Tatsachen/Wahrheit/ontische Wahrheit

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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iselilja
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Mi 13. Dez 2017, 21:04

Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 20:24
Aber bezüglich der Tatsächlichkeit falscher und wahrer Gedanken: Es macht vielleicht keinen vordergründigen Unterschied für den Umstand des Tatsacheseins der Aussage, ob sie wahr oder falsch ist, aber dennoch wäre es intuitiv falsch, beiden einen gleichrangigen ontologischen Status zuzusprechen: Eine falsche Aussage (ein falscher Gedanke?) ist an sich eine Tatsache, aber sie handelt nicht davon. Sie hat doch, meine ich, eine schwächere Relevanz im ganzen ontologischen Gefüge?
Diesen Satz finde ich interessant, denn daran lässt sich die Frage anknüpfen "Wovon handelt sie dann?" Ich denke mal, die augenscheinliche Antwort wird sein "Von etwas, was es an sich nicht gibt." oder so ähnlich. Die zweite Antwort könnte hier nun allerdings auch lauten "Sie handelt von einer anderen Tatsache.".

Und ich denke an der Stelle wird es auch problematisch und ich würde zumindest im Moment soweit ich das beurteilen/abschätzen kann das Reich der Bedeutungen/Inhalte (auch wenn man ihnen ein Sein zuspricht) vom Reich der Tatsachen trennen. Intuitiv würde ich sagen, dass ihr "ontologischer Status" im wesentlichen anders sein muss als bei Tatsachen.




Tosa Inu
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Mi 13. Dez 2017, 21:17

Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 19:55
Was ein Gedanke ist, müssten wie weiter aufschlüsseln. Er kann kaum als atomisiertes Einzelnes von allem anderen, mit dem er interferiert, isoliert betrachtet werden. Er steht sowohl in seiner Zeit als auch in seiner ‚assoziativen gedanklichen Umgebung‘.
Ja, das ist wirklich ein kleines Wunder, wie da gleich verschiedene Systeme ineinandergreifen.
Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 19:55
Aber ich denke, dass Gabriel hier weiterdenkt oder weitergedacht hat, wenn er sagt, dass die wahren Gedanken subjektlos sind.
Ich denke auch, dass er das nicht leichtfertig dahingeschrieben hat.
Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 19:55
Wie wir diese Objektiviertheit des Gedankens als von seinem subjektiven Denker losgelöst verstehen sollen, kann ich mir noch nicht erklären.
Irgendwie scheint mir das dem zu ähneln, gegen das Gabriel eigentlich anschreibt. Es macht ja nicht "bling", wenn ein Subjekt einen objektiv richtigen Gedanken denkt.
Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 19:55
Offenbar liegt die Objektivität des Gedankens in der Tatsache, die ist, und die dem Gedanken die Wahrheit ‚borgt‘, aber der Tatsachenteppich selbst ist ja nicht ein aus Gedanken gewobenes Etwas?
Für mich sind auch Tatsachen nichts vom Bewusstsein getrenntentes. Aber ausdrücklich nicht in dem Sinn, dass die Erde keine 40.000 km Umfang hätte, wenn man nicht dran denken würde, sondern dies (und anderes) muss als Tatsache erkannt werden. Eine Tatsache muss behauptet werden, jedenfalls in meiner Welt.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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iselilja
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Mi 13. Dez 2017, 23:00

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 21:17

Für mich sind auch Tatsachen nichts vom Bewusstsein getrenntentes. Aber ausdrücklich nicht in dem Sinn, dass die Erde keine 40.000 km Umfang hätte, wenn man nicht dran denken würde, sondern dies (und anderes) muss als Tatsache erkannt werden. Eine Tatsache muss behauptet werden, jedenfalls in meiner Welt.
Genau an diesem Punkt würde meine Welt eine Zäsur aufweisen. :-) Für mich bedeutet Tatsache, dass sie eben auch dann wahr ist, wenn sie nicht erkannt wird - sozusagen (noch) im Verborgenen liegt, denn es war offenkundig bereits Tatsache, dass die Erde rund war, als man sie noch als Scheibe (eigentlich als Erdkreis) erkannt hatte. Gabriel zieht diese Zäsur übrigens auch. Und die Welt, die uns auf Grund unseres Erkennens erscheint, kongruiert eben mit dem Reich der Aussagen.

ps: Das, was wir nicht erkennen, kann notwendiger Weise auch nicht in unseren Aussagen auftauchen. Tatsachen aber bestehen auch wenn niemand hinsieht - allerdings, und das ist vermutlich der Tenor deiner Überlegung, sie bestehen dann eben auch in unseren Aussagen als Erkanntes, sobald es erkannt wurde. An diesem Punkt tritt also gewissermaßen eine Überlappung auf, aus der man allerdings nicht die falschen Schlüsse ziehen sollte. :-)
Zuletzt geändert von iselilja am Mi 13. Dez 2017, 23:45, insgesamt 2-mal geändert.




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Alethos
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Mi 13. Dez 2017, 23:32

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 21:17
jedenfalls in meiner Welt.
Das ist jetzt nur herausgepickt, aber gut als Aufhänger: Gabriels Überzeugung ist wohl nicht, dass es meine und deine Welt gibt, sondern erst mal gar keine :) Das muss man schon erstmal verkraften.



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Mi 13. Dez 2017, 23:38

Aber, wenn alles in der Welt wahr ist, weil es ist, und wir also sagen, falls es existiert, ist es wahr, unabhängig davon, ob wir es erkennen oder nicht, dann stossen wir die Türen ins spekulative Reich weit auf: Jede Behauptung von Existenz wird zur Möglichkeit der Behauptung von Wahrheit. Ich kann behaupten, dass es Gott gibt oder einen grünen Elefanten auf dem Mond: Niemand würde mir diese Wahrheit je absprechen können. Offensichtlich hat die Wahrheit nur einen intersubjektiven praktischen Wert, wenn es auch ihre Verifikation gibt.



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iselilja
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Mi 13. Dez 2017, 23:55

Ich knüpfe nochmal an meinen Beitrag #9785 an, weil mir noch etwas ganz wichtiges dazu eingefallen ist.

Der einzige Grund, warum wir überhaupt lernen und Fehler machen können aus denen wir dann eben lernen, ist der, dass das Reich der Tatsachen etwas anderes ist als das Reich der Aussagen. Wären beide Reiche identisch (also ein und das selbe) wäre garkein Wissenszuwachs bzw. Wissensveränderung möglich.




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iselilja
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Do 14. Dez 2017, 00:01

Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 23:38
Jede Behauptung von Existenz wird zur Möglichkeit der Behauptung von Wahrheit. Ich kann behaupten, dass es Gott gibt oder einen grünen Elefanten auf dem Mond: Niemand würde mir diese Wahrheit je absprechen können. Offensichtlich hat die Wahrheit nur einen intersubjektiven praktischen Wert, wenn es auch ihre Verifikation gibt.
Aber genau das ist doch der entscheidende Unterschied. Eine Behauptung von Existenz ist noch keine Existenz. Und wir prüfen Behauptungen ja nicht durch weitere Behauptungen sondern suchen nach dem Existentiellen in der Behauptung.




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iselilja hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 23:00
ps: Das, was wir nicht erkennen, kann notwendiger Weise auch nicht in unseren Aussagen auftauchen. Tatsachen aber bestehen auch wenn niemand hinsieht - allerdings, und das ist vermutlich der Tenor deiner Überlegung, sie bestehen dann eben auch in unseren Aussagen als Erkanntes, sobald es erkannt wurde.
Exakt.
iselilja hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 23:00
An diesem Punkt tritt also gewissermaßen eine Überlappung auf, aus der man allerdings nicht die falschen Schlüsse ziehen sollte. :-)
Auch das ist richtig. Die falschen Schlüsse zieht der radikale Konstruktivismus, wenn er behauptet, etwas könne nur existieren, wenn es beobachtet wird.



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Do 14. Dez 2017, 07:42

Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 23:32
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 21:17
jedenfalls in meiner Welt.
Das ist jetzt nur herausgepickt, aber gut als Aufhänger: Gabriels Überzeugung ist wohl nicht, dass es meine und deine Welt gibt, sondern erst mal gar keine :) Das muss man schon erstmal verkraften.
Ja, das würde er wohl sagen und damit meinen, dass es keine Welt als metaphysisch Ganzes gibt.
Bei mir zerfällt das Weltbilder, die nicht nur unterschiedliche Prämissen darstellen, sondern demzufolge aus diesen abgeleitet unterschiedliche Schlüsse und Praktiken.
Gabriel ist nun gegen Weltbilder aller Art und ersetzt diese durch Sinnfelder. So wie ich das verstehe, sind Weltbilder umfassender als Sinnfelder. Es gibt kein Goethes Faust Weltbild, aber ein Sinnfeld.

Die Überzeugung es gäbe Hexen, Magier und übersinnliche Kräfte wären Teil eines magischen Weltbildes, das es durchaus gibt. Wenn dies als Prämisse gilt, dann ist es logisch sinnvoll und gängige Praxis mit diesen Kräften umzugehen, d.h. sich vor Schadenszauber zu schützen, sich mit Magiern gut zu stellen, von ihnen Diestleistuungen zu verlangen, den höheren Mächten Opfer zu bringen usw.
Die Frage, ob das alles denn wahr ist würde Gabriel wohl so beantworten, dass er sagt, im Sinnfeld Voodoo ja, im Sinnfeld Naturwissenschaft nein.
Ich würde auch sagen, dass andere Weltbilder das magische mehr oder weniger zurückweisen, für das wissenschaftlich-technische, ist das Hokuspokus.
Allerdings glauben Menschen mit einem magischen Weltbild das mit der Gewissheit, wie Menschen mit einem wissenschaftlich-technischen es ablehnen.

Gabriel und ich stimmen darin überein, dass es keinen übergeordneten Referenzpunkt gibt, an dem alles geprüft wird. Die Frage, ob etwas denn nun wirklich wahr ist (in einem letzten Sinne) kann man so schwer oder gar nicht beantworten. Dennoch kann man z.B. das magische und wiss.-tech. Weltbild in Relation setzen, bezüglich ihrer erklärenden Kraft und ihrer Wirksamkeit.

Wer hier kurz mit den Schultern zuckt und sagt, nett, aber Geschichte, der Keks ist gegessen, sollte nicht verkennen (und darf sich vielleicht auch wundern), dass die religiösen Weltbilder weiterhin (und wieder) so einen großen Zulauf haben, auch magische Weltbildeer sind heute verbreitet, oft zu sehen in Verschwörungstheorien, die offen oder versteckt Machtkonstellationen mit geheimen Verbindungen (Freimaurer; Illuminati), Geld (Hochfinanz) und auch offen Magie in Zusammenhnag bringen.



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Do 14. Dez 2017, 07:55

Alethos hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 23:38
Aber, wenn alles in der Welt wahr ist, weil es ist, und wir also sagen, falls es existiert, ist es wahr, unabhängig davon, ob wir es erkennen oder nicht, dann stossen wir die Türen ins spekulative Reich weit auf: Jede Behauptung von Existenz wird zur Möglichkeit der Behauptung von Wahrheit. Ich kann behaupten, dass es Gott gibt oder einen grünen Elefanten auf dem Mond: Niemand würde mir diese Wahrheit je absprechen können. Offensichtlich hat die Wahrheit nur einen intersubjektiven praktischen Wert, wenn es auch ihre Verifikation gibt.
Religiöse, mythische Weltbilder haben über Jahrhunderte funktioniert und waren verbreitet, weil sie die Erlebenswelt so gut erklärten.
Den Todesstoß haben dem religiösen Weltbild in Europa weniger die Theorien der Denker gegeben, sondern eher die industrielle Revolution. Auf einmal war Strom, Arbeit und Geld da, ohne dass man gottgefällig leben musste.

Ganz so einfach ist es aber auch nicht, denn heute kann man Auto fahren, Smartphones nutzen, ins MRT gehen und dennoch an Gott glauben.
Und es ist immer leicht die Unvollkommenheiten der andere zu sehen. Gestern in der FAZ:
"Ein Schwarzes Loch mit einer Masse von 800 Millionen Sonnen hat einen neuen Entfernungsrekord aufgestellt. Seine Distanz entspricht einem Zeitpunkt von rund 690 Millionen Jahren nach dem Urknall.
...
Wie die Autoren im Journal „Nature“ beschreiben, kann die Existenz eines solch jungen und doch schon so massereichen Schwarzen Lochs auf der Grundlage gängiger Theorien zur Entstehung und zum Wachstums dieser Objekte nicht erklärt werden.
http://www.faz.net/aktuell/wissen/weltr ... 36339.html


Addiert man, dass es auch Sterne gibt, die größer sind, als sei dürften, älter, als es theoeretisch sein kann, schaut man dass dunkle Energie und dunkle Materie bereits Hilfskonstrukte sind, die das gängige Weltbild retten sollen, sich aber recht hartnäckig nicht nachweisen lassen, so sieht das alles gar nicht so überzuegend aus.



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iselilja hat geschrieben :
Mi 13. Dez 2017, 23:55
Ich knüpfe nochmal an meinen Beitrag #9785 an, weil mir noch etwas ganz wichtiges dazu eingefallen ist.

Der einzige Grund, warum wir überhaupt lernen und Fehler machen können aus denen wir dann eben lernen, ist der, dass das Reich der Tatsachen etwas anderes ist als das Reich der Aussagen. Wären beide Reiche identisch (also ein und das selbe) wäre garkein Wissenszuwachs bzw. Wissensveränderung möglich.
Allerdings liegen Tatsachen nicht uninterpretiert vor.
Es gibt keine Sicht auf die Welt, die nicht zuvor ein Weltbild durchlaufen hat und die Fähigkeit zu lernen, ist in jedem Weltbild gegeben, da alle ihre interne Logik haben.



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Do 14. Dez 2017, 08:07

iselilja hat geschrieben :
Do 14. Dez 2017, 00:01
Aber genau das ist doch der entscheidende Unterschied. Eine Behauptung von Existenz ist noch keine Existenz. Und wir prüfen Behauptungen ja nicht durch weitere Behauptungen sondern suchen nach dem Existentiellen in der Behauptung.
Ich glaube "wir" prüfen Behauptungen meistens gar nicht, auch nicht 2017. Im Gegenteil sind wir schwer bemüht, uns genau das bestätigen zu lassen, was wir ohnehin glauben und alles andere durch den Kakao zu ziehen, damit wir uns gar nicht erst näher damit beschäftigen müssen.

Die Wissenschaft scheint hier eine Ausnahme zu sein (und ist es manchmal), allerdings selektiert diese an mehreren Stellen und lässt anderes oft nicht zu, Kuhn hat aufgezeigt, dass es in der Institution keinen kumulativen Wissensfortschritt gibt, sondern dieselbe Verdrängung (da nur über Magazine, Peer Reviews etc. institutionalisiert) wie im Individuum und bei uns Normalos.



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Herr K.
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Do 14. Dez 2017, 11:57

Wie haben versucht, zu verstehen, was Gabriel unter "Gedanke" versteht, das müssen wir wohl ein bisschen kreisförmig tun. Um einige Punkte zusammenzufassen, die Ihr oben genannt habt:

1. auch falsche Gedanken sind öffentlich/vermittelbar und können sich verbreiten
2. Gedanken sind nicht atomar/stehen nicht für sich, sondern stehen in einer inferentiellen Beziehung zu anderen Gedanken
3. ein Gedanke ist sprachlich-begrifflich darstellbar bzw.: ein Gedanke hat eine sprachlich-begriffliche Struktur
4. das Reich der Bedeutungen ist vom Reich der Tatsachen getrennt (wäre dem nicht so, wäre kein Wissenszuwachs bzw. keine Wissensänderung möglich)
5. ist der Tatsachenteppich ein aus Gedanken gewobenes Etwas?

Mir scheinen 1 bis 4 richtig zu sein, die Frage 5 behandeln wir später. Wenn aber 1 richtig ist, dann scheint mit Gabriels Auffassung, dass nur wahre Gedanken "subjektlos" seien, etwas nicht zu stimmen.

Um nun weiter einzukreisen, können wir zwischendurch mal betrachten, was Frege unter "Gedanke" verstand. Das war ziemlich einflussreich, nicht nur auf Gabriel, sondern z.B. auch auf Russell und McDowell (der Fregesche Gedanken jedoch mit einem Neologismus "thinkables" benennt [und nicht "Thoughts"]). Auch findet man Freges Argument gegen eine Korrespondenztheorie der Wahrheit meist bei Proponenten der Identitätstheorie der Wahrheit wieder.

Einschlägig dazu ist Freges Aufsatz: Gottlob Frege: Der Gedanke. Eine logische Untersuchung

Um das mal für unsere Zwecke etwas zusammenzufassen:

Der Inhalt des Wortes „wahr” sei ganz einzigartig und undefinierbar, meint Frege. Was aber nicht heißt, dass man nichts weiter darüber aussagen kann, man kann z.B. fragen, was denn die Wahrheitsträger sind, also, was es ist, das die Wahrheitswerte "wahr" und "falsch" annehmen kann. Und laut Frege sind das Gedanken. Was aber sind Gedanken? Ganz grob gesagt ist ein Gedanke die kontextbefreite Bedeutung eines Aussagesatzes. Ein Gedanke ist aber nicht ein konkreter Denk- oder Aussagevorgang, wiewohl Gedanken dadurch ausgedrückt werden können. Konkrete Denk- oder Aussagevorgänge haben einen Träger, Gedanken aber haben keinen Träger.

Frege unterscheidet nun so zwischen Außenwelt und Innenwelt:

Außenwelt - Dinge der Außenwelt sind sinnlich wahrnehmbar, kein Ding der Außenwelt hat einen Wahrheitswert
Innenwelt - besteht aus Vorstellungen und Entschlüssen. Jede Vorstellung hat genau einen Träger, Vorstellungen sind nicht sinnlich wahrnehmbar

nehmen wir nochmal Gedanken hinzu:

Gedanken - können durch Aussagesätze ausgedrückt werden; sind grob gesagt die kontextbereinigten Bedeutungen von Aussagesätzen; sind nicht sinnlich wahrnehmbar; haben keinen Träger; können wahr oder falsch sein; ihr Wahrheitswert ist unveränderlich, d.h. Gedanken sind zeitlos entweder wahr oder falsch; Gedanken ändern sich nicht, sind zeitlos und ewig; Gedanken werden erfasst, d.h. nicht erfunden, sondern gefunden; Gedanken wirken dadurch, dass sie gefasst und so Denkinhalt werden

Frege schließt nun daraus, dass Gedanken weder zur Außen- noch zur Innenwelt gehören können. Wir haben also nach Frege 3 Bereiche:

1. Außenwelt
2. Innenwelt
3. Gedanken

Was zu der Frage führt, wie denn diese Bereiche zusammenhängen, wie man z.B. einen Gedanken erfassen kann oder wie ein Gedanke mit der Außenwelt zusammenhängt. Diese Frage können wir aber vielleicht erst mal ein bisschen beiseitestellen. [x]

Zunächst können wir einen Bogen zurück zu Gabriel schlagen. Und zwar dadurch, dass wir betrachten, was Frege unter "Tatsache" verstand. Das ist schnellt gesagt (Zitat Frege):

"Eine Tatsache ist ein Gedanke, der wahr ist."

Hier haben wir wohl einen Unterschied zu Gabriel. Nochmal dessen Thesen:

- Tatsachen sind Wahrheiten
- Wahre Gedanken sind Tatsachen
- Nicht jede Tatsache ist ein wahrer Gedanke

Nun scheint der Punkt 3 anders zu sein als bei Frege. Was darauf schließen lässt, dass Gabriel unter "Gedanke" etwas leicht anderes versteht als Frege, auch ist dann noch unklar, was Gabriel unter "Tatsache" versteht.

[x] Um jetzt nochmal darauf zurückzukommen. Die 3 Bereiche müssen entweder irgendwie zusammenhängen, oder sonst: 1. falls Innenwelt und Gedanken nicht zusammenhingen, dann könnte man keinen Gedanken fassen, 2. falls Gedanken und Außenwelt nicht zusammenhingen, dann könnten sich Gedanken nicht auf die Außenwelt beziehen und man würde bei einem Idealismus landen.

Die Frage hier ist auch ein bisschen die, ob Freges Argumentation richtig ist, immerhin haben wir uns durch die Annahme eines 3. Bereiches ein zusätzliches Problem eingehandelt. Aber auch könnte man die Frage stellen, ob denn überhaupt erst der Dualismus Außenwelt <-> Innenwelt richtig ist, das betrifft nun den Punkt 4 ganz oben.

Was uns zu Punkt 5 führt, der Frage von Alethos, die er ungläubig geäußert hat. Mir scheint aber, dass dies tatsächlich von einigen Philosophen vertreten wird, ganz grob gesagt heißt das: die Welt besteht aus Bedeutungen bzw. Sinn bzw. (Punkte 2 und 3 oben) die Welt ist begrifflich strukturiert. McDowell ist wohl diesem Lager zuzuschlagen, evtl. auch Gabriel und evtl. auch Heidegger.

Diese Position ist aber mE sehr schwer auszubuchstabieren, insbesondere dann, wenn man nicht bei einem unakzeptablen Idealismus landen will. (Speziell McDowell finde ich sehr schwer verständlich.)




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Do 14. Dez 2017, 17:32

Herr K. hat geschrieben :
Do 14. Dez 2017, 11:57
Um nun weiter einzukreisen, können wir zwischendurch mal betrachten, was Frege unter "Gedanke" verstand. Das war ziemlich einflussreich, nicht nur auf Gabriel, sondern z.B. auch auf Russell und McDowell (der Fregesche Gedanken jedoch mit einem Neologismus "thinkables" benennt [und nicht "Thoughts"]). Auch findet man Freges Argument gegen eine Korrespondenztheorie der Wahrheit meist bei Proponenten der Identitätstheorie der Wahrheit wieder.
Gabriel dazu:
"Ein wahrer Gedanke ist also eine Tatsache (was natürlich nicht impliziert, dass alle Tatsachen wahre Gedanken sind). Frege schreibt bekanntlich: "Eine Tatsache ist ein Gedanke, der wahr ist." Allerdings liegt hier die Eigentümlichkeit vor, dass Frege den Begriff des wahren Gedankens nicht mehr als etwas auffasst, das überhaupt mit Bewusstseinszuständen zu tun hat, sondern eben als wahre Proposition. Die wahren Gedanken, die wir haben oder erfassen, sind Tatsachen, aber sie sind eben nur einige der Tatsachen, weshalb ich den Begriff des Gedankens oder gar den Begriff des Begriffs nicht entgrenzen und über die gesamte Wirklichkeit ausdehnen möchte. Deswegen kann man sagen: Tatsachen sind zwar Wahrheiten, aber nicht alle Tatsachen (und damit auch: nicht alle Wahrheiten) sind wahre Gedanken. Das setzt natürlich ein anderes Verständnis von "Gedanke" voraus, als dasjenige mit dem Frege arbeitet, eine Umarbeitung die in den letzten Paragrafen des vorliegenden Buches ausführlich zur Spache kommt."
(Markus Gabriel, Sinn und Existenz, Suhrkamp 2016, S. 51f)



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Herr K.
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Do 14. Dez 2017, 18:23

Ich konnte inzwischen einen Blick auf etwas mehr Text von Gabriel werfen. Ich kann nun Gabriels Position zu Frege, was den Gedankenbegriff angeht, etwas abgrenzen. Für Frege sind Gedanken bewusstseinsunabhängig, für Gabriel nicht. Gabriel führt also nicht, so wie Frage, einen dritten Bereich ein, (den Bereich der Gedanken), sondern Gedanken nach Gabriel gehören zu dem, was Frege "Innenwelt" nennt.

(Damit kann ich mich auch eher anfreunden als mit Freges drittem Bereich.)

Dadurch lässt sich auch erklären, wieso es laut Gabriel mehr Tatsachen gibt als wahre Gedanken: nicht alles, was es gibt, ist nach realistischer Ansicht bewusstseinsabhängig.

So weit, so gut, aber einige Punkte sind mir immer noch höchst unklar:

1. Wieso sind nach Gabriel Tatsachen wahr? Das finde ich systematisch-theoretisch unbefriedigend, denn ich würde erwarten, dass Wahrheitsträger beide Wahrheitswerte (wahr/falsch) annehmen können. Falsche Tatsachen aber wären ein Gegensatz in sich und Gabriel nimmt mE solche auch nicht an. Gabriel gibt nun mW auch keinen Grund an, wieso er Tatsachen als primäre Wahrheitsträger nimmt. Dabei wäre dies sehr einfach zu reparieren, nämlich indem Gedanken als Wahrheitsträger angenommen werden - Gedanken können sowohl wahr als auch falsch sein. Außer aber es gäbe einen guten Grund dafür, das nicht zu tun. Allerdings sehe ich keinen und zumindest meinem Sprachgefühl kommt es eher entgegen, Gedanken als (primäre) Wahrheitsträger zu nehmen und nicht Tatsachen. Für mich hört es sich etwas merkwürdig an, zu sagen z.B. das auf-der-Matte-sitzen-der-Katze sei wahr. Aber wenn man so etwas sagen kann, dann würde ich erwarten, dass man auch sagen könnte, das auf-der-Matte-sitzen-der-Katze sei falsch. Und wenn sich das erste auf eine wahre Tatsache bezöge, dann würde sich das zweite auf eine falsche Tatsache beziehen.
2. Wenn Gedanken bewusstseinsabhängig sind, dann ist mir unerfindlich, wie alle Gedanken Tatsachen sein können. Z.B. der Gedanke "die Katze sitzt auf der Matte" kann mE nicht das auf-der-Matte-sitzen-der-Katze sein. (Hinweis: es geht hier nicht darum, dass es in dem Falle auch eine Tatsache wäre, dass jemand diesen Gedanken denkt. Es geht darum, dass der Gedanke nicht die Tatsache sein kann, die durch den Gedanken ausgedrückt wird - sofern die Tatsache bewusstseinsunabhängig ist.)
3. Wenn aber doch irgendwie alle bewusstseinsabhängigen wahren Gedanken Tatsachen sein sollen, dann ist mir nicht klar, inwiefern das nicht automatisch in einem Idealismus mündet.
4. Ich meine, nun halbwegs verstanden zu haben, was Gabriel mit "Gedanke" meint, aber was er mit "Tatsache" meint, habe ich noch nicht verstanden - vielleicht könnten, wenn das klarer wäre, damit die Punkte 2 und 3 aufgelöst werden. Allerdings: so wie ich Gabriel verstanden habe, gibt es a) Gedanken und die sind bewusstseinsabhängig und b) einige Tatsachen, die nicht bewusstseinsabhängig sind. Daraus folgt mE, dass bewusstseinsabhängige Gedanken nicht mit bewusstseinsunabhängigen Tatsachen identisch sein können - sonst entstünde der Widerspruch, dass eine Tatsache sowohl bewusstseinsabhängig als auch nicht bewusstseinsabhängig sein könnte.

Nun gibt es da eine Stelle, die ich noch nicht verstehe:

"Der Gedanke, dass es sich mit Mond und Erde so verhält, wird durch sein Wahrsein zu einer Tatsache. Dies bedeutet, dass man wahre Gedanken (was angemessene sensorische Beschreibungen mit einschließt) nicht aus den vielen Bereichen ausschließen kann, die es wirklich gibt."

Das ist meiner Ansicht nach nicht richtig, meiner Ansicht nach spielt es hier überhaupt keine Rolle, ob ein Gedanke wahr oder falsch ist. So oder so gibt es mE Gedanken wirklich. Mir scheint, dass Gabriel laufend einen Gedanken (und/oder einen Denkvorgang) und dessen Inhalt verwechselt oder in eins wirft. (Es mag aber auch sein, dass ich das falsch interpretiere.)




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Jörn Budesheim
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Do 14. Dez 2017, 18:52

Gabriel hat geschrieben : Ein wahrer Gedanke ist also eine Tatsache
Ich kann hier nicht beanspruchen eine abgesicherte Interpretation dieses Satzes abgegeben zu können. Ich finde ihn auch sehr schwer. Und grüble darüber seit einiger Zeit. Dieser Satz ist aber offensichtlich einer der Knackpunkte. In solchen Fällen wäre es nicht schlecht, wenn man Gabriel mal hier zum Interview einladen könnte :-)

Die größten Hindernisse zum Verständnis der diversen Problematiken scheinen mir die verbreiteten Wünsche, alles was es gibt (zumindest im Prinzip) anfassen können und daher auch den Wunsch hat, Tatsachen oder Gedanken als etwas zu begreifen, was man (zumindest im Prinzip) "anfassen" kann, vielleicht mit einer metaphysischen Pinzette. Die Katze kann man anfassen, die Matte ebenso, aber Tatsachen haben meines Erachtens nicht die entsprechenden Eigenschaften, die sie anfassfähig machen. Neben der Katze und der Matte gibt es nicht noch etwas drittes "materielles" - also die fragliche Tatsache.

Diese Tatsache besteht einfach, sie ist ontologisch sehr leichtgewichtig. Tatsachen sind logische Gebilde, schätze ich. Ihr Lebensraum ist der logische Raum, daher sind sie auch nur bedingt Ausschnitte aus der Welt. In den Kopf passen sie auch nicht.

Früher gab es folgendes in manchen Zeichentrickfilmen. Da saß jemand auf dem Boden ... und von unten sägte jemand diesen Ausschnitt aus der Welt heraus :-) bis der Jemand im Loch verschwand. Das ist die selbe Idee mit der man mit dem metaphysischen Zeigefinger um Katze und Matte fährt, um den Ausschnitt zu markieren, der gemeint ist. So stelle ich mir Tatsachen nicht vor :-)

Eine Tatsache ist etwas, was über etwas wahr ist: Über die Katze ist es wahr, dass sie auf der Matte sitzt. Das ist Gabriels Erläuterung von Tatsache. Wahrheiten sind jedoch ebenso keine Dinge, sie brauchen daher auch niemanden und nichts, dass sie trägt. Wahrheitsträger sind auch Verdinglichungswunscherfüller.

Wie kriegen wir nun den Gedanken ins Spiel. Gedanken sind auch keine Dinge. Das Subjekt kommt hier auch nur dann zwingend ins Spiel, wenn ein falscher Gedanke vorliegt. Wie man beides zusammen bekommt (Gedanke und Tatsache) weiß ich (noch) nicht so richtig. Im Moment meine ich einfach, dass sie im logischen Raum die selbe Stelle besetzen.




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Der einzige Grund, warum wir überhaupt lernen und Fehler machen können aus denen wir dann eben lernen, ist der, dass das Reich der Tatsachen etwas anderes ist als das Reich der Aussagen. Wären beide Reiche identisch (also ein und das selbe) wäre garkein Wissenszuwachs bzw. Wissensveränderung möglich.
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Korrekt. Laß mich trotzdem einen kleinen Einschub vornehmen.

Wir haben also Tatsachen, die unabhängig vom Erkennen da sind. Dann kommt evtl. das Erkennen der Tatsache als solche oder auch nicht. Und im Falle des Erkennens liegt jene Tatsache in interpretierter Form vor - sozusagen: es gibt von da an die Möglichkeit vieler verschiedener Aussagen zu ein und derselben Tatsache.

Würdest Du soweit mitgehen?
Ich überlege nämlich gerade, weil in einem anderen Forum eine Diskussion über Realität geführt wird, das hier evtl. auch einzuleiten. Ich könnte mir vorstellen, dass das auch in dem hier behandelten Kontext sehr interessant werden kann.




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Herr K.
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Do 14. Dez 2017, 19:37

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 14. Dez 2017, 18:52
Eine Tatsache ist etwas, was über etwas wahr ist: Über die Katze ist es wahr, dass sie auf der Matte sitzt. Das ist Gabriels Erläuterung von Tatsache.

Wahrheiten sind jedoch ebenso keine Dinge, sie brauchen daher auch niemanden und nichts, dass sie trägt. Wahrheitsträger sind auch Verdinglichungswunscherfüller.
Nicht Dinge brauchen einen Träger, sondern Eigenschaften, frei flottierende Eigenschaften wären recht seltsam. Dass "wahr" bzw. "Wahrheit" einen Träger benötigt, ist leicht zu sehen: sowohl "es ist wahr" als auch "das ist eine (oder die) Wahrheit" sind unvollständig und führen zu der Frage: "was ist wahr?" bzw. "was ist die Wahrheit?"

Nun, zu klären wäre nun wohl in der Tat, was laut Gabriel Tatsachen sind. Mit der angegebenen Begriffserklärung kann ich nach wie vor nichts anfangen. Es muss angegeben werden, was das erste "etwas" sein soll, außerdem wäre es mir lieber, wenn die Begriffssbestimmung ohne "wahr" auskäme, insbesondere dann, wenn behauptet wird, dass "wahr" undefinierbar sei. Nun gut, wir könnten hier für das erste "etwas" mal "Gedanke" einsetzen. Dann erhielten wir: wahre Gedanken über etwas sind Tatsachen. Nun sollen aber nicht alle Tatsachen wahre Gedanken sein und die Frage wäre also, was wir hier für das erste "etwas" in diesen Fällen einsetzen können.




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Jörn Budesheim
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Do 14. Dez 2017, 20:28

Herr K. hat geschrieben :
Do 14. Dez 2017, 19:37
insbesondere dann, wenn behauptet wird, dass "wahr" undefinierbar sei.
Das ist allerdings nicht die Aussage Gabriels, sondern Davidsons.
Mit der angegebenen Begriffserklärung kann ich nach wie vor nichts anfangen.
Es gab so viele Beispiele für die Definition von Tatsache. Kannst du an irgendeinem einem der Beispiele erklären, was daran unverständlich ist?
Nicht Dinge brauchen einen Träger, sondern Eigenschaften, frei flottierende Eigenschaften wären recht seltsam. Dass "wahr" bzw. "Wahrheit" einen Träger benötigt, ist leicht zu sehen: sowohl "es ist wahr" als auch "das ist eine (oder die) Wahrheit" sind unvollständig und führen zu der Frage: "was ist wahr?" bzw. "was ist die Wahrheit?"
Dass daraus folgen soll, Wahrheit sei eine Eigenschaft und benötige einen Träge kann ich nicht sehen.




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Alethos
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Do 14. Dez 2017, 22:19

Herr K. hat geschrieben :
Do 14. Dez 2017, 18:23
1. Wieso sind nach Gabriel Tatsachen wahr? Das finde ich systematisch-theoretisch unbefriedigend, denn ich würde erwarten, dass Wahrheitsträger beide Wahrheitswerte (wahr/falsch) annehmen können. Falsche Tatsachen aber wären ein Gegensatz in sich und Gabriel nimmt mE solche auch nicht an. Gabriel gibt nun mW auch keinen Grund an, wieso er Tatsachen als primäre Wahrheitsträger nimmt. Dabei wäre dies sehr einfach zu reparieren, nämlich indem Gedanken als Wahrheitsträger angenommen werden - Gedanken können sowohl wahr als auch falsch sein. Außer aber es gäbe einen guten Grund dafür, das nicht zu tun. Allerdings sehe ich keinen und zumindest meinem Sprachgefühl kommt es eher entgegen, Gedanken als (primäre) Wahrheitsträger zu nehmen und nicht Tatsachen. Für mich hört es sich etwas merkwürdig an, zu sagen z.B. das auf-der-Matte-sitzen-der-Katze sei wahr. Aber wenn man so etwas sagen kann, dann würde ich erwarten, dass man auch sagen könnte, das auf-der-Matte-sitzen-der-Katze sei falsch. Und wenn sich das erste auf eine wahre Tatsache bezöge, dann würde sich das zweite auf eine falsche Tatsache beziehen.)
An dieser Stelle allen ein Dank für die produktiven Gedanken, das war ja offenbar ein ergiebiger Tag für die Wahrheitsforschung :-) (ich war hingegen in Milano an einem total irrelevanten Meeting).

Leider kann ich nicht aus dem Vollen schöpfen, was die Gabriel’sche Philosophie anbelangt, denn ich habe noch keines seiner Bücher gelesen, sondern nur kleine Ausschnitte davon. Ich lehne mich also bei Folgendem stark an eure Vorleistungen an.

Eine Tatsache, nehmen wir einmal an, sei der Wahrheitsträger und -macher in einem. Wir haben gelernt, dass eine Aussage wahr und falsch sein kann. Eine falsche Tatsache kann es aber nicht geben, denn Tatsache zu sein, bedeutet ja, vorzukommen als diese Tatsache und in ihrem Sein ist sie wahr. Wenn sie also ist, ist sie Tatsache, und dann wahr, aber nicht zugleich falsch. Eine falsche Tatsache zu denken, das ist logisch schier unerträglich :) Falschsein und Tatsachesein geht nicht zusammen, nur Wahrheit und Tatsachesein ist miteinander kompatibel.

Wir können uns aber behelfen und sagen, was Gabriel zu tun scheint, dass der falsche Gedanke in die Tatsache seiner Falschheit eingelassen ist. Ein falscher Gedanke handelt nicht minder von einer Tatsache, aber nun eben von einer, die nicht ist, denn es ist ja auch Tatsache alles, was nicht ist. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit zu denken, dass eine Tatsache in ihrem Nichtsein sei, aber dennoch stellt es keine Schwierigkeit dar, ihr Nichtsein als eine Tatsache zu nehmen. Wenn eine Tatsache also gar nicht ist, dann ist aber ihr Nichtsein eine Tatsache. Das Nichtsein der Tatsache ist sozusagen eingelassen in die gedachte Negation ihres Seins.

Nun, angewendet auf die falschen Gedanken: Ein Gedanke sei wahr, weil er die Tatsache ist, von der er handelt. Ein Gedanke sei unwahr, weil er die Tatsache des Nichtseins dessen ist, wovon er handelt. Das Unwahrsein des Gedankens kommt also in einer anderen ontologischen Ebene vor als sein Wahrsein. Sein Wahrsein ist vermittelt durch die seiende Tatsache, sein Falschsein durch die Unwahrheit der Tatsache, also durch das Nichtsein der Tatsache, von dem er eben handelt. Sein Falschsein heisst existieren in der Eingelassenheit des Nichtseins ins Sein.

Wenn Falschheit das Gegenteil von Wahrheit ist, dann haben wir also ein zusätzliches Problem: Der falsche Gedanke wäre zugleich der unwahre Gedanke und die Unwahrheit, sagten wir ja, sei die Nichtexistenz. Also wäre der falsche Gedanke der nichtexistente Gedanke, aber da er ist, kann er ja nicht zugleich nicht sein. Wir können deshalb Gedanken und Tatsachen nicht einfach eins zu eins ontologisch auf eine Stufe stellen. Der Gedanke ist immer eine Tatsache, weil er vorkommt. Und er ist nur deshalb möglich, unwahr (falsch) zu sein, wenn er ontologisch anders verortet wird: wenn er also in einem anderen Sinnfeld vorkommt als der wahre Gedanke. Der wahre Gedanke kommt im Bereich der Tatsachen vor, die sind. Und der falsche Gedanke im Bereich der Tatsache des Nichtseins der Tatsachen.
Und das meint wohl Gabriel, wenn er sagt, dass der wahre Gedanke subjektlos sei. Der falsche kommt nur in den Köpfen vor :)



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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