Tatsachen/Wahrheit/ontische Wahrheit

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Herr K.
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Sa 25. Nov 2017, 14:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 09:31
Eine Tatsache ist nach der Auffassung, die ich teile, etwas, was über etwas wahr ist.
Hier sieht es allerdings so aus, als ob sich das erste "etwas" auf eine Tatsache bezöge, und dieses Etwas wahr sei, folglich die Tatsache die Eigenschaft "wahr" habe. Außerdem sieht es so aus, als ob unterschieden würde zwischen einer Tatsache (z.B. dass die Katze auf der Matte sitzt) und dem entsprechenden Umstand (dass die Katze auf der Matte sitzt), was die Frage auffwirft, ob und inwiefern sich denn die fragliche Tatsache von dem fraglichen Umstand / der fraglichen Gegebenheit unterscheidet. Außerdem stellt sich die Frage, was hier mit "wahr" gemeint ist, anders gesagt: ob mit "wahr" hier lediglich gemeint ist, dass diese Tatsache besteht oder ob etwas anderes gemeint ist und falls ja: was?
Zuletzt geändert von Herr K. am Sa 25. Nov 2017, 15:06, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Sa 25. Nov 2017, 14:58

Gemeint ist mit "Etwas ist über etwas wahr" zum Beispiel folgendes: etwas ("sitzt auf der Matte") ist über etwas ("die Katze") wahr. Oder: es ist über die Erde wahr, dass sie sich um die Sonne dreht.




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Jörn Budesheim
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Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 14:28
Würde ich das so sagen, da gibts morgen wohl keinen Brunch und heute Abend kein Kuscheln am Kamin.
Dann müsstest du ihr nur noch sagen, das wäre ja mal wieder typisch und dass sie sich nicht IMMER so haben soll und lieber mal was zur Sache sagen soll, aber das würde sie ja eh nie tun. :-) das ist in jedem Fall eine gute Methode, das Gespräch in Gang zu halten.




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Alethos
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Sa 25. Nov 2017, 15:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 15:00
Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 14:28
Würde ich das so sagen, da gibts morgen wohl keinen Brunch und heute Abend kein Kuscheln am Kamin.
Dann müsstest du ihr nur noch sagen, das wäre ja mal wieder typisch und dass sie sich nicht IMMER so haben soll und lieber mal was zur Sache sagen soll, aber das würde sie ja eh nie tun. :-) das ist in jedem Fall eine gute Methode, das Gespräch in Gang zu halten.
Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, aber ich werde ihr als Friedensangebot vorwerfen, ihre Ansichten seien mittelalterlich. Das wirkt meistens besonders belebend. :-) und hat grosse Aussichten auf Erfolg, dass man wieder aufeinander zugeht.



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Herr K.
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Sa 25. Nov 2017, 15:32

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 14:58
Gemeint ist mit "Etwas ist über etwas wahr" zum Beispiel folgendes: etwas ("sitzt auf der Matte") ist über etwas ("die Katze") wahr. Oder: es ist über die Erde wahr, dass sie sich um die Sonne dreht.
Wir müssten wohl erst mal die Frage klären, was denn Deiner Ansicht nach hier überhaupt der Wahrheitsträger ist, d.h. was denn Deiner Ansicht nach die Eigenschaft "wahr" haben soll. (Danach müssen wir die Frage klären, ob "wahr" in Deiner Ansicht gleichbedeutend ist mit "der Sachverhalt besteht" - was dann Deine Ansicht zu einer Redundanztheorie der Wahrheit machen würde oder ob mit "wahr" hier etwas anderes gemeint ist und falls ja: was.)

Bei der Frage, ob Aussagen Wahrheitsträger sind, d.h. wahr sein können, stimmen wir zustimmend überein, richtig?




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Jörn Budesheim
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Sa 25. Nov 2017, 16:13

Herr K. hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 14:24
Ich möchte noch ein bisschen was zu dem "vortheoretisch", bzw. "common sense", bzw. "üblichen Sprachgebrauch" sagen. Wir haben hier wohl einen Fall vorliegen, bei dem beide Seiten dies für ihre Ansicht in Anspruch nehmen, ein Fall, der meiner Erfahrung nach gar nicht so selten vorkommt. In so einem Fall müssten diese Behauptungen ("meine Ansicht entspricht dem common sense") entweder (empirisch) geklärt werden, oder, falls das nicht möglich ist, sollte diesbezüglich ein Patt konstatiert und dieser Punkt beiseite gelegt werden. Es wird ja sicher für die jeweligen Ansichten auch noch andere Argumente geben und daruf sollte man sich dann konzentrieren.
Allerdings habe ich eine ganze Reihe von (mehr oder minder gewichtigen) Gründen vorgelegt. Und Alethos im Gespräch mit seiner Frau hat gerade live erfahren, dass die Sache wohl doch nicht so abwegig ist :-) Es ist nach ihrer Ansicht nämlich auch dann wahr, dass sie schwanger ist, wenn sie nichts davon weiß.

Hier noch mal die Gründe, die ich bisher ins Spiel gebracht habe, im Schnelldurchlauf:
  • Meine Erfahrungen mit meiner eigenen Geschichte des Verständnisses des Wahrheitsbegriffs, wobei ich mich an manche Episoden noch sehr lebhaft entsinnen kann
  • Damit zusammenhängend Gespräche mit Menschen, die wie ich (als zu dieser zeit philosophisch ungebildete) den ontischen Wahrheitsbegriff verwendet haben (ohne natürlich diese Terminologie zu kennen und zu verwenden)
  • Meine Einschätzung, wie die Menschen meiner Umgebung den Begriff verwenden
  • Die Einschätzung von Karen Gloy, die sicher als Professorin der Philosophie über einen reichen Erfahrungsschatz in dieser Hinsicht verfügt
  • Der Zusammenhang mit dem (naiven) Realismus
  • Damit zusammenhängend: die drei prinzipiellen Konstellationen von Subjekt und Objekt, aus denen sich die erkenntnistheoretischen Grundkonstellationen ergeben: Karen Gloy "deduziert" die diversen Wahrheitsbegriffe aus diesen Konstellationen - und der Alltagsrealismus geht dann mit dem entsprechenden (Alltags-)Wahrheitsbegriff einher
  • Beispielhafte Philosophen, die Gloy nannte
  • Kontrafaktische Beispielsätze, die meines Erachtens nahelegen, dass das "ontische Verständnis" das "naturwüchsige" ist. (Es war wahr, dass sich die Erde um die Sonne dreht auch als es noch keine Menschen gab, die das wussten, das Schwangerschaftsbeispiel von Alethos geht in die nämliche Richtung
Keiner dieser Gründe kann für sich allein genommen als zwingender Beweis durchgehen, das ist mir schon klar - wenn es hier überhaupt so etwas geben kann - aber in der Summe haben sie durchaus Gewicht, meine ich. In Anbetracht dieser vielfältigen Versuche, meine Postion bezüglich der Frage nach dem Common-Sense plausibel zu machen, bin ich ziemlich erstaunt, dass mir mehrfach vorgeworfen wird, ich würde meine Position überhaupt nicht begründen und nichts zur Sache sagen. Mir ist das ein Rätsel.

Zum Abschluss noch mal ein Zitat von Gloy. Im Anschluss an einschlägige Beispiele wie "wahrer Freund", "wahrer Rembrandt" etc. fährt Gloy fort: "[...] Die Originalität dieses Wahrheitsbegriffs [wahrer Freund etc] wird gelegentlich bestritten mit dem Argument, daß hier lediglich eine metaphorische Verwendung vorliege, insofern wahres Gold leicht zu ersetzen sei durch, echtes oder wirkliches Gold, das wahre Gesicht durch das unverstellte usw. Hiergegen erheben sich jedoch zwei Einwände: Erstens verhält es sich nicht so, daß falsches Gold überhaupt kein Gold wäre und folglich überhaupt nicht an wahrem oder echtem Gold hinsichtlich seiner Abweichung von der Norm gemessen werden könnte, vielmehr fungiert das wahre, echte Gold durchaus, als Maßstab für unterschiedliche Goldlegierungen. Je nach der Mischung mit anderen Metallen kann das falsche Gold in größerem oder geringerem Grade abweichen. Noch deutlicher wird dieses Verhältnis an dem wahren Gesicht, das unverstellt den 'Charakter eines Menschen freigibt, und dem unwahren, maskenhaften Gesicht. Auch hier sind alle Grade der Abweichung und Verstellung denkbar. Zweitens sagen wir in manchen Situationen: „Das ist die reine Wahrheit" oder „Das ist nichts als die Wahrheit". Wir meinen dann nicht nur, daß die Aussage oder der Bericht den Tatsachen entspricht, sondern daß sich die Begebenheiten tatsächlich so zugetragen haben, wie sie geschildert werden. Die Sache in ihrem Ansichsein wird hier als Wahrheit bezeichnet [...]" [Hervorhebung von mir]

Das ist nach Ansicht von Gloy unsere Alltagsverwendung des Wortes. Wie ich oben schon erläutert habe, hängt das auch damit zusammen, dass wir vortheoretisch in der Regel Common-Sens- oder Alltagsrealisten sind und sich die diversen Wahrheitsbegriffe zumindest grob daraus herleiten lassen, so dass der ontische Wahrheitsbegriff der natürliche Verbündete des Alltagsrealismus ist. Zus Sicherheit sei noch mal hinzu gefügt, dass ontische Wahrheit und Aussagenwahrheit sich nicht ausschließen, so dass man das eine nur haben kann, wenn man das andere leugnet.




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Herr K.
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Sa 25. Nov 2017, 17:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 16:13
Allerdings habe ich eine ganze Reihe von (mehr oder minder gewichtigen) Gründen vorgelegt. Und Alethos im Gespräch mit seiner Frau hat gerade live erfahren, dass die Sache wohl doch nicht so abwegig ist :-) Es ist nach ihrer Ansicht nämlich auch dann wahr, dass sie schwanger ist, wenn sie nichts davon weiß.
Bleiben wir bei diesem Beispiel. Nun stimme ich zu, dass Alethos' Frau auch dann schwanger sein könnte, wenn sie nichts davon wüsste, aber wieso und inwiefern hier "wahr" ins Spiel kommt, ist mir unklar. Was erstens daran liegt, dass ich nicht weiß, worauf sich das "es" bezieht, also: was denn dabei der Wahrheitsträger sein soll und zweitens, dass mir nicht klar ist, was das "wahr" zu dem (hier angenommenen) bestehenden Sachverhalt <Alethos' Frau ist schwanger> hinzufügt.

Zu dem Zitat von Gloy: wir können uns gerne darauf einigen, zwei unterschiedliche alltagssprachliche Wahrheitsbegriffe zu unterscheiden: 1. "Sachwahrheit" (z.B.: "Franz ist ein wahrer Freund") und 2. "Satzwahrheit" oder "Aussagenwahrheit" (z.B.: "die Aussage von Franz ist wahr"). Dass diese beiden Begriffe unterschiedlich sind, kann man daran sehen, dass im ersten Fall das "wahr" durch "echt" ersetzt werden kann, im zweiten Falle nicht. Nun meine ich allerdings nicht, dass Sachwahrheit die eigentliche Bedeutung von "wahr" transportieren würde und Aussagenwahrheit daraus abgeleitet sei.

Mir ist nicht klar geworden, was Gloy mit dem meint, was Du hier hervorgehoben hat:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 16:13
Zum Abschluss noch mal ein Zitat von Gloy. Im Anschluss an einschlägige Beispiele wie "wahrer Freund", "wahrer Rembrandt" etc. fährt Gloy fort: "[...] Zweitens sagen wir in manchen Situationen: „Das ist die reine Wahrheit" oder „Das ist nichts als die Wahrheit". Wir meinen dann nicht nur, daß die Aussage oder der Bericht den Tatsachen entspricht, sondern daß sich die Begebenheiten tatsächlich so zugetragen haben, wie sie geschildert werden. Die Sache in ihrem Ansichsein wird hier als Wahrheit bezeichnet [...]" [Hervorhebung von mir]
Was ist denn der Unterschied zwischen "eine Aussage entspricht den Tatsachen" und "die Begebenheit hat sich tatsächlich so zugetragen, wie sie geschildert werden"? Ich kann da keinen sehen. Zu sagen: „Das ist die reine Wahrheit" oder „Das ist nichts als die Wahrheit" würde ich so interpretieren: meine Aussagen sind alle wahr und ich habe nichts verschwiegen.

Und wenn eine "Sache in ihrem Ansichsein" als Wahrheit bezeichnet würde, dann stellte sich wieder die Frage, was denn hier "Wahrheit" zu "Ansichsein" hinzufügt, bzw. was der Unterschied zwischen Wahrheit der Sache und dem Ansichsein der Sache sein soll.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 16:13
Das ist nach Ansicht von Gloy unsere Alltagsverwendung des Wortes. Wie ich oben schon erläutert habe, hängt das auch damit zusammen, dass wir vortheoretisch in der Regel Common-Sens- oder Alltagsrealisten sind und sich die diversen Wahrheitsbegriffe zumindest grob daraus herleiten lassen, so dass der ontische Wahrheitsbegriff der natürliche Verbündete des Alltagsrealismus ist. Zus Sicherheit sei noch mal hinzu gefügt, dass ontische Wahrheit und Aussagenwahrheit sich nicht ausschließen, so dass man das eine nur haben kann, wenn man das andere leugnet.
Auch der Zusammenhang zwischen Common-Sense-Realismus und dem ontischen Wahrheitsbegriff ist mir leider nicht klar geworden.




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Jörn Budesheim
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Sa 25. Nov 2017, 17:15

Herr K. hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 17:07
mir nicht klar ist, was das "wahr" zu dem (hier angenommenen) bestehenden Sachverhalt <Alethos Frau ist schwanger> hinzufügt.
Auch darauf habe ich übrigens schon ausführlich geantwortet, ohne Antwort auf die Antwort bekommen zu haben. Meines Erachtens ziehst du hier ein Argument der Redundanztheoretiker heran, die sagen, dass bei dem Satz "es ist wahr, dass Hans drei Füße hat" das "es ist wahr" dem Rest nichts hinzufügt und daher redundant ist.

Aber mir ist völlig unklar, wieso du glaubst, das Argument könne auch hier passen.




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Jörn Budesheim
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Sa 25. Nov 2017, 17:30

Herr K. hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 17:07
Auch der Zusammenhang zwischen Common-Sense-Realismus und dem ontischen Wahrheitsbegriff ist mir leider nicht klar geworden.
Der Herleitung funktioniert - wie bereits erläutert - Pi mal Daumen und auf die Schnelle folgendermaßen: Wir nehmen für das folgende Menü das Subjekt, das Objekt und ihr Verhältnis als Zutaten: Realistische Postionen legen ihren Schwerpunkt auf das Objekt, idealistische Positionen auf das Subjekt (man denke an die berühmte Wende dahin) und korrespondenztheoretische auf deren Relation. Das ist grob, soll aber auch grob sein, eine einfache grundsätzliche Orientierung. Die Wahrheitsverständnisse orientieren sich im Großen und Ganzen an diesen erkenntnistheoretischen Grundpositionen und verorten die Wahrheit more or less nach dem gleichen Muster. Das kann man sicher detailreicher ausarbeiten, aber ich kann nicht sehen, was daran so weit hergeholt (oder was auch immer) sein soll, dass es völlig unverständlich bleibt.




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Alethos
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Sa 25. Nov 2017, 17:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 16:13
so dass der ontische Wahrheitsbegriff der natürliche Verbündete des Alltagsrealismus ist
Ich glaube eher, du bist der heimliche Verbündete meiner Frau :-)

Zur Sache selbst:
Ich kann mich hier nur Herrn K. anschliessen, erweist er sich als mein (nicht so heimlicher) Verbündeter.

Warum und vorallem wie der Tatsache, dass meine Frau jetzt schwanger ist oder nicht ist, jetzt schon Wahrheit zukommen sollte, kann ich nicht nachvollziehen. Ich wüsste auch nicht, wie die Wahrheit in die Tatsache gelangen sollte.

Zu sagen, dass etwas wahr sei, auch wenn nichts darüber ausgesagt werde, bedeutet doch schon eine Aussage über dieses Etwas. Wir können unsere Perspektive auf diese Tatsachen nicht einfach wegradieren und davon ausgehen, dass die Tatsache wahr ist. Wie kommen wir zu dieser Aussage? Tatsachen sind ja nur sinnvoll verwertbar, wenn sie sich verifizieren lassen.



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Herr K.
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Sa 25. Nov 2017, 17:51

Erst mal zum Realismus: das ist - ebenfalls grob gesagt - die Ansicht, dass einige Sachverhalte unabhängig von unserer Sprache, unserem Denken und unseren Praktiken bestehen. Etwas feiner kann es dabei ziemliche Unterschiede geben zwischen dem, was als derart eigenständig existierend angesehen wird, z.B. mag jemand ein Realist sein bezüglich physischer Dinge, aber kein Realist bezüglich mathematischer Objekte. Jedoch: ein Realist bezüglich allem zu sein, wäre eine nicht haltbare Position, denn z.B. ist unser Denken nicht unabhängig von unserem Denken. Einen Common-Sense-Realismus halte ich für eine halbwegs konsistente Position, d.h., eine, die keine allzu offensichtlichen Widersprüche enthält. Daher kann man ihn mE nicht als "Realismus von allem" konzipieren und daher sehe ich nicht, wie er Deine Position stützen könnte. Oder auch so gesagt: falls man denn den Common-Sense--Realismus als inkonsistente Position konzipiert, dann kann er wohl ebenfalls nicht als Beleg für Deine Ansicht herhalten.

Ansonsten: Argumente kann ich wohl erst dann basteln, wenn ich Deine Position hinreichend verstanden habe, wozu ich diese beiden Fragen beantwortet haben müsste: 1. was sind die Wahrheitsträger in Deiner Position? und 2. unterscheidet sich die Wahrheit einer Sache von dem Ansichsein einer Sache und falls ja: inwiefern?




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Sa 25. Nov 2017, 18:21

Herr K. hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 17:51
stützen
Davon war ja auch nicht die Rede. Es ging darum Zusammenhänge aufzuzeigen, so dass man sieht, dass eine Position, die erkenntnistheoretisch bei den Sachen und Sachverhalten ist, auch Wahrheit dort verortet, grob gesagt. Und das war weiter oben (m)ein Argument dafür, dass der fragliche Wahrheitsbegriff nahe am Common-Sense ist.




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Jörn Budesheim
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Sa 25. Nov 2017, 18:42

Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 17:42
Wir können unsere Perspektive auf diese Tatsachen nicht einfach wegradieren und davon ausgehen, dass die Tatsache wahr ist.
Hier konstatierst du selbst etwas, was du für eine Tatsache hältst. Es gibt keine Theorien, die nicht an irgend einem Punkt Tatsachen ins Spiel bringen, die unabhängig bestehen.




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Sa 25. Nov 2017, 19:13

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 18:42
Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 17:42
Wir können unsere Perspektive auf diese Tatsachen nicht einfach wegradieren und davon ausgehen, dass die Tatsache wahr ist.
Hier konstatierst du selbst etwas, was du für eine Tatsache hältst. Es gibt keine Theorien, die nicht an irgend einem Punkt Tatsachen ins Spiel bringen, die unabhängig bestehen.
Die Unabhängigkeit der Tatsachen leugne ich nicht nur nicht, ich fördere jede Theorie, die sie behauptet.

Ich denke aber, dass es genügend Beispiele für eine common-sense-Theorie gibt, die zwischen Wahrheit und Tatsachen unterscheidet. Es ist schlüssig zu sagen, dass der 2. Weltkrieg wahr ist, auch wenn er nicht mehr der Fall ist (keine Tatsache mehr ist). Er ist aber heute in einer epistemischen Art wahr und nicht mehr wie damals, als er noch tobte. Dieses Beispiel zeigt für mich, dass Wahrheit nicht an den Tatsachen selbst vorkommt, sondern diese nur Bedingungen für Wahrheit sind. Over-and-above den Tatsachen schwebt der erkennende Geist und produziert Wahrheit, indem er die Tatsachen wahrnimmt. Spooky, aber wahr. Aber nur eine Art Korrespondenztheorie.



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Sa 25. Nov 2017, 19:31

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage nach dem Wahrmacher (truthmaker), nämlich von welcher Art dasjenige ist, womit Aussagen übereinstimmen müssen, um wahr zu sein. Es herrscht zwar unter den Korrespondenztheoretikern weitgehende Einigkeit darüber, dass es sich bei den Wahrmachern um Tatsachen handelt, allerdings besteht Uneinigkeit darüber, was Tatsachen eigentlich sind. So drückt Günther Patzig eine in der analytischen Philosophie weit verbreitete Ansicht aus, dass man weder den allgemeinen Begriff der Tatsache definieren noch einzelne Tatsachen identifizieren könne, ohne auf Aussagen zu rekurrieren. Tatsachen müssten daher als erfüllte Wahrheitsbedingungen von Sätzen angesehen werden.[21] Für die Korrespondenztheorie ergibt sich daraus das Dilemma, dass sie in einen definitorischen Zirkel gerät, da der Begriff der Tatsache bereits den Begriff der Wahrheit enthält, den es eigentlich erst zu definieren gilt.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Wahrheit

Das meine ich, gilt auch für die ontische Wahrheit und für alle Korresponztheorien. Was also sind die Tatsachen?



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Sa 25. Nov 2017, 20:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 16:13
Hier noch mal die Gründe [für die Behauptung, die ontische Wahrheitstheorie sei common sense], die ich bisher ins Spiel gebracht habe, im Schnelldurchlauf:
  • 1. Meine Erfahrungen mit meiner eigenen Geschichte des Verständnisses des Wahrheitsbegriffs, wobei ich mich an manche Episoden noch sehr lebhaft entsinnen kann
    2. Damit zusammenhängend Gespräche mit Menschen, die wie ich (als zu dieser zeit philosophisch ungebildete) den ontischen Wahrheitsbegriff verwendet haben (ohne natürlich diese Terminologie zu kennen und zu verwenden)
    3. Meine Einschätzung, wie die Menschen meiner Umgebung den Begriff verwenden
    4. Die Einschätzung von Karen Gloy, die sicher als Professorin der Philosophie über einen reichen Erfahrungsschatz in dieser Hinsicht verfügt
    5. Der Zusammenhang mit dem (naiven) Realismus
    6. Damit zusammenhängend: die drei prinzipiellen Konstellationen von Subjekt und Objekt, aus denen sich die erkenntnistheoretischen Grundkonstellationen ergeben: Karen Gloy "deduziert" die diversen Wahrheitsbegriffe aus diesen Konstellationen - und der Alltagsrealismus geht dann mit dem entsprechenden (Alltags-)Wahrheitsbegriff einher
    7. Beispielhafte Philosophen, die Gloy nannte
    8. Kontrafaktische Beispielsätze, die meines Erachtens nahelegen, dass das "ontische Verständnis" das "naturwüchsige" ist. (Es war wahr, dass sich die Erde um die Sonne dreht auch als es noch keine Menschen gab, die das wussten, das Schwangerschaftsbeispiel von Alethos geht in die nämliche Richtung
Nummerierung von mir.

Um dazu im Einzelnen noch was zu sagen:

die 1 bis 3 würde ich als persönliche Evidenz verbuchen. Diese kann ich nicht nachprüfen und an der Stelle kann ich daher nur sagen, dass meine persönliche Evidenz anders aussieht.

Der Punkt 4. ist mE dann wertlos, wenn Karen Gloy selber eine ontische Wahrheitstheorie vertritt, denn erfahrungsgemäß neigen die Vertreter der meisten Positionen dazu, ihre eigene Position als die common-sense-Position anzusehen. Vermutlich werden wir auch Vertreter der Korrespondenztheorie der Wahrheit finden, die meinen, dass ihre Ansicht die des common-sense sei. Zu dem Punkt 5 sagte ich bereits etwas, vielleicht noch dies: vielleicht vertritt der naive Realismus eine ontische Wahrheitstheorie, vielleicht aber auch nicht. Das scheint mir nicht hilfreich zu sein. Zum Punkt 6 kann ich nichts weiter sagen, denn ich kenne die betreffende Passage von Gloy nicht (und anderswo habe ich noch nie dergleichen gelesen). Bei Punkt 7 gilt dasselbe wie bei Punkt 4, allerdings wäre an der Stelle durchaus interessant, zu erfahren, welche Philosophen denn noch einen ontischen Wahrheitsbegriff vertreten. Wenn ich mich recht erinnere, wurde bislang nur Heidegger genannt. Und zu Punkt 8 wurde bereits recht viel gesagt.

Wie oben schon gesagt, sehe ich an dieser Stelle, d.h. der Frage, welche Wahrheitskonzeption die des common-sense sei, ein Patt, das wir vermutlich nicht auflösen können.




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Jörn Budesheim
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Sa 25. Nov 2017, 20:31

Herr K. hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 20:25
Das scheint mir nicht hilfreich zu sein.
Mir schon :-) Und zwar aus den Gründen, die ich angegeben habe. Die skizzierte Argumentation von Gloy finde ich überzeugend. Dein Argument sie sei vielleicht eine Vertreterin der ontischen Theorie, etc. läuft auf einen genetischen Fehlschluss hinaus usw. usf.

Punkt 6 hab ich hier skizziert und denke man kann das recht gut nachvollziehen.

Mein Resümee lautet anders als deins. Die Gründe finde ich in der Summe überzeugend, deine Gegenargumente nicht. Kein Patt :-)




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Herr K.
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Sa 25. Nov 2017, 20:37

@Jörn

Ich glaube gerne, dass Du der festen Überzeugung bist, dass die ontische Wahrheitstheorie (was auch immer das sein mag), dem common sense entspricht. Und ich glaube auch gerne, dass Gloy ebenfalls dieser festen Überzeugung ist. Nur ist es eine empirische Frage, was common sense bezüglich Wahrheit ist und empirische Fragen können nicht aus dem Lehnstuhl heraus geklärt werden.

Ich habe auch schon nachgeschaut, ob es eine Untersuchung der experimentellen Philosophie dazu gibt, bin aber leider nicht fündig geworden.




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Herr K.
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Sa 25. Nov 2017, 20:49

Ich würde es so ausdrücken wollen: "entspricht dem common sense bzw. entspricht und widerspricht nicht dem üblichen Sprachgebrauch" ist gewissermaßen eine sekundäre Tugend einer philosophischen Theorie - wobei Konsistenz eine primäre Tugend wäre. Nehmen wir nun einmal an, wir hätten zwei konkurrierende philosophische Theorien, die gleichermaßen konsistent seien, von denen aber erste dem commons sense widerspräche und die zweite nicht, dann wäre mE die Zweitere der Ersteren vorzuziehen.




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Herr K.
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Sa 25. Nov 2017, 23:20

Eine der Aufgaben der Philosophie ist, so wie ich das sehe, die, Begriffe der Alltagssprache zu klären und erklären. Hier in unserem Falle wäre das "Wahrheit". Dazu ist es erforderlich, dass die übliche Bedeutung des fraglichen Begriffes hinreichend eingefangen wird, ansonsten hätte man keine Theorie der Wahrheit, sondern eine Theorie über etwas anderes.




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