Wahrheit/ontische Wahrheit

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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Fr 24. Nov 2017, 06:52

Dieser Strang wurde ausgelagert aus dem Thread über "Beweislast" > https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... 3112#p3112
Hier geht es zunächst darum, ob es so etwas, wie eine "ontische Wahrheit" im Unterschied zur Aussagenwahrheit gibt.
Herr K. hat geschrieben :
Mo 4. Sep 2017, 20:23
Ich finde, die einfache und einfach anzuwendende Regel sollte in philosophischen Diskussionen die sein: wer was Strittiges behauptet, muss das begründen.

...

Die Behauptung "die meisten Leute glauben xy" stellte sich als reine Lehnstuhbehauptung heraus, die ungefähr so entstand: ich meine das, also meinen die meisten anderen Leute das auch. Aber auch diese Behauptung müsste nach der o.g. Regel begründet werden, in dem Falle ist es eine empirische Behauptung, die gar nicht aus dem Lehnstuhl heraus begründet werden kann.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 19:05
Die ontische Wahrheitsauffassung mag in der Philosophie momentan nicht dominant sein, sie ist jedoch die "Position des common sense" wie Karen Gloy (in "Wahrheitstheorien") zu Recht geltend macht.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 20:50
Und noch was: ich halte die Behauptung für falsch, dass vortheoretisch Wahrheit auf der ontologischen Ebene verortet wird.
In dem Ausschnitt der Welt, den ich bewohne, liegen die Dinge ungefähr so, wie Karen Gloy sie dargestellt hat. Vielleicht hat Karen Gloy als Lehrerin entsprechende Erfahrung mit ihren Studenten und Studentinnen gemacht?! Deine Erfahrung führen dich zur gegenteiligen Auffassung. Ich schätze, dass es empirische Untersuchung dieser Frage nicht gibt. Wie macht man an so einer Stelle weiter?

Ich hatte sogar schon überlegt, ob ich in meinem Bekanntenkreis eine kleine Umfrage mache... Aber wie müsste die richtige Fragestellung lauten? Wenn man einfach fragt, was ist Wahrheit? Dann kann ich mir die Antworten schon so ungefähr ausmalen... Ja ähm Wahrheit eben ... oder so ähnlich.




Hermeneuticus
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Fr 24. Nov 2017, 11:07

Sollen im Ernst Meinungsumfragen darüber entscheiden, was in einer philosophischen Diskussion begründungsbedürftig ist oder nicht? Kann eine unreflektierte Mehrheitsmeinung eine Argumentation erübrigen oder sogar ersetzen? Macht, was "common" ist, automatisch auch "sense"? Vielleicht sollte man die Möglichkeit eines "common nonsense" nicht generell ausschließen... ;)




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Jörn Budesheim
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Fr 24. Nov 2017, 12:16

Manche (aber nicht alle) Fragen sind empirische Fragen. Ob die meisten glauben, dass X, könnte eine solche Frage sein.




Hermeneuticus
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Natürlich ist es eine empirische Frage, ob die meisten glauben, dass p. Die Frage ist aber, ob der Glaube der meisten eine argumentative Begründung für p ersetzen kann.

Während Du Dich hinsichtlich des Wahrheitsverständnisses auf den - vermeintlichen - commom sense berufst, siehst Du an anderer Stelle ganz klar, dass der common sense die Wahrheit nicht gepachtet hat:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 06:29
Es ist so eine Sache mit dem normalen Sprachgebrauch, wenn ihn jemand für verfehlt erachtet, weil er diskriminierend ist, kann man sich unmöglich darauf beziehen, dass er normal ist ... Diskriminierung wird ja nicht dadurch richtig, dass sie Normalität ist. Im Gegenteil der Umstand, dass sie Normalität ist, macht die Frage umso dringlicher.




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Jörn Budesheim
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Fr 24. Nov 2017, 13:20

Hermeneuticus hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 12:37
Die Frage ist aber, ob der Glaube der meisten eine argumentative Begründung für p ersetzen kann.
Von "Ersetzen" war gar nicht die Rede. Du rekonstruierst den Zusammenhang nicht richtig. (Gloy hat keineswegs argumentiert, so und so ist der gängige Sprachgebrauch, also ist das die richtige Wahrheitsauffassung und ich hab auch nichts dergleichen geschrieben.) Es geht um etwas anderes: Es geht einerseits um die Frage nach der argumentativen Bringschuld, also der Beweislast (schau dir den Threadtitel an.) Und in diesem Zusammenhang geht es auch um die Frage, ob ein Wahrheitsverständnis, welches dem Common-Sense entspricht, komplett unverständlich sein kann. Zudem kann der Umstand, dass wir so oder so sprechen durchaus für etwas ein Fingerzeig sein. Es kommt eben immer auf den Zusammenhang und die Gesamtargumentation an. Ich sehe daher nicht, dass der gewöhnliche Sprachgebrauch nicht eine Erwähnung wert sein kann.




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Herr K.
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Fr 24. Nov 2017, 15:51

Ich sehe das in diesem Falle so wie Jörn: wenn es um einen Begriff geht - hier: Wahrheit - dann sollte dabei der "common sense", d.h. die übliche Verwendung dieses Wortes eine Rolle spielen. Eine philosophische Theorie der Wahrheit, die sich allzusehr von dieser üblichen Verwendung entfernte, wäre wohl nicht sehr hilfreich.

Jedoch wenn auf die übliche Wortverwendung hingewiesen wird, dann sollte diese auch irgendwie belegt werden - falls es denn, wie in diesem Falle, da einen Dissens gibt. Ich bin schon ein wenig aus allen Wolken gefallen bei der Behauptung, nicht Aussagen, sondern Dinge und/oder Tatsachen seien wahr, das finde ich erst mal sehr kontraintuitiv.

Das Buch von Karen Gloy kenne ich nun nicht, jedoch kann ich dieses Zitat dazu beisteuern (Wikipedia - Wahrheit):
Dennoch ist Karen Gloy zuzustimmen: „Das adaequatio-Verständnis der Wahrheit ist zweifellos das bekannteste und verbreitetste, das sowohl unser alltägliches, vorwissenschaftliches Denken wie auch unser wissenschaftliches beherrscht.“ Im Alltag stellt die (vage) Rede von der Übereinstimmung einer sprachlichen Aussage mit einem objektiven Sachverhalt oft kein Problem dar.
Dem würde ich ebenfalls zustimmen, jedoch geht es da ja um die Übereinstimmung einer sprachlichen Aussage mit einem objektiven Sachverhalt und nicht um einen "ontischen Wahrhsitsbegriff". Wobei mir allerdings immer noch nicht so richtig klar geworden ist, was ein ontischer Wahrheitsbegriff denn eigentlich umfasst.




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Jörn Budesheim
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Fr 24. Nov 2017, 16:06

Herr K. hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 15:51
Jedoch wenn auf die übliche Wortverwendung hingewiesen wird, dann sollte diese auch irgendwie belegt werden - falls es denn, wie in diesem Falle, da einen Dissens gibt.
Aber wie?

Ich hab auf meine persönlich Erfahrung im Allgemeinen mit Anderen verweisen und meine eigene Geschichte. Im Prinzip bin ich schon Anhänger aller drei Versionen gewesen, grob gesagt, jedoch angefangen mit der "ontischen Sicht" bei der ich nach Umwegen nun wieder gelandet bin. Das könnte dafür sprechen, dass die beiden anderen Sichtweisen sich nur nach gewisser philosophischer "Bildung" einstellen. Die eigene Erfahrung ist natürlich eine schmale Datenbasis. Meine Erfahrung mit anderen ist schon etwas besser, aber sicher auch noch nicht allzu belastbar und könnte auf verfehlten Interpretationen beruhen.

Bei Gloy, die ein Leben als Philosophin (und insbesondere Lehrerin!) gelebt hat, liegen die Dinge aber etwas anders meine ich. Dieses Wort hat ein gewisses Gewicht.

Auch die Herleitung der Wahrheitstheorien aus Subjekt/Objekt und deren Relation spricht dafür, dass die ontische Sicht die "natürliche" (was nicht automatisch die richtige heißt) ist. Sie ist gewissermaßen verwandt mit dem "naiven Realismus" (was gelegentlich auch Common sens Realismus genannt wird), der ja nicht auf die subjektiven Bedingungen des Erkennens reflektiert und nur die objektive Seite sieht.




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Alethos
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Fr 24. Nov 2017, 19:40

Über Wahrheit lässt sich ja lange und gut streiten, wie wir im Psychologismus-Thread gesehen haben. Dabei sind die Dinge vielleicht gar nicht so kompliziert, wie wir sie in philosophischen Diskussionen machen. Das gehört zum philosophischen Geschäft, meine ich, dass man sich die Dinge auch nicht zu einfach macht.

In Bezug auf Wahrheit bin ich auch für einen pragmatischen Ansatz, den man wohl common sense nenne würde (wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob es diesen common sense gibt.)
Wenn wir so daher reden, ohne uns gross über die philosophische Tiefe des Gesagten zu kümmern, sagen wir: ‚Es ist wahr, dass p‘. Wir meinen damit offensichtlich den Umstand, dass es sich so verhält, dass p der Fall ist. Und wenn wir rückfragen: ‚Echt?‘, ‚Wirklich?‘ oder ‚Tatsächlich?‘, dann meinen wir mit ziemlicher Sicherheit: ‚Ist es wahr?‘ Wir setzen also im Alltagsgebrauch Wahrheit und Wirklichkeit, Wahrheit und Tatsächlichkeit gleich, wir machen keinen Unterschied. Und deshalb liegt die Überlegung nahe, in solchen Kontexten, Wahrheit und Existenz, Wahrheit und Tatsächlichkeit äquivalent zu benutzen.
Ich denke, eine Umfrage, was Wahrheit ist, würde mit grosser Mehrheit dieses Ergebnis liefern: ,Wahrheit ist einfach das, was kraft seiner Faktizität überzeugt.‘
Zuletzt geändert von Alethos am Fr 24. Nov 2017, 19:41, insgesamt 1-mal geändert.



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Herr K.
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Fr 24. Nov 2017, 19:40

@Jörn

Wenn das Zitat aus der Wikipedia korrekt ist, dann hat Gloy allerdings nicht gesagt, dass eine "ontische Wahrheitstheorie" common sense sei, sondern die Korrespondenztheorie der Wahrheit. Und in dieser sind Aussagen die Wahrheitsträger, d.h. können die Eigenschaft "wahr" oder "falsch" haben.

Nun habe ich zwar immer noch nicht verstanden, was denn eine "ontische Wahrheitstheorie" ist, da Du Dich da ziemlich bedeckt hältst, aber ich kann schon mal zwei Punkte nennen, die ich sehr stark kontraintuitiv fände:

1. Falls die ontische Wahrheitstheorie behauptete, dass Wahrheit keine Eigenschaft von Aussagen sei - denn Sätze wie "Das, was Herr Müller sagte, ist nicht wahr, jedoch das, was Frau Schulze sagte, ist wahr." sind mE sinnvolle Sätze der Umgangssprache
2. Falls die ontische Wahrheitstheorie behauptete, dass Wahrheit eine Eigenschaft von Dingen sei - denn z.B. dieser Satz: "Diese Katze ist wahr." scheint mir kein üblicher Satz zu sein und einen Sinn kann ich darin auch nicht entdecken.




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Jörn Budesheim
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Fr 24. Nov 2017, 20:12

Herr K. hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 19:40
Falls die ontische Wahrheitstheorie behauptete, dass Wahrheit eine Eigenschaft von Dingen sei - denn z.B. dieser Satz: "Diese Katze ist wahr." scheint mir kein üblicher Satz zu sein und einen Sinn kann ich darin auch nicht entdecken.
So etwas kommt dabei auch nicht heraus. Es ist eigentlich nicht so, dass ich mich dazu bedeckt gehalten habe, sondern ich habe genau dazu bereits etwas gesagt. Und ich habe auch wiederholt gesagt, dass mit der Position, die ich hier vertrete, Aussagenwahrheit gar nicht obsolet wird. Wenn etwas der Fall ist oder wahr ist, kann es auch ausgesagt werden.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 23. Nov 2017, 06:05
Alethos hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 21:54
Planeten x34500
Das Begriffsverständnis, auf dass ich mich hier beziehe, ist ein anderes als deines: Es wäre über das fragliche x auch dann wahr gewesen, dass es (gegeben ein Bereich) ein Planet ist, wäre das niemals jemanden aufgefallen. Dass dieser Planet sich um seine Sonne dreht, wäre auch dann eine Tatsache gewesen, wenn wir es nicht festgestellt hätten.

Um die Begriffsverwendung zu illustrieren, nehmen wir Austins Katze, die auf der Matte sitzt (um Schrödingers Katze den Geburtstag nicht zu vermiesen :D ). Dass sie eine Katze ist, ist wahr. Und dass sie auf der Matte sitzt, ist eine Tatsache. Die verschiedenen Begriffsverwendung sind hier dadurch motiviert, dass Dinge/Gegenstände und Tatsachen nicht dasselbe sind. Das weicht allerdings etwas von unseren umgangssprachlichen Verwendungsweisen ab, die tendenziell für beide Fälle den Begriff Wahrheit vorsehen.

Der Begriff "Wahrheit" ist also so betrachtet mehrdeutig, und wenn der Unterschied relevant wird, muss man das in Betracht ziehen. Dennoch spiegeln sich die beiden Verwendungsfälle sehr gut in unserer Sprache, natürlich auch in unsere Alltagssprache wieder, da wir verschiedene Formen verwenden, je nachdem, ob wir beispielsweise Dinge klassifizieren oder über Sachverhalte sprechen.




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Alethos
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Fr 24. Nov 2017, 20:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 20:12
Und ich habe auch wiederholt gesagt, dass mit der Position, die ich hier vertrete, Aussagenwahrheit gar nicht obsolet wird. Wenn etwas der Fall ist oder wahr ist, kann es auch ausgesagt werden.
Ja, aber du hast auch gesagt, dass etwas wahr sei, wenn darüber nichts ausgesagt werde oder werden könne. Und das ist das Befremdliche.



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Jörn Budesheim
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Fr 24. Nov 2017, 20:33

Alethos hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 20:22
... das Befremdliche.
Warum soll das befremdlich sein? In welcher Hinsicht?




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Herr K.
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Fr 24. Nov 2017, 21:11

Nehmen wir mal die Aussage "die Katze sitzt auf der Matte". Diese Aussage ist dann wahr, wenn die Katze tatsächlich auf der Matte sitzt. Wir haben in dem Falle als Wahrheitsträger die Aussage und als Wahrmacher den Umstand, dass die Katze auf der Matte sitzt. Nun, wenn ich das recht verstehe, gibt es aber nach der ontischen Wahrheitstheorie zusätzlich noch etwas, das dann die Eigenschaft "wahr" hat, nämlich den fraglichen Umstand. Also wäre dieser Umstand ebenfalls ein Wahrheitsträger, aber einen Wahrmacher gäbe es dann nicht, denn etwas kann sich nicht selber wahr machen. Nun fragt sich, wie denn die Wahrheit der Aussage mit der Wahrheit des Umstandes zusammenhängt. Sieht für mich aus wie eine unnötige Verdopplung. Und zumindest meinem Sprachgebrauch entspricht das nicht, denn ich würde sagen, dass dieser Sachverhalt besteht.

Es sei denn aber, man würde behaupten, dass die Aussage mit dem fraglichen Umstand identisch sei, dann hätten wir diese Verdopplung nicht. Das wäre dann die von mir schon erwähnte Identitätstheorie der Wahrheit (siehe dazu z.B.: Gaskin, Richard, "The Identity Theory of Truth", The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2016 Edition), Edward N. Zalta (ed.)), die z.B. zeitweise von Frege und Russell vertreten wurde. Ich denke jedoch, dass das eine recht exotische Wahrheitstheorie ist, die nicht den common sense wiederspiegelt.




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Alethos
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Fr 24. Nov 2017, 22:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 20:33
Alethos hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 20:22
Ja, aber du hast auch gesagt, dass etwas wahr sei, wenn darüber nichts ausgesagt werde oder werden könne. Und das ist das Befremdliche.
Warum soll das befremdlich sein? In welcher Hinsicht?
Weil die ontische Wahrheitstheorie widersprüchlich ist. Sie macht eine Existenzaussage über die Wahrheit der Tatsachen, aber behauptet zugleich die nicht Notwendigkeit dieser Existenzaussage für die Wahrheit dieser Tatsachen, obwohl die Aussage über die Existenz von Tatsachen überhaupt die Voraussetzung für Tatsachenwahrheiten ist :)

Die ontische Wahrheit sagt aus (Aussage), dass die Tatsache wahr ist auch ohne Kenntnis der Existenz dieser Tatsache. Dabei ist die Existenz dieser Tatsache die Voraussetzung, damit über die Wahrheit dieser Tatsache überhaupt etwas ausgesagt werden könne, z.B. dass diese Tatsache an sich wahr sei auch ohne unsere Kenntnis von ihr.

Verwendet man dennoch eine solchen ontischen Wahrheitsbegriff, der nicht an einem Begriff der Existenz dieser Tatsache hängt, so muss es sich darum also um eine hypothetische Wahrheit handeln und keine faktische. Die faktische Wahrheit kommt ohne das Vorhandensein der Tatsache nicht aus, denn ohne die Erkenntnis der Existenz von etwas haben wir gar keinen Gegenstand als Tatsache, über die sich etwas sagen liesse oder nicht.
Die hypothetische Wahrheit ist aber nutzlos für einen Realisten :)

Es ist also zwar richtig, dass wir eine Tatsache feststellen können, aber nicht müssen, damit sie wirklich sei. Aber dies allein setzt die Aussage über das Existieren der Tatsache selbst voraus, also impliziert einen Wahrheitsbegriff, der eine Aussage über die Existenz der Tatsache macht. Hier eine Aussagenunabhängigkeit von Wahrheit zu postulieren wäre unlogisch.



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Fr 24. Nov 2017, 22:15

Alethos hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 20:22
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 24. Nov 2017, 20:12
Und ich habe auch wiederholt gesagt, dass mit der Position, die ich hier vertrete, Aussagenwahrheit gar nicht obsolet wird. Wenn etwas der Fall ist oder wahr ist, kann es auch ausgesagt werden.
Ja, aber du hast auch gesagt, dass etwas wahr sei, wenn darüber nichts ausgesagt werde oder werden könne. Und das ist das Befremdliche.
An einem etwas weniger geschwurbeltem Beispiel ausgedrückt:

Wenn die Wahrheit von etwas ist, auch ohne dass wir darüber etwas sagen könnten, dann können wir die Wahrheit von allem behaupten, dessen Existenz wir nicht erkennen oder erkannt haben.

Wahr ist, dass es einen grünen Elefanten gibt auf dem Mond :) Das ist solange wahr, nach der ontischen Wahrheitstheorie, bis das Gegenteil bewiesen wurde.

Nun sagt aber dieselbe Wahrheitstheorie, dass es keines Beweises bedarf, damit die Wahrheit einer Tatsache sei. Somit bedarf aber auch die Unwahrheit einer Tatsache keines Beweises, damit sie sei. Der grüne Elefant existiert also auf dem Mond. Hypothetisch. Und für immer.

Gott und ovale Kreise auch. Krumme Geraden ebenso. Das ist doch offensichtlich kein praktikabler Wahrheitsbegriff :) Er öffnet jeglicher Scharlatanerie Tür und Tor, obwohl er als ontischer Wahrheitsbegriff gerade möglichst sachbezogen sein möchte.



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Du unterschlägst hier die Unterscheidung, die ich weiter oben mache: nämlich die zwischen den ontischen- und den Aussagen-Wahrheiten. Nur Aussagen können wahr oder falsch sein.




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@'Herr K.' Richtig: Wahrmacher entfallen.

Das, was du eine unnötige Verdopplung nennst, spiegelt meines Erachtens einfach den Umstand wieder, dass es sowohl Aussagen gibt, als auch die Tatsachen, von denen sie handeln. "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen." Und was der Fall ist, kann ausgesagt werden. (Was auch immer sich Wittgenstein unter der Gesamtheit der Tatsachen vorgestellt hat, aber das ist eine andere Diskussion.)
Und zumindest meinem Sprachgebrauch entspricht das nicht, denn ich würde sagen, dass dieser Sachverhalt besteht.
Dieser Sprachgebrauch wird ja auch nicht aufgehoben. Auch das habe ich bereits erläutert. Der Sachverhalt, dass die Katze auf der Matte sitzt, besteht. Und zwar dann, wenn es über die Katze wahr ist, dass sie auf der Matte sitzt. Die entsprechende Aussage ist wahr, wenn die Tatsache besteht. Die Formulierung, dass die Tatsache wahr sei, haben entweder du oder Alethos ins Spiel gebracht, aber nicht ich.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 05:52
Du unterschlägst hier die Unterscheidung, die ich weiter oben mache: nämlich die zwischen den ontischen- und den Aussagen-Wahrheiten. Nur Aussagen können wahr oder falsch sein.
Aber du gehst konsequent nicht auf den Einwand ein, dass Aussagen über die Wahrheit von Tatsachen eben Aussagen sind und nicht an sich vorkommende Wahrheit.



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 06:00
Die Formulierung, dass die Tatsache wahr sei, haben entweder du oder Alethos ins Spiel gebracht, aber nicht ich.
Ah, du denkst also gar nicht, dass der Tatsache Wahrheit an sich zukommt, ohne dass man überhaupt eine Aussage über diese Tatsache macht?

Dann ist ja gut, tut mir leid, dass ich da etwas fabriziert habe, was nicht ist :)



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Jörn Budesheim
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Alethos hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 09:11
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 25. Nov 2017, 05:52
Du unterschlägst hier die Unterscheidung, die ich weiter oben mache: nämlich die zwischen den ontischen- und den Aussagen-Wahrheiten. Nur Aussagen können wahr oder falsch sein.
Aber du gehst konsequent nicht auf den Einwand ein, dass Aussagen über die Wahrheit von Tatsachen eben Aussagen sind und nicht an sich vorkommende Wahrheit.
Na doch :-) Genau das habe ich doch geschrieben. Aussagenwahrheit und ontische Wahrheit sind nicht einfach eins.




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