ich sehe gerade diese Frage ein wenig als das Gravitationszentrum an, um die sich der Rest gruppiert.
(Ich habe zu Hause ein schönes Buch das Zeichen über Zeichen heißt, sowie eines über Sprachphilosophie, da sollte sich Peirce finden lassen.)

PS: Lese gerade bei wiki, dass Peirce sich ebenfalls mit den Begriff der "Wirkung" beschäftigt, damit genau mit den beiden zentralen Begriffen, die mich seit längerer Zeit umtreiben. 8-)



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Alethos
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Do 12. Okt 2017, 19:47

werde mich aus dem Thread zurückziehen, also auch nicht mehr darin lesen.. mir reicht die Zeit schlicht nicht für alles und ich muss Prioritäten setzen

Wünsche euch viel Erfolg, möge euch der Durchbruch gelingen.:)



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Tarvoc
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Fr 13. Okt 2017, 05:32

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 12. Okt 2017, 11:12
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
Weil etwas nicht dadurch richtig wird, dass du das so fühlst.
Wieso meinst Du, dass ich das aussagen will?
Wie? Ich hatte gesagt, die Erkenntnis lässt sich nicht am Gefühl festmachen. Du hattest gefragt, wieso. Meine Antwort darauf: Weil etwas nicht dadurch richtig wird, dass du das so fühlst.

Kein Wort über irgendwas, das du aussagen willst, sondern eine Antwort auf eine Frage, die du mir gestellt hattest.
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 12. Okt 2017, 11:12
Was ich meine ist aber: Wenn man die öffentlichen Sprachspiele und Urteile der anderen verinnerlicht hat, dann arbeiten die ja in einem, erfahren minimale Bedeutungsverschiebungen, werden reflexiv gedreht und gewendet und kommen vielleicht in neuen Kontexten hervor. Kurz: Man ist keine reine Reproduktionsmaschine, die etwas 'richtig' oder 'falsch' gebraucht, sondern wir interpretieren statt nur zu reproduzieren, uns kann man bei Unklarheiten Fragen stellen.
Ich bin damit einverstanden, wüsste aber nicht, wo ich was Gegenteiliges behauptet hätte. Ebensowenig z.B. Wittgenstein.
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 12. Okt 2017, 11:12
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
Im Übrigen kann man eben auch mit solchen Einschätzungen über sich selbst durchaus auch grundfalsch liegen.
Nur ist die Tatsache, dass einige Menschen stehlen oder man sich auch irren kann, noch nie ein Argument gegen Moral, Logik oder Erkenntnis gewesen.
Häääää? Das hier ist der Diskussionszusammenhang:
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:10
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 16:56
Darum geht's ja auch gar nicht. Die Stellung als autonomer Akteur will dir hier niemand absprechen. Auch nicht die Möglichkeit, regelüberschreitende neue Erkenntnis zu schaffen. Es geht nur darum, was es überhaupt heißen kann, zu erkennen. Selbst eine neue Erkenntnis, die alte Regeln recht grundlegend überschreitet, muss sich an irgendwas festmachen lassen, das sie über bloßes Meinen hinaus erhebt.
Nehmen wir an, Du hälst Dich für eine aufrichtigen (integeren, originellen, traurigen, nachdenklichen ... Inhalt egal) Menschen.
Wie bist Du zu diesem Urteil gekommen? Hältst Du es für eine Erkenntnis? Wann würdest Du Dich umstimmen lassen, etwa wenn jemand (oder viele) sagt (sagen), das meintest Du nur?
Nochmal: Es ging hier darum, dass eine Erkenntnis sich an etwas festmachen muss, das über bloßes Meinen hinausgeht. Du hattest daraufhin als Gegenargument die Selbsteinschätzung bezüglich eigener Charaktereigenschaften gebracht. Wenn sich die Erkenntnis meiner Charaktereigenschaften an meiner Selbsteinschätzung festmachte, dann wäre die Selbsteinschätzung selbst das Kriterium der Erkenntnis.

Niemand bezweifelt, dass es möglich ist, eine weitestgehend richtige Einschätzung des eigenen Charakters zu haben. Die Richtigkeit meiner Meinung muss sich trotzdem an etwas festmachen, das etwas anderes ist als diese Meinung selbst - denn andernfalls könnte ich darin eben ganz grundsätzlich überhaupt nicht falsch liegen. Mit anderen Worten: Dass jemand eine weitestgehend richtige Einschätzung seines eigenen Charakters hat, beweist eben nicht, dass sich die Richtigkeit dieser Einschätzung an bloßem Meinen festmachen ließe. Andererseits war das gerade ein Einwurf deinerseits auf meine Bemerkung, dass sich Erkenntnis an etwas festmachen muss, das sie über bloßes Meinen heraus erlebt. Entweder deine Antwort beweist nicht das, was du mit ihr beweisen wolltest, oder sie steht einfach in gar keiner Beziehung zu dem, worauf sie antwortet. Im letzten Falle würde sich die Frage stellen, warum du auf meine Bemerkung überhaupt mit diesem Beispiel geantwortet hast.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:10
Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 20:00
Die Aussage, dass ich nachdenklich bin, als "Erkenntnis" zu bezeichnen... also ich würde dieses Wort aus verschiedenen Gründen recht generell für sowas nicht verwenden. "Mit den mir bekannten Fakten meines Lebens weitestgehend übereinstimmende grobe Einschätzung" trifft es eher.
Was würdest Du denn dann überhaupt als Erkenntnis ansehen? Das klingt insgesamt eher stark erkenntnispessimistisch.
Äh, nein. Nur weil ich ein bestimmtes Beispiel für nicht sehr gelungen halte, heißt das noch nicht, dass ich Erkenntnis ablehne. Eine bloße Selbstzuschreibung ist natürlich nicht als solche Erkenntnis. Erkenntnis wäre doch eher das ganze System von Gründen und Evidenzen, die diese Selbstzuschreibung als gerechtfertigt erscheinen ließen. Denn genau diese ist ja Gegenstand der Überprüfung.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 17:10
Du sprichst von Irritationen, aber was irritiert denn da, wenn nicht die Disprepanz zwischen Selbsterkenntnis/-zuschreibung (anhand zuhandener Sprachspiele) und Erkenntis der anderen/Fremdzuschreibung?
Wieso sollte ich behaupten, dass da noch irgendwas anderes irritiert? Du bist doch derjenige, der die Selbstzuschreibung von Charaktereigenschaften als Beispiel für einen Fall angeführt hat, in dem sich Erkenntnis allein an bloßem Meinen festmachen soll, und somit die Fremdzuschreibung mitsamt der möglichen Spannung schon im Voraus eliminieren wollte.

Wenn ich feststelle, dass es eine Spannung zwischen meinen bisherigen Selbstzuschreibungen und diversen Fremdzuschreibungen besteht, dann kann man das (also das Feststellen dieser Spannung) allerdings als Erkenntnis bezeichnen. Allerdings macht sich das eben gerade nicht an bloßem Meinen fest, sondern an der Feststellbarkeit dieser Spannungen.



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Fr 13. Okt 2017, 12:42

Tarvoc hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 05:32
Ich bin damit einverstanden, ...
Okay.
Ich will das ja nur klären, um nicht bei Null anfangen zu müssen, das wäre Zeitverschwendung.
Tarvoc hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 05:32
Wenn sich die Erkenntnis meiner Charaktereigenschaften an meiner Selbsteinschätzung festmachte, dann wäre die Selbsteinschätzung selbst das Kriterium der Erkenntnis.

Niemand bezweifelt, dass es möglich ist, eine weitestgehend richtige Einschätzung des eigenen Charakters zu haben. Die Richtigkeit meiner Meinung muss sich trotzdem an etwas festmachen, das etwas anderes ist als diese Meinung selbst - denn andernfalls könnte ich darin eben ganz grundsätzlich überhaupt nicht falsch liegen. Mit anderen Worten: Dass jemand eine weitestgehend richtige Einschätzung seines eigenen Charakters hat, beweist eben nicht, dass sich die Richtigkeit dieser Einschätzung an bloßem Meinen festmachen ließe.
Das sind zwei Aspekte.
Einmal die Kompetenz einer Selbsteinschätzung. Wenn ich das richtig sehe, hast Du hier keine prinzipiellen Einwände.
Der andere Aspekt ist die aussagentechnische Seite, das Kriterium. Die Selbsteinschätzung nimmt man zwar selbst vor, aber die Bausteine, die einem das ermöglichen, sind erlernt und von anderen übernommen.

Mein Punkt ist nun der: Wenn ich überhaupt in der Lage bin eine Meinung über mich zu entwickeln, dann ist mein Kriterium natürlich die Selbsteinschätzung: die vermutlich stets etwas geschönte Variante dessen ist, wie andere mich sehen, indem sie es mir direkt sagen (und auch das kann ja kontrovers sein) + die Einschätzung/Deutung dessen, wie ich behandelt werde. Das wird hierarchisiert und daraus eine halbwegs konsistente Geschichte gemacht, indem ich ordne und hinzufüge, wie ich mich selbst sehe. Sprich: Ist es nicht im Endeffekt dasselbe, eine Meinung von mir selbst zu haben oder auf die Selbsteinschätzung als Kriterium zurückzugreifen? Bzw.: Ist das Kriterium nicht im Prozess der Meinungsbildung notwendig enthalten?

Falls Du dem zustimmen kannst: Darüber hinausgehend glaube ich, dass das auch für andere Urteile gilt, die nicht nur mich betreffen, sondern andere Menschen oder die Dinge der Welt.
Bei einigen Aspekten physikalischer Dinge kann man sich noch auf anerkannte Messverfahren berufen, anhand derer man die Meinung überprüfen kann (dass z.B. die Kiste bestimmt 20 kg wiegt), aber der Rekurs auf vermeintliche Gewissheiten bricht recht schnell ab, praktisch gesehen genau an den Stellen, über die man streitet. Z.B. in der Politik: Es ist ja nicht so, dass jemand der hier eine Meinung vertritt nicht der Auffassung ist, auf Tatsachen zurückzugreifen, von der Arbeitsmarktentwicklung, über die Kostenentwicklung zu jener Maßnahme. Und auch die Einschätzungen, ob eine Maßnahme nun gewirkt hat und darüber hinaus insgesamt gut oder schlecht war, gehen stark auseinander, aber es ist nicht so, dass man sich bei der Bewertung nicht auf Fakten berufen würde.

Das liegt oft nicht daran, dass einer bewusst falsch argumentiert oder logisch nicht richtig schließt, sondern m.E. viel eher an der Gewichtung der eigenen Prämissen. (@Friederike: Es ist wohl das, was Peirce im Sinn hat, wenn er schreibt: „Das, was uns festlegt, aus gegebenen Prämissen einen Schluss eher als einen anderen zu ziehen, ist eine Gewohnheit (habit) des Geistes, ob sie nun konstitutionell oder erworben ist.“ (CP 5.367)". Quelle) Was meinst Du dazu?
Tarvoc hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 05:32
Nur weil ich ein bestimmtes Beispiel für nicht sehr gelungen halte, heißt das noch nicht, dass ich Erkenntnis ablehne. Eine bloße Selbstzuschreibung ist natürlich nicht als solche Erkenntnis. Erkenntnis wäre doch eher das ganze System von Gründen und Evidenzen, die diese Selbstzuschreibung als gerechtfertigt erscheinen ließen. Denn genau diese ist ja Gegenstand der Überprüfung.
Klar.
Mein Punkt ist, wie bereits erwähnt, dass die Meinung über sich nie aus der Luft gegriffen sein kann, weil das schon technisch nicht geht. Hier stehen Lernprozesse und eine Internalisierung von Begriffen, Praktiken, moralischen Einstellungen ... an erster Stelle.
Was wiederum nicht heißt, das sei auch noch mal erwähnt, dass man einfach nur das arithmetische Mittel bildet, sondern die private Gewichtung + die eigene Meinung (es wäre ja widersprüchlich allen eine Urteilsfähigeit zuzusprechen, nur mir selbst nicht) oder Interpretation kommen hinzu.
Tarvoc hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 05:32
Wenn ich feststelle, dass es eine Spannung zwischen meinen bisherigen Selbstzuschreibungen und diversen Fremdzuschreibungen besteht, dann kann man das (also das Feststellen dieser Spannung) allerdings als Erkenntnis bezeichnen. Allerdings macht sich das eben gerade nicht an bloßem Meinen fest, sondern an der Feststellbarkeit dieser Spannungen.
Ich glaube, jetzt haben wir die Unterschiede erkannt und benannt.
Noch mal meine Position kurz & knapp: Ich denke, dass die Bildung einer Meinung bereits ein intersubjektiver Akt ist und nicht ein rein subjektiver (bei dem man sich dann nachher noch fragt, ob es die anderen und die Welt auch wirklich gibt), der immer auch auf "Fakten" beruht (aber, wie das, was andere über mich sagen ankommt und von mir verarbeitet wird, ist ja wieder eine eigene Geschichte), aber diese sind stets, immer und bei jedem mit subjektiven Gewichtungen verbunden. Weshalb ich insgesamt die Idee, die Welt ließe sch auf der Basis von Fakten beschreiben, naiv bis absurd finde.
Es sei denn man nimmt die Meinung von A über x in den Kreis der Tatsachen über die Welt mit auf. Diese "Meinungen" sind dann aber kein müder Abklatsch vom Wahren, vom Eigentlichen dem man im Ideal von Popper (und wohl auch Peirce) durch das Abhaken von Irrtümer immer näher kommt, bis dann schließlich Meinung und Wahres kongruent sind, sondern sog. Abweichungen wird es immer geben, sie sind kein Irrtum oder Makel, sondern konstituierend für unser Sosein.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Alethos hat geschrieben :
Do 12. Okt 2017, 19:47
werde mich aus dem Thread zurückziehen, also auch nicht mehr darin lesen.. mir reicht die Zeit schlicht nicht für alles und ich muss Prioritäten setzen

Wünsche euch viel Erfolg, möge euch der Durchbruch gelingen.:)
Danke und schade.

Da das Thema vermutlich eher länger läuft, werde ich, wenn sich Konstruktives ergibt, versuchen in losen Abständen Zusammenfassungen zu schreiben, so dass Du (und andere) immer wieder zwischendurch (wieder)einsteigen können.



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Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 12:48
Zusammenfassungen
!!! (Seiteneinstiege möglich machen find' ich top)




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Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 12:48
Da das Thema vermutlich eher länger läuft...
Das ist der Hauptgrund, warum ich aussteige: Ich sehe das Thema nicht und auch nicht das Telos. Mir erscheint das sogenannte Thema als ziellose Dialektik, die nie von etwas Konkretem handeln wollte, aber überhaupt handeln wollte, und nun endlich in diesem Thread ein Gefäss gefunden hat, wo sie sich in vollkommener Unverbindlichkeit ergiessen kann :) Das halte ich für eine Methode, die für mich zu sehr auf den genialen Fund in der Fülle des Gesagten hofft, anstatt auf einer gemeinsamen Strategie des Suchens aufzubauen. Auch ich wäre für ein Basteln an einer Theorie, aber die Methode müsste so exzentrisch sein, das kein Subjekt je dafür verantwortlich gemacht werden könnte :)

ist nicht so hart gemeint, wie es jetzt vielleicht klingen mag

Vielleicht helfen mir ja die Zusammenfassungen, das Thema einmal zu erkennen. Darüber würde ich mich natürlich freuen.



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Alethos hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 15:32
Das ist der Hauptgrund, warum ich aussteige: Ich sehe das Thema nicht und auch nicht das Telos.
Alethos hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 15:32
Auch ich wäre für ein Basteln an einer Theorie, aber die Methode müsste so exzentrisch sein, das kein Subjekt je dafür verantwortlich gemacht werden könnte :)
Danke, für die Rückmeldung, ist angekommen und nachvollziehbar.
Das Ziel ist die Lücke zwischen Gehirn/Geist, Materie/Bewusstsein und auch Epistemologie/Ontologie, sagen wir, zu verringern.
Die Methode ist schon eher freestyle, so wie Du sagst, das muss man mögen.
Ich habe ein starkes Interesse an Synthesen, auch wenn ich glaube, dass wir den epistemischen Pluralismus nicht völligt reduziert bekommen, aber dann wäre es schön, schärfere Kriterien für den Wechsel des jeweils nötgen Ansatzes zu bekommen, nach Möglichkeit welche, die postideologisch sind.

Was ich auch versuchen will, ist, das Subjekt weiter zu stärken, über den Punkt des reinen Handelns hinaus. Mich fasziniert, in welchem Ausmaß bereits Einstellungen, die man zu etwas hat, die (subjektive) Welt verändern und dann, inwieweit man Einstellungen einerseits verändern kann, andererseits, inwieweit es da Grenzen der Veränderbarkeit gibt, die m.E. darin liegen, dass man nicht gegen seine tiefen Überzeugungen leben kann. Rezeption ist kein so passiver Akt, wie man glaubt.
Das Konkrete interessiert mich vor allem für die Praxis, z.B. wie man die Tatsache individueller Unterschiede aufgreifen kann, etwa für therapeutische Ansätze. Das ist mir glaube ich ganz gut gelungen, ich versuche das nur noch in der Praxis zu erproben, nach Möglichkeit in einer Studie. Dafür muss ich aber noch Klinken putzen.

Darüber hinaus interessieren mich die theoretischen Fragen, die sich daraus ergeben. Was heißt es, Überzeugungen zu haben, wie groß ist deren Reichweite, warum überzeugt den einen, was den anderen kalt lässt und ist dahinter eine hierarchische Entwicklung zu sehen, sind das eher zufällige Sichtweisen oder ist beides kombiniert?



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Fr 13. Okt 2017, 16:58

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 16:45
Das Ziel ist die Lücke zwischen Gehirn/Geist, Materie/Bewusstsein und auch Epistemologie/Ontologie, sagen wir, zu verringern.
Die Methode ist schon eher freestyle, so wie Du sagst, das muss man mögen.
Ich habe ein starkes Interesse an Synthesen, auch wenn ich glaube, dass wir den epistemischen Pluralismus nicht völligt reduziert bekommen, aber dann wäre es schön, schärfere Kriterien für den Wechsel des jeweils nötgen Ansatzes zu bekommen, nach Möglichkeit welche, die postideologisch sind.
Ich verstehe deine Zielsetzung jetzt besser. Danke.

Wie meinst du das mit dem "epistemischen Pluralismus reduzieren"? Widerspricht das nicht der Absicht, das Subjekt zu stärken? Ich merke gerade, dass mich eine solche Diskussion durchaus interessieren würde, aber unter anderen Vorzeichen, vielleicht mit einem Basistext zum Body-Mind-Problem. Wie auch immer, danke für deine Ausführungen.



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Fr 13. Okt 2017, 21:22

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 12:42
Mein Punkt ist nun der: Wenn ich überhaupt in der Lage bin eine Meinung über mich zu entwickeln, dann ist mein Kriterium natürlich die Selbsteinschätzung: die vermutlich stets etwas geschönte Variante dessen ist, wie andere mich sehen, indem sie es mir direkt sagen (und auch das kann ja kontrovers sein) + die Einschätzung/Deutung dessen, wie ich behandelt werde.
Uh, da geht jetzt aber einiges durcheinander.

Das Kriterium, nach dem ich meine Selbsteinschätzung vornehme, ist natürlich nicht wieder meine Selbsteinschätzung. Ich sehe nicht, wie das überhaupt Sinn ergäbe.

Läuft das darauf hinaus, dass mein Urteil über mich auf jeden Fall von mir gebildet wird? Das ist ja schon insofern trivial, als es eben mein Urteil ist. Nur folgt daraus nicht, dass mein Urteil das Kriterium der Richtigkeit meines Urteils ist.
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 12:42
Sprich: Ist es nicht im Endeffekt dasselbe, eine Meinung von mir selbst zu haben oder auf die Selbsteinschätzung als Kriterium zurückzugreifen?
Uh, wie? Es geht doch hier darum, woran man die Richtigkeit bzw. den Erkenntnischarakter meiner Meinung festmacht. Natürlich mache ich die Richtigkeit meiner Meinung nicht am bloßen Faktum fest, dass ich sie habe. Umgekehrt: Ich habe eine Meinung (über mich selbst oder sonst irgendwas), weil ich sie für richtig halte, und das habe ich vorher schon an irgendwas anderem festmachen müssen.
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 12:42
Z.B. in der Politik: Es ist ja nicht so, dass jemand der hier eine Meinung vertritt nicht der Auffassung ist, auf Tatsachen zurückzugreifen, von der Arbeitsmarktentwicklung, über die Kostenentwicklung zu jener Maßnahme.
Ob z.B. eine bestimmte Wirtschaftspolitik Arbeitsplätze schafft oder nicht, hängt natürlich nicht von der Meinung irgendwelcher Leute ab. Wie sollte das denn bitte aussehen? Es gibt plötzlich auf magische Weise Arbeitsplätze, nur weil irgendwelche Politiker meinen, es gäbe sie?
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 12:42
Mein Punkt ist, wie bereits erwähnt, dass die Meinung über sich nie aus der Luft gegriffen sein kann, weil das schon technisch nicht geht.
Hä? Also wenn du damit meinst, dass Meinungen ganz allgemein nicht einfach vom Himmel fallen, von mir aus. In dem Sinne, wie wir die Redewendung "aus der Luft gegriffen" normalerweise verwenden (inakzeptabel schlecht begründet), kann eine Meinung über mich aber natürlich aus der Luft gegriffen sein.
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 13. Okt 2017, 12:42
Diese "Meinungen" sind dann aber kein müder Abklatsch vom Wahren, vom Eigentlichen dem man im Ideal von Popper (und wohl auch Peirce) durch das Abhaken von Irrtümer immer näher kommt, bis dann schließlich Meinung und Wahres kongruent sind, sondern sog. Abweichungen wird es immer geben, sie sind kein Irrtum oder Makel, sondern konstituierend für unser Sosein.
Mir scheint das einfach darauf hinauszulaufen, dass der begriffliche Unterschied zwischen Meinung und Erkenntnis nicht aufgehoben werden kann. Richtig. Das heißt aber nicht, dass es keine Erkenntnis gibt.

Dass Poppers Theorie wissenschaftlicher Methodik zu eng ist, hat ja schon Feyerabend festgestellt. Das heißt aber nicht, dass man seine Ansichten nicht auf die Probe stellen könnte.



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Sa 14. Okt 2017, 10:56

Alethos hat geschrieben : Wie meinst du das mit dem "epistemischen Pluralismus reduzieren"?
Ich gehe noch einen Schritt weiter zurück und möchte wissen, was Du @Tosa Inu, unter dem "epistemischen Pluralismus" verstehst? Mir ist dieser Begriff nicht geläufig. Vielleicht bietet die Antwort einen Ansatzpunkt zur Lückenschließung.

@Alethos, Du hattest als eine Form einer experimentellen Methode die "Synektie" genannt. Ich habe das Wort erst einmal googeln müssen ... fällt Dir im Zusammenhang mit der Frage danach, wie sich Überzeugungen/Einstellungen zu Materie/Stoff verhalten bzw. wo die Grenzen der Beeinflußbarkeit sind, irgendein konkretes Beispiel ein, mit dem Du die synektische Methode veranschaulichen könntest? Eine Metapher, eine Analogie, die in diesem Fall Aussicht hätte, daß sie auf dem Frage-Antwort-Weg weiterführt? Kann ich mich verständlich machen, was ich meine? :lol:

Ich finde das Gespräch doch nicht unspannend, weil wir einerseits den Vorschlag des experimentellen Vorgehens verfolgen und andererseits aber auch diskursiv verfahren können. Das hat den Vorteil, daß man das Diskursive nicht zugunsten von gedanklichen Erweiterungen aufweicht (in dieser Hinsicht hilft mir Dein Insistieren @Tarvoc, weil ich weniger analytisch begabt bin). Und man hätte aber eine zweite Ebene, auf der alles auszuprobieren erlaubt und möglich ist.




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