Wie haben versucht, zu verstehen, was Gabriel unter "Gedanke" versteht, das müssen wir wohl ein bisschen kreisförmig tun. Um einige Punkte zusammenzufassen, die Ihr oben genannt habt:
1. auch falsche Gedanken sind öffentlich/vermittelbar und können sich verbreiten
2. Gedanken sind nicht atomar/stehen nicht für sich, sondern stehen in einer inferentiellen Beziehung zu anderen Gedanken
3. ein Gedanke ist sprachlich-begrifflich darstellbar bzw.: ein Gedanke hat eine sprachlich-begriffliche Struktur
4. das Reich der Bedeutungen ist vom Reich der Tatsachen getrennt (wäre dem nicht so, wäre kein Wissenszuwachs bzw. keine Wissensänderung möglich)
5. ist der Tatsachenteppich ein aus Gedanken gewobenes Etwas?
Mir scheinen 1 bis 4 richtig zu sein, die Frage 5 behandeln wir später. Wenn aber 1 richtig ist, dann scheint mit Gabriels Auffassung, dass nur wahre Gedanken "subjektlos" seien, etwas nicht zu stimmen.
Um nun weiter einzukreisen, können wir zwischendurch mal betrachten, was Frege unter "Gedanke" verstand. Das war ziemlich einflussreich, nicht nur auf Gabriel, sondern z.B. auch auf Russell und McDowell (der Fregesche Gedanken jedoch mit einem Neologismus "thinkables" benennt [und nicht "Thoughts"]). Auch findet man Freges Argument gegen eine Korrespondenztheorie der Wahrheit meist bei Proponenten der Identitätstheorie der Wahrheit wieder.
Einschlägig dazu ist Freges Aufsatz:
Gottlob Frege: Der Gedanke. Eine logische Untersuchung
Um das mal für unsere Zwecke etwas zusammenzufassen:
Der Inhalt des Wortes „wahr” sei ganz einzigartig und undefinierbar, meint Frege. Was aber nicht heißt, dass man nichts weiter darüber aussagen kann, man kann z.B. fragen, was denn die Wahrheitsträger sind, also, was es ist, das die Wahrheitswerte "wahr" und "falsch" annehmen kann. Und laut Frege sind das Gedanken. Was aber sind Gedanken? Ganz grob gesagt ist ein Gedanke die kontextbefreite Bedeutung eines Aussagesatzes. Ein Gedanke ist aber nicht ein konkreter Denk- oder Aussagevorgang, wiewohl Gedanken dadurch ausgedrückt werden können. Konkrete Denk- oder Aussagevorgänge haben einen Träger, Gedanken aber haben keinen Träger.
Frege unterscheidet nun so zwischen Außenwelt und Innenwelt:
Außenwelt - Dinge der Außenwelt sind sinnlich wahrnehmbar, kein Ding der Außenwelt hat einen Wahrheitswert
Innenwelt - besteht aus Vorstellungen und Entschlüssen. Jede Vorstellung hat genau einen Träger, Vorstellungen sind nicht sinnlich wahrnehmbar
nehmen wir nochmal Gedanken hinzu:
Gedanken - können durch Aussagesätze ausgedrückt werden; sind grob gesagt die kontextbereinigten Bedeutungen von Aussagesätzen; sind nicht sinnlich wahrnehmbar; haben keinen Träger; können wahr oder falsch sein; ihr Wahrheitswert ist unveränderlich, d.h. Gedanken sind zeitlos entweder wahr oder falsch; Gedanken ändern sich nicht, sind zeitlos und ewig; Gedanken werden erfasst, d.h. nicht erfunden, sondern gefunden; Gedanken wirken dadurch, dass sie gefasst und so Denkinhalt werden
Frege schließt nun daraus, dass Gedanken weder zur Außen- noch zur Innenwelt gehören können. Wir haben also nach Frege 3 Bereiche:
1. Außenwelt
2. Innenwelt
3. Gedanken
Was zu der Frage führt, wie denn diese Bereiche zusammenhängen, wie man z.B. einen Gedanken erfassen kann oder wie ein Gedanke mit der Außenwelt zusammenhängt. Diese Frage können wir aber vielleicht erst mal ein bisschen beiseitestellen. [x]
Zunächst können wir einen Bogen zurück zu Gabriel schlagen. Und zwar dadurch, dass wir betrachten, was Frege unter "Tatsache" verstand. Das ist schnellt gesagt (Zitat Frege):
"Eine Tatsache ist ein Gedanke, der wahr ist."
Hier haben wir wohl einen Unterschied zu Gabriel. Nochmal dessen Thesen:
- Tatsachen sind Wahrheiten
- Wahre Gedanken sind Tatsachen
- Nicht jede Tatsache ist ein wahrer Gedanke
Nun scheint der Punkt 3 anders zu sein als bei Frege. Was darauf schließen lässt, dass Gabriel unter "Gedanke" etwas leicht anderes versteht als Frege, auch ist dann noch unklar, was Gabriel unter "Tatsache" versteht.
[x] Um jetzt nochmal darauf zurückzukommen. Die 3 Bereiche müssen entweder irgendwie zusammenhängen, oder sonst: 1. falls Innenwelt und Gedanken nicht zusammenhingen, dann könnte man keinen Gedanken fassen, 2. falls Gedanken und Außenwelt nicht zusammenhingen, dann könnten sich Gedanken nicht auf die Außenwelt beziehen und man würde bei einem Idealismus landen.
Die Frage hier ist auch ein bisschen die, ob Freges Argumentation richtig ist, immerhin haben wir uns durch die Annahme eines 3. Bereiches ein zusätzliches Problem eingehandelt. Aber auch könnte man die Frage stellen, ob denn überhaupt erst der Dualismus Außenwelt <-> Innenwelt richtig ist, das betrifft nun den Punkt 4 ganz oben.
Was uns zu Punkt 5 führt, der Frage von Alethos, die er ungläubig geäußert hat. Mir scheint aber, dass dies tatsächlich von einigen Philosophen vertreten wird, ganz grob gesagt heißt das: die Welt besteht aus Bedeutungen bzw. Sinn bzw. (Punkte 2 und 3 oben) die Welt ist begrifflich strukturiert. McDowell ist wohl diesem Lager zuzuschlagen, evtl. auch Gabriel und evtl. auch Heidegger.
Diese Position ist aber mE sehr schwer auszubuchstabieren, insbesondere dann, wenn man nicht bei einem unakzeptablen Idealismus landen will. (Speziell McDowell finde ich sehr schwer verständlich.)