"Das objektive Selbst", Thomas Nagel

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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Do 19. Apr 2018, 15:20

In diesem Thread soll es um einen kurzen Textausschnitt aus Thomas Nagels Aufsatz "Das objektive Selbst" gehen, der im nächsten Beitrag von Tommy zitiert wird. Tommy hatte das Thema in einer Philosophie-Klausur behandelt und hier im Forum "geisterte" das Thema in verschiedenen Threads herum, so dass wir uns schlussendlich darauf geeinigt haben, daraus einen gesonderten Thread zu machen. Und hier sind wir :-)




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Jörn Budesheim
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Thomas Nagel hat geschrieben : Mithin schließt [die Welt] auch [Thomas Nagel] ein, jenes Individuum, das zu einer bestimmten Zeit ganz bestimmten Eltern geboren wurde, das seine eigentümliche physische und mentale Geschichte durchlebt hat und das just in diesem Augenblick über Metaphysik nachdenkt.
Ich bin (mittlerweile) nicht sicher, ob der Text für sich allein genommen genügend Hinweise enthält, um ihn einigermaßen im Sinne Nagels zu interpretieren. Ein Beispiel: Ich hab mich gefragt, wie du überhaupt darauf kommst, dass es im Text um die "spirituelle Natur unseres Geistes" oder die Frage nach der "Existenz der Seele" geht. Das hat mich ehrlich gesagt am meisten verblüfft, weil es in dem Text nach meinem Verständnis überhaupt keine Anhaltspunkte dafür zu geben scheint.

Ich vermute (nach wiederholtem Lesen) dass der zitierte Satz mit dem Wort "Metaphysik" der Grund dafür ist. Sicher bin ich natürlich nicht. Der Begriff wird ja oft so verstanden, als wären religiöse/spirituelle/esoterische/übersinnliche/übernatürliche Dinge der Hauptgegenstand der Metaphysik. Ich glaube aber, dass Nagel den Begriff ganz anders, nämlich viel "nüchterner" verwendet. Der Begriff wird natürlich (wie fast immer) in diversen Geschmacksrichtungen verwendet, aber zumeist geht es im weitesten Sinne um so etwas wie "die Einrichtung der Welt". Die Grundfrage ist "Was gibt es?"und zwar in Bezug auf das "Ganze der Welt". Ein Zitat aus einem parallelen Thread mag das verdeutlichen: "Es ist die Metaphysik, die auf die Frage nach den grundlegenden Arten von Gegenständen und nach ihrem Zusammenhang in ein und derselben Welt zu antworten versucht." (Holm Tetens) In diesem Sinne ist natürlich auch der Naturalismus Metaphysik, denn er gibt Auskunft darüber, was es in der Welt wirklich gibt und wie diese Dinge zusammen hängen.




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Sa 21. Apr 2018, 09:39

Eins der zentralen Themen Nagels ist die Objektivität gewisser Bereiche, die gelegentlich im Verdacht stehen, bloß subjektiv/gesellschaftlich/psychologisch/ABC bedingt und/oder erklärbar zu sein. Das heißt, dass sie auf irgendeine Art und Weise auf etwas grundlegenderes "reduzierbar" sind, ohne das man das Phänomen verliert.

Kann man zum Beispiel das Denken in diesem Sinne "von außen" verstehen? Etwa in dem man das Gehirn beim Denken beobachtet? Oder in dem man gewisse innere Bilder in den Blick nimmt (die wiederum Effekte der Chemie des Gehirns sein mögen.) Kann man Denken also verstehen ohne in die Erklärung das hinein zu packen, was das Denken als Denken ausmacht: Also Elemente wie zum Beispiel Gehalt, Logik, Wahrheit, ... etc.

Nagel Philosophie ist zu großen Teilen ein Versuch die Objektivität des Denkens, der Sprache, der Logik und der Ethik zu verteidigen. Das ist meines Erachtens der Hintergrund vor dem dieser Textausschnitt gelesen werden muss. Nicht umsonst ist er überschrieben mit "das objektive Selbst". Viele Milliarden von objektiven Selbsten gehören zum tatsächlichen "Mobiliar der Welt". In diesem Sinne betreibt Nagel Metaphysik, das will ich noch mal hervorheben. Es geht nicht um irgendwelche religiöse oder quasireligiöse Entitäten wie die Seele.




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Sa 21. Apr 2018, 09:56

Tommy hat geschrieben :
So 15. Apr 2018, 19:31
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 15. Apr 2018, 19:19
[...] was Nagel selbst sagt. In "Der Blick von Nirgendwo", Kapitel VIII Werte, 1. Realismus und Objektivität schreibt er in der Einleitung über sein Ziel in diesem Kapitel: "In meinen Überlegungen zur Freiheit habe ich bereits einen Zusammenhang zwischen der Ethik und dem objektiven Standpunkt aufgewiesen. Ich möchte nun die Objektivität der Ethik rechtfertigen, [...]"
[...] mMn scheint das nicht zusammen zu passen, wenn er einmal der objektiven Sicht die Vollständigkeit abspricht, dann aber - wenn es um Moral geht - genau jene für richtig (und vollständig?) erachtet.
Die Entgegensetzung von subjektiv und objektiv ist sehr grob und kann leicht zu Verwirrung führen. Wie kann es denn sein, dass Nagel einerseits Subjektivität verteidigt und dass er andererseits die Subjektivität als Erklärung für viele Phänomene sogar verwirft?!

Es gibt jedoch einen Aspekt des Begriffes der Subjektivität, der vollständig kompatibel ist mit jeglicher Form von Naturalismus. Mehr noch, die meisten Form von Subjektivismus sind offene oder versteckte Formen von Naturalismus. Wenn man einen Naturalisten fragt, was Ethik ist, was Logik ist, was ein Gedanke ist, dann hat er am Ende in aller Regel nur einen einzigen Ort, wo er das unterbringen kann. Und dieser Ort ist letztlich der Kopf des Einzelnen. Ethik ist dann zum Beispiel das, was der Einzelne wertschätzt; hinzunehmen kann man noch gesellschaftliche Einflüsse, weil die (naturalistisch betrachtet) unproblematisch sind, da die sich in Kausalität übersetzen lassen. Gedanken und Logik sind natürlich ebenso im Kopf, wo sollten Sie denn sonst sein, wenn das naturalistische Paradigma wahr ist. Das gleiche gilt natürlich für die Schönheit, schön ist was gefällt. Naturalismus führt regelmäßig zum Subjektivismus.

Diese Art von Subjektivismus verteidigt Nagel auf keinen Fall. Ganz im Gegenteil, diese Art von Subjektivismus ist eine Haupt-Angriffsfläche.




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Sa 21. Apr 2018, 10:14

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 10:00
Ich habe mir einfach ein konkretes Beispiel für einen dieser Bereiche rausgegriffen.
Aber eben nicht einen der Bereiche, den Nagel beackert. Nagel ist nicht religiös, esoterisch oder was auch immer. An anderer Stelle hab ich ihn entsprechend zitiert: "ich will, dass der Atheismus wahr ist, und es bereitet mir Unbehagen, dass einige der intelligentesten und am besten unterrichteten Menschen, die ich kenne im religiösen Sinne gläubig sind. Es ist nicht nur so, dass ich nicht an Gott glaube und natürlich hoffe, mit meiner Ansicht Recht zu behalten, sondern eigentlich geht es um eine Hoffnung, es möge keinen Gott geben! Ich will, dass es keinen Gott gibt, ich will nicht, dass das Universum so beschaffen ist.

Der Begriff "Seele" hat jedoch genau die Konnotationen, die mit Nagels Absichten und Ansichten überhaupt nicht kompatibel sind. Nagel betreibt zwar Metaphysik, aber ganz sicher keine Metaphysik in diesem Sinne. Nagel nutzt dazu bewusst ganz und gar diesseitige Begriffe, die im Grunde jeder akzeptieren muss, der ihm über die Schulter schaut, auch wenn er nicht religiös, esoterisch oder sonst "irgendwie metaphysisch inspiriert" ist.




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Sa 21. Apr 2018, 10:52

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 10:26
Insofern weiß ich wiederum nicht wo bei dir da das Religöse herkommt.
Ich komme darauf, weil du in dem Text ein bestimmtes begriffliches Netz aufspannst, das ganz anders ist als das Netz, welches Nagel selbst nutzt.

Du sprichst übers Ganze betrachtet wiederholt von solchen Dingen wie Spiritualität, bzw. der spirituellen Natur unseres Geistes, einer höheren Wahrheit, Gott, der christlichen Annahme der Existenz der Seele etc. Nagels Ausdrucksweise hat aber nicht diese Konnotationen. Und er spricht auch nicht von diesen Themen. Er spricht statt dessen ganz diesseits und nutzt eher "philosophisch/technische Begriffe", er spricht von TN, der Psyche, dem Bewusstsein und nicht zu vergessen vom objektiven Selbst. Das ist alles in allem ein gänzlich anderer Zungenschlag.

Das ist meines Erachtens nicht einfach ein Unterschied an der Oberfläche. Es gibt den beiden Texten, dem Original und deiner Interpretation eine gänzlich andere Richtung. Natürlich kann man Psyche mit Seele übersetzen oder Seele mit Psyche, für sich allein genommen wäre das vielleicht noch kein Problem, aber die Häufung der Begriffe, die in die problematische Richtung weisen und zudem das Auftauchen von Themen, die bei Nagel gar nicht vorkommen, ist gelinde gesagt irritierend und nach meinem Verständnis nicht im Sinn Nagels. Während Nagel versucht, die fraglichen Konnotationen und Missverständnisse fernzuhalten, machst du genau das Gegenteil.




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Alethos
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Sa 21. Apr 2018, 15:07

Utilitaristische Erklärungsmodelle können eine Objektivierung von Moral begründen, wobei man die Begründung der Objektivität des Zwecks leisten muss, um die Objektivität der Moral zu erklären. Man hätte die Last der zu begründenden Objektivität vom Sachverhalt auf eine Teleologie verschoben.

Mich würde zunächst interessieren, was mit 'objektivem Selbst' gemeint ist. Hier vermute ich den Schlüssel zum Verständnis eines objektiven Sollens.



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Sa 21. Apr 2018, 16:36

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Wieso seid ihr jetzt bei der Moral?




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Sa 21. Apr 2018, 17:10

Es gelingt mir ehrlich gesagt nicht wirklich, zu einer in sich stimmigen Interpretation deines Textes zu kommen, Tommy. Manches davon würde ich zwar unterschreiben, jedoch sagst du zugleich Dinge, die das Gesagte sofort wieder in Frage stellen.

Ich will mich Mal langsam rantasten. Dabei nehme ich tendenziell eher die "Problem-Stellen" in den Blick.

Wenn ich (manche Aspekte?) deiner Interpretation richtig verstehe, dann bist du der Ansicht, dass es in dem Text von Nagel im Grunde um zwei verschiedene, ja gegensätzlichen Sichtweisen geht: Du schreibst selbst (gegenüber Alethos), du warst hin- und hergerissen zwischen den gegensätzlichen Positionen:
  • Die eine Position versucht die Welt objektiv zu betrachten. Das ist die Sicht der Naturwissenschaften. Diese Sicht hat keinen Bedarf Metaphysik und Individualität, wie du schreibst.
  • Die andere Position betrachtet Welt aus einer mehr subjektiven Weise heraus.
Mit dieser “Zwei-Perspektiven-Sichtweise” kann ich mich nicht wirklich anfreunden. Ich finde sie nicht in dem Text wieder. Ich will versuchen zu erklären wieso. Nehmen wir dazu ein Beispiel: Die subjektive Sicht hat nach deiner Ansicht einen Makel: “Eine Wahrheit, die nur mir selbst offenbar ist und die ich auch nur mir selbst beweisen kann, ist wissenschaftlich untauglich und mit dem Glauben an Gott gleichzusetzen.” Das Problem dieser Kritik ist meines Erachtens, dass es in Nagels Text überhaupt nichts gibt, worauf sie zutreffen könnte. Nagels-Text ist an keiner Stelle so etwas wie das Hohelied der individuellen Weltsicht oder etwas Vergleichbares. Ich finde Nagel hat ein anderes Thema.

Subjektive Weltsichten hingegen werden im Prinzip gar nicht thematisiert, finde ich. Ich für meinen Teil finde in dem Text jedenfalls nichts, was darauf hindeutet.

Vielleicht zunächst ein paar Worte zur objektiven Sicht. Die objektive Sicht ist diejenige Sicht, die von unserer alltäglichen Perspektive auf die Welt absieht. Wenn wir die Welt wissenschaftlich und objektiv beschreiben, dann kommt in diesen Beschreibung nicht mehr vor wie etwas aussieht, sich anfühlt, riecht, schmeckt oder klingt. Im Prinzip könnten wir unsere Erkenntnis auch mit einem Alien teilen. "Was auch immer in [der Welt] vorkommt, kann von einem allgemeinen rationalen Bewusstsein erfasst werden, dass seine Informationen aus gleich welcher Wahrnehmungsperspektive bezieht, durch die es kontingenterweise die Welt anschaut." (TN)

Das ist (sehr vereinfacht) der Punkt, an dem der Text (das objektive Selbst) wie folgt startet: "Denken Sie sich eine vollständige Weltbeschreibung, und zwar eine solche, die aus keiner... besonderen Perspektive [siehe das Zitat zuvor] ... formuliert wäre - eine Weltbeschreibung, in der mithin bereits alle in dieser Welt vorkommenden Menschen verzeichnet wären, wovon einer Thomas Nagel ist. Zum einen schiene in einer solchen Weltbeschreibung gleichwohl eines noch gar nicht angegeben zu sein, nämlich: welches dieser Individuen ich selbst bin."

Es geht hier nicht um subjektive individuelle Weltsichten. Wo? Es geht auch nicht darum, die Welt "von innen heraus" , subjektiv zu betrachten. Nagels Hinweis ist zudem viel radikaler: es geht um den zunächst einfach wirkenden Umstand, dass jeder "jemand" ist. Jeder gesunde Erwachsene kann sich beispielswiese selbst identifizieren: "Diese Ich-Sätze, in der eine Person sich selbst identifiziert, sind [jedoch] nicht Teil einer erfahrungswissenschaftlichen Beschreibung der Wirklichkeit." (Holm Tetens) Und in den Worten Nagels, aus dem Aufsatz "das objektive Selbst": [Bei der] Tatsache [aber], dass eine dieser Personen, TN, der Ort gerade meines Bewusstseins ist ..., scheint es sich doch unbestreitbar um eine zusätzliche Wahrheit zu handeln ..., die allein von mir ausgesagt und aus meiner Perspektive verstanden werden kann. (TN, Hervorhebung von mir)

Nagel moniert hier, dass die "erfahrungswissenschaftliche Beschreibung der Wirklichkeit" (HT) - der "Blick von nirgendwo" (TN) unvollständig ist. Jeder von uns kann sich im Selbstexperiment hinstellen und das bestätigen :-) Dass ich von mir selbst sagen kann, dass ich Jörn Budesheim bin, das ist jedoch ganz sicher keine Wahrheit, die wissenschaftlich untauglich und mit dem Glauben an Gott gleichzusetzen ist.




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Sa 21. Apr 2018, 20:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 16:36
Wieso seid ihr jetzt bei der Moral?
Das habe ich ins Spiel gebracht, weil ich meinte entnommen zu haben, dass die Diskussion über das objektive Selbst der naturalistischen Weltbeschreibung etwas hinzutut, das diese nicht beschreiben kann: Betroffenheit.
Aber ich kann mich irren und das ist überhaupt nicht Thema.



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Sa 21. Apr 2018, 21:10

Ich muss die Tommy ja mehr oder weniger versprechen (ich übertreibe ein wenig) dass das nicht ein Thread zum Thema objektive Moral werden würde :) daher war ich schon etwas erstaunt ...




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Sa 21. Apr 2018, 22:10

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 15:22
Alethos hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 15:07
Utilitaristische Erklärungsmodelle können eine Objektivierung von Moral begründen, wobei man die Begründung der Objektivität des Zwecks leisten muss, um die Objektivität der Moral zu erklären.
Nur nochmal nachgefragt: Mit "Objektivität" meinst Du hier eine Erklärung dafür, warum die auf diese Art entstehende Moral für andere Menschen gelten (bindend sein) soll?
Ja, ich meine, dass eine objektive Moral für alle nach Vernunftsgründen verfahrenden Menschen zu einer Verbindlichkeit durch Einsicht führen können müsste, so dass diese objektiv gilt.
Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 15:22
Mich würde zunächst interessieren, was mit 'objektivem Selbst' gemeint ist. Hier vermute ich den Schlüssel zum Verständnis eines objektiven Sollens.
Meiner Meinung nach ist "das objektive Selbst" hier nur ein Beispiel für einen Teil objektiver Wahrheiten, die im materialistischen Weltbild einfach nicht vorkommen. Mit diesem (rein materialistischen) Verständnis von Objektivität lassen sich gewisse objektive Sachverhalte nicht beschreiben, bzw erfassen.
Es ist also - nach Nagel - unvollständig und damit ungenügend.
So verstehe ich das.
Und die Frage die sich ergibt ist, ob das stimmt, d.h. ob es Nagel wirklich gelingt zu zeigen, dass es über das materialistische Verständnis hinaus noch objektive Wahrheiten gibt.
Da ich Nagel noch nicht gelesen habe, muss ich sehr zurückhaltend sein.

Wie mir scheint, und das schliesse ich aus euren Darstellungen, geht es bei Nagel um die Herausarbeitung eines erweiterten Objektivitätsbegriffs. Die Naturwissenschaften (grob: der Naturalismus) beschreiben die Phänomene, indem sie diese auf einen materialistischen Grund zurückführen. Alle Phänomene seien demnach Tatsachen, die sich durch die Beschreibung ihrer Wechselwirkungen erklären liessen, so auch die Tatsache, dass ich Pedro Diaz bin. Dass ich bin, sei ein reiner Befund von materiellen Tatsachen, die mich vollumfänglich beschreiben können. Um mich festzustellen, bedürfe es im Grunde nur der Detektion aller ausser mir liegenden Tatsachen, also eines rein objektiven Blicks auf die mich konstituierenden Gegebenheiten.

Aber ich selbst zu sein, das lässt sich nicht beschreiben von ausserhalb meiner selbst, so Nagel, sondern kann nur ich erfahren, indem ich dieser bin, der sich selbst erfährt als dieses Ich. Es gibt keinen rein objektiven Blick auf die Tatsache meines Selbstseins, wie es einen Blick auf die Tatsache geben kann, dass dort eine Blume steht oder dass meine Neuronen feuern. Es gibt keine objektive Perspektive auf mich selbst im Sinne einer für alle anderen gültigen Beschreibung einer Tatsache, weil ich kein Objekt für andere in der Weise sein kann, wie ich es für mich selbst bin.

Das heisst, die naturalistisch-beschreibende Methode reduziert die Objektivität von Tatsachen auf den Umstand ihrer Gegebenheit für uns. Was sich uns so zeigt, das ist objektiv. Aber wenn niemand von uns je der Andere sein kann, also wenn niemand anderem gegeben sein kann, dass er ich sei, so kann die Objektivität nicht durch die Gegebenheit begründet werden. Objektiv ist nicht etwas, weil es uns gemeinsam gegeben ist, objektiv ist etwas, sofern es überhaupt ist. Und da ich bin, was ich nie bezweifeln könnte, bin ich und zwar objektiv.

Das Selbstsein ist demnach in einer anderen Weise objektiv als der durch uns gemeinsam betrachtete Gegenstand.
Es gibt für den Naturalismus keine Möglichkeit zu beschreiben, was es heisst, ich zu sein, weil der Naturalismus ich selbst sein müsste, der sich erfährt :)
Zuletzt geändert von Alethos am Sa 21. Apr 2018, 22:20, insgesamt 1-mal geändert.



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So 22. Apr 2018, 07:31

Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 22:13
Dieser Weltsicht stellt Nagel dann (im 2. Teil des Textes) aber etwas entgegen. Und das was er da entgegenstellt ist das was die Naturwissenschaften das Subjektive nennen. Dass Nagel meint, dass das zu Unrecht geschieht, weil für ihn auch diese "subjektiven Wahrheiten" objektive Tatsachen sind, stell ich gar nicht in Abrede.
Tommy hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 22:13
Wo schreibe ich denn, dass es in diesem Absatz um subjektive, individuelle Weltsichten geht?
Ich denke genauso wie Du, dass hier zunächst eine andere Weltsicht beschrieben wird. Nämlich die Objektive.
"Wo schreibe ich denn..." Der gesamte Tenor deines Textes ist so. Und übrigens auch bei dieser Antwort ("zunächst eine andere Weltsicht") (was er da entgegenstellt ist das was die Naturwissenschaften das Subjektive nennen) Hier zwei weitere Beispiele: "Erst wenn wir beginnen die Welt aus einer mehr subjektiven Weise heraus zu betrachten", "die Welt 'von innen heraus', subjektiv zu betrachten" Es geht bei dir offensichtlich um den Clash zweier Weltsichten. Du sprichst daher auch durchgängig von Betrachtungsweisen, während Nagel von einer Weltbeschreibung (aus dem Blickwinkel von nirgendwo) spricht und fragt, was es mit dieser auf sich hat.

Diese objektive Weltbeschreibung soll aber eben gerade keine bloße Betrachtungsweise sein. Nagel schreibt gleich zu Beginn das Gegenteil: Denken Sie sich eine vollständige Weltbeschreibung, die aus keiner besonderen Perspektive formuliert wäre und die Welt so zeigen soll, wie sie an sich selbst ist: "In dieser Welt ohne Zentrum ist jedermann enthalten, und zwar kommt in ihr nicht bloß der Körper einer jeden Person vor, sondern auch ihre jeweilige Psyche." Diese Weltbeschreibung enthält mich und meine Psyche. Was fehlt eigentlich? Die eigentlich als vollständige erachtete Weltbeschreibung ist eben doch nicht vollständig, sondern es fehlt etwas in ihr. Diese Ich-Sätze, in denen ich mich selbst identifiziere, sind eben nicht Teil der vorgeblich vollständigen Weltbeschreibung, die aus keiner besonderen Perspektive formuliert wäre. Das was angeblich vollständig ist, ist unvollständig.

Du schreibst: "Ich denke genauso wie Du, dass hier zunächst eine andere Weltsicht beschrieben wird. Nämlich die Objektive." Das denke ich aber gerade nicht. Es gibt meines Erachtens nicht darum, dass zunächst eine bestimmte Weltsicht beschrieben wird, der dann eine andere entgegengehalten wird. Sondern es geht darum, dass diese objektive Weltbeschreibung, die vollständig sein soll eben unvollständig ist, weil in ihr objektive Wahrheiten fehlen.




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So 22. Apr 2018, 10:09

Alethos hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 22:10
Das heisst, die naturalistisch-beschreibende Methode reduziert die Objektivität von Tatsachen auf den Umstand ihrer Gegebenheit für uns.
Hmmm... Das kann ich nicht wirklich unterschreiben. An dieser Stelle ist die Unterscheidung zwischen naturwissenschaftlicher Methode und Naturalismus schon bedeutsam, finde ich.

Die "objektive Methode" ist für uns ja von größtem Belang. Von hier aus mag es so aussehen, als drehe sich die Sonne um die Erde. Aber dieser Eindruck stellt die Konstellationen von Erde und Sonne nicht so dar, wie sie sich an sich selbst ist - das ist bloß unserer Perspektive geschuldet. Und da wir in der natürlichen und der naturwissenschaftlichen Einstellung Realisten sind, sind wir in der Regel auf der Suche nach der Frage, wie die Dinge an sich selbst liegen. Die Sicht auf die Welt von innen heraus wird dem gerade nicht gerecht. Es geht doch nicht darum, dass man die Dinge so oder so sehen kann. Gerade weil wir Realisten sind, versuchen wir von unserer inneren Konstitution und unserem Standort abzusehen. Dieser objektive Blick soll nun gerade kein spezifischer Blick mehr sein, also kein Blick von irgendwo und irgendwem.

Diese Fähigkeit uns als Wesen zu erkennen, die eine Perspektive einnehmen und diese auch (in welcher Weise auch immer) überschreiten können ist für uns doch von größter Bedeutung - übrigens nicht nur in Bezug auf die "wissenschaftliche Methode". Das heißt von der Gegebenheit für uns (wie du oben schreibst) wollen wir dabei ja gerade absehen, oder?

Ich für meinen Teil glaube, dass die objektive Methode für die Naturwissenschaften unverzichtbar ist. Wir wollen schließlich wissen, wie die Dinge im Universum wirklich liegen. Problematisch wird die Geschichte erst, wenn man von da aus umstandlos zum Naturalismus übergeht, indem man behauptet, es gibt nur das, was die Naturwissenschaften mit ihren Methoden erkennen. Nagel fragt: "Welchen Begriff machen wir uns denn von jener Welt, in der es anscheinend für mich erst gar keinen Platz mehr geben kann?" und der Rest ist bloß subjektiv?




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Alethos
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So 22. Apr 2018, 11:49

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 22. Apr 2018, 10:09
Die "objektive Methode" ist für uns ja von größtem Belang. Von hier aus mag es so aussehen, als drehe sich die Sonne um die Erde. Aber dieser Eindruck stellt die Konstellationen von Erde und Sonne nicht so dar, wie sie sich an sich selbst ist - das ist bloß unserer Perspektive geschuldet. Und da wir in der natürlichen und der naturwissenschaftlichen Einstellung Realisten sind, sind wir in der Regel auf der Suche nach der Frage, wie die Dinge an sich selbst liegen. Die Sicht auf die Welt von innen heraus wird dem gerade nicht gerecht. Es geht doch nicht darum, dass man die Dinge so oder so sehen kann. Gerade weil wir Realisten sind, versuchen wir von unserer inneren Konstitution und unserem Standort abzusehen. Dieser objektive Blick soll nun gerade kein spezifischer Blick mehr sein, also kein Blick von irgendwo und irgendwem.
Ja. Wir sind auf eine objektive Methode angewiesen, um Wahrheit zu erkennen. Nicht, indem jeder von uns bestimmen kann, was der Fall ist, stellen sich die Tatsachen ein, sondern indem sie sind, sind sie uns als solche gegeben und wir vollziehen nach, was der Fall ist.

Es ging mir nicht darum, einem Subjektivismus das Wort zu reden. Aber wie stellen wir denn fest, dass sich etwas so und so verhält? Wohl dadurch, dass wir die Gegebenheit des Sachverhalts für uns einsehen können. Die intersubjektive Prüfbarkeit ist ein notwendiges Kriterium für die Gewissheit über die Wahrheit von etwas Objektivem. Objektivität bedeutet so gesehen Erschliessbarkeit, Zugänglichkeit, Einsehbarkeit. Nur so können die Dinge zur Einsicht zwingen, dass es sich mit etwas objektiv so und so verhält.

Aber nun kann man doch bei der Subjektivität der Perspektive des Selbstseins eine solche Einsehbarkeit, Zugänglichkeit und Erschliessbarkeit nicht herstellen. Deshalb ist doch diese subjektive Perspektive nicht weniger objektiv gegeben. Sie ist zwar je nur mir selbst gegeben, aber in einer gleich unverrückbaren Weise wie der Umstand, dass ich nicht fliegen kann oder dass der Baum dort steht und Grün scheint.
Was bedeutet dies nun für die Frage nach der Objektivität dieses Selbstseins, dass es nicht überprüfbar ist für andere? Es bedeutet doch, dass die Naturwissenschaft kein Vokabular hat, um die Selbsterfahrung zu beschreiben. Es gibt sozusagen einen Bereich, das Selbst, das nicht in der gleichen Weise Gegenstand der Beobachtung oder Weltbeschreibung sein kann wie andere Phänomene.

Als Realisten sind wir natürlich gerichtet auf Tatsachen, die sich so und unbestreitbar so verhalten. Es sind die Dinge in ihrem Sein die Richtschnur für das realistische Denken. Aber bedeutet das nun, dass nichts gesagt werden könne mit objektiver Gültigkeit, was mit einem Subjekt zu tun hat?

Offensichtlich ist das Objektivitätsverständnis der Naturwissenschaften defizitär mit Bezug auf die Beantwortung dieser Frage. Denn selbst, wenn sie darstellen könnten, dass das Ich die neuronale Aktivität ist, die in meinem Kopf stattfindet, so kann die Draufsicht auf mein Hirn doch nie die Innensicht einnehmen, die ich innehabe als dieses Ich. Anders gesagt: Ichsein lässt sich mit der objektiven Methode der allgemeinen Erfahrbarkeit überhaupt nicht feststellen. Und weil Ichsein nicht allgemein gültige Tatsache ist, schliessen wir auf die nicht Allgemeingültigkeit von allem, was dieses Subjekt produziert: Einstellungen, Vorstellungen, Ansichten und Meinungen. Alles das sei subjektiv, nicht objektiv.

Aber wenn wir die Objektivität der Naturwissenschaft zum Maß nehmen und jeder subjektiven Regung die Objektivität absprechen, gelangen wir auch nie zu einer Objektivierung von Werten. Denn Werte sind sozial konstituierte Grössen, an denen Subjekte beteiligt sind. Sprechen wir der subjektiven Perspektive apriori Objektivität ab, verbleiben wir in einem Subjekt-Objekt-Dualismus, aber relevanter noch, entziehen wir der Ethik und der Moral die objektive Basis, nämlich die Objektivität der Gründe, die vernunftbegabte Subjekte diskursiv herstellen. Das war mein Punkt.



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Tommy hat geschrieben :
So 22. Apr 2018, 12:17
Wofür genau brauchen wir eine "objektive Basis"? Der Wertediskurs kommt ja überhaupt nur zustande, weil Werte (subjektiv) unterschiedlich gesetzt und priorisiert werden.
Wenn du es so darstellst, wäre die Wertediskussion möglich wegen der Subjektivität der Ansichten. Vielleicht ist sie aber erst möglich, durch die Objektivität der Gründe. Denn ob ich Blau schöne finde und du nicht, das können wir nicht ausdiskutieren, weil es keine objektive Basis gibt, die uns dies entscheiden liesse. Dass Werte so oder so 'gesetzt' werden können, das glaube ich hingegen nicht. Ich glaube auch nicht, dass Werte einer Einigung bedürfen, dann entstünden sie aus Konvention. Es ist aber nicht etwas objektiv gut, nur weil sich zwei oder viele darauf geeinigt haben, es für gut zu befinden. Das glaube ich tatsächlich nicht.

Ich glaube eher, dass uns die Vernunft mit Bezug auf Werte sehr wohl zur Einsicht zwingen kann, dass Werte objektive Gültigkeit haben. Nun müssen wir gemeinsam prüfen, ob das so ist resp. wie Werte objektive Gültigkeit erlangen, falls sie sie überhaupt erlangen können.

Mein Gedankengang ist folgender:
Einerseits können Gründe objektiven Charakter haben: 'Wenn die Beschädigung des Guten schlecht ist und das Schlechte verhindert werden soll, dann muss die Beschädigung des Guten verhindert werden.' Das ist natürlich ein zirkulärer Schluss. Aber es gibt, so denke ich, auch objektive Gründe für die Wahl der Prämissen.

Es ist richtig, es entzündet sich der Zweifel an der Objektivität von Gründen tatsächlich an der Frage, was das Gute und Schlechte sei. Hier befinden wir uns auf sichtbar heiklem Terrain mit Blick auf die Gültigkeit der Definition dieses Guten und des Schlechten. Schliesslich könne man setzen, dass x gut und gleichzeitig, dass x schlecht sei, also könne x nicht objektiv entweder gut oder schlecht sein, sondern das ergebe sich durch subjektive Setzung, ein persönliches Dafürhalten oder eine innere moralische Verfassung.

Aber wenn man z.B. die innere moralische Verfassung eines jeden von uns untersucht, so stellt man doch fest, dass diese nicht im luftleeren Raum entwickelt wird, sondern konditioniert ist durch Koexistenz, Interaktion, Geschichtlichkeit und durch eine Denkpraxis, in die wir hineingeboren werden und in der wir uns sozialisieren.
Das ist kein Beweis für die objektive Gültigkeit von Werten, aber es ist doch ein Indiz dafür, dass Werte nicht im Subjekt allein herausgearbeitet werden. Werte haben, wie immer gegensätzlich sie sich zueinander verhalten, eine objektive Dimension.

Wir sind aber auch mit Bezug auf unsere Empfindungen sehr ähnlich gestrickt. Wir fühlen uns benachteiligt, beleidigt, wir empfinden Schmach und Freude, Trauer und Zufriedenheit. Wenn wir auf Situationen auch je unterschiedlich reagieren, so unterscheiden wir uns in diesen basalen emotionalen Regungen nicht.
Nun ist auch das kein Beweis für die Objektivität von moralischer Richtigkeit, aber es ist ein weiteres objektives Element in einem Gefüge von Tatsachen, die die objektive Basis unserer Begründungen legen.

Nun ist es korrekt, dass wir als Subjekte an der Diskussion über Objektivität beteiligt sind, aber als diese Subjekte sind wir nicht rein subjektiv, wir sind nicht willkürlich die, die wir sein wollen, sondern wir sind objektiv die, die wir sind. Und als solche können wir auch ganz objektiv zu gegensätzlichen Meinungen kommen. Aber das heisst ja nun nicht, dass diese Meinungen völlig aneinander vorbei meinen, sondern dass sie gerichtet sind auf ein gemeinsames Objekt: es ist die gemeinsame Lebenswirklichkeit. Das, wovon unsere Meinungen handeln, ist eine gemeinsam gegebene Welt von Tatsachen. Der eine diskutiert nicht über Birnen, während der andere über bayerische Trachten diskutiert, sondern die Diskussion selbst richtet sich an einem gemeinsamen Objekt aus.

Die Methode für die Ermittlung von moralischer Wahrheit ist nicht eine rein subjektive, sondern lediglich adaptiert an das Objekt der Moralität, und bloss, weil ds nicht in der Weise gegeben ist wie materielle Objekte, heisst es nicht, dass es überhaupt nicht objektiv gegeben sein kann. Die Methode der Erschliessung von moralischer Richtigkeit ist eine diskursive. Das heisst aber lediglich, dass die Resultate nicht eindeutig feststellbare sind, sichtbare und messbare, nicht aber, dass sie keine objektiven Gültigkeit hätten, sondern dass sich diese aus dem Zusammenwirken der 'subjektiven' Ansichten ergibt. Nicht als Einigung, nicht als Konsens, sondern aus dem Widerstreit der Argumente.

Und natürlich muss man sich fragen, warum einige für das bessere Argument offen sind und einsichtig sein können und andere nicht. Aber darum denke ich, dass Moral eine Frage der sozialen Kompetenz ist, also der Fähigkeit, dem guten Vernunftsgrund nachzugehen auf seine innerste Wahrheit.



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Jörn Budesheim
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So 22. Apr 2018, 14:45

Philosophielehrer für Klausur hat geschrieben : Denken Sie sich eine vollständige Weltbeschreibung, und zwar eine solche, die aus keiner... besonderen
Perspektive [z.B. meiner] ... formuliert wäre - eine Weltbeschreibung, in der mithin bereits alle in dieser Welt vorkommenden Menschen verzeichnet wären
Thomas Nagel, Letzte Fragen hat geschrieben : Denken Sie sich eine vollständige Weltbeschreibung, und zwar eine solche, die aus keiner der besonderen Perspektiven in der Welt heraus formuliert wäre – eine Weltbeschreibung, in der mithin bereits alle in dieser Welt vorkommenden Menschen verzeichnet wären
Diese Klammer in Zitat 1 [z.B. meiner] hat mich von Anfang an irritiert. Deswegen hab ich mir das Buch hier im Garten sitzend jetzt einfach gekauft, man gönnt sich ja sonst nichts. Den Text gibt es sehr ähnlich/nahezu identisch in "Der Blick von nirgendwo" was ich in der Druckversion vorliegen habe.

Ich werde später noch was dazu sagen, aber diese Klammer ist irgendwie seltsam, meine ich. Von der Textlänge her würde fast gar nichts gespart. Warum dann diese (irritierende) Klammer??




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Alethos hat geschrieben :
So 22. Apr 2018, 13:07
Die Methode der Erschliessung von moralischer Richtigkeit ist eine diskursive.
Ja, vielleicht ... vielleicht auch nicht :-) Ich will dazu mal einen vielleicht abwegig erscheinenden Vorschlag machen - ich meine mich vage zu erinnern, etwas im weitesten Sinne ähnliches sogar mal bei Nagel gelesen zu haben. Sicher bin ich jedoch nicht.

Wir können das Problem der moralischer Richtigkeit so umformulieren, dass es dem Aufsatz das objektive Selbst in einer gewissen (formalen?) Hinsicht ähnelt. Wir können uns fragen: Was sollte diese Person in dieser Situation tun, wobei diese Person ich bin. Oder wir fragen: Was schuldet diese Person jener? Wobei diese Person mein jetziges Ich ist und jene mein zukünftiges.

Die Ähnlichkeit ist offenkundig. Hoffe ich :-) Vielleicht kann man sie zunächst (und vereinfacht) so ausdrücken. Es ist (auch) eine Frage der logischen Form. Wir haben zunächst eine Weltbeschreibung in der "Perspektive" der dritten Person: "Das uns das" ist der Fall. Und im nächsten Schritt fragen wir nach der "Perspektive" der ersten Person Singular. Das wäre im weitesten Sinne eine diskursive "Methode" ...




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Tommy hat geschrieben :
Do 19. Apr 2018, 15:21
Erst im direkten Vergleich seines Gegenüber mit dem eigenem Ich wird deutlich, dass , sollte man für sich selbst eine Seele fordern man diese auch den anderen Mitmenschen zugestehen muss.
Kannst du das bitte kurz erläutern? Ich hab schon etwas darüber nachgedacht, komme aber zu keinem Ergebnis.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 22. Apr 2018, 15:00
Und im nächsten Schritt fragen wir nach der "Perspektive" der ersten Person Singular. Das wäre im weitesten Sinne eine diskursive "Methode" ...
Das verstehe ich leider nicht. Der Wechsel von der Ebene der dritten Person (sagen wir einmal, das sei die rein deskriptive der Wissenschaft) zur Ebene der ersten Person, das sei eine diskursive Methode? Vielleicht kannst das in hochsommerliche Temperaturen kompatible Begriffe fassen :)



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