Tatsachen/Wahrheit/ontische Wahrheit

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Alethos
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So 3. Dez 2017, 22:35

Segler hat geschrieben :
So 3. Dez 2017, 22:03
Mir ist völlig unklar, wo Du den Konflikt zwischen dem Standpunkt des "50-jährigen" und der Korrespondenztheorie siehst.
Den Konflikt hat der 50-jährige nicht mit der Korrespondenztheorie, sondern die Korrespondenztheorie mit der ontischen Wahrheit. Letztere behauptet, nicht korrespondieren zu müssen, um wahr zu sein. Sie ist gänzlich korrespondenzindifferent.



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Jörn Budesheim
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Herr K. hat geschrieben :
So 3. Dez 2017, 13:21
Um wahr sein zu können, benötigt sie mE einen Zusatz etwa der Art "laut der Geschichte", also: "laut der Geschichte 'Superman' heißt Superman mit bürgerlichem Namen Clark Kent".
Tommy hat geschrieben :
So 3. Dez 2017, 23:30
im DC-Universum
Ja, klar braucht es einen "Zusatz". In der Regel jedoch wird er nicht erwähnt, weil die meisten Menschen in unserer Umgebung schließlich wissen, dass Superman eine Comic bzw Filmfigur ist.




Segler
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Mo 4. Dez 2017, 06:31

Alethos hat geschrieben :
So 3. Dez 2017, 22:35
Segler hat geschrieben :
So 3. Dez 2017, 22:03
Mir ist völlig unklar, wo Du den Konflikt zwischen dem Standpunkt des "50-jährigen" und der Korrespondenztheorie siehst.
Den Konflikt hat der 50-jährige nicht mit der Korrespondenztheorie, sondern die Korrespondenztheorie mit der ontischen Wahrheit. Letztere behauptet, nicht korrespondieren zu müssen, um wahr zu sein. Sie ist gänzlich korrespondenzindifferent.
Thomas von Aquin hätte darauf geantwortet: Auch die ontische Wahrheit beruht auf der Übereinstimmung von Intellekt und Ding. Der Intellekt ist hier allerdings der Intellekt Gottes. Die Wahrheit ist daher früher im Intellekt als im Ding.




Tosa Inu
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Segler hat geschrieben :
So 3. Dez 2017, 22:03
Die Korrespondenztheorie geht davon aus, dass die Wahrheit "irgendwo da draußen ist" und nur darauf wartet, im Intellekt reflektiert zu werden.
Glaube ich eher nicht. Dann wäre "Wahrheit" etwas wie "Rost" oder "... in Entfernung zu ..."
Wahrheit und Existenz nicht als Eigenschaft von Dingen oder Relationen beschreiben, erscheint mir konsistenter.

Ich bin immer noch der Meinung, dass Tatsachenbehauptungen und Wahrheitsbehauptungen einander oft überschneiden und dass daher die Verwirrung kommt.
Tatsachen mag es in der Welt ("da draußen") geben, sobald ich sie formuliere werden sie aber zur Tatsachenbehauptung und diese ist der Wahrheitsbehauptung sehr ähnlich, oft überlappen sie.

Nicke ich die Behauptung als zutreffend (= tatsächlich wahr, so ist es) ab, ist das oft ein nahezu identischer Akt, zu dem, der mich zur Behauptung veranlasste.
Bspw. kann ich aus dem Fenster schauen und sagen (= behaupten), dass es aussieht, als ob es regnet. Eine (nicht ganz umfassend gebilligte) Behauptung. Diese wahr zu machen hieße z.B. genauer hinzuschauen und dann sagt man: "Tatsächlich, es regnet". Streng genommen ist dei Verifikation der eigenen Behauptung noch immer einer Behauptung und es könnte sein, dass diese von einem anderen Zeugen angezweifelt wird. Etwa, wenn zwar die Dächer nass sind und der Himmel grau ist, der erste Zeuge aber eine bekannte Sehschwäche hat und gelegentlich kleine Punkte vor den Augen sieht.

In systematisierteren Szenarien, wie dem wissenschaftlichen Experiment mag das etwas anders sein, aber alles in der empirischen Welt bleibt im Modus der, wenn auch oft sehr sehr plausiblen, Behauptung, einfach weil es sich um etwas aus der empirischen Welt handelt.
Reine Wahrheit ist vermutlich etwas für die Logik, evtl. noch für spirituelle Erfahrungen.

Grundsätzlich ist der Irrtumsvorbehalt im Alltag aber so gering (oder wir irren uns alle auf eine sehr ähnliche Art), dass er für den Fortbestand einer erfolgreichen Kommunikation, außer in begründeten Fällen, zu vernachlässigen ist.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Herr K. hat geschrieben :
So 3. Dez 2017, 13:21
Ich finde nicht, dass das zirkulär ist, bzw., ich denke nicht, dass man, um verstehen zu können, was "Ding" und "Eigenschaft" bedeutet, schon wissen muss, was "Tatsache" bedeutet.
Bei jedem Urteil wie z.b. "das Blatt ist grün", sind immer alle drei Begriffe umfasst und ein Verständnis des Begriffes Wahrheit in seinen verschiedenen Dimensionen ebenso. Die Definition aus dem Nichts dürfte hier schwer möglich sein, man kann vielleicht versuchen eine Ordnung in die bereits bekannten Begriffe hineinzubringen... Deswegen ist es hier auch so schwierig sich zu verständigen, wenn der andere sagt, "ich habe keine Ahnung wovon du redest", weil jegliches Reden schon voraussetzt, dass man eine gewisse Ahnung davon hat :)




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Alethos
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Segler hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 06:31
Alethos hat geschrieben :
So 3. Dez 2017, 22:35
Segler hat geschrieben :
So 3. Dez 2017, 22:03
Mir ist völlig unklar, wo Du den Konflikt zwischen dem Standpunkt des "50-jährigen" und der Korrespondenztheorie siehst.
Den Konflikt hat der 50-jährige nicht mit der Korrespondenztheorie, sondern die Korrespondenztheorie mit der ontischen Wahrheit. Letztere behauptet, nicht korrespondieren zu müssen, um wahr zu sein. Sie ist gänzlich korrespondenzindifferent.
Thomas von Aquin hätte darauf geantwortet: Auch die ontische Wahrheit beruht auf der Übereinstimmung von Intellekt und Ding. Der Intellekt ist hier allerdings der Intellekt Gottes. Die Wahrheit ist daher früher im Intellekt als im Ding.
Das ist übrigens ein Argument, das ich im Laufe dieses Threads schon einmal angebracht habe: Wenn man die Wahrheit aller Dinge annimmt, und zwar an sich, dann muss man ein Allbewusstsein einnehmen. Das könnte ein göttliches Bewusstsein sein oder aber ein Superbrain.



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Jörn Budesheim
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Mo 4. Dez 2017, 08:09

Ich sehe das "muss" dabei nicht. Ein göttlicher Geist könnte eine "Erklärung" (wofür?) sein, aber das ist kein zwingendes Angebot und daher auch nicht das Einzige.




Tosa Inu
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Mo 4. Dez 2017, 08:56

Mein Problem liegt an einer anderen Stelle. Ich habe nie verstanden, in welchem Sinne z.B. eine Straßenbahn wahr sein kann.
"Dieser Baum ist wahr" ist doch ein sinnloser Satz. "Dieser Baum existiert", ist schon sinnvoller, obwohl im "dieser Baum" die Existenz implizit enthalten ist.
Wahrheit ist einem Baum, einer Straßenbahn m.E. nie inne oder zugehörig.



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Jörn Budesheim
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Mo 4. Dez 2017, 09:11

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 08:56
"Dieser Baum ist wahr"
Ja, klingt komisch. Aber wer sagt das? Aber auch beim Baum spielt ontische Wahrheit bereits eine Rolle. Es trifft (beispielsweise) auf dieses X da zu, dass es sich um einen Baum handelt, das ist die entsprechende ontische Wahrheit.




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Alethos
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Mo 4. Dez 2017, 10:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 09:11
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 08:56
"Dieser Baum ist wahr"
Ja, klingt komisch. Aber wer sagt das? Aber auch beim Baum spielt ontische Wahrheit bereits eine Rolle. Es trifft (beispielsweise) auf dieses X da zu, dass es sich um einen Baum handelt, das ist die entsprechende ontische Wahrheit.
Aber könnte man alternativ auch sagen: ‚Der Begriff des Baumes findet auf dieses Objekt Anwendung‘‘?



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Tosa Inu
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Oder auch: Das ist ein Baum.



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Herr K.
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Mo 4. Dez 2017, 16:39

Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Dez 2017, 17:26
Sind wahre Aussagen auch ohne eine Erkenntnis möglich? Ich denke, nein.
Nach der Korrespondenztheorie der Wahrheit ist eine Aussage dann wahr, wenn sie mit einer Tatsache korrespondiert. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die Aussage gerechtfertigt ist, d.h. auch eine Aussage, die einfach nur blind geraten ist, (z.B.: "England wird nächster Fußball-Weltmeister"), kann demnach wahr sein. Um (explizites) Wissen handelt es sich dabei dann jedoch nicht, denn (explizites) Wissen muss gerechtfertigt sein.




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Alethos
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Mo 4. Dez 2017, 17:58

Aber in der Regel sprechen wir ja nicht von zufällig wahren Aussagen, sondern machen Aussagen über Tatsachen, die wir wissen. Und jemand, der mehr weiss, kann darum auch mehr wahre Aussagen tätigen. Die Wahrheit kann aber nicht vom Gewussten abhängen, somit auch nicht von der Aussage. Das war das Argument. Ob es sich so verhält, ist eine andere Frage.

Ein Professor der Chemie wird wohl mehr Wahrheit in Form von Aussagen produzieren können, als z.B. ich, da er auch mehr explizites Wissen hat. Aber ob das die ontische Wahrheit plausibilisiert, kann ich nicht sagen. Es mutet nur merkwürdig an zu sagen, die Wahrheit des Professors ist eine andere als meine.



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Herr K.
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Mo 4. Dez 2017, 19:49

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 06:49
Die Definition aus dem Nichts dürfte hier schwer möglich sein, man kann vielleicht versuchen eine Ordnung in die bereits bekannten Begriffe hineinzubringen... Deswegen ist es hier auch so schwierig sich zu verständigen, wenn der andere sagt, "ich habe keine Ahnung wovon du redest", weil jegliches Reden schon voraussetzt, dass man eine gewisse Ahnung davon hat :)
Eine Definition aus dem Nichts ist nicht möglich, ja. Was aber kein Problem darstellt, wenn die andere Seite sich bemüht, zu verstehen und benennt, welche Punkte verstanden und welche noch nicht verstanden wurden und entsprechend nachfragt.




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Herr K.
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Mo 4. Dez 2017, 20:01

Alethos hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 17:58
Und jemand, der mehr weiss, kann darum auch mehr wahre Aussagen tätigen. Die Wahrheit kann aber nicht vom Gewussten abhängen, somit auch nicht von der Aussage. Das war das Argument. Ob es sich so verhält, ist eine andere Frage.
Ja, das verhält sich mE so, (mit einem Körnchen Salz).
Alethos hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 17:58
Ein Professor der Chemie wird wohl mehr Wahrheit in Form von Aussagen produzieren können, als z.B. ich, da er auch mehr explizites Wissen hat. Aber ob das die ontische Wahrheit plausibilisiert, kann ich nicht sagen. Es mutet nur merkwürdig an zu sagen, die Wahrheit des Professors ist eine andere als meine.
Allerdings verstehe ich Dein Argument immer noch nicht. Ich kann nur raten: vielleicht basiert es auf der Doppeldeutigkeit von "die Wahrheit des Professors ist eine andere als meine". Das kann man auf zweierlei Weise lesen, einmal auf eine mE völlig unproblematische: "der Professor weiß mehr [oder: anderes] als ich" und einmal auf eine problematische: "der Professor weiß über x A und ich weiß über x B und A und B widersprechen sich". Letzteres kann nach meinem Verständnis von "Wissen" und "Wahrheit" nicht sein. Jedoch sehe ich auch keinen Grund, so einen Fall anzunehmen, der folgt keineswegs schon aus dem unproblematischen Fall, dass der Professor mehr (oder anderes) weiß als ich. Dieser Fall ist nicht nur unproblematisch, sondern mE sogar der Regelfall. Es wird vermutlich eine absolute Ausnahme darstellen, dass beliebige zwei Personen exakt das Gleiche wissen.




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Alethos
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Mo 4. Dez 2017, 20:45

Herr K. hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 20:01
Alethos hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 17:58
Ein Professor der Chemie wird wohl mehr Wahrheit in Form von Aussagen produzieren können, als z.B. ich, da er auch mehr explizites Wissen hat. Aber ob das die ontische Wahrheit plausibilisiert, kann ich nicht sagen. Es mutet nur merkwürdig an zu sagen, die Wahrheit des Professors ist eine andere als meine.
Allerdings verstehe ich Dein Argument immer noch nicht. Ich kann nur raten: vielleicht basiert es auf der Doppeldeutigkeit von "die Wahrheit des Professors ist eine andere als meine". Das kann man auf zweierlei Weise lesen, einmal auf eine mE völlig unproblematische: "der Professor weiß mehr [oder: anderes] als ich" und einmal auf eine problematische: "der Professor weiß über x A und ich weiß über x B und A und B widersprechen sich". Letzteres kann nach meinem Verständnis von "Wissen" und "Wahrheit" nicht sein. Jedoch sehe ich auch keinen Grund, so einen Fall anzunehmen, der folgt keineswegs schon aus dem unproblematischen Fall, dass der Professor mehr (oder anderes) weiß als ich. Dieser Fall ist nicht nur unproblematisch, sondern mE sogar der Regelfall. Es wird vermutlich eine absolute Ausnahme darstellen, dass beliebige zwei Personen exakt das Gleiche wissen.
Nun, es geht ja bei meiner Argumentation nicht um Wissen oder Mehrwissen, sondern darum, eine Wahrheit jenseits der Aussage zu finden, denn dort vermute ich die ontische Wahrheit, wie sie die ontische Wahrheitstheorie postuliert. Und zu diesem Zweck stelle ich die Frage: ,Worauf bezieht sich eine Aussage?‘ und die Antwort lautet wohl: ‚Auf andere Aussagen‘ oder ‚auf eine Tatsache‘ etc.

Nimmt man nun Wahrheit als allein in der Aussage vorkommend, was ja die ontische Wahrheitstheorie widerlegen will, dann muss man vier Bedingungen annehmen: 1. ‚Es gibt eine Tatsache‘, 2. ‚Es gibt eine Aussage‘, 3. ‚Die Aussage bezieht sich auf die Tatsache‘ und 4. ‚Die Aussage beschreibt die Tatsache korrekt‘. Die Wahrheit kommt als Wahrheitswert der Aussage vor, die sich auf eine Tatsache korrekt bezieht (Korrespondenztheorie). Wenn man diesen Gedankengang gutheisst, was man nicht muss, dann fragt sich, ob die Kenntnis der Tatsache vorausgesetzt werden muss, damit über sie eine wahre Aussage gemacht werden kann. Die Antwort ist, dass die Tatsache nicht zwangsläufig gekannt werden muss. Man kann auch aufs Geratewohl eine Aussage machen, die sich ganz zufällig als wahr herausstellt. Das ist denkbar. Die wahre Aussage muss nicht an ein Wissen gebunden sein. Aber die Aussage kann an ein Wissen gebunden sein, denn überall, wo etwas gewusst wird, kommt dieses Wissen als Aussage über etwas vor. Nun aber, die wahren Aussagen, die an ein Wissen gebunden sind, sie sind grösser an der Zahl, wenn das Wissen, an das sie gebunden sind, grösser an der Zahl ist. Denn, wenn zu wissen heisst, über Aussagen zu verfügen, die wahr sind, dann muss man auch annehmen können, dass die Extension von Wahrheit mit der Anzahl von Aussagen schwankt.

Dass nun jemand mehr wissen kann als der andere, das ist absolut unproblematisch, dass die Wahrheit aber eine kleinere sein soll hier und eine grössere dort, das ist durchaus irritierend. Denn wir verstehen Tatsächlichkeit als implizit wahr, ob wir die Tatsache kennen oder nicht, ob wir über das Wissen verfügen oder nicht, es reicht das theoretische Wissenkönnen (durch einen Klügeren, durch einen Einsichtigeren, durch Zufall etc.).

Es will heissen, dass die Wahrheit der Tatsachen grösser sein muss, als die Summe aller heute möglicher oder bekannten Aussagen. Aber das ist auch nicht schwer zu verstehen, am scheinbar unsinnigen Satz: ‚Das ist eine wahre Tatsache‘ Wir halten das für so selbstverständlich, dass eine Tatsache wahr ist, dass wir diesen Satz als Pleonasmus belächeln :) Aber eine Tatsache ist immer wahr, denn sonst wäre sie ja gar nicht. Das können wir über alle Tatsachen sagen, dass sie sind und in ihrem Sein wahr sind, also tatsächlich sind. Nur so kann ich mir eine ontische Wahrheit denken, als in ihrem tatsächlichen Sein seiende Wahrheit.



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Mo 4. Dez 2017, 21:13

Tommy hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 20:56
Deshalb gehört da zum Zusatz noch ein Zusatz, der da lautet: Nach allem was wir derzeit wissen.
Ja, das sehe ich auch so. Genauer gesagt müsste dieser Zusatz jedoch mE so lauten: nach allem, was wir zurzeit zu wissen meinen - denn nach meinem Verständnis von "Wissen" ist dieses nicht gleichbedeutend mit "unfehlbare Gewissheit".




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Mo 4. Dez 2017, 21:39

Alethos hat geschrieben :
Mo 4. Dez 2017, 20:45
Dass nun jemand mehr wissen kann als der andere, das ist absolut unproblematisch, dass die Wahrheit aber eine kleinere sein soll hier und eine grössere dort, das ist durchaus irritierend.
Aber daraus, dass jemand mehr weiß als ein anderer, folgt schlicht gar nicht, dass es größere und kleinere Wahrheiten gäbe.

Es folgte nur dann, wenn man folgende Thesen verträte:

1. Es gibt eine einzige Wahrheit, diese besteht in der Summe (oder sonstigen Vereinigung) aller Tatsachen (oder in der wie-auch-immer-Vereinigung aller wahren Aussagen)
2. Diese einzige Wahrheit setzt sich aus Teilwahrheiten zusammen (wobei eine Teilwahrheit entweder eine Tatsache ist oder eine wahre Aussage)

Und diese Thesen kann man zwar vertreten, aber selbstevident sind sie mitnichten, sie wären also zu begründen.




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Jörn Budesheim
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Di 5. Dez 2017, 08:26

Nehmen wir mal einen (fast) alltäglichen Satz: "Hans kann die Wahrheit nicht ertragen!" Was kann das heißen? Hier sind zwei (von diversen) Möglichkeiten: (1) Hans ist nicht fähig, Wahrheiten, die man ihm ins Gesicht sagt, zu ertragen. (2) Hans verschließt die Augen vor den Tatsachen. Ich finde, das zeigt ganz gut, dass die "Ambivalenz" des Wahrheitsbegriffs seinen Common-Sense-Verwendungen entspricht. Es kann immer Aussagewahrheit und ontische Wahrheit gemeint sein, manchmal sogar in Einem.




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Mi 6. Dez 2017, 21:09

Ich habe gerade das Höhlengleichnis vor mir liegen. Dort heißt es. "Alles in allem: Diese Leute würden nichts anderes für wahr halten als die Schatten der Geräte."




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