Tatsachen/Wahrheit/ontische Wahrheit

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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iselilja
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Di 12. Dez 2017, 21:33

Herr K. hat geschrieben :
Di 12. Dez 2017, 21:13
Bei Deiner ontologischen Wahrheit ist das aber nicht so: da gibt es nur einen Wahrheitswert, nämlich "ontologisch wahr". Ergo hätten wir ein anderes Konzept als bei Aussagenwahrheit. Und dann stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit dessen.
Ja, so in etwa hatte ich das oben dargestellt. Aussagenlogik hat ja auch mit Ontologie nicht unbedingt etwas zu tun. Jedoch macht Aussagenlogik ohne eine ontologische Referenzierbarkeit keinen Sinn. Wie bereits gesagt, sie wäre dann beliebig und damit überflüssig.


ps: Noch mal ganz kurz zur Erläuterung: Aussagenlogik (mit wahr und falsch) macht unter zwei Bedingungen keinen Sinn.

1. Aussagen lassen sich auf nichts referenzieren und damit durch nichts prüfen.

2. Es gibt zwar eine Referenz (hier also meinetwegen das Seiende), aber da diese ebenfalls unwahr sein könnte, ist wahr zugleich falsch und falsch zugleich wahr.
Zuletzt geändert von iselilja am Di 12. Dez 2017, 21:47, insgesamt 3-mal geändert.




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iselilja
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Di 12. Dez 2017, 21:37

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 12. Dez 2017, 21:22
Dem (zu theoretischen) Subjekt will Heidegger gerade den Stöpsel ziehen.
Das tut er gut, indem er darauf hinweist, dass die theoretische Frage des Descartes, ob es die Welt denn wohl geben könne und nicht nur ein Phantasieprodukt sei, die Frage eines Theoretikers ist, der sich außerhalb der Welt stehend empfindet, dabei ist auch dieser Mensch immer schon ein in die Welt Geworfener, der bereits vortheoretisch mit dem umgeht und an dem übt, was er dann theoretisch verleugnen will.
Moment... die theoretische Verleugnung kann in diesem Kontext aber nur die Aussagenlogik selbst sein (mit ihrer negativen Wertmöglichkeit). Ich hoffe doch, Du bemerkst, dass wir in diesem Thread bereits über Heidegger hinausgehen. ^.-




Tosa Inu
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Di 12. Dez 2017, 21:51

So wie ich Heidegger verstanden habe, ist das (die Aussagenlogik) für ihn die kleine Wahrheit. Die große ist, dass mit der bewussten Wahrnehmung eines Seienden und der anschließenden Frage nach dem Sinn von Sein, sich das Sein offenbart.
In SuZ baut Heidegger da noch so eine Bewegung des Daseins ein, dass zwischen "Da" (und nicht bei sich sein, Versklavung durch "das Man") und "Sein", (dem zu sich kommen (im Tode)) pendelt. Ganz bei sich in seiner Eigentlichkeit ist der Mensch, wenn das Sein durch ihn zu sich und seiner Bestimmung findet, was eher wieder an ein religiöses Motiv erinnert, dass Gott den Menschen braucht.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
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Mi 13. Dez 2017, 06:59

Bin bei Gabriels Auffassung von Wahrheit in Sinn und Existenz fündig geworden. Alle Zitate aus dem Buch, Suhrkamp 2016.
"Tatsachen sind Wahrheiten." (S. 49)

Gabriel dampft die Lücke zwischen Wahrheit, Tatsachen und Aussagen ein, denn er sagt auch:
"Vielmehr handelt es sich bei wahren Gedanken um Tatsachen." (S. 49)

Und:
"Tatsachen sind Wahrheiten, die durch Beschreibungen artikuliert sind, die auf Gegenstände zutreffen." (S. 49)

Aber nicht jede Tatsache sei ein wahrer Gedanke, er will den radikalen Konstruktivismus hier zurückweisen.

Schwierig wird das spätestens, wenn es um den Unterschied wahr/falsch geht. Wahre Gedanken treffen demnach auf Gegenstände zu, "während sich falsche Gedanken teilweise oder vollständig auf Abstand mit ihren Gegenständen befinden." (S. 52)
Wahre und falsche Gedanken sind beide Tatsachen, der wahre Gedanke unmittelbar, der falsche ist "in die Tatsache seiner Falschheit eingelassen". (S. 53)

Ein wahrer Gedanke sei subjektlos, "weshalb wir ihn teilen können", ein falscher konstituiere hingegen ein falsches Subjekt. (S. 53f)
Gabriel will sich in diesem Buch McDowell anschließen und von wahren Gedanken ausgehen, um "den Skeptizismus auszutreiben". Jeder falsche Gedanke sei eine Art Platzhalter für eine Tatsache, die es verständlich macht, warum er falsch ist. (S. 54f)

Geht für mich nicht auf, weil Tatsachen nicht gleichzeitig Wahrheiten und falsch sein können.



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Tosa Inu
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Mi 13. Dez 2017, 07:56

Ich finde immer noch, dass die Idee der Weltbilder und ihrer jeweiligen Wahrheiten Charme hat.
Wenn Wahrheit keine Eigenschaft von Dingen ist, sondern von Aussagen, dann muss man die Aussagen weiter untersuchen.
Diese existieren aber nicht im kontextfreien Raum, sondern vor dem Hintergrund von Prämissen.
Gewöhnlich sieht man das als problemlos an, sofern die Aussagen/Gedanken eben mit den Dingen oder Tatsachen, übereinstimmen.
Tatsachen liegen aber nicht so leblos da, sondern hängen ihrerseits von der Sicht, die wir auf sie haben ab, wenn nicht alle, so doch manche.
Unsere Sicht macht Türme nicht größer und verändert die exakten Relationen zweier Himmelkörper nicht, aber überhaupt alles mit dem ich interagieren kann: Partner, Chefs, Nachbarn, Postboten, Haustiere und sogar noch die Nahrungsmittel und Tabletten die man zu sich nimmt, in einigen Fällen die Wahrnehmung der Länge von Linien, sowie sämtliche Geschmacksurteile und Urteile, die sich in de Grauzone zwischen Geschmack und Wahrheit befinden (War Thomas Mann ein guter Vater? Ist Donald Trump ein Narzisst? Ist Demokratie die beste Staatsform? ...) fällt darunter.

Man lebt einfach nicht in der selben Welt, wenn A denkt, er lebe in einer Demokratie und B denkt, dies sei eine "Demokratur", "Merkel-Diktatur" oder was auch immer. Der Anspruch dahinter ist ja von vollem Ernst durchdrungen und als "Geschmacksfrage" deklariert, wird das in den Kontext "Kaffee oder Tee, was mögen Sie lieber?" gestellt.

Wenn Wahrheiten einfach richtige Schlüsse aus spezifischen Prämissen sind und diese Prämissen halt individuell sind, kommt man weiter.
Der treffende Einwand wäre 1., dass die Welt ist, wie sie ist und sich nicht nach unsere Vorstellungen über sie richtet und 2., dass, wenn jeder seine eigene Wahrheit hat, man sich nicht austauschen kann.

Zu 1.: Ich glaube, das stimmt, aber nur bedingt, wie oben aufgeführt. Wir haben alle gewisse Eckdaten in unserer Kommunikation, auf die wir uns blind verlassen. Der Baum da, der weite Himmel oben, die feste Erde unten, wir wissen wo links und rechts ist und wo wir uns befinden und wir wissen, dass anderen in diesem Punkt genauso empfinden wie wir. Darum holt ein Psychiater auch keinen Kollegen, wenn ein Patient sagt, dass da ein Alien hinter der Uhr hervorschaut. Das zeigt bereits, man kann auch anders wahrnehmen, auch in diesem fundamentalen Bereich, aber die Nicht-Norm sortieren wir aus, als Psychotiker, die wir fortan nicht mehr ernst zu nehmen brauchen oder Wunderkinder, Genies, Synästhetiker, die wir bestaunen, die aber damit auch nicht der Norm entsprechen. Wären alle zufällig Synästhetiker, wäre die Ausaage, dass dieser Ton blau ist vielleicht so normal, wie eine Wegbeschreibugng für uns.

Zu 2.: Stimmt, und darum die Weltbilder.
Stimmt heißt: Der Satz, dass wir doch alle Menschen sind, ist so wenig brauchbar, wie der Satz, dass Wahrheit das sich offenbaren des Seins ist. Kann durchaus sein, nur anfangen kann man nichts damit.
Das andere Extrem lautet, dass jeder ein Individuum ist und saher seine je eigene Wahrheit hat, was ebenfalls stimmt, aber wenn die für andere nicht wenigstens in einigen Bereich gleich wäre, man könnte nicht kommunzieren. Kann man aber.
Deshalb gibt es bestimmte, wenn wir das Bild vom Massezentrum der Wahrheit aufgreifen, kulturelle Gravitationszentren, um die sich einige gruppieren, aber nicht alle, die habe ihre Gravitationszentren.
M.E. sind diese Gravitationszentren durch die Komponenten a. Pathologie/Entwicklungshöhe bestimmt, so wie ich es bislang sehe, ist er Punkt Entwicklung der gravierendste. b., durch soziale Milieus, wie hier dargestellt und c. ist eine regionale Komponente, die man sich als kontentrische Kreise denken kannn, die mit Familie beginnt, die nahe Nachbarschaft wäre der nächste Punkt, Dorf/Stadtteil, Stadt, Bundesland/Kanton, Nation, evtl. Kontinent in jeweils abgeschwächter Weise. d. könnte evtl. das Temperament sein, vielleicht ist das ber auch kein gesonderter Punkt.

Klingt nach viel, aber aus diesen Zutaten konstituieren sich meinetwegen 20 oder 30 Weltbilder, von denen bei uns velleicht 4 oder 5 bedeutend sind. Typisch für diese Weltbilder ist, dass sie ihre je eigenen Prämissen haben, die sich wesentlich teilen. Dabei kommt es auf der Ebene gleich Entwicklungshöhe aber unterschiedlicher Enden typischerweise zu Streit, d.h. man versteht sich, redet die gleiche Sprache, ist nur anderer Meinung, während es zwischen den Ebenen zu einer charakterischen Sprachlosigkeit kommt, man weiß nicht wirklich wovon der andere redet und wo man es zu wissen glaubt, fühlt der andere sich oft missverstanden.

Das wäre mein Vorschlag, der keine reine Kopfgeburt ist, sondern mit dem ich den Anspruch verbinde, praktisch agieren zu können. Da finde ich viel Gabriel wieder (obwohl ich dessen Ideen zu der Zeit noch nicht kannte), nur dass Gabriel sich gegen Weltbilder ausspricht und ich sie als große Hilfe ansehe.
Kritik ist ausdrücklich erwünscht!



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Herr K.
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Mi 13. Dez 2017, 09:18

Danke für die Zitate.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Bin bei Gabriels Auffassung von Wahrheit in Sinn und Existenz fündig geworden. Alle Zitate aus dem Buch, Suhrkamp 2016.
"Tatsachen sind Wahrheiten." (S. 49)

Gabriel dampft die Lücke zwischen Wahrheit, Tatsachen und Aussagen ein, denn er sagt auch:
"Vielmehr handelt es sich bei wahren Gedanken um Tatsachen." (S. 49)

Und:
"Tatsachen sind Wahrheiten, die durch Beschreibungen artikuliert sind, die auf Gegenstände zutreffen." (S. 49)

Aber nicht jede Tatsache sei ein wahrer Gedanke, er will den radikalen Konstruktivismus hier zurückweisen.
Ja, das ist nun die Identitätstheorie der Wahrheit.

Ich fasse zusammen:

- Tatsachen sind Wahrheiten (d.h. Tatsachen sind wahr), daraus folgt: über Wahrheiten kann nichts weiter gesagt werden, als dass sie Tatsachen sind, bzw. "wahre Tatsache" bedeutet dann dasselbe wie "bestehende Tatsache" und alle Tatsachen sind wahr und bestehen
- Wahre Gedanken sind Tatsachen
- Nicht jede Tatsache ist ein wahrer Gedanke

Dann können aber nicht alle Tatsachen durch artikulierte Beschreibungen erzeugt werden, der eine zitierte Satz muss irgendwie falsch sein.

Außerdem bleibt sowohl unklar, was eine Tatsache, als auch, was ein Gedanke hier sein soll. Klar hingegen ist dann, dass eine Tatsache nicht so definiert werden kann: "Eine Tatsache ist etwas, das über etwas wahr ist", denn das wäre zirkulär.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Schwierig wird das spätestens, wenn es um den Unterschied wahr/falsch geht. Wahre Gedanken treffen demnach auf Gegenstände zu, "während sich falsche Gedanken teilweise oder vollständig auf Abstand mit ihren Gegenständen befinden." (S. 52)
Wahre und falsche Gedanken sind beide Tatsachen, der wahre Gedanke unmittelbar, der falsche ist "in die Tatsache seiner Falschheit eingelassen". (S. 53)
Das hört sich recht merkwürdig an, wir erhalten so für jede Tatsache unendlich viele Tatsachen höherer Stufe (Tatsachen über Tatsachen über Tatsachen etc.). Was ja aber gar nichts damit zu tun haben kann, welchen Wahrheitswert der Gedanke hat.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Ein wahrer Gedanke sei subjektlos, "weshalb wir ihn teilen können", ein falscher konstituiere hingegen ein falsches Subjekt. (S. 53f)
Das verstehe ich nicht. Für das Teilen von Gedanken spielt es doch wohl gar keine Rolle, ob die wahr oder falsch sind, oder etwa doch?
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Geht für mich nicht auf, weil Tatsachen nicht gleichzeitig Wahrheiten und falsch sein können.
Das ist aber hier nicht so, denn nur wahre Gedanken sollen ja Tatsachen sein. Es gibt demnach nur wahre Tatsachen, jedoch wahre und falsche Gedanken.

Allerdings wäre noch zu klären, was der ontologische Status von Gedanken hier sein soll und in welchem Zusammenhang sie mit Denken und Sprache stehen. Und auch, wie es sein kann, dass wahre Gedanken mit Tatsachen identisch sind, falsche Tatsachen aber nicht. Eine Tatsache zweiter Stufe einzuführen, die einen falschen Gedanken falsch macht, ist auch deswegen merkwürdig, weil dann die Frage aufkommt, wieso es nicht auch bei wahren Gedanken eine solche Tatsache zweiter Stufe bedarf, die den Gedanken (und somit auch die Tatsache erster Stufe) wahr macht.




Tosa Inu
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Mi 13. Dez 2017, 09:43

Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:18
Dann können aber nicht alle Tatsachen durch artikulierte Beschreibungen erzeugt werden, der eine zitierte Satz muss irgendwie falsch sein.
Wahrheiten werden dadurch auch nicht erzeugt, nur ausgedrückt. Wahr ist ja schon die Tatsache als solche. Auch wenn man sie nicht ausdrückt.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:18
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Schwierig wird das spätestens, wenn es um den Unterschied wahr/falsch geht. Wahre Gedanken treffen demnach auf Gegenstände zu, "während sich falsche Gedanken teilweise oder vollständig auf Abstand mit ihren Gegenständen befinden." (S. 52)
Wahre und falsche Gedanken sind beide Tatsachen, der wahre Gedanke unmittelbar, der falsche ist "in die Tatsache seiner Falschheit eingelassen". (S. 53)
Das hört sich recht merkwürdig an, wir erhalten so für jede Tatsache unendlich viele Tatsachen höherer Stufe (Tatsachen über Tatsachen über Tatsachen etc.). Was ja aber gar nichts damit zu tun haben kann, welchen Wahrheitswert der Gedanke hat.
Kann sein.
Ich kann mit dem Abstand nicht so recht etwas anfangen. Was soll das heißen? 30 cm weg? Und wenn sie zutreffen, ist das dann nicht doch wieder nur Korespondenztheorie?
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:18
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Ein wahrer Gedanke sei subjektlos, "weshalb wir ihn teilen können", ein falscher konstituiere hingegen ein falsches Subjekt. (S. 53f)
Das verstehe ich nicht. Für das Teilen von Gedanken spielt es doch wohl gar keine Rolle, ob die wahr oder falsch sind, oder etwa doch?
Ich halte das schlicht für Unsinn.
Ich habe mich übrigens verschrieben, nicht "falsches Subjekt" sondern "fallibles Subjekt" muss es an der Stelle heißen.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:18
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Geht für mich nicht auf, weil Tatsachen nicht gleichzeitig Wahrheiten und falsch sein können.
Das ist aber hier nicht so, denn nur wahre Gedanken sollen ja Tatsachen sein. Es gibt demnach nur wahre Tatsachen, jedoch wahre und falsche Gedanken.
Nein.
Nach Gabriel sind falsche Gedanken "akzidentelle Tatsachen", ein falscher Gedanke ist aber "trotz seiner Falschheit eine Tatsache".
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:18
Allerdings wäre noch zu klären, was der ontologische Status von Gedanken hier sein soll und in welchem Zusammenhang sie mit Denken und Sprache stehen. Und auch, wie es sein kann, dass wahre Gedanken mit Tatsachen identisch sind, falsche Tatsachen aber nicht. Eine Tatsache zweiter Stufe einzuführen, die einen falschen Gedanken falsch macht, ist auch deswegen merkwürdig, weil dann die Frage aufkommt, wieso es nicht auch bei wahren Gedanken eine solche Tatsache zweiter Stufe bedarf, die den Gedanken (und somit auch die Tatsache erster Stufe) wahr macht.
Ja.



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Herr K.
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Mi 13. Dez 2017, 09:45

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 07:56
Das wäre mein Vorschlag, der keine reine Kopfgeburt ist, sondern mit dem ich den Anspruch verbinde, praktisch agieren zu können. Da finde ich viel Gabriel wieder (obwohl ich dessen Ideen zu der Zeit noch nicht kannte), nur dass Gabriel sich gegen Weltbilder ausspricht und ich sie als große Hilfe ansehe.
Kritik ist ausdrücklich erwünscht!
Dein Lieblingsthema. :D

Ich habe nun aber gar keine Kritik, es ist mE richtig, was Du sagt: einige Tatsachen hängen von Individuen ab, andere von Gruppen, wieder andere sind objektiver Art. Ergo gilt das auch für Aussagen und deren Wahrheitswert.

Bloß ist das sehr schwammig und auszubuchstabieren, welche Tatsachen (bzw. welche Bereiche) von was abhängen, (bzw.: inwiefern sie subjektiv oder objektiv sind), ist eine Sisyphos-Aufgabe, die gar nicht bewältigt werden kann. Man denke nur an den Streit zwischen moralischen Realisten und moralischen Anti-Realisten - eine Einigung ist weit und breit nicht in Sicht.

Ich wüsste noch nicht mal, wie man da überhaupt erst beginnen könnte.




Tosa Inu
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Mi 13. Dez 2017, 10:01

Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:45
Dein Lieblingsthema. :D
Ja!
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:45
Ich habe nun aber gar keine Kritik, es ist mE richtig, was Du sagt: einige Tatsachen hängen von Individuen ab, andere von Gruppen, wieder andere sind objektiver Art. Ergo gilt das auch für Aussagen und deren Wahrheitswert.
Das ist doch schon mal erfreulich, da ich Deine Kritik stets schätze und ernst nehme.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:45
Bloß ist das sehr schwammig und auszubuchstabieren, welche Tatsachen (bzw. welche Bereiche) von was abhängen, (bzw.: inwiefern sie subjektiv oder objektiv sind), ist eine Sisyphos-Aufgabe, die gar nicht bewältigt werden kann. Man denke nur an den Streit zwischen moralischen Realisten und moralischen Anti-Realisten - eine Einigung ist weit und breit nicht in Sicht.
Das schockt mich nicht, weil ich das eher für den psychologischen oder psychosomatischen Bereiche verwenden will und es sind bereits viele Pionierarbeiten geleistet. Außerdem bade ich seit Jahren (wenn nicht Jahrzehnten) in dem Kram.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:45
Ich wüsste noch nicht mal, wie man da überhaupt erst beginnen könnte.
Ich glaube, da lässt sich viel für chronische Erkrankungen herausholen und da soll und muss es sich dann auch praktisch bewähren.
Schön wäre das klinisch testen zu können, da muss ich Klinken putzen, was ich bereits und demnächst wieder tue, kannst mir gerne die Daumen drücken.
Alle Veränderungen in den medizinischen Leitlinien weisen erfreulicherweise in die Richtung, dass man diese Ansätze künftig ernster nehmen will, aus der Erfahrung, dass man sich mit biologischen Modellen eine blutige Nase geholt hat, inwieweit das Sonntagsreden sind, kann ich aktuell noch nicht abschätzen, da das Primärinteresse in der Medizin leider immer mehr in Richtung Wirtschaftlichkeit verschoben wird.



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Herr K.
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Mi 13. Dez 2017, 10:11

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:43
Wahrheiten werden dadurch auch nicht erzeugt, nur ausgedrückt. Wahr ist ja schon die Tatsache als solche. Auch wenn man sie nicht ausdrückt.
Ah, okay. Ja, dann passt's zur Identitätstheorie der Wahrheit.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:43
Ich habe mich übrigens verschrieben, nicht "falsches Subjekt" sondern "fallibles Subjekt" muss es an der Stelle heißen.
Also: "ein falscher [Gedanke] konstituiere hingegen ein fallibles Subjekt. (S. 53f)". Das ergibt für mich keinen Sinn, verstehst Du das?
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:43
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:18
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Geht für mich nicht auf, weil Tatsachen nicht gleichzeitig Wahrheiten und falsch sein können.
Das ist aber hier nicht so, denn nur wahre Gedanken sollen ja Tatsachen sein. Es gibt demnach nur wahre Tatsachen, jedoch wahre und falsche Gedanken.
Nein.
Nach Gabriel sind falsche Gedanken "akzidentelle Tatsachen", ein falscher Gedanke ist aber "trotz seiner Falschheit eine Tatsache".
Wenn das einen Sinn ergeben soll, dann kann hier aber nur entweder eine Tatsache zweiter Ordnung gemeint sein, die den Gedanken falsch macht oder eine Tatsache zweiter Ordnung, dass es den Gedanke gibt. Nicht gemeint sein kann hingegen der Inhalt des Gedankens, das wäre in der Tat widersprüchlich, es kann nicht sein, dass alle Tatsachen wahr sind und es dennoch einige falsche Tatsachen gibt.

Könntest Du bei Gelegenheit nochmal im Buch nachschauen ob Gabriel da irgendwo "Tatsache" und "Gedanke" näher bestimmt?




Tosa Inu
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Mi 13. Dez 2017, 10:35

"Ein falscher Gedanke ist damit eine akzidentelle Tatsache, das heißt dadurch, dass es eine Tatsache ist, dass er ein falscher Gedanke ist. Ein wahrer Gedanke ist unmittelbar eine Tatsache, ja, eine Eigenschaft seiner Gegenstände; ein falscher Gedanke ist sozusagen trotz seiner Falschheit in eine Tatsache, nämlich die Tatsache seines Falschseins, eingelassen. Außerdem stehen falsche Gedanken immer noch in einem relevanten, inferentiell artikulierten Zusammenhang mit denjenigen Gegenständen, die sie falsch beschreiben. Man könnte auch sagen, dass ein wahrer Gedanke subjektlos ist, weshalb wir ihn teilen können. Er ermöglicht eine ungehinderte Durchlässigkeit auf die Gegenstände hin, von denen er handelt. Ein falscher Gedanke dagegen konstituiert ein fallibles Subjekt, jemanden, der ein Gegenstand eines wahren Gedankens ist, der erklärt, wie dieses Subjekt sich täuschen konnte. Deswegen kann man wahre Gedanken leichter kommunizieren, weil sie bereits wesentlich öffentlich sind, während Erklärungen der Entstehung falscher Gedanken eine Subjektivitätstheorie erforderlich macht."
(Markus Gabriel, Sinn und Existenz, Suhrkamp 2016, S. 53f)
Bei allem, echten Respekt vor Gabriel, ich halte diese Passage für völligen Stuss.



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Alethos
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Mi 13. Dez 2017, 11:17

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:43
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:18
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Geht für mich nicht auf, weil Tatsachen nicht gleichzeitig Wahrheiten und falsch sein können.
Das ist aber hier nicht so, denn nur wahre Gedanken sollen ja Tatsachen sein. Es gibt demnach nur wahre Tatsachen, jedoch wahre und falsche Gedanken.
Nein.
Nach Gabriel sind falsche Gedanken "akzidentelle Tatsachen", ein falscher Gedanke ist aber "trotz seiner Falschheit eine Tatsache".
Danke für die Zitate, sie bringen uns wahrscheinlich weiter. Wenigstens mir erscheinen sie plausibler und verständlicher als das Heidegger-Vokabular, das ich nicht mal richtig entziffern kann.

Bei der besagten Stelle meint Gabriel, wenn ich ihn richtig verstehe, nicht, dass ein falscher Gedanke trotz seiner Falschheit Tatsache sei, sondern er ist in gewissem Sinne nur wahr in einer Tatsächlichkeit zweiter Ordnung: Der falsche Gedanke ist insofern Tatsache als er "in die Tatsache seiner Falschheit eingelassen" ist. Wie immer man diese Passage deuten will, es bleibt verworren. Was bedeutet in die Falschheit eingelassen sein? Hier spielt er wahrscheinlich auf die Tatsache an, dass der Gedanke von etwas handelt, das nicht der Fall. Der Gedanke selbst ist Tatsache, insofern er überhaupt vorkommt, aber er handelt von etwas, das keine Tatsache ist. Der wahre Gedanke zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass er wahr ist, weil er von einer Tatsache handelt.

Obwohl also hier nicht ganz klar ist, was "in eine Falschheit eingelassen zu sein" genau bedeutet, wäre es meines Erachtens nicht zulässig, Gabriel zu unterstellen, er schreibe einerTatsache zu, falsch sein zu können. Er sagt nicht, es gibt falsche und wahre Tatsachen.
Zuletzt geändert von Alethos am Mi 13. Dez 2017, 11:24, insgesamt 1-mal geändert.



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Mi 13. Dez 2017, 11:22

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 06:59
Ein wahrer Gedanke sei subjektlos, "weshalb wir ihn teilen können", ein falscher konstituiere hingegen ein falsches Subjekt. (S. 53f)
Ich verstehe das folgendermassen: Ein wahrer Gedanke korrespondiert mit der Wirklichkeit in einer verbindlichen Weise. Dass der Gedanke wahr ist, ist nicht Eigenschaft des Gedankens selbst, sondern der Tatsächlichkeit, von der er handelt. Der Tatsachengehalt ist dabei zugleich der Gedankeninhalt. Wenn aber die Tatsache besteht, auch ohne dass ein Subjekt sie bedenkt, dann besteht auch der mögliche Gedanke über die Tatsache, ohne dass ein Subjekt den Gedanken hat. Der wahre Gedanke zeigt sich in dieser Ausprägung nicht als etwas, das ein Subjekt hat, sondern als Tatsächlichkeit, die sich dem möglichen wahren Gedanken "ausleiht".



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Herr K.
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Mi 13. Dez 2017, 11:53

Ich drücke Dir beide Daumen, Tosa Inu, da hast Du Dir ja ein gewaltiges Projekt vorgenommen! :D
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 10:35
"Ein falscher Gedanke ist damit eine akzidentelle Tatsache, das heißt dadurch, dass es eine Tatsache ist, dass er ein falscher Gedanke ist. Ein wahrer Gedanke ist unmittelbar eine Tatsache, ja, eine Eigenschaft seiner Gegenstände; ein falscher Gedanke ist sozusagen trotz seiner Falschheit in eine Tatsache, nämlich die Tatsache seines Falschseins, eingelassen. Außerdem stehen falsche Gedanken immer noch in einem relevanten, inferentiell artikulierten Zusammenhang mit denjenigen Gegenständen, die sie falsch beschreiben. Man könnte auch sagen, dass ein wahrer Gedanke subjektlos ist, weshalb wir ihn teilen können. Er ermöglicht eine ungehinderte Durchlässigkeit auf die Gegenstände hin, von denen er handelt. Ein falscher Gedanke dagegen konstituiert ein fallibles Subjekt, jemanden, der ein Gegenstand eines wahren Gedankens ist, der erklärt, wie dieses Subjekt sich täuschen konnte. Deswegen kann man wahre Gedanken leichter kommunizieren, weil sie bereits wesentlich öffentlich sind, während Erklärungen der Entstehung falscher Gedanken eine Subjektivitätstheorie erforderlich macht."
(Markus Gabriel, Sinn und Existenz, Suhrkamp 2016, S. 53f)
Bei allem, echten Respekt vor Gabriel, ich halte diese Passage für völligen Stuss.
Mich verwirrt das ziemlich. Ist ein falscher Gedanke nun eine Tatsache oder in eine Tatsache eingelassen? Vermutlich Zweiteres, das soll wohl durch das "akzidentell" verbrämt werden, vermutlich ist eine "akzidentelle Tatsache" keine Tatsache. Wenn aber ein falscher Gedanke zwar in eine Tatsache eingelassen ist, selber aber keine Tatsache ist, was ist er denn dann? Wie kann es sein, dass wahre Gedanken Eigenschaften seiner Gegenstände sind? Und wie können falsche Gedanken (z.B.: da stehen 3 weiße Zwerge) in einem "relevanten, inferentiell artikulierten Zusammenhang" mit denjenigen Gegenständen stehen, die sie falsch beschreiben, wenn es diese Gegenstände gar nicht gibt und wofür spielt das hier überhaupt eine Rolle? Ist es nicht auch eher so, dass Gedanken in einem inferentiellen Zusammenhang mit anderen Gedanken stehen? Und wieso kann man nur wahre Gedanken teilen und was hat das "subjektlos" hier zu suchen, bzw. wie kann man sich ein subjektloses Teilen eines Gedankens vorstellen? Und seit wann ermöglichen wahre Gedanken "ungehinderte Durchlässigkeit auf die Gegenstände hin, von denen er handelt"? Und wie kommt es, dass bei falschen Gedanken plötzlich automatisch wahre Gedanken entstehen, die erklären, wieso sich das Subjekt täuschen konnte? Und wieso sollen wahre Gedanken wesentlich öffentlich sein? Und was hat Kommunizieren von Gedanken mit Erklären der Entstehung der Gedanken zu tun, bzw. wieso ist Zweiteres erforderlich für Ersteres?

Fragen über Fragen. Vermutlich müssen wir erst mal eruieren, was denn Gabriel überhaupt unter "Tatsache" und "Gedanke" versteht.




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Mi 13. Dez 2017, 13:30

Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 11:22
Der wahre Gedanke zeigt sich in dieser Ausprägung nicht als etwas, das ein Subjekt hat, sondern als Tatsächlichkeit, die sich dem möglichen wahren Gedanken "ausleiht".
Allerdings kann man ja auch alle möglichen falschen Gedanken haben und die sehe ich mitunter gar nicht als vereinzelt an.
Wie oft hört man von kollektiven Irrtümern, über Jahre, wenn nicht Jahrhunderte?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
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Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 11:53
Ich drücke Dir beide Daumen, Tosa Inu, da hast Du Dir ja ein gewaltiges Projekt vorgenommen! :D
Vielen Dank.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 11:53
Vermutlich müssen wir erst mal eruieren, was denn Gabriel überhaupt unter "Tatsache" und "Gedanke" versteht.
Schon verstanden. ;)
Leider hat Gabriel kein Sachwortregister im Buch, aber ich schaue mal, was ich finde.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 11:17
Obwohl also hier nicht ganz klar ist, was "in eine Falschheit eingelassen zu sein" genau bedeutet, wäre es meines Erachtens nicht zulässig, Gabriel zu unterstellen, er schreibe einerTatsache zu, falsch sein zu können. Er sagt nicht, es gibt falsche und wahre Tatsachen.
Stimmt, da hatte ich mich beim ersten Mal verschrieben. Ein falscher Gedanke ist nicht "eine Tatsache", sondern "in eine Tatsache eingelassen".
Wie Herr K. schon sagte, wir müssen verstehen, was Gedanken und Tatsachen bei Gabriel sind.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Mi 13. Dez 2017, 19:55

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 13:30
Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 11:22
Der wahre Gedanke zeigt sich in dieser Ausprägung nicht als etwas, das ein Subjekt hat, sondern als Tatsächlichkeit, die sich dem möglichen wahren Gedanken "ausleiht".
Allerdings kann man ja auch alle möglichen falschen Gedanken haben und die sehe ich mitunter gar nicht als vereinzelt an.
Wie oft hört man von kollektiven Irrtümern, über Jahre, wenn nicht Jahrhunderte?
Ja, das ist wohl richtig, dass Gedanken ineinandergreifen und die Zeiten überdauern. Was ein Gedanke ist, müssten wie weiter aufschlüsseln. Er kann kaum als atomisiertes Einzelnes von allem anderen, mit dem er interferiert, isoliert betrachtet werden. Er steht sowohl in seiner Zeit als auch in seiner ‚assoziativen gedanklichen Umgebung‘.

Der Gedanke, gefasst als Aussage, hingegen hat eine klar konturierte Form: die sprachlich-begriffliche Konstruiertheit. Es wäre falsch zu meinen, denke ich, dass ein Gedanke ‚unerzeugt‘ sei, mithin ein aus der Tatsachenwelt in die Gedankenwelt purzelndes Etwas sei. Gabriel muss sich hier also verrenken, falls er uns davon überzeugen möchte, der Gedanke komme ohne Subjekt vor (subjektlos), denn selbst in seiner Form als Aussage kommt er nicht ungeworden ins Denken. Ich wüsste jedenfalls nicht, wie sich der Gedanke aus den Sachen selbst entwickeln sollte. Aber ich denke, dass Gabriel hier weiterdenkt oder weitergedacht hat, wenn er sagt, dass die wahren Gedanken subjektlos sind. Wie wir diese Objektiviertheit des Gedankens als von seinem subjektiven Denker losgelöst verstehen sollen, kann ich mir noch nicht erklären. Offenbar liegt die Objektivität des Gedankens in der Tatsache, die ist, und die dem Gedanken die Wahrheit ‚borgt‘, aber der Tatsachenteppich selbst ist ja nicht ein aus Gedanken gewobenes Etwas?



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Mi 13. Dez 2017, 20:14

Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 11:17
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:43
Herr K. hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 09:18
Das ist aber hier nicht so, denn nur wahre Gedanken sollen ja Tatsachen sein. Es gibt demnach nur wahre Tatsachen, jedoch wahre und falsche Gedanken.
Nein.
Nach Gabriel sind falsche Gedanken "akzidentelle Tatsachen", ein falscher Gedanke ist aber "trotz seiner Falschheit eine Tatsache".
Danke für die Zitate, sie bringen uns wahrscheinlich weiter. Wenigstens mir erscheinen sie plausibler und verständlicher als das Heidegger-Vokabular, das ich nicht mal richtig entziffern kann.

Bei der besagten Stelle meint Gabriel, wenn ich ihn richtig verstehe, nicht, dass ein falscher Gedanke trotz seiner Falschheit Tatsache sei, sondern er ist in gewissem Sinne nur wahr in einer Tatsächlichkeit zweiter Ordnung: Der falsche Gedanke ist insofern Tatsache als er "in die Tatsache seiner Falschheit eingelassen" ist. Wie immer man diese Passage deuten will, es bleibt verworren. Was bedeutet in die Falschheit eingelassen sein? Hier spielt er wahrscheinlich auf die Tatsache an, dass der Gedanke von etwas handelt, das nicht der Fall. Der Gedanke selbst ist Tatsache, insofern er überhaupt vorkommt, aber er handelt von etwas, das keine Tatsache ist. Der wahre Gedanke zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass er wahr ist, weil er von einer Tatsache handelt.

Obwohl also hier nicht ganz klar ist, was "in eine Falschheit eingelassen zu sein" genau bedeutet, wäre es meines Erachtens nicht zulässig, Gabriel zu unterstellen, er schreibe einerTatsache zu, falsch sein zu können. Er sagt nicht, es gibt falsche und wahre Tatsachen.
Ich finde die Stelle etwas problematisch. Die hätte Gabriel glaube ich etwas exemplifizieren können. Ich denke aber in diesem Fall meint er tatsächlich lediglich das Bestehen der Aussage als Tatsache. Denn ob die Aussage wahr oder falsch ist, hat keinerlei Einfluß auf ihren Tatsachencharakter. Ich hatte das weiter oben schon angesprochen, dass eben auch Aussagen (als Tatsache wenn man diesen Begriff mit im Boot haben will) eine ontologische Wahrheit bilden - auch wenn der Inhalt der Aussage falsch ist.

Auf die Tatsache der Falschheit kann ontologisch betrachtet nicht gezeigt werden, denn Inhalte und Bedeutungen sind keine Tatsachen.




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Mi 13. Dez 2017, 20:24

iselilja hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 20:14
Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 11:17
Bei der besagten Stelle meint Gabriel, wenn ich ihn richtig verstehe, nicht, dass ein falscher Gedanke trotz seiner Falschheit Tatsache sei, sondern er ist in gewissem Sinne nur wahr in einer Tatsächlichkeit zweiter Ordnung: Der falsche Gedanke ist insofern Tatsache als er "in die Tatsache seiner Falschheit eingelassen" ist.
Ich finde die Stelle etwas problematisch. Die hätte Gabriel glaube ich etwas exemplifizieren können. Ich denke aber in diesem Fall meint er tatsächlich lediglich das Bestehen der Aussage als Tatsache. Denn ob die Aussage wahr oder falsch ist, hat keinerlei Einfluß auf ihren Tatsachencharakter. Ich hatte das weiter oben schon angesprochen, dass eben auch Aussagen (als Tatsache wenn man diesen Begriff mit im Boot haben will) eine ontologische Wahrheit bilden - auch wenn der Inhalt der Aussage falsch ist.

Auf die Tatsache der Falschheit kann ontologisch betrachtet nicht gezeigt werden, denn Inhalte und Bedeutungen sind keine Tatsachen.
Bei letzterem bin ich mir nicht so sicher, denn auch Bedeutungen haben ja ein Sein, sie sind ontologisch nicht weniger faktisch als eine Tatsache. Dass ein Ding (falls man Bedeutung der Einfachheit halber als Ding bezeichnen mag) keine Tatsache ist, halte ich für korrekt, aber beides, Ding und Tatsache, haben einen Status im Sein.

Aber bezüglich der Tatsächlichkeit falscher und wahrer Gedanken: Es macht vielleicht keinen vordergründigen Unterschied für den Umstand des Tatsacheseins der Aussage, ob sie wahr oder falsch ist, aber dennoch wäre es intuitiv falsch, beiden einen gleichrangigen ontologischen Status zuzusprechen: Eine falsche Aussage (ein falscher Gedanke?) ist an sich eine Tatsache, aber sie handelt nicht davon. Sie hat doch, meine ich, eine schwächere Relevanz im ganzen ontologischen Gefüge?



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