Vielen Dank, für die Antwort, da sind wir in einigen Punkten gar nicht weit voneinander entfernt, mal sehen, ob wir uns da bereichern können.
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Tosa Inu hat geschrieben : ↑ Di 24. Okt 2017, 20:45
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Mo 23. Okt 2017, 09:05
Relativitäts- und Quantentheorie sagen uns, dass Raumzeit, Materie und Energie nicht so absolute Dinge sind, wie sie uns erscheinen.
Nein, dass sagen sie eigentlich nicht, vor allem aber sprechen sie nicht mit einer Stimme, sondern es geht sehr bunt zu.
Doch, die Relativitätstheorie trägt diese Aussage ja sogar im Namen. In der Quantenmathematik ist Zeit nur ein Nebenparameter, eine perspektivische Eigenschaft von Quantensystemen und -relationen, keine eigenständiges fundamentales absolutes Phänomen, dem keine Observable zugeordnet ist.
„Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer wenn auch hartnäckigen Illusion.“ (Albert Einstein – Michele Besso. Correspondance 1903–1955. Hermann, Paris 1972, S. 537/538.)
„Der Moment ist atemporal, die Verknüpfung der Augenblicke erfolgt nicht in der Zeit, sondern in der impliziten Ordnung.“ (David Bohm, Quantenphysiker, Lee Nichol - The Essential David Bohm, S. 148)
Ja.
Letzteres habe ich eben als
B-Theorie der Zeit kennen gelernt.
Bei der Relativitätstheorie werden Raum und Zeit als Eckpunkte relativiert, aber Materie und Energie bilden doch insofern eine konstante Größe, als sie durch ein Gleichheitszeichen verbunden sind. Aber dieser Punkt ist vielleicht auch nicht so wichtig.
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Welche Naturbeobachtung führte denn bisher nicht zu quantifizierbaren mathematischen Eigenschaften und Relationen? Sicherlich gibt es mathematische Modelle, die sich verselbstständigen und nichts mit (unserer) empirischen Wirklichkeit zu tun haben, aber umgekehrt gibt es nichts in der Wirklichkeit, was nicht mathematische Eigenschaften hat.
Hm. Das ist ja schon sehr grundsätzlich und eigentlich ja das, was wir heruasfinden wollen.
Bspw. hat man in der Evolutionstheorie versucht spieltheoretisch idealisiert darszustellen, welchen evolutionären Wert welche Verhaltensweisen haben, konkret ging es um Beschädigungskämpfer vs. Kommentkämpfer und nachdem dieser Ansatz anfangs erfolgreich schien (er ist durch Dawkins als "egoistische Gene" popularisiert worden), zeigt sich nun, dass die Geschichte komplexer ist, weil die Individuen komplexer sind.
Und ob die vielgepriesene Fitness in der Biologie nun der Schlüssel zu allem ist, das finde ich auch mehr als fraglich, erstens, ist das ein Konstrukt unter dem verschiedenes verstanden wird, zweitens ist Steigerung der Fitness oft kein evolutionärer Zug, der ins Auge springt.
Das spricht ja auch Donald Hoffmann in dem Video. Mit der Idee, das "die Evolution" die möglichst genaue Wahrnehung der Realität nicht absolut setzt oder favorisiert, bin ich vollkommen einverstanden, das ist auch mein Eindruck. Der Kontakt zur Realität darf nicht völlig reißen (der Klassiker: Verfehlt der Affe beim Sprung von Ast zu Ast denselben, ist Klappe zu, Affe tot), aber eine überdimesionierte (innere) Darstellung der Gefahren und Boni scheint wichtiger. Kurz: man muss nicht alles erkennen, sondern nur das für (genau diesen) Organismus wichtige. Und wichtig heißt noch nicht mal zwingend das Überleben sichernde, ist das gewährleistet, kann dies nächste Stufe der Rakete gezündet werden. De facto ist unser Leben heute in den meisten Regionen kein Überlebenskampf mehr (Hunger, Seuchen und Kriege beachtend).
Aber etwas formalisieren zu können, ist ja erst mal nur eine Übersetzung, woher weiß man, dass man die richtigen Aspekte übersetzt?
Was, wenn sich rausstellt, dass andere Welten im Rechner erfolgreicher wären, die es aber nun mal nicht gibt? Was würde das bedeuten, außer, dass man an der Realität vorbei gerechnet hätte?
Die Ansätze, die sagen, dass es so und so eigentlich besser ging, sind ja mannigfaltig und bei uns kommt eben noch die Wendung hinzu, dass der Mensch sich nicht dadurch auszeichnet, dass er sich der Natur optimal anpasst (was immer das heißen soll), sondern eigene Regeln entwirft und ob die immer auf einen evolutionären Nutzen runterzubrechen sind, erscheint mir fraglich.
Bspw., mein Steckenpferd, das Gesamtthema Spiritualität. Wo ist der evolutionäre Nutzen? Aber ist das nun ein Irrtum, Pathologie, eine Randsportart oder das Erfassen von Zusammenhängen, die ganz anders sind, als wir denken? Dann wäre es evolutionär nützlich (aber wer soll das entscheiden, ob es so ist und wer sagt, dass Nutzen das oberste Prinzip der Welt ist?) und lustigerweise sind sich die Ansätze von alles ist Bewusstsein und alles ist Mathematik nicht unähnlich.
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Im Grund führt Ockhams Rasiermesser dahin.
Ockham überzeugt mich insofern nicht, als theoretische Schlankheit kein Wahrheitswert ist, sondern eher ein ästhetischer.
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Die Hauptbegründungen sind eben, dass alle Naturbeobachtung zu mathematischen Relationen führt, es keinen Grund gibt, mehr "Gepäck" in der Realität anzunehmen als zur Erklärung notwendig, und dass jede Wahrnehmung indirekt ist und wir keinen unvermittelten "Blick" auf die fundamentale Realität werfen können.
Der Fehler bei Beschreibungen dieser Art ist der performative Widerspruch.
Zu behaupten, wir hätten keinen Blick auf die Realität impliziert zu wissen, wie sie aussieht, damit man den Vergleich unsere Wahrnehmung/Realität überhaupt anstellen kann.
Danke, ich schaue später rein, aktuell fehlt mir (leider) etwas die Zeit.
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Natürlich ist das eine subjektive Wertung und der radikale Konstruktivismus hat auch einen Haken: Indem er die Gewissheit von allem in Frage stellt, setzt er damit auch ein Fragezeichen hinter seine eigene naturwissenschaftliche Begründung.
Zum Beispiel, ja.
Normalerweise kein Grund "aber dennoch" zu sagen, sondern ein knock out.
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Ich sehe es trotzdem als Höhepunkt aller Erkenntnisphilosophie, weil sie ehrlich und begründet darauf hinweist, dass aufgrund der Indirektheit, Verzerrung, Filterung und Einfärbung unserer Kognition nichts so gewiss ist wie die Gewissheit, dass unsere Wahrnehmung eben nicht ein Blick durch ein glasklares Fenster auf die Realität ist, sondern eher ein langer Tunnel der Vorverarbeitung.
Okay, machen wir an der Stelle kein Getöse, wir wissen beide, wie es gemeint ist und sollten die Schwächen im Hinterkopf behalten, als Höhepunkt kann ich zwei dicke Selbstwidersprüche aber tatsächlich nicht ansehen, spielen kann man mit dem Modell dennoch.
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Es geht mir nicht darum, dass keine von unserer Kognition unabhängig (nicht von ihr konstruierte) Realität existiert - im Gegenteil: eine mathematische Struktur als Grundlage allen Seins ist doch eine fundamentale Realität.
Okay.
Ich kann mir vorstellen und sympathisiere damit, dass alles Bewusstsein ist, also Deine Mathematik wäre mein Bewusstsein.
Damit zu den Problemen:
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Der Schwerpunkt meiner Aussage liegt vielmehr darauf, dass die Realität anders ist, als wir sie uns intuitiv und naiv vorstellen. Dass es ein Irrtum ist, das in unserem Kopf konstruierte Modell mit der Realität gleichzusetzen.
Nehmen wir an, die Realität sei mathematisch: Wie umgeht man den Dualisms?
Denn Materie berechnen und Natur formalisieren zu können heißt nicht, dass eine mathematische Struktur primär ist. Das ist aber Deine Behauptung, die an der Stelle noch unbegründet ist.
Einfach nur einen Monismus hinzuwerfen und zu sagen: Ist eben alles Bewusstsein, Mathematik oder Materie erscheint zumindest mir immer mehr als Eigentor. weil man dann ein paar Jahre Ruhe hat, aber die Entstehung der Materie aus der Mathematik erklären muss. Man könnte sagen, es gäbe keine Materie, was ich als Intuition gar nicht blöd finde, aber wie geht es weiter, wie wird daraus eine konsistente Theorie?
Der Naturalismus hat nach meinem Vorurteil dieses Eigentor geschossen, alles schien zu passen, inzwischen werden immer mehr Fragen immer lauter, nach meiner Wahrnehmung.
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Ja, wir haben einen Zugang, nämlich den der Kette aus Wechselwirkung mit den Sinnesorganen, Kodierung in elektrochemische Signale, Filterung, Erkennung von Mustern, Konstruktion eines Gesamtmodelles aus bisherigen Assoziationen und phylogenetischen Erfahrungen und Halluzination dieses Modelles im Kopf. Natürlich "weiß" ich das nicht mit Gewissheit.
Der Punkt ist, dass der Realismus kein so dummer Ansatz ist, wie es zunächst scheint. Er wirkt so'n bisschen bieder, aber ist doch recht beharrlich, wenn man nämlich echte Irrtümer, Täuschungen und Halluzinationen erklären will.
MarcusMueller hat geschrieben : ↑ Fr 27. Okt 2017, 10:51
Meinst du jetzt Hinweise dafür, dass Farben im Kopf konstruiert werden und nicht in der Realität existieren? Für Raum und Zeit habe ich schon oben Begründungen gebracht.
Interessant hat das auch der Kognitionswissenschaftler Donald Hoffman in diesem TED-Talk dargestellt:
https://www.ted.com/talks/donald_hoffma ... anguage=de
Schönes Video, das ich gerne gesehen habe.
Ich bin auch kein Freund des biologischen Reduktionismus, aber dass Gehirn und die Nervenzellen keine kausale Kraft haben (etwa um 17:45), ist erklärungsbedürftig, denn Reize auszulösen bzw. weiterzuleiten ist ja ein kausales Spiel. Was Hoffman wohl meint, ist, dass Neuronen keine schöpferischen Kräfte haben ... aber, hm.
Wer oder was überarbeitet dann die Realität in der auch dort beschriebenen Weise?
Evolution hat m.E. nicht das Primat Nachkommen zu zeugen, denn das ist nur die biologisierte Variante von Evolution, die manches erklärt, bei weitem nicht alles.
Der Knackpunkt für uns beide ist wohl, wie Mathematik oder Bewusstsein mit Materie bzw. Leben interagieren und vor allem erklären, was passiert, nicht nachträglich interpretieren, dass Gott oder das kosmische Bewusstsein das wohl so wollte oder es sich eben mathematisch darstellen lässt. Nachträglich alles auf irgendwelche allumfassenden Grundkräfte runterzubrechen, ist nicht so schwer.
Finde ich aber in Deiner kenntnisreichen Darstellung interessant, wie siehst Du das dualistische Problem?