"Das objektive Selbst", Thomas Nagel

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Enno
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So 29. Apr 2018, 12:53

@Jörn

Wenn man sagt, "TN" beschreibt ein bestimmtes Individuum als logische Identität, dann gibt es aus Sicht von TN keinen Unterschied zwischen Ich und TN. Dann könnte der Satz "Ich bin TN." auch lauten: "Ich bin Ich". Nur wo kommt dann die Aussage her? Das bekannte Problem der Ich-Aussagen, wenn man das Individuum als mit sich selbst identisch begreift.
Wenn man dagegen sagt, man verwendet den Begriff Identität nur im Sinne von Bezeichnung für ein Individuum, wie auch immer dessen logische Struktur aussieht, also nicht im streng logischen Sinne, dann ist die Verwirrung vorprogrammiert, da der Begriff Identität unterschiedlich verwendet wird.
Ich sehe das so, dass man "TN" verwendet, um ein bestimmtes Individuum von anderen zu unterscheiden, als Bezeichner. Damit lässt man erst mal die Frage nach der logischen Struktur offen.

Dass etwas mit sich selbst identisch ist, ist auf jeden Fall eine analytische Wahrheit. Denn Analyse und Wahrheit sind nur anwendbar, wenn etwas mit sich selbst identisch ist. Dass das für alles gilt ist auch nur wahr, wenn dieses Alles mit sich selbst identisch ist. Ich weiß, das klingt alles ein bisschen merkwürdig, aber es zeigt, dass Identität immer schon vorausgesetzt wird, man denkt da gar nicht mehr darüber nach. Nur diese Paradoxien machen ein bisschen Ärger. Mittlerweile bin fast der Meinung, dass sich die Alten Griechen die Paradoxien nur ausgedacht haben, um die Grenzen des identitätsbasierten Weltbilds zu zeigen. Die Vorzüge sind nicht zu bestreiten. Mit Heraklit wär's auf jeden Fall anders geworden.

Es gibt also ein Problem mit der Ich-Aussage unter der Vorrausetzung der Selbstidentität des Individuums. Also hinterfragt man die Voraussetzung und überlegt sich, wie denn Identität überhaupt entsteht. Oder anders gefragt, wie entsteht Neues?
Man ahnt schon, dass die sogenannten Großen Philosophischen Fragen hier nicht weit sind. Mal ein ganz triviales Beispiel. Wenn Musiker zusammen improvisieren und dabei neue Stücke entstehen, was passiert da eigentlich? Durch die Interaktion der Individuen ist doch tatsächlich Neues entstanden. Wie will man das erklären, wenn man die Welt als mit sich selbst identisch versteht? Dann wäre sie nicht mehr als ein komplizierter Mechanismus. Und genau dann benötigt man Geist, Seele, etc. Die ganzen Schwierigkeiten mit den Fragen nach Kunst, Leben, freier Wille.. beruhen alle auf der Annahme der Identiät.




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Jörn Budesheim
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So 29. Apr 2018, 13:18

Enno hat geschrieben :
So 29. Apr 2018, 12:53
"Ich bin Ich". Nur wo kommt dann die Aussage her? Das bekannte Problem ...
So ähnlich hast du es zu Beginn auch formuliert. Mein Problem ist, dass ich das Problem einfach nicht sehen kann. Worin besteht es?




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Jörn Budesheim
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So 29. Apr 2018, 14:23

TN hat geschrieben : ...Ich kann nicht so einfach bloß eine Person sein. So besehen kann dann wirklich der Schein aufkommen, als behaupte das Urteil »Ich bin TN«, wenn es denn wahr ist, erst gar keine Identität mehr, sondern mache vielmehr eine prädikative Aussage. Wem dieser Gedanke nicht schon selber einmal in den Sinn gekommen ist, dem wird er wohl unweigerlich obskur dünken ...




Enno
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So 29. Apr 2018, 18:47

Ja, das ist wohl der Knackpunkt.

Kann das Ich beweisen, dass der vom Ich produzierte Satz "Ich bin ich." wahr ist?
Ich denke eher nicht.




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Jörn Budesheim
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So 29. Apr 2018, 19:12

Ich muss leider passen, ich verstehe es nicht.




Enno
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So 29. Apr 2018, 21:18

Sorry, war noch nicht ganz fertig gewesen (noch ein bisschen Fußball mit den Kids).

Ich sehe das so, dass das Individuum eine wahre Aussage über sich machen soll, nicht einfach über eine Eigenschaft, sondern über das Individuum in seiner Gesamtheit. Jetzt gibt es bei dieser Aussage einen Operator (die Affirmation) und einen Operanden (das Individuum). Üblicherweise wird mit dieser logischen Operation eine Eigenschaft von etwas bejaht. Hier wäre dann das Ganze eine Eigenschaft des Ganzen. Und da die logische Operation vom Individuum vollzogen wird, würde sich der Operator auch noch auf sich selbst beziehen.

Ich sehe das als Problem. Wenn du das nicht so siehst, dann habe ich damit kein Problem. Ich bin da eher pragmatisch. Man kann ja mal beide Varianten durchspielen.




Tosa Inu
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Mo 30. Apr 2018, 12:49

Enno hat geschrieben :
Sa 28. Apr 2018, 22:22
Warum es weder Ich, noch Tasse geben soll habe ich nicht verstanden. Nur weil das Aussagen produzierende Individuum in der Lage ist, immer mehr Aussagen zur Tasse zu produzieren? Das ist doch der Tasse egal.
Wenn wir die Begriffe Tasse, Ich und Welt nehmen, dann ergibt sich, soweit ich das sehe folgendes Szenario.

Die Tasse ist irgendwann 'fertig' und somit im Wesentlichen mit sich selbst identisch.
Es können über sie Aussagen getätigt werden, aber die Tasse selbst kann keine Aussagen über sich tätigen.

Ein Ich ... tja, ist es fertig oder nie fertig und in welchem Sinne?
Einerseits kann man Aussagen über dieses Ich aus der Beobachterperspektive tätigen: Freunde, Nachbarn und Lebenspartner wären dazu in der Lage.
Das Ich kann aber zudem noch etwas und damit im Unterschied zur Tasse, über sich selbst aussagen.
Hierbei kann es beliebig ausgedehnt zu einem Meinungsstreit auf vielen Ebenen kommen. A sieht sich als netten Menschen an, mit dem man auskommen kann, das Umfeld sieht ihn als kalten Despoten. Das kommt vor.
Es gibt subtilere Feinheiten bei Paarkonflikten, etwa wenn es um die praktische Bedeutung des Begriffs "Liebe" geht.
Es gibt legendäre philosophische Implikationen, etwa wenn es darum geht, ob "meine Schmerzen" nun privat sind oder nicht und was das in der Konsequenz bedeutet und vor allem auch, was es nicht bedeutet.
In aller Regel gilt philosophisch (und psychologisch), dass dem Ich, dem Subjekt eine prima facie Berechtigung zukommt, was die Deutungen über sich selbst angeht. Das heißt, das Subjekt hat das erste Wort, aber nicht in allen Fällen das letzte, etwa, wenn Aussagen inkonsistent sind oder Gesagtes und Getanes sich widersprechen, es begründete Anzeichen dafür, dass jemand bewusst lügt oder unbewusst, nicht weiß, was er redet.
Hier entsteht eine Spannung.

Und Welt? Nun, kommt drauf an, was man darunter versteht. Sieht man Welt als ein Ganzes von reinen Zuständen in Raum und Zeit an, kann es sein, dass Welt (friert man die Zeit ein, indem man einen Zeitpunkt t(0) definiert) beschreibbar ist.
Aber hat Welt nicht auch, mindestes qua seiner intelligiblen Bewohner, eine Innenperspektive? Ist das was A von Welt oder etwas in ihr denkt nicht auch eine Tatsache? Und dann natürlich auch was B, C, D und alle anderen denken? Dieses Innen kann zum Außen werden, z.B. als (dann öffentliche) Aussage von A, über x.
Das ist ganz schön viel, könnte aber auch zur Summe aller Meinungen aller intelligiblen Bewohner, zum Zeitpunkt t(0) zusammengefasst werden. Also, theoretisch.

Das Listenargument und das Ich-Argument haben nun wahlweise einen Unterschied, oder auch nicht.
Das Ich-Argument sagt, jemand der über sich etwas ausagt, könne mit dem Gegenstand der Aussage nicht identisch sein, obwohl wir als Beobachter auch sagen können: Doch, da sagt nur einfach jemand was über sich aus.
Ob jedoch jemand über sich oder jemand über Welt (wahlweise mit Innen- oder Außenperspektive) etwas aussagt, ist kein prinzipieller Unterschied. Man fügt, wie beim Listenargument, der Liste noch etwas hinzu: Die letzte Aussage, die ich über mich tätige gehört zu mir noch dazu, damit ist die Beschreibung eigentlich unvollständig, müsste mit einer weiteren Aussage eingefangen werden, doch diese gehört nun auch wieder zum mir dazu usw. ad infinitum.
Die Beschreibung der Welt ist in analoger Weise unvollständig, da der kompletten Liste der Tatsache über die Welt, genau diese Liste fehlt. Es bräuchte eine weitere Liste ... ad infinitum.
Aber eine Beschreibung der Tasse erleidet dasselbe Schicksal. Alles was ich zur Tasse aufschreibe und aussage, gehört ja zu dieser Tasse dazu. Es ist wahr, dass über sie eine Liste angefertigt wird und wahr über sie, dass auf dieser Lister folgende Punkte stehen: ... Nur die Liste ist nicht auf der Liste. Dasselbe wie oben.

Wenn Du nun fragst, was dieser komische Mensch Dir sagen will: Ob Ich, Welt oder Tasse, für alle gelten die gleichen Bedingungen. Fertig man eine Liste über etwas an, gleich, ob das Objekt doof und tot oder intelligent und lebendig ist, so gehört diese Liste zum Objekt, egal ob es selbst auch etwas dazu zu sagen hat (Ich) oder der Tasse das vollkommen egal ist, wie Du sagst. Wenn aber überall dieselben Bedingungen gelten, hieße das in der Konsequenz, dass man über gar nichts reden kann, weil sich das Objekt der Betrachtung ständig und immer ändert, auch dann, wenn der Produktionsprozess abhgeschlossen ist, allein durch die Aussagen oder Beschreibungen über es.

Mit dieser wahrheits- und erkenntnispessimistischen Sicht wird man sich kaum anfreuden können.
Putnam stellt in Realität und Repräsentation die Frage, wann es eigentlich legitim ist, zu sagen, dass ich ein Objekt, was ich z.B. "Gold" nenne, angemessen begrifflich isoliert und spezifiziert habe. Was muss ich alles über Gold wissen, um die Berechtigung zu erwerben oder zu haben, ein kompetenter Sprecher zu sein und nicht jemand, der nicht weiß, wovon er redet. Das ist spannend und berührt auch unser Theama.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 29. Apr 2018, 09:00
(Tosa Inu hat weiter oben geschrieben:) Wenn Psychologen nach dem Ich fragen, sagen sie sowas wie: "Können Sie mir beschreiben, was Sie als Mensch auszeichnet und von anderen unterscheidet?"
"Ich bin Thomas Nagel"
Wobei der Satz: "Ich bin Thomas Nagel" in diesem psychologischen Szenario nun gerade nicht passt, das weiß der Therapeut und er will gerade wissen, was diesen Thomas Nagel auszeichnet und aus dessen Sicht von anderen Menschen unterscheidet. Das wäre also irgendwie die schlechteste Antwort in dieser Situation.
Wenn man Thomas Müller heißt (der häufigste deutsche Name) kann das auch praktisch recht relevant sein. Sonst steht man bei Bayern in der Startelf, obwohl man gar kein Fußballl spielt.



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Alethos
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Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 12:56
Wenn man Thomas Müller heißt (der häufigste deutsche Name) kann das auch praktisch recht relevant sein. Sonst steht man bei Bayern in der Startelf, obwohl man gar kein Fußballl spielt.
Das hat Thomas Gottschalk vor ca. 25 Jahren einmal erfahren müssen, als man ihm unterstellte, Scientologe zu sein. Er wurde mit Thomas Gottschalk verwechselt, meinem damaligen Grundschullehrer.

Das Ich ist auf eine gewisse, individuelle Weise objektiv, nämlich indem er dieser Mensch und einzigartig ist. Es ist nur dieses individuelle Ich fähig, sich selbst Ich zu nennen. 'Ich bin Ich' ist eine selbstevidente Wahrheit, die nur wahr werden kann durch den Grund des objektiven Selbstseins, mithin der konkreten Bezogenheit des Selbst auf sich selbst.
Eine Liste, die alle Tatsachen umfasst, als wäre sie von einem Selbst verfasst, das für alle anderen Selbste steht und mithin dieses mein (oder dein, sein oder ihr) objektives Selbstsein nicht einschliesst, muss unvollständig sein.

Nun kann man also keine abschliessende Auflistung liefern für die Tatsachen des Ichseins, ohne dabei dieses Ich zu sein. Eine Weltbeschreibung, die vollständig und objektiv sein will, muss auf diese objektive Subjektivität des erlebten Ichseins Rücksicht nehmen, aber indem sie es tut, gibt sie den Anspruch auf, eine Erklärung der Welt aus einem einzigen Grund zu sein. Denn obwohl Ich ein einziger bin und unersetzlich Ich bin, so gilt dies auch für alle anderen, die ein Selbst sind. Die Welt lässt sich allein schon wegen dieses Umstands unserer Subjektivitäten nicht anders als pluralistisch beschreiben.



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Jörn Budesheim
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Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 12:56
Das wäre also irgendwie die schlechteste Antwort in dieser Situation.
Ich hab mir die Antwort ungefähr so vorgestellt. "Ich bin Thomas Nagel!" Wobei im Tonfall mitklingen soll "Wissen Sie etwa nicht mit wem sie es zu tun haben? Ich bin Thomas Nagel, der weltberühmte Philosoph."




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Mo 30. Apr 2018, 15:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 13:42
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 12:56
Das wäre also irgendwie die schlechteste Antwort in dieser Situation.
Ich hab mir die Antwort ungefähr so vorgestellt. "Ich bin Thomas Nagel!" Wobei im Tonfall mitklingen soll "Wissen Sie etwa nicht mit wem sie es zu tun haben? Ich bin Thomas Nagel, der weltberühmte Philosoph."
Alles okay.
Für das von Dir vorgestellte Szenario, inden es ja darum ging, was es alles heißen kann TN zu sein, völlig ausreichend, für die Frage ob eine Identitätsdiffusion vorliegt, die man nämlich genau auf diese Weise klärt, nicht.



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Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 13:19
Das Ich ist auf eine gewisse, individuelle Weise objektiv, nämlich indem er dieser Mensch und einzigartig ist. Es ist nur dieses individuelle Ich fähig, sich selbst Ich zu nennen. 'Ich bin Ich' ist eine selbstevidente Wahrheit, die nur wahr werden kann durch den Grund des objektiven Selbstseins, mithin der konkreten Bezogenheit des Selbst auf sich selbst.
Da klingt dann wieder die Frage durch, ob es einen Überschuss des psychologischen Ichs über das was man aussagen kann, gibt. Ob man also mithilfe der Sprache das ausdrückt, was man ist oder ob man mit Hilfe der Sprache und der Beschreibung anderer überhaupt erst zu dem durchdringt oder sich als der erkennt, der man ist.
Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 13:19
Eine Liste, die alle Tatsachen umfasst, als wäre sie von einem Selbst verfasst, das für alle anderen Selbste steht und mithin dieses mein (oder dein, sein oder ihr) objektives Selbstsein nicht einschliesst, muss unvollständig sein.
Ich glaube das letzten Ende auch, schon aus dem Grunde weil der Grundstein des Ich präverbal ist und es darüber hinaus sein kann, dass es postverbale Erfahrungen gibt, wie z.B. bei spirituellen Erfahrungen.
Andererseits kann man aber auch argumentieren, dass alles was ich von mir bewusst erfassen kann, von mir auch ausgedrückt werden kann oder ich erfasse es eben nicht bewusst und kann dann auch nicht "Ich bin" dazu sagen.
Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 13:19
Nun kann man also keine abschliessende Auflistung liefern für die Tatsachen des Ichseins, ohne dabei dieses Ich zu sein. Eine Weltbeschreibung, die vollständig und objektiv sein will, muss auf diese objektive Subjektivität des erlebten Ichseins Rücksicht nehmen, aber indem sie es tut, gibt sie den Anspruch auf, eine Erklärung der Welt aus einem einzigen Grund zu sein. Denn obwohl Ich ein einziger bin und unersetzlich Ich bin, so gilt dies auch für alle anderen, die ein Selbst sind. Die Welt lässt sich allein schon wegen dieses Umstands unserer Subjektivitäten nicht anders als pluralistisch beschreiben.
Doch.
Wenn sich herausstellen sollte, dass all mein Empfinden mit objektiven Hirnzuständen korreliert, wäre das möglich.
Dann könnte man beschrieben, die Welt sei zum Zeitpunkt t(0) x, wenn wir x als Deskripition physikalischer Fakten ansähen.
Ferner könnte man (auch wenn das streng genommen ebenfalls biolgische = physikalische Fakten wären), sagen, dass A über x meint, dass ihn das sehr traurig macht. Das wäre ein Fakttum oder eine Tatsache über x (oder wahlweise innerhalb von x). B könnte meinen, dass x sie im höchsten beglückt und auch das wäre eine Tatsache über oder innerhalb von x.



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Mo 30. Apr 2018, 16:36

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 15:30
Identitätsdiffusion
Was kann und soll ich mir darunter vorstellen? :-)




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Mo 30. Apr 2018, 18:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 16:36
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 15:30
Identitätsdiffusion
Was kann und soll ich mir darunter vorstellen? :-)
Das ist hier erklärt.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Mo 30. Apr 2018, 19:54

Die wenigsten Identitätsaussagen, die wir tatsächlich machen, dürften die Form A=A haben. Identität heißt auch in der Alltagssprache, der-, die-, dasselbe. Und eine typische Identitätsaussage wäre: Die Frau in der roten Jacke ist dieselbe Frau, die ich gestern beim Metzger getroffen habe. "Identität wird im deutschen durch diejenigen Verwendungsweisen von "ist" ausgedrückt, die man bereit ist, zu "ist derselbe Gegenstand wie" zu erweitern." (W. V. Quine, Wort und Objekt, Seite 205)




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Di 1. Mai 2018, 05:27

Tommy hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 18:38
Eine korrekte Identitätsaussage wäre "ich bin Ich" (A=A). Oder auch Tommy ist Tommy.
Darauf habe ich mich bezogen. Das liest sich so, als würdest du meinen, dass bei einer "korrekten Identitätsaussage" links und rechts des Gleichzeitszeichens die gleichen Ausdrücke stehen müssten.




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Di 1. Mai 2018, 06:04

Enno hat geschrieben :
So 29. Apr 2018, 21:18
Ich sehe das so, dass das Individuum eine wahre Aussage über sich machen soll, nicht einfach über eine Eigenschaft, sondern über das Individuum in seiner Gesamtheit. Jetzt gibt es bei dieser Aussage einen Operator (die Affirmation) und einen Operanden (das Individuum). Üblicherweise wird mit dieser logischen Operation eine Eigenschaft von etwas bejaht. Hier wäre dann das Ganze eine Eigenschaft des Ganzen. Und da die logische Operation vom Individuum vollzogen wird, würde sich der Operator auch noch auf sich selbst beziehen.

Ich sehe das als Problem. Wenn du das nicht so siehst, dann habe ich damit kein Problem. Ich bin da eher pragmatisch. Man kann ja mal beide Varianten durchspielen.
Ich kämpfe noch damit :-) Auch weil ich Probleme mit deiner Terminologie habe. Du schreibst:

Jetzt gibt es bei dieser Aussage einen Operator (die Affirmation) und einen Operanden (das Individuum). Üblicherweise wird mit dieser logischen Operation eine Eigenschaft von etwas bejaht.

Ich versuche mal diesen Satz Schritt für Schritt zu rekonstruieren bzw nachzuvollziehen, dann kannst du ja erläutern, wo ich richtig und wo ich falsch liege:

"Diese Aussage" ist "ich = ich". Der "Operator" ist das "=". Der "Operand" ist das "ich". "Üblicherweise wird mit dieser logischen Operation eine Eigenschaft von etwas bejaht." Ein Beispiel dafür wäre: "Der Baum ist grün" In deiner Terminologie: Die Eigenschaft grün wird bejaht.

Falls das korrekt ist, ergibt sich hier das erste Problem für mich. Denn bei "ich = ich" geht es ja in der Regel um Identität, während bei "Der Baum ist grün" eine Eigenschaft zugesprochen wird. Mit anderen Worten: die beiden Operatoren "=" bedeuten etwas Verschiedenes.

Was bei "Ich bin Thomas Nagel" das "ist" bedeutet, ist noch nicht ganz geklärt. Nagel deutet selbst an, dass er nicht von einer Identität spricht: "So besehen kann dann wirklich der Schein aufkommen, als behaupte das Urteil »Ich bin TN«, wenn es denn wahr ist, erst gar keine Identität mehr, sondern mache vielmehr eine prädikative Aussage. Wem dieser Gedanke nicht schon selber einmal in den Sinn gekommen ist, dem wird er wohl unweigerlich obskur dünken ..." (Thomas Nagel)

"Hier wäre dann das Ganze eine Eigenschaft des Ganzen."

Falls mein Verständnis deiner Terminologie korrekt ist, dann würde ich hier das Gleiche noch Mal einwenden. Bei "ich = ich" haben wir es nicht mit der selben Form zu tun wie bei "Der Baum ist grün". Dem "Ich" wird keine Eigenschaft zugesprochen, es sättigt nicht das Prädikat "_ist ich", es liegt keine Prädikation vor.

Das wäre ein erster Vorschlag :-)




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Di 1. Mai 2018, 06:40

Thomas Nagel hat geschrieben : In dieser Welt ohne Zentrum ist jedermann enthalten, und zwar kommt in ihr nicht bloß der Körper einer jeden Person vor, sondern auch ihre jeweilige Psyche. [Hervorhebung von mir]
Das ist aus dem Startbeitrag des Threads. Ich verstehe diese Passage so, dass in der vollständigen Weltbeschreibung, die wir uns denken sollen, die Psyche Nagels auch enthalten ist. Das nur zur Erinnerung.




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Di 1. Mai 2018, 08:08

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 15:30
die Frage ob eine Identitätsdiffusion vorliegt
Google-Suchergebnisse hat geschrieben : Identitätsdiffusion beschreibt das Problem der Zersplitterung der eigenen Ich-Identität (Selbstbild). Sie beruht auf den Zweifeln der eigenen zum Beispiel ethnischen, sozialen oder geschlechtlichen Identität, entstanden durch Unsicherheiten im eigenen Handeln und Entscheidungen beziehungsweise Orientierungslosigkeit.
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Apr 2018, 10:49
Tommy hat geschrieben :
Sa 28. Apr 2018, 01:37
1.4
Der wichtigste analytische Fehler liegt jedoch ganz einfach darin, daß - auch wenn Nagel verschiedentlich andeutet, es ginge ihm nicht darum, ein nicht-physisches Individuum einzuführen - in der „philosophischen“ Lesart der TN-Sätze „Ich“ stillschweigend immer wie ein Designator eingesetzt wird. Für das fragliche Einzelding werden jedoch niemals Identitätskriterien angeboten. Unter Nagels Kritikern ist es wieder Norman Malcolm, der diesen Punkt besonders deutlich macht (Vgl. Malcolm 1988, 154 & 159).

"Ergibt das irgendeinen Sinn?" Es würde [einen Sinn ergeben], wenn es Kriterien der Identität für ein "Ich" [Hervorhebung TM] gäbe.... Wenn wir über die Identität einer Person unsicher sind, gelingt es uns manchmal, ihre Identität zu bestimmen, manchmal machen wir Fehler. Aber in Bezug auf die Identität eines Ichs, das angeblich den Standpunkt einer Person einnimmt, könnten wir weder richtig noch falsch liegen. Nach einer schweren Amnesie kann Nagel sich vielleicht als TN identifizieren - aber nicht als ich. `Ich bin TN' könnte eine Entdeckung verkünden - aber nicht `Ich bin ich'.
Eine wichtige Quelle der Verwirrung in Nagels Denken ist seine Annahme, dass das Wort "Ich" von jedem Redner verwendet wird, um sich auf etwas zu beziehen, etwas zu bezeichnen. Aber so wird 'Ich' nicht verwendet. Wenn es so wäre, dann wäre "Ich bin ich" vielleicht falsch, weil "Ich" in diesen beiden Fällen benutzt würde, um auf verschiedene Dinge zu verweisen. Nagels Aussage "Ich bin TN" könnte auch falsch sein, nicht weil der Sprecher nicht TN wäre, sondern weil Nagel irrtümlich "Ich" benutzt hätte, um auf das Falsche zu verweisen. Hätte Nagel nicht angenommen, dass'Ich' wie ein Name benutzt wird, um etwas zu bezeichnen, hätte er nicht die Vorstellung gehabt, dass in jeder Person ein Ich oder Selbst oder Subjekt wohnt - das diese Person als Blickpunkt benutzt."
(Vgl. Malcolm 1988, 159f)

http://www.philosophie.uni-mainz.de/met ... 1995y.html
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum die Ich- oder Selbstbildung Philosophen so verwirrt.
Als müsse man sich entscheiden, ob das Ich sich nun in angeblicher Benennung eines metaphysischen Ichkerns selbst aus der Taufe gehoben hat oder ob ihm dieses Ichsein plus Zutaten, wie man denn nun individuell ist nun gänzlich durch öffentliche Sprache plus sozialer Zuschreibungen zufällt.
Es ist doch erkennbar beides richtig, so dass, wenn man ein Ich besitzt und mit Fremdzuschreibungen konfrontiert ist, beide Prozesse parallel laufen, wie sie es bei uns allen immer tun. Man prüft die Aussage des anderen, dass man x sei im Rahmen seines eigenen Empfindens, was wiederum aus früheren Fremdzuschreibungen gewonnen wurde, die man aber auch in ihrem Insgesamt kritisch, reflexiv und idealerweise selbstreflexiv einordnen kann.

Dass es hier momentane Meinungsverschiedenheiten, Borniertheiten oder grundsätzlichere pathologische Verzerrungen gibt, die von der Ich-Schwäche oder Identitätsdiffusion bis zum Ichverlust/zur Ichinflation gehen, ist wohl wahr, aber nicht ohne Grund haben wir für den Normalfall dem Ich die prima facie Berechtigung zur Aussage über sein Selbstempfinden zugeschrieben, eine konsistente Linie, die Philosophie und Psychologie verbindet.
Ich hab diese Gesprächslinie mal etwas verfolgt. Und wenn ich Recht sehe, taucht der Begriff der Identitätsdiffusion hier bereits auf, ich weiß nicht, ob zum ersten Mal.

Die Kritik von Malcolm lautet (grob gesagt) dass Nagel das Wort "ich" irgendwie falsch verwendet, so als würde es irgend ein Ding bezeichnen. Ich kriege nun den Zusammenhang nicht hin: Wie hängt deine Antwort mit dem Problem Nagels und der Antwort Malcolms zusammen? Wie kommt der Begriff "Identitätsdiffusion" überhaupt ins Spiel und welche Rolle spielt er für die philosophische, metaphysischen Frage, die Nagel umtreibt.




Tosa Inu
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 1. Mai 2018, 08:08
Die Kritik von Malcolm lautet (grob gesagt) dass Nagel das Wort "ich" irgendwie falsch verwendet, so als würde es irgend ein Ding bezeichnen. Ich kriege nun den Zusammenhang nicht hin: Wie hängt deine Antwort mit dem Problem Nagels und der Antwort Malcolms zusammen?
Die Antwort ist, dass das Wort "ich" tatsächlich irgendein Ding bezeichnet.
In dem Sinne, wie Quine das meint, den Du hierzu zitiertest.



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