Top down, bottom up oder ist das Ganze mehr als die Summe der Teile

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Tosa Inu
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Mi 7. Feb 2018, 06:12

Bewusstsein formt die Materie?
Zumindest soll es jetzt einen mathematischen Beweis dafür geben, dass Makrosysteme Mikrosysteme beeinflussen, das zufällige Rauschen beeinflussen.
Spektrum.de hat geschrieben : Ist die Realität mehr als die Summe ihrer Teile?

Einer neuen mathematischen Theorie zufolge könnten Lebewesen mit Bewusstsein und viele andere makroskopische Systeme die Zukunft stärker beeinflussen als all ihre mikroskopischen Bausteine zusammen.

Quelle und weiterlesen © Olena Shmahalo/Quanta Magazine (Ausschnitt)



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Mi 7. Feb 2018, 06:13

Das Thema, welches in dem Artikel besprochen wird, hat uns an vielen Stellen immer mal wieder interessiert, ich bringe dazu ein Zitat:
Herr K. hat geschrieben :
Mi 7. Feb 2018, 06:10
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 27. Sep 2017, 06:00
Sir Arthur Stanley Eddington betrachtet zwar Tische und nicht die Natur, aber sein Urteil lässt sich auf diese leicht übertragen. Die Welt der mittelgroßen Dinge, wie Sie uns begegnen: also auch Bäume, Wiesen, Wälder und und Goethes Vöglein - ist für ihn ein merkwürdiges Gemisch von Außenwelt, Einbildungskraft und ererbten Vorurteil... Dieser Bereich gehört in irgendeiner Weise zum Schein, während die Welt der Wissenschaft die einzige ist, die wirklich da ist. (Wohin gehören wir denn dann?)
Das wäre ja aber eine sich selbstwiderlegende Ansicht, denn auch physikalische Messgeräte wie z.B. Mikroskope gehören zu den mittelgroßen Dingen - existierten diese nur zum Schein (also nicht), dann wären darauf aufbauende Behauptungen wenig plausibel. Nun ist aber wenig einleuchtend, wieso z.B. eine Rose verschwinden solle, bloß weil sie jemand durch ein Mikroskop betrachtet. Ebensowenig ist einleuchtend, wieso eine physikalische Beschreibung eines Tisches diesen verdoppeln sollte.




Tosa Inu
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Mi 7. Feb 2018, 07:55

Der zentrale Punkt ist m.E. die Frage nach den Einheiten, die jeweilige Referenzgrößen darstellen.
In der Physik gibt es keine echten Einzelobjekte, sondern man kann immer nur, idealisierend, den Rest ausblenden, zum Rauschen machen.
Dass das Verhalten der jeweils kleinsten Teile den größten Grad an Erklärung und Kausalität darstellt, dürfte wohl allmählich halbwegs gegessen sein, aber ich vermute mal, dass zwischen einer recht folgenlosen Entscheidung (z.B. Tür A oder B zu wählen, über die ich keine näheren Informationen habe) und dem Entschluss den Job zu wechseln einige Unterschiede bestehen, auch in der Reichweite oder im Umfang der beteiligten Hirnregionen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Do 8. Feb 2018, 06:10

Was in diesem Weltbild der Physiker aber fehle, seien identifizierbare Gegenstände. Objekte könne man im kosmischen Zustand der Atome des Universums nur dann identifizieren, wenn man Ebenen verschieden starker Verursachung unterscheide.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 7. Feb 2018, 07:55
Dass das Verhalten der jeweils kleinsten Teile den größten Grad an Erklärung und Kausalität darstellt, dürfte wohl allmählich halbwegs gegessen sein
Was meinst du in diesem Zusammenhang mit "dürfte gegessen sein"? Meinst du dass es richtig ist, dass die jeweils kleinste Teile den größten Grad an Erklärung darstellen oder meinst du, dass es falsch ist?

Ich verstehe den Artikel so: Wenn man bei der Beschreibung eines Systems sein Augenmerk nur auf die mikroskopischen Zustände richtet, dann verpasst man etwas tatsächliches, was nur der Blick auf die makroskopischen Zustände zeigt. Die Summe des Ganzen ist wortwörtlich also tatsächlich oftmals mehr als die Summe seiner Teile und der Lego-Zentrismus, wie Markus Gabriel das nennt, ist einfach falsch.

Die Tische von Eddington stehen paradigmatisch für die Welt der mittelgroßen Dinge. Eddington vertrat offenbar die Ansicht, dass es diese Welt nicht wirklich gibt, während es tatsächlich nur die mikroskopischen Zustände gibt. Wenn der Ansatz, der in dem Artikel dargestellt wird, richtig ist, dann liegt Eddington falsch und Graham Harman richtig.




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Jörn Budesheim
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Interessant ist die Frage, wie diese Sichtweise zu dem Hauptproblem das Reduktionismus steht, nämlich dem Umstand, dass er der Realität des Normativen nicht Rechnung tragen kann.




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Do 8. Feb 2018, 07:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 8. Feb 2018, 06:10
Was meinst du in diesem Zusammenhang mit "dürfte gegessen sein"? Meinst du dass es richtig ist, dass die jeweils kleinste Teile den größten Grad an Erklärung darstellen oder meinst du, dass es falsch ist?
Das ist wohl Lokalkolorit. Bei uns heißt es falsch, gescheitert, erledigt.
Die Reduktion auf die kleinsten Teil bringt nichts.
Streng genommen ist das noch kein Argument gegen den Physikalismus, sondern gegen die reduktive Seite desselben. Also kleinere Ebene = größere Erklärung ist wohl nicht der Fall. Ein physikalistischer Holismus oder Clusterismus (dynamische Größeneinheiten als Referenz) ist noch drin.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 8. Feb 2018, 07:20
Interessant ist die Frage, wie diese Sichtweise zu dem Hauptproblem das Reduktionismus steht, nämlich dem Umstand, dass er der Realität des Normativen nicht Rechnung tragen kann.
Es bestätigt die Existenz des Problems.
Das Zusammenspiel kleinerer Einheiten erklärt nicht (immer) das Verhalten größerer.



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Alethos
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Sa 10. Feb 2018, 14:18

Wow, was für ein Artikel: Kausale Emergenz, integrierte Information: Wenn uns das nicht zu reden geben wird?

Die Zeit des physikalischen Determinismus, der den Anspruch erhob, für alle Seinsebenen kausale Erklärungen liefern zu können, scheint abgelaufen zu sein. Er wird als Erklärungsmodell von Wirklichkeit zurückgebunden auf die Seinsebene, die er betrifft, nämlich die physikalische. Ich gebe zu, ich bin ein wenig euphorisch :)



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So 11. Feb 2018, 05:59

Ja, der Artikel gefällt mir auch sehr. Was machen wir nun damit? :)




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Alethos
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So 11. Feb 2018, 09:19

Bin auf der Suche nach mehr Lesestoff. Eine erste oberflächliche Suche bei Google hat noch nichts gebracht.



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So 11. Feb 2018, 09:42

Alethos hat geschrieben :
Sa 10. Feb 2018, 14:18
Wow, was für ein Artikel: Kausale Emergenz, integrierte Information: Wenn uns das nicht zu reden geben wird?

Die Zeit des physikalischen Determinismus, der den Anspruch erhob, für alle Seinsebenen kausale Erklärungen liefern zu können, scheint abgelaufen zu sein.
Nein, ein physikalischer Holismus ist weiterhin drin.



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So 11. Feb 2018, 09:47

Tosa Inu hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 09:42
physikalischer Holismus
Was ist ein physikalischer Holismus?




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So 11. Feb 2018, 09:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 09:47
Tosa Inu hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 09:42
physikalischer Holismus
Was ist ein physikalischer Holismus?
Vermutlich die metaphysische Annahme, dass alles in einem ganzheitlicheren Sinne eben doch Physik sei. ;)



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So 11. Feb 2018, 11:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 09:47
Tosa Inu hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 09:42
physikalischer Holismus
Was ist ein physikalischer Holismus?
Das was in dem Artikel vorgestellt wurde.
Ontologischer Physikalismus ist die Idee, dass die Welt ein physikalisches Ganzes ist.
Damit ist über die Frage ob sie nun reduktiv zu erklären ist oder durch und durch bottom up funktioniert noch gar nicht entschieden, da dies kein ontologischer Standpunkt ist.
Der Artikel zeigt, dass die größeren Einheiten das Verhalten kleineren erklären und in der Sprache, die ja auch Physiker benutzen, ist das ebenfalls so. Wir verstehen die Sprache nicht durch den Rückgriff auf kleinere Einheiten, sondern durch einen Verweis auf den Kontext, die größere Einheit.
Auch wenn man meint, dass das Größere das Kleinere beeinflusst, muss man dabei noch nicht den Rahmen des Physikalischen verlassen.
Man kann der Meinung sein, dass Sprache eine Spielart des Physischen (nicht der Physik) ist und oft wird gesagt, dass Information eine rein physikalische Größe ist, mindestens aber physikalische Träger braucht. Sagt man, die Information sei etwas ganz anderes, was man ja behaupten kann, muss man zeigen, wie sich diese der Materie aufpfopft.



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So 11. Feb 2018, 11:30

Alethos hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 09:50
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 09:47
Tosa Inu hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 09:42
physikalischer Holismus
Was ist ein physikalischer Holismus?
Vermutlich die metaphysische Annahme, dass alles in einem ganzheitlicheren Sinne eben doch Physik sei. ;)
Nein, es muss nicht alles physisch sein.
Aber wenn man behaupten will, dass nicht alles physisch ist, muss man sagen, was es denn sonst sein soll.

Die Schwierigkeit ist einfach die: Goethe hat nicht die Idee der Hexen erfunden, auch nicht das Faustmotiv, sondern er wird davon gehört haben, es gibt eine Tradition der Hexensagen. Das heißt aber, wenn ich mal den Physikalisten gebe, Information via Schallwellen vermittelt und Schallwellen gehören zur Physik. Im Genie Goethes hat das Thema gearbeitet, Hirnzellenaktivität. Dann hat er es zu Papier gebracht, mit Tinte: reine Physik, auch wenn sie mal biologische und mal chemische Gestalt annimmt.

Hexen 'existieren', wo immer sie exisiteren, auch in den Köpfen der Leser immer nur auf Basis der physischen Welt und mir ist kein einziges Beispiel bekannt, bei dem das anders wäre. Nennt mir mal eins. Die Welt der Filme, der Kunst, der Psychologie, der Neurobiologie ist unter gewissen Aspekten immer rein physisch, ansonsten bitte zeigen, wo und wie man ganz ohne Physisches auskommt.

Wo leben denn nun Eure Hexen, abseits von Papier, Zeichnungen, Schall- und Hirnwellen?



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So 11. Feb 2018, 11:45

Tosa Inu hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 11:30
Wo leben denn nun Eure Hexen, abseits von Papier, Zeichnungen, Schall- und Hirnwellen?
Dein Argument steht und fällt mit der Abhängigkeit von allen Seienden von der Physis. Aber ich bezweifle ja gerade, dass es diese Abhängigkeit gibt. Physikalität mag als epistemische Voraussetzung der Möglichkeit der Erkenntnis von Nichtphysischem gegeben sein, aber dieses Nichtphysische steht nicht in direkter Abhängigkeit zum Physischen.

Die kausale Basis des Nichtphysischen verschiebt sich durch die Emergenz einer neuen Kausalität. Es ist durch diese neue Kausalität, dass ein nichtphysisches Seiendes überhaupt ist, und nicht mehr die mikrophysikalische Ursache. Das ist im Grunde die Kernaussage der SFO: Existenz ist kausal gegeben durch das Phänomen, das durch seine Eigenschaften ein physisches oder nichtphysisches Phänomen ist. Die Eigenschaften des Phänomens werden also gegeben durch das Phänomen selbst, und es existiert dieses Phänomen durch die kausale Hervorbringung im Existenzmedium, durch das er ist. Und die kausale Hervorbringung dieses Phänomens ist nun nicht zwingend eine mikrophysikalische. Dadurch fällt aber die Physikalität als Urgrund allen Seins dahin, insofern die Physis nicht die direkte Ursache des Phänomens mehr ist. Sie ist vielleicht die indirekte Ursache, aber als solche nicht existenzstiftend, weshalb sie nur als die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des nichtphysischen Phänomens gelten kann.



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So 11. Feb 2018, 12:27

Alethos hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 11:45
Dein Argument steht und fällt mit der Abhängigkeit von allen Seienden von der Physis. Aber ich bezweifel ja gerade, dass es diese Abhängigkeit gibt. Physikalität mag als epistemische Voraussetzung der Möglichkeit der Erkenntnis von Nichtphysischem gegeben sein, aber dieses Nichtphysische steht nicht in direkter Abhängigkeit zum Physischen.
Was wäre für Dich a) nichtphysisch, b) wo liegen/existieren diese Welten/Reiche, c) woran machst Du fest, dass sie nichphysisch sind und d) wie interagieren sie mit dem Physischen?
Alethos hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 11:45
Die kausale Basis des Nichtphysischen verschiebt sich durch die Emergenz einer neuen Kausalität.
Wie kann Nichtphysisches kausal auf Physisches einwirken?
Alethos hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 11:45
Es ist durch diese neue Kausalität, dass ein nichtphysisches Seiendes überhaupt ist, und nicht mehr die mikrophysikalische Ursache. Das ist im Grunde die Kernaussage der SFO: Existenz ist kausal gegeben durch das Phänomen, das durch seine Eigenschaften ein physisches oder nichtphysisches Phänomen ist.
Was wäre ein Bespiel für rein Nichtphysisches?
Alethos hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 11:45
Die Eigenschaften des Phänomens werden also gegeben durch das Phänomen selbst, und es existiert dieses Phänomen durch die kausale Hervorbringung durch das Existenzmedium, durch das er ist. Und die kausale Hervorbringung dieses Phänomens ist nun nicht zwingend eine mikrophysikalische. Dadurch fällt aber die Physikalität als Urgrund allen Seins dahin, insofern die Physis nicht die direkte Ursache des Phänomens mehr ist. Sie ist vielleicht die indirekte Ursache, aber als solche nicht existenzstiftend, weshalb sie nur als die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des nichtphysischen Phänomens gelten kann.
Es ist nicht so, dass ich die Idee nicht verstehe, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teil ist, oder sein könnte. Die Frage ist nur, ob das Ganze nichtphysisch ist, da es ja das Physische beeinflussen können soll.

Es könnte sein, dass "die Logik" (es gibt aber eben unendlich viele logische Systeme) der Natur gewisse Grenzen setzt. Wie? Und wo?
Es scheint ja so zu sein, dass sich die Natur (Quantenphysik) um die Logik (welche eigentlich?) nicht groß kümmert.
Schlecht für eine Welt, die ja unabhängig irgendwo existieren soll. Warum haben wir den Zugang nur über die materielle Welt? Das ist ja alles nicht rund?

Wie ist denn dann das Verhältnis von Ursachen und Gründen, Logik und Moral?



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So 11. Feb 2018, 12:42

Tosa Inu hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 12:27
Was wäre für Dich a) nichtphysisch, b) wo liegen/existieren diese Welten/Reiche, c) woran machst Du fest, dass sie nichphysisch sind und d) wie interagieren sie mit dem Physischen?
a) Nichtphysisch ist ein Gegenstand, der keine Ausdehnung hat, der nicht den naturgesetzlichen Bedingungen unterstellt ist, z.B. Zahlen, Vorstellungen, Gedanken, Bedeutung etc.

b) sie existieren im Universum

c) ich mache ihre nichtphysische Existenz an dem Umstand fest, dass sie nicht wie Physisches reagieren und keine Eigenschaften haben wie das Physische (keine Anziehung und Abstossung kennen, nicht fallen können, weder kalt noch warm sind etc.)

d) Das psychophysische Problem habe ich nicht gelöst, aber ich habe es auch nicht verursacht. :)



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So 11. Feb 2018, 12:57

Ich will mal eine kurze Zusammenfassung des Artikels schreiben, bzw. das, was nach meiner Sicht, die zentralen Punkte sind, das was mich "euphorisiert", um Alethos Worte zu nutzen:

Fangen wir mit uns selbst an: Für den Reduktionisten basieren unsere Handlungen nicht etwa auf unseren Überzeugungen oder dergleichen, sondern sie sind in Wahrheit Ergebnis “unergründlich komplizierter Ursachen” und nichts als Wechselwirkungen zwischen den Atomen in unserem Gehirn und der Umgebung. Dass wir diese Handlungen zurzeit noch nicht buttom up erklären können, liegt für den Reduktionisten nur an unseren epistemischen Beschränkungen. Demgegenüber behauptet diese Theorie, dass “makroskopische Zustände” selbst echte Ursachen sind, die sich nicht auf mikroskopische Zustände reduzieren lassen. Und das nicht etwa, weil wir nicht tief genug schauen können, sondern weil die Dinge an sich selbst so sind.

Die Frage, ob buttom up Erklärungen angemessen sind, ist also auf keinen Fall eine epistemische Frage, sondern es geht dabei um die Natur der Dinge selbst.

Das Phänomen, das die Theoretiker untersuchen, ist natürlich nicht auf Geistiges beschränkt. Weitere Beispiele sind supraleitende Materialien, verschiedene Aggregatzustände, Kristalle und Wellen, aber auch Vogelschwärme. (Darüber haben wir im alten Forum mal ausgiebig diskutiert, falls ich mich recht entsinne.)

Unter Physikern ist die Theorie kaum bekannt. Der Grund ist nach Ansicht dieser Theoretiker, dass der oben skizzierte Reduktionismus das physikalische Bild der Natur bestimmt. (Herr K. behauptet regelmäßig, bei dieser Behauptung handle es sich um einen Strohmann.) Viele naturalistisch/physikalistisch gestimmte Philosophen stimmen in dieses Lied gerne ein: Sie betonen, dass es nur eine einzige relevante Ebene gibt, nämlich die mikroskopische, sprich die basale Ebene, also der Teppich der Tatsachen. Was “darüber” liegt, also weitere (makroskopische) Ebenen, das fällt dem sogenannten "Ausschlussargument" als “unnötige Verdoppelung” zum Opfer.

Weder gibt es die "oberen Etagen" wirklich noch unseren "lebensweltlichen Tisch". Beides kann man nach dieser reduktionistischen Sicht der Welt ohne Verlust streichen. Diese Dinge haben keine eigene Realität (vor allem keine "eigene Kausalität") es sind zwar nützliche Fiktionen, aber nicht mehr.

Die Theorie der "kausalen Emergenz" ist nach meiner Einschätzung in einem gewissen Sinne auch antiantirealistisch: Viele antirealistische Sichtweisen gehen davon aus, dass es “da draußen” zwar irgendeinen Teppich der "Tatsachen" gibt; der bleibt für uns aber unerkennbar - es gibt nur ein tiefes Surren, Rauschen und Zucken, ein großes X oder was auch immer. Die Strukturen, die wir wahrzunehmen glauben, sind demnach in Wahrheit unsere Prägungen in den Welttteig, sie sind allein unserer eigenen Verfassung geschuldet, also unsere Konstruktionen.

Insbesondere die Welt der mittelgroßen Dinge ist in dieser Sichtweise im Grunde eine Konstruktion. Ganz anders diese Theorie: Der Grund dafür, dass wir evolutionär auf die Wahrnehmung gerade dieser Objekte eingestimmt sind, liegt nach dieser Sichtweise darin begründet, dass diese Objekt auf der Ebene, die wir von ihnen wahrnehmen, am meisten effektive Information aussenden. Das heißt, die Welt selbst weist verschiedene Ebenen/Schichten/Bereiche auf. Es geht in dieser Theorie nicht um Epistemologie, sondern um Metaphysik/Ontologie. Sie behauptet, dass wir quasi von Natur aus auf die relevanten Bereiche, die es an sich selbst gibt, geeicht sind. Diese Bereiche sind also keine Setzungen von uns oder Konstruktionen, sondern sie bestehen ohnehin.

Im Nachgang dazu zwei Zitate, die genau hierher gehören:
Markus Gabriel, Sinn und Existenz hat geschrieben : Die sogenannten objektorientierten Ontologen, allen voran Graham Harman, folgen Heidegger in der Ansicht, dass wir »das Ding«, also die Dinge, die in unserer sinnvollen Interaktion mit »der Welt« auftauchen, nicht ontologisch, also theoretisch verzerrend, unterminieren dürfen.[23] Dabei fügt Harman hinzu, dass man solche Dinge nicht nur unterminieren kann, indem man nach einer Mikrowirklichkeit Ausschau hält, die mesoskopische Gegenstände trägt (auf der diese oder Wahrheiten über diese supervenieren).

Es gebe andererseits ​ebenso prominente Manöver der »Überminierung (overmining)« mesoskopischer Dinge, indem man diese von oben herab in allgemeinen eidetischen Strukturen fundiert, etwa in einem apriorischen transzendentalen Bewusstsein oder in einem konstruktivistischen Theorieüberbau.

Dieser Skalierung zufolge hängen viele Probleme der gegenwärtigen Ontologie von Entscheidungen ab, wie man die Wirklichkeit »mittelgroße[r] Exemplare von Trockenwaren (moderate sized specimens of dry goods)« einschätzt, wie eine berühmte und immer wiederkehrende Formulierung Austins lautet. Unter veränderten Vorzeichen, aber mit einer ähnlichen Absicht spricht Stanley Cavell von dem »spezifische[n] Objekt«, dessen Natur und unabhängige Wirklichkeit in der Philosophie in Frage gestellt wird.

Solche Dinge sind etwa die antiken Beispiele von Türmen, die aus der Ferne eckig aussehen, die aber aus der Nähe betrachtet rund sind, im Wasser gekrümmt erscheinende Stöcke und in der neuzeitlichen und gegenwärtigen Philosophie Äpfel, Tische und Stühle. Diese Gegenstände sind paradigmatisch unter Verdacht geraten, weil sie, wie John Campbell in einem anderen Kontext festgehalten hat, durch die frühneuzeitliche Physik mitsamt den Sinneserfahrungen in unseren Kopf verschoben wurden. (Absätze wie immer von mir)
Sir Arthur Stanley Eddington, zitiert nach Graham Harman hat geschrieben : Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß die moderne Physik mit ihren empfindlichen Prüfmethoden und ihrer unbarmherzigen Logik mir versichert, daß mein zweiter, wissenschaftlicher Tisch der einzige ist, der wirklich da ist, wo immer dieses »da« auch sein mag. Aber ebenso selbstverständlich ist es, daß es der modernen Physik trotzdem niemals gelingen wird, den ersten Tisch zu verbannen – jenes merkwürdige Gemisch von Außenwelt, Einbildungskraft und ererbtem Vorurteil, das sichtbar und greifbar vor mir steht. Doch müssen wir ihm für den Augenblick Lebewohl sagen, denn wir wollen jetzt die gewohnte Welt des täglichen Lebens verlassen und uns der wissenschaftlichen Welt zuwenden, die von der Physik entdeckt wurde und die ganz und gar eine Außenwelt, oder jedenfalls als solche gedacht ist.




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So 11. Feb 2018, 14:11

Tosa Inu hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 11:19
Damit ist über die Frage ob sie nun reduktiv zu erklären ist oder durch und durch bottom up funktioniert noch gar nicht entschieden, da dies kein ontologischer Standpunkt ist.
Hmm... Kannst du skizzieren, was du in Bezug auf den Text damit meinst, dass "dies kein ontologischer Standpunkt ist"?




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Alethos hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 12:42
a) Nichtphysisch ist ein Gegenstand, der keine Ausdehnung hat, der nicht den naturgesetzlichen Bedingungen unterstellt ist, z.B. Zahlen, Vorstellungen, Gedanken, Bedeutung etc.
Das ist eben die Frage, ob das so ist.
Psychologen haben bspw. herausgefunden, dass die Rotation dreidimensionaler Gegenstände im Kopf/in der Vorstellung an eine bestimmte Geschwindigkeit gebunden ist. Mit dem Zählen ist es auch so eine Sache, könnte eine reine Abstraktion von Gesehenem sein, usw.
Alethos hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 12:42
b) sie existieren im Universum
... das es nicht gibt, denn was wäre das anderes als ein metaphysisches Ganzes, das andere Welt nennen.
Alethos hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 12:42
c) ich mache ihre nichtphysische Existenz an dem Umstand fest, dass sie nicht wie Physisches reagieren und keine Eigenschaften haben wie das Physische (keine Anziehung und Abstossung kennen, nicht fallen können, weder kalt noch warm sind etc.)
Sind aber doch in gewisser Weise den Veränderungen Physis unterworfen. Wenn morgen großer Meteor und bumm, in welchem Teil des Universums würde man noch von Hexen reden?
Alethos hat geschrieben :
So 11. Feb 2018, 12:42
d) Das psychophysische Problem habe ich nicht gelöst, aber ich habe es auch nicht verursacht. :)
Aber wir alle müssen uns drum kümmern, im Sinne von Antworten darauf finden.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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