Wahrheit/ontische Wahrheit

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Timberlake
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Fr 15. Aug 2025, 13:25

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Fr 15. Aug 2025, 13:05
Und verstehst Du, wie es kommen kann, dass Philosophen sich darüber den Kopf zerbrechen, während du nur einmal kurz in einem Fremdwörterbuch nachgucken musst, um zu sehen, dass die Fragen sinnlos sind?


Ich verstehe, dass es nach meinem Dafürhalten immer sinnvoll ist, sich bei Begründungen, wovon auch immer, bezüglich der darin verwendeten Begriffe, in Fremdwörterbüchern rückzuversichern. Schon allein deswegen, um die Begründung nicht selbst, im Sinne der darin formulierten Wahrheit, nicht selbst als strittig erscheinen zu lassen.

Übrigens!
Solche strittigen Begründungen, die wiederum womöglich wiederum strittig begründet wurden, weil man sich ggf. Begriffe bedient, die sich so in einem Fremdwörterbuch nicht finden lassen, führen meiner Meinung nach dazu, dass man sich in unschöner Regemäßigkeit immer mehr vom Thema eines Threads entfernt.

Wie dem auch sei.
Herr K. hat geschrieben :
Mo 4. Sep 2017, 20:23

Die Behauptung "die meisten Leute glauben xy" stellte sich als reine Lehnstuhbehauptung heraus, die ungefähr so entstand: ich meine das, also meinen die meisten anderen Leute das auch. Aber auch diese Behauptung müsste nach der o.g. Regel begründet werden, in dem Falle ist es eine empirische Behauptung, die gar nicht aus dem Lehnstuhl heraus begründet werden kann.
Mit den Eintragungen in Fremdwörterbüchern verhält es sich, meiner Meinung nach, umgekehrt. Ich habe das zu meinen, worauf sich die meisten anderen Leute ihrer Meinung nach geeinigt haben. Haben sich beispielsweise die meisten Leute darauf geeinigt, dass ...

ontisch
Bedeutung
" Philosophie als seiend, unabhängig vom Bewusstsein existierend verstanden; dem Sein nach"

.. so würde ich jede Abweichung davon, nicht gerade zuträglich für eine Diskussion halten, die sich unter Überschrift "Wahrheit/ontische Wahrheit" dessen bedient. Gelinde gesagt.
Zuletzt geändert von Timberlake am Fr 15. Aug 2025, 13:54, insgesamt 4-mal geändert.




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Jörn P Budesheim
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Fr 15. Aug 2025, 13:49

Timberlake hat geschrieben :
Fr 15. Aug 2025, 13:25
Fremdwörterbüchern
Bei der „Erforschung“ philosophischer Fachbegriffe empfehle ich, auf mehrere philosophische Nachschlagewerke zurückzugreifen.

Nur, damit es nicht vergessen wird: Der philosophische Fachbegriff, um den es hier geht, ist „ontische Wahrheit” im Unterschied zu „Aussagen-Wahrheit” bzw. „propositionaler Wahrheit”. Das ist der Rahmen. Warum es wirklich geht, zeigt sich auch, wenn man sich die ersten und letzten Beiträge des Fadens anschaut. Um sich das einigermaßen ausmalen zu können, reicht es ganz sicher nicht, in einem nicht-philosophischen Wörterbuch eine drei- oder vierwortige Erklärung des Ausdrucks „ontisch” (und nicht mal ontische Wahrheitstheorie) zu nachzuschlagen. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.




Timberlake
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Sa 16. Aug 2025, 03:25

Consul hat geschrieben :
So 10. Aug 2025, 21:37


Was ist der Unterschied zwischen einer ontischen Wahrheit und einer nichtontischen Wahrheit?
Ich muss an dieser Stelle tatsächlich zugeben, dass von mir hier zum ersten Mal der Ausdrucks „ontisch” vernommen wurde, und zwar nur ontonisch! Deshalb habe ich übrigens auch im Internet auch nur nach ontonisch suchen lassen und nicht nach ontische Wahrheitstheorie oder ähnlichen. Davon ausgehend, dass im Suchmaschinenranking die Ergebnisse absteigend nach Relevanz sortiert ausgegeben werden, habe ich mich selbstverstänlich dabei auf die vordersten Plätze bezogen und weil bekanntlich in der Kürze die Würze liegt, erschien mir tatsächlich folgende drei- oder vierwortige Erklärung passend. Zumal in dem Zitat, aus einem nicht-philosophischen Wörterbuch, ausdrücklich auf die Philosophie hingewiesen wurde.

ontisch
Bedeutung
" Philosophie als seiend, unabhängig vom Bewusstsein existierend verstanden; dem Sein nach"

Von daher hielt ich eine ontischen Wahrheit für eine Tautologie und einer nichtontischen Wahrheit für unsinnig und ich habe das sogar noch begründet. Von einer Wiederlegung dessen, erwarte ich allerdings etwas mehr, als das man mich lediglich darauf aufmerksam macht, dass sich dabei nicht auf eine philosophische Quelle bezogen wurde und es sich beim Ausdruck „ontisch” nur drei- oder vierwortige Erklärung handelt. Das mag ja alles so sein. Nur hat das meiner Meinung nach so rein gar nichts mit dem zu tun, was von mir zur ontischen bzw. nichtontonischen Wahrheit, wie gesagt, ausgeführt wurde.


Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Fr 15. Aug 2025, 08:17
Consul hat geschrieben :
Fr 15. Aug 2025, 02:57
Für mich ist "unabhängig vom Bewusstsein existierend" kein wesentlicher Teil der Definition von "ontisch"
Dem stimme ich zu, ich möchte ergänzen, dass die Quelle von Timberlake ja auch keine philosophische ist ...
Wo wir schon mal dabei sind, also einer drei- oder vierwortige Erklärung. So finde ich es doch schon sehr bemerkenswert, dass man, wie hier ersichtlich, mal so eben "als seiend" .. "dem sein nach" hat unter den Tisch hat fallen lassen. Wie sagt man doch so schön. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. ;)
Zuletzt geändert von Timberlake am Sa 16. Aug 2025, 04:18, insgesamt 3-mal geändert.




Timberlake
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Sa 16. Aug 2025, 03:57

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Mo 11. Aug 2025, 12:34
Consul hat geschrieben :
So 10. Aug 2025, 21:37
Du setzt voraus, dass Tatsachen wahre Aussagen oder wahre Gedanken sind. Andere betrachten sie hingegen als bestehende, wirkliche Sachverhalte.
Eigentlich nicht.

Beispiel: Emma behauptet, dass Hamburg nördlich von München liegt. Die Tatsache, dass Hamburg nördlich von München liegt, ist die „ontische Wahrheit“. Trifft Emmas Aussage diese ontische Wahrheit, so hat sie etwas Wahres behauptet. Die ontische Wahrheit dient dabei als Norm, an der Aussagen gemessen werden. Wer etwas behauptet, unterwirft sich damit nolens volens dieser Norm.
Und wenn ich nun sage ...

"Emma behauptet, dass Hamburg nördlich von München liegt. Die Tatsache, dass Hamburg nördlich von München liegt, ist die ... Wahrheit.Trifft Emmas Aussage die .. Wahrheit, so hat sie etwas Wahres behauptet. Die .. Wahrheit dient dabei als Norm, an der Aussagen gemessen werden. Wer etwas behauptet, unterwirft sich damit nolens volens dieser Norm.

"Emma behauptet, dass Hamburg nördlich von München liegt. Die Tatsache, dass Hamburg nördlich von München liegt, ist ontonisch (.Philosophie: "als seiend" .. "dem sein nach" ) .. . Trifft Emmas Aussage das Ontonische , so hat sie etwas Wahres behauptet. Das Ontonische dient dabei als Norm, an der Aussagen gemessen werden. Wer etwas behauptet, unterwirft sich damit nolens volens dieser Norm.

Könnte man in Anbetracht dessen "ontonisch" bzw. Wahrheit nicht genauso gut weglassen? Ich frage das vor den Hintergrund, weil ich, wie gesagt, eine „ontische Wahrheit“ für eine Tautologie halte. Auch wenn sich dergleichen vermutlich nicht in einem philosophischen Wörterbuch findet , doppelt gemoppelt würde übrigens auch sehr gut passen,




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Jörn P Budesheim
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Sa 16. Aug 2025, 12:49

Ich kann dazu nichts Weiteres sagen, als was ich oben schon ausgeführt habe: Das Beiwort ontisch wird meines Erachtens dazu verwendet, um die ontische Wahrheit von der propositionalen bzw. Aussagen-Wahrheit zu unterscheiden.

Die gängige Sichtweise in der Philosophie (die ich nicht teile) ist, dass Wahrheit immer Aussagen-Wahrheit bzw. propositionale Wahrheit ist. Das heißt, nur Sätze, Ansichten etc. können wahr sein. In der Alltagssprache liegen die Dinge womöglich anders, dort ist Wahrheit oft dichter am philosophischen Ausdruck ontische Wahrheit. Meines Erachtens gibt es beides: sowohl propositionale Wahrheit als auch ontische Wahrheit – und zwar in dem Sinn, wie ich es weiter oben beschrieben habe.

Es gibt, glaube ich, auch andere Verwendungen des Begriffs ontische Wahrheit – soweit ich weiß bei Heidegger. Da kann ich aber nicht (mehr) mit Details dienen. Wenn ich mich nicht irre, war das im Verlauf des Fadens ein Thema der Diskussion.

Kurz: „ontische Wahrheit“ ist meines Erachtens genauso wenig ein Pleonasmus (wie z. B. weißer Schimmel) wie „propositionale Wahrheit“.




Timberlake
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So 17. Aug 2025, 13:20

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Sa 16. Aug 2025, 12:49

Kurz: „ontische Wahrheit“ ist meines Erachtens genauso wenig ein Pleonasmus (wie z. B. weißer Schimmel) wie „propositionale Wahrheit“.
Dieser Gedanke, um mich selbst zu widerlegen, ist mir übrigens tatsächlich auch gekommen. Nur nicht anhand weißen Schimmels, sondern weißen Schnees bzw. nassem Wassers. Worauf ich allerdings noch nicht gekommen bin, dass es sich dabei (nicht) um eine Tautologie, sondern (nicht) um einen Pleonasmus handelt. Das hängt vermutlich damit zusammen , dass mir der Begriff Tautologie, sehr viel geläufiger ist.

Nun was zeigt mir dazu eine "Übersicht mit KI" an, nach dem ich nach "Pleonasmus Beispiel" habe suchen lassen:
  • Übersicht mit KI
    "Ein Pleonasmus ist eine sprachliche Figur, bei der zwei oder mehr Wörter verwendet werden, die im Grunde dasselbe bedeuten, wodurch eine unnötige Wiederholung entsteht. Ein häufiges Beispiel ist "weißer Schimmel", da ein Schimmelpferd definitionsgemäß weiß ist.

    Hier sind weitere Beispiele für Pleonasmen:

    "Runde Kugel":
    Eine Kugel ist immer rund, daher ist die Beschreibung "runde" überflüssig
    "Nasser Regen": Regen ist per Definition nass
    ..."
Weil meiner Meinung nach auch hier zwei Wörter verwendet werden, die im Grunde dasselbe bedeuten, würde ich tatsächlich "ontonische Wahrheit" als ein weiteres Beispiel ansehen.
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Sa 16. Aug 2025, 12:49
Das Beiwort ontisch wird meines Erachtens dazu verwendet, um die ontische Wahrheit von der propositionalen bzw. Aussagen-Wahrheit zu unterscheiden.
Für den Fall, dass das so sein sollte, bemerkenswert in diesem Zusammenhang finde ich, dass zwischen einer ontonischen und einer propositionale Wahrheit zu unterscheiden ist. Für den Fall, dass das so sein sollte, bemerkenswert in diesem Zusammenhang finde ich, dass zwischen einer ontonischen und einer propositionale Wahrheit zu unterscheiden ist. Zumal man beispielsweise auch bei H₂O zwischen gasförmig, flüssig und fest unterscheidet. Sowohl beim gasförmigen und flüssigen, als auch beim festen Wasser werden zwei Wörter verwendet, die im Grunde dasselbe bedeuten.
Zuletzt geändert von Timberlake am So 17. Aug 2025, 13:50, insgesamt 1-mal geändert.




Timberlake
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So 17. Aug 2025, 13:50

  • Übersicht mit KI
    "Pleonasmen werden oft verwendet, um eine Aussage zu verstärken oder hervorzuheben, können aber auch als sprachliche Ungenauigkeit oder Fehler angesehen werden.
    "
In dem sich gasförmiges, flüssiges und festes voneinander unterscheidet, so würde ich Wasser als ein Beispiel dafür nehmen, dass Pleonasmen als sprachliche Ungenauigkeit oder Fehler angesehen werden. Wie auch, weil ebenfalls unterschiedlich, propositionales und ontonisches bei der Wahrheit.

Wenn man infolgedessen bei Wasser von unterschiedlichen Aggregatzuständen spricht, warum sollte man dann nicht auch bei der Wahrheit von verschiedenen Aggregatzuständen sprechen? Den Aggregatzuständen propositional und ontonisch!
physikbuch.schule hat geschrieben :
14.4 Zustände von Materie und deren Änderung

Tripelpunkt: Bei dieser Temperatur und bei diesem Druck können alle 3 Aggregatzustände gleichzeitig existieren.
Aggregatzustände , die wie beim Wasser ich halten sollte man denn nicht auch würde sich d

kritischer Punkt: Jenseits dieses Punktes kann ein Gas nicht mehr verflüssigt oder verfestigt werden. Ist die Temperatur größer als die kritische Temperatur, kann es keinen flüssigen Aggregatzustand geben, egal, wie groß der Druck wird.
Aggregatzustände, die womöglich auch einen solchen Tripelpunkt und kritischen Punkt aufweisen. Also wo propositionale und ontonische Wahrheiten gleichzeitig existieren oder wo eine Wahrheit , jenseits dessen, jeweils nur das Eine sein kann, propositional oder otonisch.Mit Beispielen dazu kann ich allerdings noch nicht dienen. Dazu ist sind mir diese Gedanken, der mir hier aufgrund des bemerkenswerten Beitrages 94447 von Jörn gekommen ist, einfach noch zu neu.

Jedoch nicht zu neu, als das ich aufgrund dieser Gedanken eine Antwort auf das wüsste, was Jörn nicht glaubt.
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Sa 16. Aug 2025, 12:49

Kurz: „ontische Wahrheit“ ist meines Erachtens genauso wenig ein Pleonasmus (wie z. B. weißer Schimmel) wie „propositionale Wahrheit“.
Schimmel kann bekanntermaßen auch blau, grün, rot ... sein. Insofern sich, meiner Meinung nach, auch hier anbieten würde, von unterschiedlichen Aggregatzuständen bei Schimmel auszugehen. Ob von daher weißer Schimmel genauso wenig ein Pleonasmus ist, wie eine „ontische Wahrheit“ bzw. „propositionale Wahrheit“, würde meines Erachtens dann allerdings doch zu weit gehen.




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Jörn P Budesheim
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So 17. Aug 2025, 17:01

Im alltäglichen Sprachgebrauch versteht man unter einem Schimmel ein Pferd mit weißem Fell. Der Ausdruck "weißer Schimmel" ist gängiges Beispiel für einem Pleonasmus.

Wichtig: In diesem Faden geht es wie die Überschrift besagt um: (propositionale/Aussagen-)Wahrheit/ontische Wahrheit. Was mit den beiden Begriffen gemeint ist, wurde wiederholt erklärt. Beiträge, die sich nicht auf das Thema beziehen, werden nicht mehr akzeptiert und kommentarlos gelöscht.




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Jörn P Budesheim
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Fr 17. Okt 2025, 11:54

"Alle Varianten gehaltvoller Korrespondenztheorien – zu denen die naturalistische Theoriefamilie zählt – scheitern daran, dass sie die Wahrheit nolens volens bereits auf der Tatsachenseite verorten. Dass dieser Tatsachenseite dann noch etwas korrespondieren soll, trägt zur Wahrheit nichts Wesentliches bei. Der Satz «Die Bauarbeiten am Kölner Dom wurden im 19. Jahrhundert abgeschlossen» ist wahr. Die Korrespondenztheorien der Wahrheit müssen seine Wahrheit darin erkennen, dass es eine Beziehung dieses Satzes zu etwas gibt, was nicht von der Art des Satzes ist, in diesem Fall wohl die Fertigstellung des Kölner Doms im 19. Jahrhundert. Doch das bedeutet, dass es nicht wahr gewesen wäre, dass die Bauarbeiten am Kölner Dom im 19. Jahrhundert abgeschlossen wurden, hätte keine Beziehung zwischen einem Satztyp, der dies behauptet, und der besagten Fertigstellung bestanden. Streicht man das Repräsentationssystem aus der Korrespondenzbeziehung, kollabiert die Korrespondenzbeziehung – und mit ihr die Wahrheit." (Markus Gabriel)




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Fr 17. Okt 2025, 20:34

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Fr 17. Okt 2025, 11:54
"Alle Varianten gehaltvoller Korrespondenztheorien – zu denen die naturalistische Theoriefamilie zählt – scheitern daran, dass sie die Wahrheit nolens volens bereits auf der Tatsachenseite verorten. Dass dieser Tatsachenseite dann noch etwas korrespondieren soll, trägt zur Wahrheit nichts Wesentliches bei. Der Satz «Die Bauarbeiten am Kölner Dom wurden im 19. Jahrhundert abgeschlossen» ist wahr. Die Korrespondenztheorien der Wahrheit müssen seine Wahrheit darin erkennen, dass es eine Beziehung dieses Satzes zu etwas gibt, was nicht von der Art des Satzes ist, in diesem Fall wohl die Fertigstellung des Kölner Doms im 19. Jahrhundert. Doch das bedeutet, dass es nicht wahr gewesen wäre, dass die Bauarbeiten am Kölner Dom im 19. Jahrhundert abgeschlossen wurden, hätte keine Beziehung zwischen einem Satztyp, der dies behauptet, und der besagten Fertigstellung bestanden. Streicht man das Repräsentationssystem aus der Korrespondenzbeziehung, kollabiert die Korrespondenzbeziehung – und mit ihr die Wahrheit." (Markus Gabriel)
Bingo! Wie ich schon sagte: Ohne Wahrheitsträger gibt es keine Wahrheiten, und an notwendig und ewig existierende abstrakte Propositionen (Bolzanos "Sätze an sich" oder Freges "Gedanken") als Wahrheitsträger glaube ich nicht.
Eine Welt ohne Wahrheitsträger ist zwar eine Welt ohne Wahrheiten, aber keine Welt ohne Tatsachen – wobei hier unter Tatsachen selbstverständlich keine wahren bolzanoschen Sätze an sich oder wahren fregeschen Gedanken verstanden werden, sondern wirkliche Sachen oder Sachverhalte (wie die Fertigstellung des Kölner Doms im 19. Jahrhundert).

Daraus lässt sich jedoch kein Argument gegen die Korrespondenztheorie der Wahrheit ableiten. Gabriels erste Aussagen, "dass [Korrespondenztheorien] die Wahrheit nolens volens bereits auf der Tatsachenseite verorten," und "dass dieser Tatsachenseite dann noch etwas korrespondieren soll," sind schon falsch. Denn für Korrespondenztheoretiker sind Tatsachen keine wahren Sätze auf der Wahrheitsträgerebene, sondern wirkliche Sachen oder Sachverhalte auf der Wahrmacherebene, deren Bestehen nicht vom Dasein sprachlicher oder nichtsprachlicher Wahrheitsträger abhängt.
In einer Welt ohne Wahrheitsträger fungieren Tatsachen als wirkliche Sachen/Sachverhalte freilich nur als potenzielle und nicht als aktuelle Wahrmacher, weil aktuelle Wahrmachungen die Koexistenz von Wahrheitsträgern und Wahrmachern voraussetzen.
(Wahrmachung ist übrigens keine ursächliche Beziehung zwischen Wahrmachern und Wahrheitsträgern!)



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So 19. Okt 2025, 06:43

Vielleicht kannst du das Ganze anhand des Beispiels von Gabriel erläutern: „Die Bauarbeiten am Kölner Dom wurden im 19. Jahrhundert abgeschlossen.“ Damit meine ich, dass du bei möglichst allen Begriffen, die du verwendest, erklärst, was im vorliegenden Beispiel damit gemeint ist:

„aktuelle Wahrmachungen“, „Bestehen“, „Koexistenz von Wahrheitsträgern und Wahrmachern“, „potenzielle* Wahrmacher“, „Tatsachen“, „wahre Sachen oder Sachverhalte“, „Wahrheitsträgerebene“, „Wahrheitsträger**“ und „Wahrmacherebene“.

Was genau soll das alles sein? Ich habe, ehrlich gesagt, bei den meisten dieser Begriffe keine Vorstellung, was du damit meinst. Ich bräuchte vor allem konkrete Beispiele, um es verstehen zu können. Daa wäre mir das Wichtigste!

Und natürlich auch sehr wichtig: Was soll eigentlich „Korrespondenz“ im vorliegenden Beispiel überhaupt sein? Worin besteht sie, was ist damit gemeint? Und was genau hat sie mit Wahrheit zu tun?

--------------------

* Hattest du nicht gerade an anderer Stelle erläutert, das ist so etwas wie Möglichkeiten gar nicht gibt?

** Mir ist zwar klar, dass du mit Wahrheitsträgern Sätze, Gedanken und ähnliches meinst, aber ich kann mir die Metapher trotzdem nicht ausmalen. Was soll das heißen, dass ein Satz die Wahrheit trägt? Was genau ist damit gemeint? Also Wahrheitsträger sind vermutlich Sätze und Gedanken, aber bei Wahrmachern hörts schon auf, da weiß ich wirklich nicht im Entferntesten, was du damit meinst. Und bitte: nach Möglichkeit nicht allein abstrakt, sondern anhand des Beispiels erläutern.




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So 19. Okt 2025, 16:32

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
So 19. Okt 2025, 06:43
…Mir ist zwar klar, dass du mit Wahrheitsträgern Sätze, Gedanken und ähnliches meinst, aber ich kann mir die Metapher trotzdem nicht ausmalen. Was soll das heißen, dass ein Satz die Wahrheit trägt? Was genau ist damit gemeint? Also Wahrheitsträger sind vermutlich Sätze und Gedanken, aber bei Wahrmachern hörts schon auf, da weiß ich wirklich nicht im Entferntesten, was du damit meinst. Und bitte: nach Möglichkeit nicht allein abstrakt, sondern anhand des Beispiels erläutern.
Ein Wahrheitswertträger ist eine repräsentationale Entität (Repräsentation) mit einem Wahrheitswert; und ein Wahrheitsträger ist entsprechend eine wahre Repräsentation (z.B. eine Aussage, ein Gedanke).

Ein Wahr(heits)macher ist eine nichtrepräsentationale Entität (z.B. ein wirklicher Sachverhalt), die eine wahre repräsentationale Entität (z.B. eine wahre Aussage) wahr macht. Genauer gesagt:

Eine nichtrepräsentationale Entität E ist genau dann ein Wahrmacher einer repräsentationalen Entität R, die einen Wahrheitswert haben kann, wenn Folgendes notwendigerweise zutrifft: Wenn E & R koexistieren, dann ist R aufgrund (vermöge/kraft) der Existenz von E wahr.

(Wenn R unwahr/falsch ist, dann liegt das daran, dass E & R nicht koexistieren, weil E nicht existiert und R folglich nicht wahr machen kann.)

Die Gelehrten sind geteilter Meinung darüber, ob alle Wahrheiten davon abhängig sind, von bestimmten Entitäten wahr gemacht zu werden. Diese Ansicht nennt sich Wahrmacher-Maximalismus.

Zur weiteren Einführung:

SEP: Truthmakers

SEP: Wahr(heits)macher [Google Translate]

IEP: Truthmaker Theory

IEP: Wahr(heits)macher-Theorie [Google Translate]
"Die Metaphysik ist die philosophische Untersuchung der Realität, und Wahrmachung ist die Brücke, die zwei Aspekte davon verbindet. Auf der einen Seite ist der Stoff der Realität: die Dinge, die das Universum bevölkern, die Objekte, denen wir täglich begegnen, über die wir nachdenken und mit denen wir uns täglich beschäftigen. Die Ontologie ist derjenige Zweig der Metaphysik, der sich mit der Frage beschäftigt, was zum Inventar des Universums gehört. Existieren Zahlen? Objektive moralische Werte? Gott? Auf der anderen Seite sind die Wahrheiten über die Wirklichkeit, jene Behauptungen, die sie zutreffend beschreiben. Ameisenigel können schwimmen. Zwei ist eine Primzahl. Wäre der Chicxulub-Asteroid nicht mit der Erde kollidiert, hätte er kein Massenaussterben verursacht. Wahrmachung ist die Untersuchung der Beziehung dieser beiden Dimensionen der Wirklichkeit – was existiert und was wahr ist.

Eine gängige Beschreibung der Beziehung zwischen dem, was existiert und was wahr ist, erfolgt durch Abhängigkeit: Was wahr ist, hängt vom Existierenden ab, nicht umgekehrt. Aristoteles fasste die Grundidee anhand eines Beispiels wie folgt zusammen: Betrachten wir die Insel Tasmanien. Die Insel gehört zum ontologischen Inventar der Welt: Sie ist ein realer Ort, keine bloße Fiktion. Darüber hinaus ist der Satz „Tasmanien existiert“ wahr. Wenn die Insel nicht existierte, wäre der Satz nicht wahr. Und wenn der Satz nicht wahr wäre, würde die Insel nicht existieren. Dieses kleine Stück Existenz und Wahrheit gehen also Hand in Hand; das eine ist ohne das andere nicht möglich. Dennoch besteht auch eine Asymmetrie zwischen ihnen.

Die Insel existiert nicht, weil der Satz über sie wahr ist. Die Wahrheit des Satzes begründet oder erklärt nicht die Existenz der Insel. (Fragen Sie einen Geologen für eine bessere Antwort.) Stattdessen ist der Satz wahr, weil die Insel existiert. Der Satz besagt, dass Tasmanien existiert, und somit ist Tasmanien selbst direkt für die Wahrheit des Satzes verantwortlich. Mit anderen Worten, die Insel macht den Satz wahr: Sie ist sein Wahrmacher. Auf diese Weise haben existierende Objekte Priorität oder sie sind fundamentaler als die Wahrheit der Behauptungen, die diese Objekte betreffen. Wahrheit hängt vom Sein ab ist daher ein nützlicher Slogan für die Wahrmachertheorie." [Google Translate mit Änderungen meinerseits]

(Asay, Jamin. Truthmaking. Cambridge: Cambridge University Press, 2023. p. 1)
Anmerkung: Die folgende Aussage ist teilweise falsch:

"Wenn die Insel nicht existierte, wäre der Satz nicht wahr. Und wenn der Satz nicht wahr wäre, würde die Insel nicht existieren. Dieses kleine Stück Existenz und Wahrheit gehen also Hand in Hand; das eine ist ohne das andere nicht möglich."

Die Existenz von Tasmanien hängt nicht von der Existenz des wahren Satzes "Tasmanien existiert" ab, weil Tasmien auch in einer Welt ohne (wahre) Sätze existieren könnte.
"Aussagen teilen sich in Wahrheiten und Falschheiten. Einige der Wahrheiten sind notwendige Wahrheiten; lassen wir diese beiseite. Die übrigen Wahrheiten sind unnotwendig: Sie sind Wahrheiten, die falsch hätten sein können. Nun stellt sich die Frage: Wenn eine Aussage A (unnotwendigerweise) wahr ist, was macht sie wahr? Es erschiene nicht richtig zu sagen: 'A ist halt einfach wahr, und damit hat es sich'. Wir wollen vielmehr sagen, dass ihre Wahrheit eine relationale Eigenschaft ist. Die Welt—die Gesamtheit all dessen, das wirklich existiert—macht A wahr. Oder, besser gesagt, ein bestimmter Teil der Welt macht A wahr, da nur wenige Wahrheiten eine Beschreibung der gesamten Welt darstellen. Irgendwo innerhalb der Welt hat A einen 'Wahrmacher'. Ein Etwas E existiert und es ist so, dass es notwendigerweise der Fall ist, dass wenn E existiert, A wahr ist. (Oder es existieren vielleicht mehrere Dinge, von denen jedes ausgereicht hätte, um A wahr zu machen. Jede einzelne Katze—zumindest wenn sie wesensmäßig eine Katze ist—ist ein Wahrmacher der Aussage, dass etwas eine Katze ist.)" [meine Übers.]

(Lewis, David. "A World of Truthmakers." In Papers in Metaphysics and Epistemology, 215-220. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. pp. 217-8)
"Die Idee eines Wahrmachers für eine bestimmte Wahrheit ist also einfach eine Entität, ein Teil der Realität, kraft/vermöge dessen diese Wahrheit wahr ist. Die Beziehung ist meiner Ansicht nach kategorenübergreifend, wobei ein Relatum eine oder mehrere Entitäten in der Welt ist/sind, und das andere eine Wahrheit. (Ich bin der Ansicht, dass Wahrheiten wahre Propositionen sind…) Wahrmacher für bestimmte Wahrheiten zu fordern, bedeutet, eine realistische Theorie für diese Wahrheiten zu akzeptieren. Es gibt etwas, das in der Realität existiert, unabhängig von der betreffenden Proposition, und das die Wahrheit wahr macht. Das ‚Machen‘ ist hier natürlich nicht im kausalen Sinn von ‚Machen‘ gemeint. Die beste Formulierung dieses Machens scheint die Wendung ‚kraft‘/‚vermöge‘ [‚in virtue of‘] zu sein. Vermöge dieser unabhängigen Realität ist die Proposition wahr. Was die Proposition zur Wahrheit macht, ist ihr Verhältnis zu dieser Realität." [Google Translate mit Änderungen meinerseits]

(Armstrong, D. M. Truth and Truthmakers. Cambridge: Cambridge University Press, 2004. p. 5)

"Wir arbeiten also mit der folgenden Theorie der Natur der Wahrheit:
p (eine Proposition) ist genau dann wahr, wenn es ein T (eine bestimmte Entität in der Welt) gibt, sodass T bedingt, dass p und p aufgrund von T wahr ist." [Google Translate]

(Armstrong, D. M. Truth and Truthmakers. Cambridge: Cambridge University Press, 2004. p. 17)

"Ein Wahrmacher ist diejenige besondere Entität in der Welt, aufgrund (vermöge/kraft) deren eine wahre Aussage wahr ist. Es handelt sich um eine relativ neue Version der Korrespondenztheorie der Wahrheit[.]" [Google Translate mit Änderungen meinerseits]

(Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. 11)

"Beachten Sie erneut, dass die Wahrmacherbeziehung eine interne Beziehung…ist: Wenn die Relata, die Wahrmacher und die propositionalen Wahrheitsträger, gegeben sind, dann ist die Beziehung gegeben. Die Wahrmacher, so denke ich, bedingen die Wahrheiten, d.h. die Wahrheitsträger. Dies scheint eine Frage der Supervenienz zu sein. Die Realität fixiert die Wahrheiten als wahr." [Google Translate mit Änderungen meinerseits]

(Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. 65)

"Ich vertrete die wohl orthodoxe Ansicht, dass die Wahrheitsträger (wahre) Propositionen sind. Aber was sind Propositionen? Meine Ansicht hier ist vielleicht weniger orthodox. Ich glaube nicht, wie manche Philosophen, dass es einen Bereich von Propositionen gibt, der zusätzlich zur Raumzeit eine „abstrakte Existenz“ besitzt. Ich denke, dass Propositionen am besten als das verstanden werden, was nach Ausdrücken wie „glaubt, dass“, „nimmt an, dass“, „hegt den Gedanken, dass“ oder „bezweifelt, dass“ erscheint. Propositionen haben etwas Abstraktes an sich, aber sie sind in einem gewöhnlicheren Sinne abstrakt als Quines „abstrakte Objekte“. Ich identifiziere Propositionen als dasjenige, was geglaubt, angenommen, gehegt, bezweifelt usw. wird." [Google Translate mit Änderungen meinerseits]

(Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. 65)
Anmerkung: Armstrong hat also eine "deflationäre" Auffassung von Propositionen, die leider nicht ganz klar ist. Das bekümmert mich hier jedoch nicht, weil als Wahrheitsträger nicht nur Propositionen infrage kommen, sondern u.a. auch Aussagesätze.



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So 19. Okt 2025, 17:14

Consul hat geschrieben :
So 19. Okt 2025, 16:32
"…Wahrheit hängt vom Sein ab ist daher ein nützlicher Slogan für die Wahrmachertheorie." [Google Translate mit Änderungen meinerseits]

(Asay, Jamin. Truthmaking. Cambridge: Cambridge University Press, 2023. p. 1)
"Beachten Sie erneut, dass die Wahrmacherbeziehung eine interne Beziehung…ist: Wenn die Relata, die Wahrmacher und die propositionalen Wahrheitsträger, gegeben sind, dann ist die Beziehung gegeben. Die Wahrmacher, so denke ich, bedingen die Wahrheiten, d.h. die Wahrheitsträger. Dies scheint eine Frage der Supervenienz zu sein. Die Realität fixiert die Wahrheiten als wahr." [Google Translate mit Änderungen meinerseits]

(Armstrong, D. M. Sketch for a Systematic Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2010. p. 65)
Neben dem korrespondenztheoretischen Slogan "Truth depends on being" findet sich auch "Truth supervenes on being".
Die generelle ontologische Dependenz zwischen Wahrheiten und Wahrmachern besteht darin, dass Erstere ohne Letztere nicht existieren (bestehen) können. Wenn Supervenienz als eine spezielle Form ontologischer Dependenz hinzukommt, dann kann sich auf der Wahrheitsseite nichts ändern, wenn sich auf der Wahrmacherseite nichts ändert. Das bedeutet umgekehrt, dass wenn auf der Wahrmacherseite alles gleich bleibt, auch auf der Wahrheitsseite alles gleich bleiben muss. Ebendieses ist gemeint, wenn Armstrong sagt: "Die Realität fixiert die Wahrheiten als wahr."



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So 19. Okt 2025, 17:17

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
So 19. Okt 2025, 06:43
* Hattest du nicht gerade an anderer Stelle erläutert, das ist so etwas wie Möglichkeiten gar nicht gibt?
Ich glaube nicht an bloße/reine Möglichkeiten (engl. mere possibilia), d.i. Mögliches, das nichts Wirkliches ist.
Mein Standpunkt wird Aktualismus genannt, und er besteht in der These, dass das Sein ausschließlich Wirkliches umfasst. Im Gegensatz dazu behaupten Possibilisten, dass das Sein neben dem Wirklichen auch Reinmögliches umfasst. Ihnen zufolge gibt es also sowohl wirkliche Dinge als auch reinmögliche Dinge. (Wirkliches ist möglich, aber eben nicht reinmöglich, nur möglich.)

SEP: The Possibilism-Actualism Debate
SEP: Die Possibilismus-Aktualismus-Debatte [Google Translate]

SEP: Possible Objects
SEP: Mögliche Objekte [Google Translate]

(Unter "possible objects" werden wohlgemerkt "merely possible objects" verstanden!)



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Jörn P Budesheim
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Di 21. Okt 2025, 12:30

Ich verstehe deine Position vermutlich immer noch nicht so richtig, Consul. Du behauptest, in einer Welt ohne Wahrheitsträger gäbe es keine Wahrheiten, aber Tatsachen. Aber was sollen das für "Tatsachen" sein? Für mich ist eine Tatsache genau das, was über etwas wahr ist. Wenn nichts wahr ist, gibt es auch keine Tatsachen – nur Dinge, oder was auch immer ...

Worin besteht diese mysteriöse "Wahrmacherbeziehung" – was soll das konkret sein? Du sagst "aufgrund von", "kraft", "in virtue of", aber das erklärt doch nichts! Es ist meines Erachtens nur ein Etikett für etwas, das eigentlich unklar bleibt. Warum brauchen wir diese extra Relation überhaupt?

Wenn ich sage "Der Dom wurde im 19. Jahrhundert fertiggestellt" und das stimmt, dann habe ich doch einfach die Tatsache selbst ausgedrückt. Ich behaupte nicht irgendeine Korrespondenzbeziehung – ich sage bloß, dass es so und so ist. Und das entspricht auch unserer alltäglichen Rede, dort kommen keine Korrespondenz-Beziehungen vor. Niemand sagt, ich glaube das und das und behauptet, dass es mit etwas (Wahrmacher - was soll das sein?) korrespondiert.

Diese ganze Maschinerie mit Wahrmachern, Wahrheitsträgern und einer mysteriösen Beziehung dazwischen erscheint mir überflüssig.




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Consul
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Di 21. Okt 2025, 19:56

Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Okt 2025, 12:30
Ich verstehe deine Position vermutlich immer noch nicht so richtig, Consul. Du behauptest, in einer Welt ohne Wahrheitsträger gäbe es keine Wahrheiten, aber Tatsachen. Aber was sollen das für "Tatsachen" sein? Für mich ist eine Tatsache genau das, was über etwas wahr ist. Wenn nichts wahr ist, gibt es auch keine Tatsachen – nur Dinge, oder was auch immer …
Es gibt bekanntlich eine andere ontologische Auffassung von Tatsachen, der zufolge sie keine Aussagen, Urteile oder Gedanken sind, die über etwas wahr sind.
Consul hat geschrieben :
Fr 17. Okt 2025, 20:34
Eine Welt ohne Wahrheitsträger ist zwar eine Welt ohne Wahrheiten, aber keine Welt ohne Tatsachen – wobei hier unter Tatsachen selbstverständlich keine wahren bolzanoschen Sätze an sich oder wahren fregeschen Gedanken verstanden werden, sondern wirkliche Sachen oder Sachverhalte (wie die Fertigstellung des Kölner Doms im 19. Jahrhundert).
Wahrmacher müssen aber nicht unbedingt Tatsachen als (aus wirklichen Dingen und wirklichen Eigenschaften/Beziehungen bestehende) wirkliche Sachverhalte sein, weil auch andere Arten von (nichtpropositionalen) Entitäten als Wahrmacher fungieren können.
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Okt 2025, 12:30
Worin besteht diese mysteriöse "Wahrmacherbeziehung" – was soll das konkret sein? Du sagst "aufgrund von", "kraft", "in virtue of", aber das erklärt doch nichts! Es ist meines Erachtens nur ein Etikett für etwas, das eigentlich unklar bleibt. Warum brauchen wir diese extra Relation überhaupt?
Weil wahre Aussagen/Urteile/Gedanken nicht einfach so, ohne Grund, ohne Verankerung im Sein (jenseits der Aussagen/Urteile/Gedanken) wahr sein können.
"Wahrmachung ist nicht schwer zu verstehen. Die Idee dahinter ist einfach: Wenn ein Urteil über das Universum wahr sein soll, muss es etwas im Universum geben, das das Urteil wahr macht. „Hier ist ein Gummibaum“ wird durch die Anwesenheit eines Gummibaums in der Nähe des Sprechers wahr gemacht. „Der Detektor wurde durch ein negativ geladenes Teilchen ausgelöst, das ihn durchquerte“ wird durch die Auslösung eines Detektors durch ein negativ geladenes Teilchen wahr gemacht.
Wahrmachung ist kein heikles philosophisches Konzept, sondern etwas, das jeder von uns zu schätzen weiß, sobald wir anfangen, über unsere Umgebung nachzudenken. Es muss nicht sein, dass jedes wahre Urteil einen Wahrmacher hat, obwohl es im Einzelfall vernünftig ist zu fragen, warum ein bestimmtes Urteil in Abwesenheit eines Wahrmachers akzeptiert werden sollte." [Google Translate]

(Heil, John. What is Metaphysics? Cambridge: Polity Press, 2021. p. 34)
Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Okt 2025, 12:30
Wenn ich sage "Der Dom wurde im 19. Jahrhundert fertiggestellt" und das stimmt, dann habe ich doch einfach die Tatsache selbst ausgedrückt. Ich behaupte nicht irgendeine Korrespondenzbeziehung – ich sage bloß, dass es so und so ist. Und das entspricht auch unserer alltäglichen Rede, dort kommen keine Korrespondenz-Beziehungen vor. Niemand sagt, ich glaube das und das und behauptet, dass es mit etwas (Wahrmacher - was soll das sein?) korrespondiert.
Diese ganze Maschinerie mit Wahrmachern, Wahrheitsträgern und einer mysteriösen Beziehung dazwischen erscheint mir überflüssig.
Das ist sie aber nicht, zumal die Wahrmachungs-Beziehung nicht mysteriös ist.

"…ich sage bloß, dass es so und so ist." – Damit behauptest du eine korrespondenzartige Sprache-Welt-Beziehung zwischen deiner Aussage, dass es so und so ist, und einem außersprachlichen So-und-so-Sein.
"Und so können wir denn, ähnlich wie Aristoteles, wenn er erklärt, wahr sei ein Urteil, wenn es für zusammen geeinigt halte, was zusammen geeinigt sei, und wie er sich des weiteren ausdrückte, allerdings nunmehr sagen: wahr sei ein Urteil dann, wenn es von etwas, was ist, behaupte, dass es sei; und von etwas, was nicht ist, leugne, dass es sei (falsch aber, wenn es mit dem, was sei und nicht sei, sich im Widerspruch finde).
In nichts anderem als dem, was ich hier sage, besteht die Übereinstimmung des wahren Urteils mit dem Gegenstande, von der soviel gesprochen wurde. Übereinstimmen heißt hier nicht gleich oder ähnlich sein; sondern übereinstimmen heißt hier entsprechend sein, passend sein, dazu stimmen, damit harmonieren, oder was für andere äquivalente Ausdrücke man hier noch anwenden könnte."

(Brentano, Franz. Wahrheit und Evidenz. Hrsg. v. Oskar Kraus. Leipzig: Meiner, 1930. S. 24-5)

"Wenn nun in diesem Sinn nicht von einer adaequatio rei et intellectus gesprochen werden kann, in welchem anderen könnte etwa das Wort gedeutet werden, um es annehmbarer zu machen? – Ich antworte: das, was man meint, scheint auf nichts anderes als darauf hinauszulaufen, dass derjenige, der urteilt, dass etwas sei, nicht sei, möglich sei, unmöglich sei, von jemandem gedacht, geglaubt, geliebt, gehasst sei, dass es gewesen sei, dass es sein werde usw., wahr urteilt, wenn das betreffende Ding ist, nicht ist, möglich ist, unmöglich ist, gedacht ist. . .usw."

(Brentano, Franz. Wahrheit und Evidenz. Hrsg. v. Oskar Kraus. Leipzig: Meiner, 1930. S. 139)



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Jörn P Budesheim
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Consul hat geschrieben :
Di 21. Okt 2025, 19:56
Tatsachen, der zufolge sie keine Aussagen, Urteile oder Gedanken
Nur nebenbei: ich bin nicht der Ansicht, dass Tatsachen Aussagen Urteile oder Gedanken sind. Tatsachen gab es schon als es keine Aussagen, Urteile oder Gedanken gab.




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Jörn P Budesheim
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Consul hat geschrieben :
Di 21. Okt 2025, 19:56
"…ich sage bloß, dass es so und so ist." – Damit behauptest du eine korrespondenzartige Sprache-Welt-Beziehung zwischen deiner Aussage, dass es so und so ist, und einem außersprachlichen So-und-so-Sein.
Nö. In dem Satz kommt nichts aber auch gar nichts vor, was eine Korrespondenzbeziehung behauptet. Das müsstest du schon genauer zeigen und nicht nur behaupten. Aber diese Übung wird sehr schwer, weil es da einfach nichts gibt.




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Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Okt 2025, 20:58
Nur nebenbei: ich bin nicht der Ansicht, dass Tatsachen Aussagen Urteile oder Gedanken sind. Tatsachen gab es schon als es keine Aussagen, Urteile oder Gedanken gab.
Wenn unter Aussagen/Urteilen/Gedanken keine konkreten (mentalen/lingualen) Repräsentationen, sondern abstrakte Propositionen (bolzanosche "Sätze an sich", fregesche "Gedanken") verstanden werden, dann bist du doch der Ansicht, dass Tatsachen wahre Propositionen sind, oder nicht?



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Jörn P Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Okt 2025, 21:03
Consul hat geschrieben :
Di 21. Okt 2025, 19:56
"…ich sage bloß, dass es so und so ist." – Damit behauptest du eine korrespondenzartige Sprache-Welt-Beziehung zwischen deiner Aussage, dass es so und so ist, und einem außersprachlichen So-und-so-Sein.
Nö. In dem Satz kommt nichts aber auch gar nichts vor, was eine Korrespondenzbeziehung behauptet. Das müsstest du schon genauer zeigen und nicht nur behaupten. Aber diese Übung wird sehr schwer, weil es da einfach nichts gibt.
Okay, ich könnte deine Äußerung wie folgt interpretieren: "Ich sage bloß, dass der Satz »Es ist soundso« wahr ist."
Dann könntest du erwidern, dass damit einzig und allein die Wahrheit dieses Satzes behauptet wird—ohne darüber hinaus zu behaupten, dass dessen Wahrheit vom Bestehen eines außersprachlichen Soundso-Seins abhängt, welches ihn wahr macht.

Doch wie könnte ein Satz wie "Der Dom wurde im 19. Jahrhundert fertiggestellt" wahr sein, ohne von einem außersprachlichen Soundso-Sein – der Fertigstellung des Domes im 19. Jahrhundert – wahr gemacht zu werden?! Hier besteht doch offensichtlich eine korrespondenztheoretische Beziehung zur und Abhängigkeit von der Wirklichkeit, ohne die jener Satz nicht wahr sein kann.



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