Wahrheitskriterium/Wahrheitsdefintion

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Alethos
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Mi 7. Feb 2018, 22:42

EberhardWesche hat geschrieben :
Mi 7. Feb 2018, 11:16
Mein Beispielsatz "Der Vogel sitzt im Käfig" ist ein kontextabhängiger Satz, der ergänzt werden muss. Zum Beispiel so:
"Evas Wellensittich sitzt jetzt am 08.02.2018 um 11:23 Uhr in Evas Käfig". Es ist eine deskriptive Aussage, die intersubjektive und zeitunabhängige Geltung beansprucht.
Ja, der Satz hat natürlich Geltung, insofern er performiert wird und auf etwas verweist, das der Fall ist. Das der Fall Sein dessen, was im Satz, generell in Sprache, thematisch wird, bürgt sozusagen für die behauptete Wahrheit, insofern auf die Tatsache verwiesen wird, die sich ausserhalb des Satzes überprüfen lässt.

Der Satz gilt, denn das, was er ist, ist er vollumfänglich :) Er ist in sich wahr. Aber so präzise er die Tatsachen auch ausformuliert, die er beschreibt, setzt er doch jenseits seiner selbst keine Wahrheit. Man kann von einem Satz nicht sagen, er trage eine Wahrheit in sich, die er kraft seiner selbst herstelle, die nicht diejenige ist, durch die er überhaupt ein Satz ist.
Ich denke, mehr noch, dass die Wahrheit jenseits des Satzes für den Satz immer unerreichbar bleibt. Nicht, dass Sprache kein vorzügliches Mittel der Welterschliessung wäre, das ist sie, aber die Gedanken an die Welt und die Dinge in ihr eröffnen die Welt und die Dinge in ihr.



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Alethos
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Mi 7. Feb 2018, 22:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 6. Feb 2018, 19:27
Alethos hat geschrieben :
Sa 3. Feb 2018, 18:54
Wenn ich sage: 'Der Vogel sitzt auf dem Ast.' Dann zeige ich auf vielerlei Wahres, nicht zuletzt auf die Tatsache, dass ich es bin, der es sagt oder auf den Ast, auf dem gesessen wird, aber schliesslich auch auf den Umstand, dass der Vogel davonfliegt, falls er davonfliegt. Aber die Wahrheit liegt doch kaum in dem, was ich sage, als vielmehr in dem, was ist.
Ich meine ja, dass weder du noch ich in dem fraglichen Satz vorkommen. Und das ist seiner allgemeinen Gültigkeit doch sehr zuträglich :-) Ich kann ihn gleich sowie er ist verstehen und erfassen.
Ja, wenn Objekte reden, sollten Subjekte genau zuhören. Das senkt das Verirrungsrisiko. :) Aber es kann sein, dass, wenn wir beide uns über das Meer austauschen und einander erzählen, das sei nun das Meer, wir unter dem Strich besser verstehen, was die Wahrheit des Meeres ausmacht, als wenn jeder für sich alleine die Wahrheit erkunden würde. Was und wie etwas ist, ergibt sich doch auch durch die Erfahrungen, die wir einander über es vermitteln?



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Jörn Budesheim
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Do 8. Feb 2018, 06:18

Ich bin mir nicht ganz sicher, worauf du hinaus willst. Willst du sagen, dass vier Augen mehr sehen als zwei? Dem würde ich zustimmen, aber ich bin mir nicht im Klaren darüber, was das für meinen Punkt oben deine Ansicht nach bedeutet?




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EberhardWesche
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Do 8. Feb 2018, 11:39

Handelt es sich bei dem Satz: "Evas Wellensittich ist schöner als der Wellensittich von Dieter" um eine Behauptung, die wahr oder falsch sein kann?

Wie stellt man fest, dass ein Satz etwas behauptet?

Wie ist es mit Existenzbehauptungen z.B.: "Eva besitzt gar keinen Wellensittich"?




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Jörn Budesheim
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Do 8. Feb 2018, 12:09

EberhardWesche hat geschrieben :
Do 8. Feb 2018, 11:39
Wie stellt man fest, dass ein Satz etwas behauptet?
Jemandem, der nicht weiß, was es bedeutet, dass ein Satz etwas behauptet, kann man auch nicht erklären, wie man feststellt, ob ein Satz etwas behauptet :-)




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Alethos
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Do 8. Feb 2018, 22:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 8. Feb 2018, 06:18
Ich bin mir nicht ganz sicher, worauf du hinaus willst. Willst du sagen, dass vier Augen mehr sehen als zwei? Dem würde ich zustimmen, aber ich bin mir nicht im Klaren darüber, was das für meinen Punkt oben deine Ansicht nach bedeutet?
Nun, du hast geschrieben, dass du einen Satz, der kein Ich enthält, besser erfassen kannst. Ich vermute, dass dies dem Umstand zu verdanken ist, dass keine subjektive Verzerrung im Satz vorkommt, weil sich dieser allein auf die Tatsache bezieht.

Aber es ist doch auch so, dass ich einen Satz besser einordnen und erfassen kann, wenn ich weiss, dass er von einem Ich geäussert wird und nicht bspw. von einem Algorithmus. Der Algorithmus kann zwar einen wahren Satz formulieren, also eine Behauptung aufstellen, die sich auf eine Tatsache bezieht, aber die Wahrheit, die wir als Subjekte miteinander verhandeln, handelt nicht nur von reinen Tatsachen, sondern doch auch von den Geschichten, die wir an die Tatsachen herantragen.
Reden wir an einander vorbei? :)



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Fr 9. Feb 2018, 05:37

EberhardWesche hat geschrieben :
Mi 7. Feb 2018, 11:16
Mein Beispielsatz "Der Vogel sitzt im Käfig" ist ein kontextabhängiger Satz, der ergänzt werden muss. Zum Beispiel so:
"Evas Wellensittich sitzt jetzt am 08.02.2018 um 11:23 Uhr in Evas Käfig". Es ist eine deskriptive Aussage, die intersubjektive und zeitunabhängige Geltung beansprucht.
Alethos hat geschrieben :
Do 8. Feb 2018, 22:44
Reden wir an einander vorbei?
Ja, ich vermute auch, dass wir ein wenig aneinander vorbei reden. :)

Ich will versuchen, zu klären, was ich meine. Ich habe keineswegs vor, das Ich aus der Sprache zu verbannen. In dem Satz, "der Vogel sitzt im Käfig" kommt das Ich, welches diesen Satz ausspricht, jedoch nicht vor. Das scheint mir ziemlich offensichtlich wahr zu sein. Damit wollte ich allerdings nicht sagen, dass in jeglichen Sätzen, die wir aussprechen, kein Ich vorkommt. Ich wollte auch nicht sagen, dass der Umstand dass wir Iche sind unbedeutend ist für die Frage, ob wir sprechen oder kommunizieren können.

Ich schätze mal, dass es sogar eine ganze Reihe von Sätzen gibt, aus denen das Ich, wenn es denn vorkommt, nicht in der Art und Weise wie Eberhard es vorschlägt zu herauszurechnen ist.

"Ich stehe jetzt hier!" ist nach meiner Ansicht ein Beispiel dafür. Dieser Satz ist nach meiner Einschätzung nicht synonym mit dem Satz "Herr Müller steht um 17:30 Uhr am Münchner Hauptbahnhof". Und zwar auch dann nicht, wenn Herr Müller ihn um 17:30 Uhr am Münchner Hauptbahnhof geäußert hat.

Der Satz "ich stehe jetzt hier" enthält drei erstaunliche Wörter, die sich nicht ohne weiteres in eine -wie soll ich sagen? - neutrale Perspektive übersetzen lassen: ich, jetzt, hier.

Wenn man nämlich versucht, sie in eine Sprache ohne ich (eine Sprache aus der Gottes Perspektive oder vergleichbares) zu übersetzen, dann geht nämlich genau der Witz verloren, der sie ausmacht. Zwar kann tatsächlich jeder diese Wörter nutzen, aber was sie wirklich aussagen, entscheidet sich allein in dem Moment wo sie ausgesprochen werden. Obwohl sie ganz allgemein gebräuchlich und verständlich sind, sind sie in einem gewissen Sinne radikal subjektiv.

Wenn man so will, dann ist der Satz "ich stehe jetzt hier", die kürzeste Widerlegung des Physikalismus, die denkbar ist :}




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Fr 9. Feb 2018, 08:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 05:37
Wenn man nämlich versucht, sie in eine Sprache ohne ich (eine Sprache aus der Gottes Perspektive oder vergleichbares) zu übersetzen, dann geht nämlich genau der Witz verloren, der sie ausmacht. Zwar kann tatsächlich jeder diese Wörter nutzen, aber was sie wirklich aussagen, entscheidet sich allein in dem Moment wo sie ausgesprochen werden. Obwohl sie ganz allgemein gebräuchlich und verständlich sind, sind sie in einem gewissen Sinne radikal subjektiv.

Wenn man so will, dann ist der Satz "ich stehe jetzt hier", die kürzeste Widerlegung des Physikalismus, die denkbar ist :}
Wieso?
Das was indexikalische Daten ausmacht (Ich - Jetzt - Hier) kann doch gerade in einer dynamischen Abhängigkeit von Orts- und Zeitangaben pysikalischer nicht sein. Viel spannender ist doch, wenn sich bei Alethos die immer gleichen roten Quadrate irgendwie verändern, in Abhängigkeit vom Titel oder sonst etwas.

Was sich zeigt die die Abweichung von Sprachpraxis zu genau einem Repräsentanten der Außenwelt. Wenn zwei Menschen sich zeiglich, aber 1000 km entfernt das Wort ich ausleihen, macht niemand etwas falsch. Wenn man versucht herauszufinden, wo das "es" in "Es regnet" sitzt, schon.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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EberhardWesche
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Fr 9. Feb 2018, 11:38

@ Jörn

Dir scheint die Frage, wie man Behauptungen von anderen Arten von Sätzen abgrenzt, trivial zu sein.

Aber wie ist es mit dem Satz: "Evas Wellensittich ist schöner als der Wellensittich von Dieter"?

Oder wie ist es mit dem Satz: "Dieter hat gar keinen Wellensittich".




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Jörn Budesheim
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Fr 9. Feb 2018, 15:21

Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 08:35
Das was indexikalische Daten ausmacht (Ich - Jetzt - Hier) kann doch gerade in einer dynamischen Abhängigkeit von Orts- und Zeitangaben pysikalischer nicht sein.
Das was "indexikalische Daten" ausmacht (Ich - Jetzt - Hier) ist der unverbrüchliche Bezug zum Subjekt. Jetzt - Hier sind solcherart ausgezeichnete Zeit- und Ortspunkte, wie sie in einer objektiven physikalischen Beschreibung nicht vorkommen. Natürlich kann man, den Raum-Zeit-Punkt, an dem ich mich gerade befinde, auch objektiv beschreiben, aber der entscheidende Punkt geht dabei verloren, nämlich dass dies der Ort ist, wo ich gerade bin als Zentrum meiner Welt.




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Jörn Budesheim
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Fr 9. Feb 2018, 15:46

EberhardWesche hat geschrieben :
Do 8. Feb 2018, 11:39
Handelt es sich bei dem Satz: "Evas Wellensittich ist schöner als der Wellensittich von Dieter" um eine Behauptung, die wahr oder falsch sein kann?
EberhardWesche hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 11:38
Dir scheint die Frage, wie man Behauptungen von anderen Arten von Sätzen abgrenzt, trivial zu sein.
Ich glaube nicht, dass "Wahrseinkönnen" ein solches Abgrenzungskriterium ist, denn ich denke, dass auch Sätze, die die Form "X ist schön" oder "X ist schöner als Y" Wahrheitsbedingungen haben können (wenn vielleicht auch nicht grundsätzlich). Kurz: Auch ästhetische/ethische Urteile können objektiv wahr sein.




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EberhardWesche
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Fr 9. Feb 2018, 19:10

Vielleicht sollten wir die Sache etwas genauer unter die Lupe nehmen.

Ich schlage vor, dies anhand des Beispiels "Es gibt keine Hexen" zu tun.

(In meiner Terminologie ist dies ein negativer Existenzsatz.)

Ich begründe dies damit, dass ich noch nie einer Hexe begegnet bin. Ich kenne auch keinen anderen Menschen, dem dies passiert ist.




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Jörn Budesheim
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Fr 9. Feb 2018, 21:14

EberhardWesche hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 19:10
Ich schlage vor, dies anhand des Beispiels "Es gibt keine Hexen" zu tun.
Das dürfte kompliziert werden. Darüber haben wir hier bei DiaLogos bereits ewig lange Diskussionen geführt, ohne größere Erfolge. Wenn ich recht sehe, hast du ja eine kleine Kritik über Gabriels Ontologie geschrieben. Dann dürfte dir das folgende bekannt vorkommen. Ich vertrete nämlich - wie Gabriel - die Ansicht, dass der Satz ""Es gibt keine Hexen" genau genommen unvollständig ist. (Obwohl er im Alltag natürlich problemlos funktioniert - aber Philosophie ist ja kein Alltag.)

Was dem Satz fehlt ist die Bereichsangabe. Es stimmt zwar zum Beispiel, dass es keine biologischen Wesen gibt, die zaubern können und auf Besen fliegen. Das heißt im Bereich der Biologie (oder in der Naturgeschichte des Universums) gibt es keine Hexen. In anderen Bereichen tauchen sie jedoch sehr wohlauf. Etwa - aus aktuellem Anlass - im Karneval. Und in Macbeth gibt es auch einige davon.

(Im Alltag machen wir solche Bereichsangaben natürlich auch oft, wenn auch nicht immer. Zum Beispiel: "Warst du auf dem Karnevals-Umzug?","Ja, klar!" "Gab's da Hexen?" "Und ob!")

Aber das dürfte uns nur auf Abwege führen. Kannst du kurz skizzieren, worauf du hinaus willst?




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Alethos
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Fr 9. Feb 2018, 22:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 05:37
"Ich stehe jetzt hier!" ist nach meiner Ansicht ein Beispiel dafür. Dieser Satz ist nach meiner Einschätzung nicht synonym mit dem Satz "Herr Müller steht um 17:30 Uhr am Münchner Hauptbahnhof". Und zwar auch dann nicht, wenn Herr Müller ihn um 17:30 Uhr am Münchner Hauptbahnhof geäußert hat.

Der Satz "ich stehe jetzt hier" enthält drei erstaunliche Wörter, die sich nicht ohne weiteres in eine -wie soll ich sagen? - neutrale Perspektive übersetzen lassen: ich, jetzt, hier.

Wenn man nämlich versucht, sie in eine Sprache ohne ich (eine Sprache aus der Gottes Perspektive oder vergleichbares) zu übersetzen, dann geht nämlich genau der Witz verloren, der sie ausmacht. Zwar kann tatsächlich jeder diese Wörter nutzen, aber was sie wirklich aussagen, entscheidet sich allein in dem Moment wo sie ausgesprochen werden. Obwohl sie ganz allgemein gebräuchlich und verständlich sind, sind sie in einem gewissen Sinne radikal subjektiv.
Ich verstehe sehr gut, was du meinst.

'Ich stehe jetzt hier' ist ein Satz, der sich nicht übertragen lässt auf jemand anderes. Der Satz bezeichnet ein gegenwärtiges Moment, in welchem sich das Ich raumzeitlich einordnet. Ein Moment, das ohne dieses Ich weder dieses Hier noch dieses Jetzt wäre.

Mit @"Tosa Inu' gehe ich einig, dass sich Menschen ihre Iche ausleihen können (übrigens ein schönes Bild), aber ausgetauscht wird nur das Personalpronomen und damit ein verallgemeinertes Ich-Wort. Als solches Pronomen steht das Ich nur für den Namen, den ich mit meinem Dasein mit Inhalt fülle. Denn 'Ich stehe hier' bedeutet ja zugleich, dass niemand anderes jetzt hier stehen kann und kein anderes Jetzt jemals dieses jetzige sein kann. Das Ich, das nur ich bin, ist ultraindividualistisch, weil es die Einzigartigkeit des Hier im Jetzt und des Jetzt im Hier herstellt durch die Unersetzlichkeit des jeweiligen Ichs für den Satz: 'Ich stehe hier'.

Aber dass du das nicht so siehst, hatte ich nicht bezweifelt :) Mir war es darum herauszufinden, warum du Sätze wie: 'Ein Vogel sitzt auf dem Ast' oder 'Der Planet kreist um die Sonne' für leichter erfassbar hältst. Ist es vielleicht deshalb so, weil dir die reine Tatsache ins Auge fällt? Weil eine Sache, die du nie sein kannst, für sich selbst spricht? Denn wenn ich sage: 'Ich stehe hier' so könnte dies wohl ein jeder von uns über sich selbst sagen, und es wäre jedesmal wahr, sofern es über dieses jeweilige Ich wahr ist, dass er oder sie steht. Aber zu sagen: 'Ein Vogel fliegt davon' ist nur dann wahr, wenn ein Vogel tatsächlich davon fliegt und nicht erst dann, wenn irgendjemand es über den Vogel sagt. Ist es das, was du meintest?



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Sa 10. Feb 2018, 09:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 15:21
Natürlich kann man, den Raum-Zeit-Punkt, an dem ich mich gerade befinde, auch objektiv beschreiben, aber der entscheidende Punkt geht dabei verloren, nämlich dass dies der Ort ist, wo ich gerade bin als Zentrum meiner Welt.
An der Stelle ist der Ortsangabe ja überhaupt noch keine subjektive Komponente hinzugefügt, man könnte sich denken, dass am Brunnen, vor dem Tore auch eine Parkuhr steht.
Alethos hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 22:45
Mit @"Tosa Inu' gehe ich einig, dass sich Menschen ihre Iche ausleihen können (übrigens ein schönes Bild), aber ausgetauscht wird nur das Personalpronomen und damit ein verallgemeinertes Ich-Wort. Als solches Pronomen steht das Ich nur für den Namen, den ich mit meinem Dasein mit Inhalt fülle. Denn 'Ich stehe hier' bedeutet ja zugleich, dass niemand anderes jetzt hier stehen kann und kein anderes Jetzt jemals dieses jetzige sein kann. Das Ich, das nur ich bin, ist ultraindividualistisch, weil es die Einzigartigkeit des Hier im Jetzt und des Jetzt im Hier herstellt durch die Unersetzlichkeit des jeweiligen Ichs für den Satz: 'Ich stehe hier'.
Gewiss, aber dadurch, wie oben, besetze ich ja erstmal nur einen pysikalischen Raum, zu einer bestimmten Zeit.
Das ist, das war mein Punkt, noch durch und durch physikalisch und kommt insofern m.E. gar nicht in die Regionen, wo es für den Naturalismus eng werden können. Was das Ich an diesem Ort erlebt und was durchaus anders sein kann, als das, was andere Iche erleben würden, ist der in dieser Hinsicht bedrohlichere Punkt.



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Sa 10. Feb 2018, 09:31

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 09:02
Alethos hat geschrieben :
Fr 9. Feb 2018, 22:45
die Unersetzlichkeit des jeweiligen Ichs für den Satz: 'Ich stehe hier'.
Gewiss, aber dadurch, wie oben, besetze ich ja erstmal nur einen pysikalischen Raum, zu einer bestimmten Zeit.
Das ist, das war mein Punkt, noch durch und durch physikalisch und kommt insofern m.E. gar nicht in die Regionen, wo es für den Naturalismus eng werden können. Was das Ich an diesem Ort erlebt und was durchaus anders sein kann, als das, was andere Iche erleben würden, ist der in dieser Hinsicht bedrohlichere Punkt.
Ja, Jörns Pointe war, dass zum Hier und Jetzt ein Ich hinzukommt, und dieses Ich nicht ein weiterer Körper unter anderen sein kann. Das Ich in 'Ich stehe hier' beschränkt sich nicht auf den jetzt da stehenden Biomasse-Körper. Dieses biologistische 'Ich stehe jetzt hier' wäre sogar relativ ichlos :) Zum physikalischen Raum kommt ja schliesslich etwas hinzu, wenn etwas über sich selbst etwas aussagt. Darum, weil ein Ich den Beweis liefert, dass nicht alles nur Physik sein kann, kann der Physikalismus als widerlegt gelten.

Dass es Grammatik gibt und sich ein Ich für ein Personalprononomen der ersten Person nominieren kann, ist die Widerlegung des Physikalismus, denn in Grammatik gelten keine physikalischen Gesetze. :)



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Sa 10. Feb 2018, 10:18

Alethos hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 09:31
Darum, weil ein Ich den Beweis liefert, dass nicht alles nur Physik sein kann, kann der Physikalismus als widerlegt gelten.

Dass es Grammatik gibt und sich ein Ich für ein Personalprononomen der ersten Person nominieren kann, ist die Widerlegung des Physikalismus, denn in Grammatik gelten keine physikalischen Gesetze. :)
Das ist keine Widerlegung des onologischen Physikalismus, sondern zeigt nur, dass man, erkenntnistheoretisch, die Regeln der Grammatik, Logik oder des Rechts nicht aus den physikalischen Aspekten und Grundkräften ableiten kann. Weder Links- noch Rechtsverkehr widersprechen der Physik oder sind als Notwendigkeit aus dieser ableitbar.

Die ontologische Frage ist aber immer noch, ob es all das (Grammatik, Logik, Recht) geben könnte, wenn die physische Welt nicht existierte.
Hängt also die Existenz, aber nicht die konkrete Ausformulierung, des B von A ab?



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Sa 10. Feb 2018, 11:01

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 10:18
Alethos hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 09:31
Darum, weil ein Ich den Beweis liefert, dass nicht alles nur Physik sein kann, kann der Physikalismus als widerlegt gelten.

Dass es Grammatik gibt und sich ein Ich für ein Personalprononomen der ersten Person nominieren kann, ist die Widerlegung des Physikalismus, denn in Grammatik gelten keine physikalischen Gesetze.
Das ist keine Widerlegung des onologischen Physikalismus, sondern zeigt nur, dass man, erkenntnistheoretisch, die Regeln der Grammatik, Logik oder des Rechts nicht aus den physikalischen Aspekten und Grundkräften ableiten kann. Weder Links- noch Rechtsverkehr widersprechen der Physik oder sind als Notwendigkeit aus dieser ableitbar.

Die ontologische Frage ist aber immer noch, ob es all das (Grammatik, Logik, Recht) geben könnte, wenn die physische Welt nicht existierte.
Hängt also die Existenz, aber nicht die konkrete Ausformulierung, des B von A ab?
Dass eine Regel durch lebende Organismen gesetzt wird, widerspricht nicht dem Physikalismus, das ist gewiss so. Nur ist das auch nicht das Argument gegen den Physikalismus. Dass es etwas gibt, das nicht physikalisch ist, das widerspricht dem Physikalismus nicht, aber widerlegt ihn. Denn die Behauptung, dass alles nur Physik sei, wird widerlegt durch das Vorhandensein von etwas Nichtphysikalischem, z.B. Regeln, Geist etc.

Dass alles je Vorkommende auf eine physikalische Wurzel zurückgeführt werden kann, ist lediglich eine reduktionistische ontologische Betrachtung. Wir hatten ja andernorts bereits darüber debattiert, dass sich Existenz nicht allein im Schoß der Physik entwickelt, sondern es darüber hinaus eine Vielzahl von Seiendheit gibt.

Dass es kein bewusstes Ich geben kann ohne Gedanken dieses Ich über sich selbst und Gedanken wiederum nicht ohne irgendwie geartetes Hirn gedacht werden können, es dieses Hirn nicht ohne Atome geben kann und letztere schliesslich physikalisch sind, das scheint mir nicht zu belegen, dass das Ich nur physikalisch sei. Dieses reduktionistische Argument belegt nur, dass Physik eine notwendige und keine hinreichende Bedingung für alles Denken ist. Aber da Physik keine hinreichende Bedingung ist, kann deshalb auch nicht alles Physik sein, was ja der Physikalismus behauptet.



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Sa 10. Feb 2018, 11:31

Alethos hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 11:01
Dass es etwas gibt, das nicht physikalisch ist, das widerspricht dem Physikalismus nicht, aber widerlegt ihn. Denn die Behauptung, dass alles nur Physik sei, wird widerlegt durch das Vorhandensein von etwas Nichtphysikalischem, z.B. Regeln, Geist etc.
Nein.
An dieser Stelle stehen wir immer wieder.
Du verwechselst hier Erkenntnistheorie und Ontologie. (Herr K. würde darauf hinweisen, dass der Physikalismus immer und nur eine ontologische Position ist. Was er hoffentlich bald wieder selbst tut.)
Das Gedankenexperiment dazu geht so: Könnten Logik, Verkehrsregeln und Hexen existieren, wenn es keinerlei Materie gäbe?
Wenn ja: Wo und wie?
Wenn nein: Dann sind sie ontologisch abhägig.

Die Gegenprobe: Könnten Wasser, Felsen, Galaxien und Protonen auch dann existieren, wenn es Logik, Regeln, Fiktionales oder Zahlen nicht gäbe?
Wenn ja, wäre die Ebene der Physik ontologisch unabhängig von diesen (oder einigen von diesen).
Alethos hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 11:01
Dass alles je Vorkommende auf eine physikalische Wurzel zurückgeführt werden kann, ist lediglich eine reduktionistische ontologische Betrachtung.
Um die geht es ja auch.
Der Rest ist bereits gegessen: Die noch so genaue Kenntnis über Physik erklärt uns keine Kunstwerke, politischen Systeme, Gesetze, Neurosen und auch nicht die Fähigkeiten von Hexen oder den Charakter von Hans Castorp aus dem Zauberberg.
Alethos hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 11:01
Wir hatten ja andernorts bereits darüber debattiert, dass sich Existenz nicht allein im Schoß der Physik entwickelt, sondern es darüber hinaus eine Vielzahl von Seiendheit gibt.
Ja, aber im Dissens.
Alethos hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 11:01
Dass es kein bewusstes Ich geben kann ohne Gedanken dieses Ich über sich selbst und Gedanken wiederum nicht ohne irgendwie geartetes Hirn gedacht werden können, es dieses Hirn nicht ohne Atome geben kann und letztere schliesslich physikalisch sind, das scheint mir nicht zu belegen, dass das Ich nur physikalisch sei. Dieses reduktionistische Argument belegt nur, dass Physik eine notwendige und keine hinreichende Bedingung für alles Denken ist. Aber da Physik keine hinreichende Bedingung ist, kann deshalb auch nicht alles Physik sein, was ja der Physikalismus behauptet.
Notwendig würde in dem Fall ausreichen.
Man müsste den Charakter des Hinreichenden dann näher bestimmen, er darf nicht aus der Welt der Physik stammen und wenn er das nicht tut, müsste erklärt werden, wie er auf diese Einfluss nicht. Es wird ja unterstellt, dass er das tut und bspw. als Ganzes, was mehr ist/sein soll, als die Summe seiner Teile, die Teile sortiert/beeinflusst/ordnet.



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Alethos
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Sa 10. Feb 2018, 11:57

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 11:31
Du verwechselst hier Erkenntnistheorie und Ontologie. (Herr K. würde darauf hinweisen, dass der Physikalismus immer und nur eine ontologische Position ist. Was er hoffentlich bald wieder selbst tut.)
Das Gedankenexperiment dazu geht so: Könnten Logik, Verkehrsregeln und Hexen existieren, wenn es keinerlei Materie gäbe?
Wenn ja: Wo und wie?
Wenn nein: Dann sind sie ontologisch abhägig.
Wir waren bereits andernorts im Dissens darüber, und das hat sich hier nicht geändert. Ich verwechsle nicht Epistemologie und Ontologie, sondern vertrete einen ontologischen Pluralismus, den du als epistemologisch begründet einordnen musst, weil sich sonst die ontologische Eindeutigkeit des Physikalismus auflösen würde, was natürlich nicht sein darf, wenn man Monist ist. :)

Diese Abhängigkeitskaskaden aller Seienden, die du zeichnest, wonach sich alle Seienden von einer grundlegenden ontologischen Ebene der Physis ableiten lassen, sagt doch nur, dass das eine das andere bedingt, und nicht, dass das eine das andere wäre. Selbstverständlich hätte es Faust nie gegeben, wenn Goethe nicht gewesen wäre, insofern ist Faust von Goethe anhängig. Und Goethe hätte es ohne Atome nicht gegeben, insofern war Goethe abhängig von Atomen. Das eine bedingt das andere, insofern das eine aus dem anderen hervorgeht, aber ein Seiendes geht ja nicht aus dem anderen Seienden hervor als dasselbe, sondern als etwas anderes.

Dass es ohne Physis keine Regeln gegeben hätte, weil es ohne Physis keine Menschen gegeben hätte, die diese Regeln hätten aufstellen können, besagt nun eben nicht, dass Regeln physisch sind, sondern etwas Anderes bezeichnen.

Aber da es für den Bereich der Regeln völlig ohne Belang ist, ob Atome nach links oder nach rechts drehen, bilden Regeln Bereiche eigenen Rechts, eigenen Existenzrechts. Das, was als Produkte menschlichen Schaffens existiert, z.B. die Götter auf dem Olymp, existiert nicht abgängig von der Materie, sondern abhängig von der Regelhaftigkeit des Seinsbereichs, in welchem es als dieses vorkommt. Die Götter existieren in der Geschichte über den Olymp und nicht in der Ordnung der Atome untereinander.



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