Tatsachen/Wahrheit/ontische Wahrheit

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Herr K.
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Fr 15. Dez 2017, 06:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 14. Dez 2017, 20:28
Es gab so viele Beispiele für die Definition von Tatsache. Kannst du an irgendeinem einem der Beispiele erklären, was daran unverständlich ist?
Das habe ich hier im Thread schon unzählige Male getan, z.B. in dem Beitrag, auf den Du da antwortest, Du bist bloß nicht darauf eingegangen. Und siehe auch unten.

@Alethos

Ich kann Dir nicht so recht folgen. Bevor ich mich da reinknie, möchte ich aber auch erst mal meine Frage beantwortet haben, warum wir überhaupt erst Tatsachen als Wahrheitsträger ansehen sollen und nicht Gedanken. Was ist der Grund dafür? Wenn Gedanken Wahrheitsträger sind und Tatsachen Wahrmacher, dann folgt daraus keineswegs, dass Tatsachen für die Wahrheit eines Gedankens keine Rolle spielten, im Gegenteil: sie spielen dann eine entscheidende Rolle. Man kann also nicht so argumentieren, dass, wenn Gedanken die Wahrheitsträger seien, damit Tatsachen außen vor wären. Wie aber sonst wäre plausibel zu machen, dass Tatsachen die primären Wahrheitsträger seien?

Was Gabriel angeht: ich glaube, der bringt uns bei unserer Suche nach der Wahrheit kein Stück weiter. Was daran liegt, dass Gabriel Wahrheit so bestimmt:

Tatsachen sind Wahrheiten

und "Tatsachen" so:

Eine Tatsache ist etwas, was über etwas wahr ist.

und daher können wir nun weder wissen, was laut Gabriel "Wahrheit" sein soll, noch, was "Tatsache" sein soll, denn um zu wissen, was Gabriel unter "Wahrheit" versteht, müssen wir wissen, was er unter "Tatsache" versteht und um zu wissen, was er unter "Tatsache" versteht, müssen wir wissen, was er unter "Wahrheit" versteht. Und falls Gabriel irgendwo behaupten sollte, dass es keine Wahrheitsträger gäbe, (was ich aber zurzeit nicht glaube, ich habe zumindest dergleichen noch nicht von ihm gelesen), dann wäre ich an der Stelle völlig raus, was Gabriel angeht, denn das wäre für mich gleichbedeutend mit der Behauptung, dass nichts wahr sei. Woraus folgte, dass die Behauptung falsch wäre und mit falschen Behauptungen mag ich mich nicht weiter abgeben.

Solange es diesbezüglich keine neuen Erkenntnisse gibt, können wir Gabriel zu den Akten legen und stattdessen zurückkehren zu Frege.

Wir erinnern uns: laut Frege sind Gedanken die Wahrheitsträger und ihr Wahrheitswert ist unveränderlich, d.h. Gedanken sind zeitlos entweder wahr oder falsch. Dies ist nun eine Intuition, die ich teile, (bzw.: das deckt sich mit meinem Verständnis von "Wahrheit"): der Wahrheitswert eines Gedankens kann sich nicht ändern, insofern ist ein Gedanke zeitlos entweder wahr oder falsch. (Wobei allerdings aus der Zeitlosigkeit des Wahrheitswertes eines Gedankens nicht folgt, dass der Gedanke ewig sei/immer existiere.)




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Jörn Budesheim
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Fr 15. Dez 2017, 06:58

Herr K. hat geschrieben :
Fr 15. Dez 2017, 06:50
z.B. in dem Beitrag, auf den Du da antwortest
Hmmm... Ich finde dort nicht, das was ich suche. Vielleicht habe ich auch nicht deutlich genug ausgedrückt, was ich meine. Ich hätte gerne eine Kritik dieser Definition und zwar nicht anhand des Wortlauts der Definition, sondern anhand eines Beispiels. Damit ich irgendwie verstehen kann, worum es dir geht.




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Alethos
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Fr 15. Dez 2017, 08:33

Herr K. hat geschrieben :
Fr 15. Dez 2017, 06:50
Ich kann Dir nicht so recht folgen. Bevor ich mich da reinknie, möchte ich aber auch erst mal meine Frage beantwortet haben, warum wir überhaupt erst Tatsachen als Wahrheitsträger ansehen sollen und nicht Gedanken. Was ist der Grund dafür?
Der Grund liegt alleine darin, dass die Extension von Wahrheit grösser sein muss als diejenige von Gedanken. Es muss über etwas auch wahr sein, sofern es überhaupt ist und nicht erst wahr durch den Gedanken.

Ob du nun Aussagen oder Gedanken als Wahrheitsträger nimmst, immerzu bleibt eine Lücke zwischen Wahrheit und Tatsachen, als würde sich die Wahrheit über die Tatsachen legen wie eine zweite Haut. Das ist zwar verständlich für einen Korrespondenztheoretiker, nicht so für einen Realisten.



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Fr 15. Dez 2017, 11:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 14. Dez 2017, 18:52
Gabriel hat geschrieben : Ein wahrer Gedanke ist also eine Tatsache
Die Katze kann man anfassen, die Matte ebenso, aber Tatsachen haben meines Erachtens nicht die entsprechenden Eigenschaften, die sie anfassfähig machen. Neben der Katze und der Matte gibt es nicht noch etwas drittes "materielles" - also die fragliche Tatsache.
Bist du sicher, dass es so ist, dass die Tatsache nicht anfassfähig ist? Ich meine, es ist doch sogar ertastbar, dass eine Tasse auf dem Pult steht. Ein Blinder würde es jedenfalls ertasten können :)

Aber ich denke, es ist richtig zu behaupten, dass die Relationalität der Dinge in einer Tatsache gedanklich erfasst wird, meinetwegen logisch oder eben ontologisch. (Mir gefällt der Ausdruck ‚ontologisch leichtgewichtig‘). Es kann nicht das Zueinander der Dinge erfasst werden, ohne zugleich eine von den Einzeldingen abstrahierende Draufsicht auf die Tatsache zu haben, die diese Dinge miteinander bilden.



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Jörn Budesheim
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Alethos hat geschrieben :
Fr 15. Dez 2017, 11:09
Ein Blinder würde es jedenfalls ertasten können :)
Ein Blinder kann wie wir Sehenden Tatsache erfassen, aber nicht anfassen. Anfassen kann man nur Dinge :-)




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Herr K. hat geschrieben :
Do 14. Dez 2017, 19:37
Nun, zu klären wäre nun wohl in der Tat, was laut Gabriel Tatsachen sind. Mit der angegebenen Begriffserklärung kann ich nach wie vor nichts anfangen. Es muss angegeben werden, was das erste "etwas" sein soll, außerdem wäre es mir lieber, wenn die Begriffssbestimmung ohne "wahr" auskäme, insbesondere dann, wenn behauptet wird, dass "wahr" undefinierbar sei.
Vorweg schicke ich zur Sicherheit die Feststellung, dass ich mich nach wie vor zu den Anhängern der Korrespondenztheorie zähle. Obwohl Realist, glaube ich noch nicht so ganz an die Wahrheit an sich der Tatsache.

Was ich versuche ist aber eine Rekonstruktion der neorealistischen Behauptung, dass die Tatsache an sich wahr sei, und die Korrespondenz von Aussage und Tatsache keine zwingende ist (höchstens eine willkommene).

Unter einer Tatsache verstehe ich das Verhältnis von Seiendem zueinander in einem bestimmten Bereich. Seiendes kann alles bedeuten: der Inhalt eines Satzes, die Katze, das Katzenklo, der Planet xy oder das Bewusstsein von Herrn P. D.h. jedes komplexe Gefüge (auch gedankliche) kann selbst zum Gegenstand einer Tatsache erhoben werden, insofern es mit anderem Seienden in Relation steht. Die Tatsache also ist eine Konstellation von ‚Dingen‘, aber sie ist nicht jede Konstellation jedes Dings mit allen anderen Dingen, sondern in einem bestimmten Seinsbereich vorkommend.

Können wir und auf so etwas ähnliches einigen?

PS: Ich finde die Definition von Tatsache, dass es über etwas wahr ist, für unglücklich. Es täuscht einen Gedanken oder eine Aussage vor in Form dieses Es, wo es gar keine gibt oder geben muss.
Zuletzt geändert von Alethos am Fr 15. Dez 2017, 11:40, insgesamt 1-mal geändert.



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Fr 15. Dez 2017, 11:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 15. Dez 2017, 11:14
Alethos hat geschrieben :
Fr 15. Dez 2017, 11:09
Ein Blinder würde es jedenfalls ertasten können :)
Ein Blinder kann wie wir Sehenden Tatsache erfassen, aber nicht anfassen. Anfassen kann man nur Dinge :-)
Ja. Aber es ist schwierig zu erklären (vielleicht kannst du es), weshalb Dinge anfassbar sein sollen, Tatsachen nicht, sie bestehen ja aus Dingen.

Das Schwierige ist der scheinbare Widerspruch, dass sie nur erfasst werden können, aber dennoch sein sollen ohne Erfassung. Wieso stehen wir auf dem Boden der Tatsachen und fallen nicht runter, wenn man den Boden nicht mal anfassen kann? :)



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Jörn Budesheim
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Fr 15. Dez 2017, 12:00

"Anfassen" solltest du nicht zu wörtlich verstehen. Tatsachen sind keine Dinge, du selbst sprichst von Verhältnissen, auch das sind keine Dinge.




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Alethos
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Fr 15. Dez 2017, 12:24

Ja, Tatsachen sind keine Dinge und Verhältnisse auch nicht. Ich sehe das ein. Darum habe ich auch darauf hingewiesen, dass Tatsachen aus Dingen (als Sammelbegriff für alles Seiende) gebildet sind. Sie werden nicht gebildet, sondern sie bestehen an sich.

Aber wenn die Tatsache eine Relationalität darstellt, dann streicht ein Gedanke, insofern er dieses Verhältnis thematisch macht, eine Tatsache heraus. Der wahre Gedanke partizipiert an der Tatsache, weil er die Tatsache, von der er handelt, erfasst. Er hätte auch eine andere Tatsache erfassen können, die vorkommt, aber als dieser Gedanke kreist er gewissermassen die Tatsache ein, oder sehe ich das falsch?



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Herr K.
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Sa 16. Dez 2017, 05:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 15. Dez 2017, 06:58
Ich hätte gerne eine Kritik dieser Definition und zwar nicht anhand des Wortlauts der Definition, sondern anhand eines Beispiels. Damit ich irgendwie verstehen kann, worum es dir geht.
Ich verstehe Gabriels Definition und auch das Katzen-Beispiel so, dass es dabei jeweils etwas gibt, das wahr ist, d.h. die Eigenschaft "wahr" hat - im Beispiel unten mit "es" benannt, in Gabriels Definition das erste "etwas". Was bedeutet, dass es dabei einen Wahrheitsträger gibt - dasjenige, das wahr ist. Wenn das nicht so sein sollte - wie Du zu behaupten scheinst - dann wäre an der Stelle schon Schluss, dann verstünde ich Gabriels Definition und Deine Beispiele schlicht nicht. Wie wäre denn "etwas ist über etwas wahr" anders zu interpretieren, als dass dann das erste Etwas die Eigenschaft "wahr" hat?

Nehmen wir nun Dein Beispiel: "Über die Katze ist es wahr, dass sie auf der Matte sitzt." Nach meinem Verständnis von "wahr" könnte das "es" nun z.B. ein Satz oder eine Aussage derart, dass die Katze auf der Matte säße, sein. Nehmen wir weiterhin Gabriels Definition "Eine Tatsache ist etwas, das über etwas wahr ist". Und wenn der Satz oder die Aussage, dass die Katze auf der Matte sitzt, wahr sein kann, dann sind folgerichtig nach Gabriels Definition wahre Sätze und wahre Aussagen Tatsachen. Die Frage wäre wohl erst mal, ob Gabriel das so meint - ich vermute, dass nicht. Falls aber nicht, dann wäre seine Definition ungenügend, in ihr müssten Sätze und Aussagen ausgeschlossen werden, bzw.: "Tatsache" müsste positiv bestimmt werden. Wir könnten nun zwar Gabriels Definition so umformulieren: "Eine Tatsache ist eine Tatsache, die über etwas wahr ist" - aber das wäre wohl wenig hilfreich.

Mein anderes Problem mit dem Beispiel ist dies: so wie es über die Katze wahr ist, dass sie auf der Matte sitzt, ist es über sie falsch, dass sie an der Decke klebt. Beides unterscheidet sich nicht in der sprachlichen Struktur, daher finde ich es seltsam und nicht naheliegend, anzunehmen, dass sich das "wahr" auf eine Tatsache beziehen soll, das "falsch" aber nicht, (ich gehe hier davon aus, dass Gabriel keine falschen Tatsachen annimmt).




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Sa 16. Dez 2017, 06:40

Herr K. hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 05:42
Definition
Ich habe versucht, eine positivistische Definition von Tatsache zu geben, wie sie bei Gabriel zur Anwendung kommt.

Das sprachliche Konstrukt ‚es ist über etwas wahr‘ kann man beiseite schieben, es verstellt den Blick durch den korrespondenztheoretischen Klang. Nichts dergleichen ist gemeint.



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Herr K.
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Sa 16. Dez 2017, 07:35

Alethos hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 06:40
Ich habe versucht, eine positivistische Definition von Tatsache zu geben, wie sie bei Gabriel zur Anwendung kommt.
Alethos hat geschrieben :
Fr 15. Dez 2017, 11:25
Unter einer Tatsache verstehe ich das Verhältnis von Seiendem zueinander in einem bestimmten Bereich. Seiendes kann alles bedeuten: der Inhalt eines Satzes, die Katze, das Katzenklo, der Planet xy oder das Bewusstsein von Herrn P. D.h. jedes komplexe Gefüge (auch gedankliche) kann selbst zum Gegenstand einer Tatsache erhoben werden, insofern es mit anderem Seienden in Relation steht. Die Tatsache also ist eine Konstellation von ‚Dingen‘, aber sie ist nicht jede Konstellation jedes Dings mit allen anderen Dingen, sondern in einem bestimmten Seinsbereich vorkommend.

Können wir und auf so etwas ähnliches einigen?
Ich möchte das nochmal mit meinen Worten formulieren, damit wir nicht aneinander vorbei reden. Eine Tatsache konstituiert sich aus mindestens einem existierenden Ding und dessen existierenden Eigenschaften (wobei es sich auch um relationale Eigenschaften handeln kann, in dem Falle wären mehrere Dinge für die Tatsache erforderlich, z.B.: Romeo liebt Julia). Wobei hier "Ding" ganz allgemein gemeint ist als irgendetwas, das Eigenschaften haben kann, mit "Ding" sind hier also nicht nur materielle Dinge gemeint. Z.B. wäre ein nicht-materieller Gott, falls es einen solchen gäbe, ein Ding in diesem Sinne.

Falls das hinreichend mit dem, was Du sagen wolltest, übereinstimmt, dann können zumindest wir beide uns darauf einigen. Was aber nicht viel nutzt, denn damit erfahren wir nichts über Gabriels Begriff "Tatsache". Ich denke, dass der anders aussieht, denn Gabriel argumentiert irgendwo sinngemäß so (aus dem Gedächtnis, die fragliche Stelle habe ich jetzt nicht parat): es kann nicht nichts geben, denn wenn es nichts gäbe, dann gäbe es immer noch die Tatsache, dass es nichts gäbe. Nach der obigen Charakterisierung von "Tatsache" wäre dem jedoch nicht so. (Wenn es nichts gäbe, dann auch nichts, woraus sich eine Tatsache konstituieren könnte.)

Übrigens passt auf diese Argumentation Gabriels seine Begriffsbestimmung "Eine Tatsache ist etwas, das über etwas wahr ist" nicht, denn nichts ist nicht etwas.




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Jörn Budesheim
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Sa 16. Dez 2017, 11:14

Herr K. hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 05:42
Ich verstehe Gabriels Definition ...
Deine Erläuterungen verwirren mich. Deine Interpretation von "etwas" verstehe ich nicht. Dazu kurz: Da wir beide wissen, dass nach Gabriel manche Tatsachen bestanden, bevor es uns gab, ergibt sich meines Erachtens, dass jede Interpretation von Gabriels Erläuterung, die versucht dort Sätze oder ähnliches hinzuinterpretieren, zweifelhaft ist, da es Sätze nur gibt, wenn es uns gibt.

Weiter unten erläuterst du dein Verständnis von Tatsache mit Dingen und deren Eigenschaften. Das könnte man kurz so niederschreiben: xF. Du liest das so: x hat die Eigenschaft F. Ich lese es genau so, außer dass ich etwas explizit mache, was bei dir meines Erachtens implizit bleibt: es ist von x wahr, dass F. (nach Gabriel: Etwas (F) ist über etwas (x) wahr). Für dich kommt diese Lesweise nicht in Frage, weil "wahr" für dich an Sätze (o.ä.) (als Wahrheitsträger?) gebunden ist. Aber es geht hier im ersten Schritt darum, Gabriel zu verstehen und der hat nun mal ein anderes Verständnis von 'wahr'. So würde ich Gabriels Verständnis von Tatsache verstehen, natürlich ohne Gewähr.




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Sa 16. Dez 2017, 11:42

Herr K. hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 07:35
Romeo liebt Julia
Schönes Beispiel :-)
Herr K. hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 07:35
Ich denke, dass der anders aussieht, denn Gabriel argumentiert irgendwo sinngemäß so (aus dem Gedächtnis, die fragliche Stelle habe ich jetzt nicht parat): es kann nicht nichts geben, denn wenn es nichts gäbe, dann gäbe es immer noch die Tatsache, dass es nichts gäbe. Nach der obigen Charakterisierung von "Tatsache" wäre dem jedoch nicht so. (Wenn es nichts gäbe, dann auch nichts, woraus sich eine Tatsache konstituieren könnte.)

Übrigens passt auf diese Argumentation Gabriels seine Begriffsbestimmung "Eine Tatsache ist etwas, das über etwas wahr ist" nicht, denn nichts ist nicht etwas.
Ich meine, das stammt aus einem Vortrag und ist nach meiner Erinnerung so ähnlich, wie du sagst, allerdings mit zwei Einschränkungen. Erstens gibt es nicht nichts, sondern nichts materielles. Und zweitens ist das Argument in dem Vortrag nicht ausgeführt, sondern nur angedeutet, denn er erläutert, dass er eine raffinierte Version des Argumentes für wahr hält. Das heißt, man müsste sich erst mal das Original besorgen, bevor man Schlüsse daraus zieht :-) Allerdings meine ich auch, dass der logische Raum niemals leer sein kann.




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Jörn Budesheim
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Sa 16. Dez 2017, 11:47

Alethos hat geschrieben :
Fr 15. Dez 2017, 12:24
Aber wenn die Tatsache eine Relationalität darstellt, dann streicht ein Gedanke, insofern er dieses Verhältnis thematisch macht, eine Tatsache heraus. Der wahre Gedanke partizipiert an der Tatsache, weil er die Tatsache, von der er handelt, erfasst.
ja ... vielleicht so ... oder so ähnlich :-) bin auch noch am Grübeln, wie man es am besten fasst.




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iselilja
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Sa 16. Dez 2017, 12:09

Herr K. hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 07:35


Falls das hinreichend mit dem, was Du sagen wolltest, übereinstimmt, dann können zumindest wir beide uns darauf einigen. Was aber nicht viel nutzt, denn damit erfahren wir nichts über Gabriels Begriff "Tatsache". Ich denke, dass der anders aussieht, denn Gabriel argumentiert irgendwo sinngemäß so (aus dem Gedächtnis, die fragliche Stelle habe ich jetzt nicht parat): es kann nicht nichts geben, denn wenn es nichts gäbe, dann gäbe es immer noch die Tatsache, dass es nichts gäbe. Nach der obigen Charakterisierung von "Tatsache" wäre dem jedoch nicht so. (Wenn es nichts gäbe, dann auch nichts, woraus sich eine Tatsache konstituieren könnte.)

Übrigens passt auf diese Argumentation Gabriels seine Begriffsbestimmung "Eine Tatsache ist etwas, das über etwas wahr ist" nicht, denn nichts ist nicht etwas.
Gabriel stellt hier (falls das so genau von ihm gesagt wurde) eine recht wagemutige Behauptung auf. Der Haken daran ist nun mE, dass Gabriel Ontologie und Aussagenlogik leichtfertig in einen Topf wirft.

Richtig wäre: wenn nichts da ist, sind auch allgemein keine Tatsachen da, über die etwas ausgesagt werden könnte. Gabriel sagt nun aber mit seiner Aussage etwas. Also ist nur deshalb, weil die Aussage getätigt wird wieder etwas da.. es wird sozusagen nachgereicht. Und das geht natürlich nicht mit dem Umstand zusammen, dass nichts da sein sollte. Der Widerspruch entsteht also erst in dem Moment wo ich denke/spreche, und dazu, dass ich denken/sprechen kann, muss ich ja da sein. Vergleiche Descartes dazu.




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Alethos
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Sa 16. Dez 2017, 12:41

Herr K. hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 07:35
Eine Tatsache konstituiert sich aus mindestens einem existierenden Ding und dessen existierenden Eigenschaften (wobei es sich auch um relationale Eigenschaften handeln kann, in dem Falle wären mehrere Dinge für die Tatsache erforderlich, z.B.: Romeo liebt Julia). Wobei hier "Ding" ganz allgemein gemeint ist als irgendetwas, das Eigenschaften haben kann, mit "Ding" sind hier also nicht nur materielle Dinge gemeint. Z.B. wäre ein nicht-materieller Gott, falls es einen solchen gäbe, ein Ding in diesem Sinne.

Falls das hinreichend mit dem, was Du sagen wolltest, übereinstimmt, dann können zumindest wir beide uns darauf einigen. Was aber nicht viel nutzt, denn damit erfahren wir nichts über Gabriels Begriff "Tatsache". Ich denke, dass der anders aussieht, denn Gabriel argumentiert irgendwo sinngemäß so (aus dem Gedächtnis, die fragliche Stelle habe ich jetzt nicht parat): es kann nicht nichts geben, denn wenn es nichts gäbe, dann gäbe es immer noch die Tatsache, dass es nichts gäbe. Nach der obigen Charakterisierung von "Tatsache" wäre dem jedoch nicht so. (Wenn es nichts gäbe, dann auch nichts, woraus sich eine Tatsache konstituieren könnte.)

Übrigens passt auf diese Argumentation Gabriels seine Begriffsbestimmung "Eine Tatsache ist etwas, das über etwas wahr ist" nicht, denn nichts ist nicht etwas.
Schöne Gedankegänge, das Mitdenken macht richtig Spass :)

Ich denke, wir stimmen in der Definition von Tatsache überein. Eine Tatsache besteht aus einzelnen Dingen, die miteinander in Beziehung stehen.

Wie gesagt, ich bin kein Gabriel-Experte. Wenn Gabriel aber behauptet, dass es die Welt nicht gebe, weil es die Tatsache aller Tatsachen nicht gibt, dann kann er nicht zugleich behaupten, dass es das Nichts nicht gebe, weil mindestens eine Tatsache übrigbleibe, nämlich die des Nichtseins.
Falls Gabriel tatsächlich behauptete, es gäbe trotz dem Nichtsein von allem, immer noch eine Tatsache, die dieses Nichtsein birgt, machte er sich unglaubwürdig. Ich traue ihm aber zu, dass er diese Ungereimtheit durchschauen würde und so etwas nicht behauptet.
Wenn es nichts gibt, das eine Tatsache konstituiert, dann gibt es natürlich auch keine Tatsache, die das Nichtsein konstituiert. Die Tatsache des Nichtseins von etwas kann sich natürlich genauso nur auf einen Seinsbereich beziehen, wie die Tatsache des Seins sich auch nur auf einen Bereich beziehen kann.

Zur Definition von Tatsache als ‚etwas über etwas wahr’‘, ich halte sie für nicht hilfreich:
Ich würde wirklich vorschlagen, dass wir unsere Sprache verfeinern. Wir sollten nicht von der Wahrheit der Tatsache sagen, sie bedeute, dass etwas über etwas wahr sei. Denn einerseits suggeriert dieses ‚Etwas‘, dass etwas anderes gemeint sei als die Tatsache, z.B. eine Aussage oder ein Gedanke. Andererseits suggeriert dieses ‚Über‘, dass die Wahrheit der Tatsache nicht in der Tatsache liegt, sondern irgendwie drüber. Es wird dann sehr schwierig sprachlich zwischen einer Korrespondenztheorie und einer realontologischen Theorie abzugrenzen.

Ich schlage deshalb vor, dass wir von der Wahrheit der Tatsache wie folgt sprechen: „Die Wahrheit der Tatsachen liegt in ihrem Sein als Seiendes‘. Und umgekehrt: Die Tatsachen sind falsch, insofern sie gar nicht sind, also keine Tatsache sind, weshalb es keine falschen Tatsachen gibt.

Letzteres impliziert dann übrigens, dass die Falschheit der Tatsache als ihr Nichtsein nur eine gedachte sein kann, insofern die Tatsache ihres Nichtseins eingelassen ist in die Falschheit des Gedankens. Die Falschheit des Gedankens ist nämlich die Tatsache, dass der Gedanke von etwas handelt, das nicht exisitiert.

Das meint Gabriel wohl, wenn er sagt, dass der wahre Gedanke subjektlos sei, denn seine Wahrheit (des Gedankens) kommt nicht durch das Subjekt zum Sein, sondern durch das Sein der Wahrheit zum Gedanken resp. zum Subjekt.
Der falsche Gedanke kommt aber ohne Subjekt nicht aus, denn das Subjekt erschafft ja einen Gedanken, dessen Inhalt eine Tatsache ist, die jenseits des Gedankens nicht existiert.



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Sa 16. Dez 2017, 13:17

Alethos hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 12:41
Der falsche Gedanke kommt aber ohne Subjekt nicht aus, denn das Subjekt erschafft ja einen Gedanken, dessen Inhalt eine Tatsache ist, die jenseits des Gedankens nicht existiert.
Wunderbar, dieser Satz erklärt die ganze Komplexität in einem. Sehr schön!




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Sa 16. Dez 2017, 13:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 11:14
Deine Erläuterungen verwirren mich. Deine Interpretation von "etwas" verstehe ich nicht. Dazu kurz: Da wir beide wissen, dass nach Gabriel manche Tatsachen bestanden, bevor es uns gab, ergibt sich meines Erachtens, dass jede Interpretation von Gabriels Erläuterung, die versucht dort Sätze oder ähnliches hinzuinterpretieren, zweifelhaft ist, da es Sätze nur gibt, wenn es uns gibt.
Ja, ganz genau. Das würde sich auch mit meinem Verständnis von "Tatsache" beißen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 11:14
Weiter unten erläuterst du dein Verständnis von Tatsache mit Dingen und deren Eigenschaften. Das könnte man kurz so niederschreiben: xF. Du liest das so: x hat die Eigenschaft F. Ich lese es genau so, außer dass ich etwas explizit mache, was bei dir meines Erachtens implizit bleibt: es ist von x wahr, dass F. (nach Gabriel: Etwas (F) ist über etwas (x) wahr). Für dich kommt diese Lesweise nicht in Frage, weil "wahr" für dich an Sätze (o.ä.) (als Wahrheitsträger?) gebunden ist. Aber es geht hier im ersten Schritt darum, Gabriel zu verstehen und der hat nun mal ein anderes Verständnis von 'wahr'.
Leider hast Du mich anscheinend völlig missverstanden und leider bringt mich "Etwas (F) ist über etwas (x) wahr" beim Verständnis von Gabriels Tatsachenbegriff kein Stück weiter - denn in Deiner Notation, so wie ich die verstehe, ist xF die Tatsache, z.B.: [Katze; sitzt auf der Matte] - und nicht lediglich F.

Nun gut, ich sehe gerade nicht, wie wir da weiterkommen, vielleicht können wir daher Gabriels Tatsachenbegriff mal kurz zur Seite legen und uns seinen Wahrheitsbegriff anschauen. Könntest Du dazu etwas sagen?




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Sa 16. Dez 2017, 13:44

Alethos hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 12:41
Wenn es nichts gibt, das eine Tatsache konstituiert, dann gibt es natürlich auch keine Tatsache, die das Nichtsein konstituiert.
So natürlich ist das nicht. Es kommt hier darauf an, was Gabriel unter "Tatsache" versteht, was wie gesagt, vermutlich etwas anderes ist als das, was wir oben formuliert haben. Die Frage ist wohl an der Stelle, ob es für Gabriel auch negative Tatsachen gibt, z.B.: [Katze; sitzt nicht auf der Matte]. So wie wir das formuliert haben, gibt es keine negativen Tatsachen - aber es scheint erst mal so zu sein, als ob Gabriel das anders sieht. Ansonsten ergäbe ja sein Argument dafür, dass es nicht nichts geben können, per se keinen Sinn.
Alethos hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 12:41
Die Tatsache des Nichtseins von etwas kann sich natürlich genauso nur auf einen Seinsbereich beziehen, wie die Tatsache des Seins sich auch nur auf einen Bereich beziehen kann.
Könntest Du das mit den Seinsbereichen etwas näher erläutern (die hatte ich oben ausgelassen), was wären Deiner Ansicht nach z.B. Seinsbereiche?
Alethos hat geschrieben :
Sa 16. Dez 2017, 12:41
Ich schlage deshalb vor, dass wir von der Wahrheit der Tatsache wie folgt sprechen: „Die Wahrheit der Tatsachen liegt in ihrem Sein als Seiendes‘.
Aber es geht doch gerade darum, zu eruieren, was Gabriel mit "Tatsache" und "Wahrheit" meint, oder? Und da bin ich mir nun nicht sicher, ob Gabriel dem zustimmen würde.




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