"Das objektive Selbst", Thomas Nagel

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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Di 1. Mai 2018, 10:16

Jörn Budesheim Quine zitierend hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 19:54
"Identität wird im deutschen durch diejenigen Verwendungsweisen von "ist" ausgedrückt, die man bereit ist, zu "ist derselbe Gegenstand wie" zu erweitern." (W. V. Quine, Wort und Objekt, Seite 205)
Tosa Inu hat geschrieben :
Di 1. Mai 2018, 09:51
Die Antwort ist, dass das Wort "ich" tatsächlich irgendein Ding bezeichnet.
In dem Sinne, wie Quine das meint, den Du hierzu zitiertest.
hmmm ... Versteh' ich nicht. :-( könntest und das etwas ausführen? Insbesondere kriege ich noch nicht die "Identitäts-Diffussion" unter.




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Di 1. Mai 2018, 10:32

Quine hat geschrieben :
Mo 30. Apr 2018, 19:54
"Identität wird im deutschen durch diejenigen Verwendungsweisen von "ist" ausgedrückt, die man bereit ist, zu "ist derselbe Gegenstand wie" zu erweitern." (W. V. Quine, Wort und Objekt, Seite 205)
Tommy hat geschrieben :
Di 1. Mai 2018, 09:39
ich kann zwar auch A=B sagen. Aber das ist dann keine Identitätsaussage sondern eine Zuordnung
Warum? Wenn es eine Identitätsaussage ist, dann muss man das "=" durch "ist derselbe Gegenstand wie" ersetzen. Wobei mit Gegenstand nicht Ding gemeint ist, sondern alles, worüber man Aussagen machen kann. Also ersetzt man so:

A ist derselbe Gegenstand wie B.
Die Scheune hinter dem Hausnummer 21 auf der Ulmenstraße ist dieselbe Scheune hinter dem Hausnummer 16 auf der Hauptstraße. (Das Beispiel bringt Quine selbst)

Es geht schließlich nicht darum, dass links und rechts das selbe Zeichen steht, sondern, dass sich die Zeichen auf den selben Gegenstand beziehen.




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Di 1. Mai 2018, 10:42

Alles klar.




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Di 1. Mai 2018, 10:53

Ich habe meine Auffassung dargelegt. Du hast eine andere Auffassung. Eine weitere Erörterung ist meines Erachtens nicht erfolgversprechend. "Alles klar" heißt einfach, ich nehme deine Ansicht zur Kenntnis.




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Di 1. Mai 2018, 11:04

Meines Erachtens ist Quines Zitat streng logisch.




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Di 1. Mai 2018, 14:42

Wir hatten vor kurzem einen Thread zum Thema Zeit. Dort haben wir uns (vielleicht) mit einem analogen Problem herum geschlagen, was ist mit der Gegenwart? In der objektiven Zeit kommt sie nicht vor, so wenig wie ein Hier auf einer Landkarte erscheint. Sage ich jetzt "jetzt", dann kann ich das auch in ein objektives Datum übersetzen: 14.00 Uhr, 01.Mai 2018. Aber diese beiden Terme haben nach meinem Gefühl nicht den selben Gehalt. Nagel bringt das in einer Fußnote von "das objektive Selbst" zum Ausdruck. Zum Verständnis: am Ende des Aufsatzes bespricht Nagel drei Einwände gegen sein Konzept. Eines davon nennt er die "semantischer Diagnose". Darauf beziehen sich die ersten Worte des Zitats:

Ein Anzeichen dafür, daß an dem Argument [der semantischer Diagnose] etwas nicht stimmen kann, sollte bereits sein, daß die entsprechende semantische Argumentation im Falle von ›jetzt‹ jemandes Problem nicht erledigen könnte, um was für eine Art Tatsache es sich denn dabei handelt, daß ein Zeitpunkt der gegenwärtige ist. Die Wahrheitsbedingungen von Sätzen mit Tempusbestimmungen lassen sich gleichermaßen mit den Mitteln tempusloser Formen angeben, was jedoch das Gefühl nicht zum Verschwinden bringt, daß eine tempuslose Beschreibung der Geschichte der Welt (einschließlich einer Beschreibung der temporalen Aussagen von Menschen und ihrer Wahrheitswerte) prinzipiell unvollständig ist, da sie uns gar nicht erst zu sagen vermag, welcher dieser Zeiträume denn nun faktisch der jetzige ist. Auf ähnliche Weise erlaubt es uns der Umstand, daß wir für Aussagen in der ersten Person impersonale Wahrheitsbedingungen angeben können, noch lange nicht, solche Aussagen ohne Verwendung der ersten Person auch zu machen. Es stellt sich damit die Kardinalfrage, ob die Elimination dieses eigentümlichen Gedankens der ersten Person zugunsten seiner impersonalen Wahrheitsbedingungen in unserer Weltbeschreibung nicht doch eine wesentliche Lücke hinterläßt. Und ich bin der Meinung, daß sie auf jeden Fall etwas ausläßt.

Dann könnte man sich den Satz "Ich bin Thomas Nagel" vielleicht in Analogie zu der Zeitproblematik ausmalen. "Ich" entspräche dann "Jetzt" und "Thomas Nagel" entspräche den objektiven Daten über ihn. So wie "Jetzt ist es 14.00 Uhr, 01.Mai 2018" natürlich auch ganz triviale Gebräuche mit den entsprechenden Wahrheitsbedingungen haben kann, kann natürlich auch der Satz "Ich bin Thomas Nagel" völlig unproblematischer Natur sein (siehe einige der Beispiele, die ich weiter oben ausprobiert habe). Aber in einer entsprechenden philosophischen Betrachtung ergeben sich eben ganz andere Aspekte, die der semantischen Diagnose durch die Lappen gehen.

Insbesondere ist die Analogie (soweit sie trägt) geeignet alle religiösen oder quasi-religiösen Aspekte von "Ich" vom Tisch zu nehmen.




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Di 1. Mai 2018, 22:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 1. Mai 2018, 10:16
hmmm ... Versteh' ich nicht. :-( könntest und das etwas ausführen? Insbesondere kriege ich noch nicht die "Identitäts-Diffussion" unter.
[OT]Also, der gute Wille war da, der mittellange Text tatsächlich nicht nur fertig, sondern sogar schon eingestellt in dem graunen Kasten, in dem ich jetzt schreibe, ich hatte ihn sogar vorgeschrieben, was die Quote meiner Flüchtigkeitsfehler um 50% minimiert, als mit einem leisen "piupp" der Bildschirm schwarz wurde. Den Grund kenn ich, der Akku ist platt, d.h. der Compi warnt mich nicht mehr vor - gelegentlich doch, oft nicht - dass ich noch 11% Ladung habe und er nun mal wacker die Nabelschnur will, sondern "piupp". Ein Moment in dem man je nach Stimmung weinen oder den Stuhl aus dem Fenster werfen möchte, dem geschlossenen versteht sich, da dies jedoch nicht das erste Mal war und ich mir jedes Mal schwöre besser auch der Akkustand zu achten, dachte ich nur still "Scheiße" und setzte meine Resthoffnung auf den internen Speicher, nicht ganz ohne Grund, da ich ja im Schreibprogramm brav vorgeschrieben hatte und parallel dazu auch noch an einem anderen Text schrieb, den ich bearbeitete. Der Moment, wenn der Computer dann von neuem hochfährt hat inzwischen seinen eigenen Kitzel für mich, na, isser noch da der Text, wie viel fehlt und so.
Nun, die Arbeiten der letzten gut halben Stunde am anderen Text (allerlei Lästigkeiten, wie Formatierungen und so, was man sowieso nicht gerne macht, wenn man keine Beamtenseele hat) waren für die Katz, mein schöner mittellanger Text war komplett im Orkus. Ja nu, das lässt mich dann immer in ein Frustloch fallen, weil ich nichts so sinnlos finde, wie einen eben geschriebenen Text möglichst wortgleich noch mal zu schreiben, aber die Antwort kommt noch.
Aus dem Programm hier kann man das vermutlich nicht mehr rekonstruieren, oder? Okay, ich ahne die Antwort.

Das wollte ich nur mal so sagen oder schreiben, kann dann auch demnächst gerne mal verschoben, gelöscht oder in der Pfanne gebraten werden.
[/OT]



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Enno
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Di 1. Mai 2018, 23:13

Ich hatte schon befürchtet, dass irgendwann das Thema Zeit ins Spiel kommt. ;)

Wenn man das Individuum als einen Aussagen produzierenden Prozess betrachtet, dann ist die Folge der erzeugten Aussagen eine zeitliche.

Die komplette Weltbeschreibung besteht aber nur aus Aussagen (ohne produzierenden Prozess). In dieser Welt der Aussagen spielt Zeit keine Rolle. Das kann man sich wie einen Mechanismus vorstellen. Man ihn gedanklich schnell, langsam, vorwärts, rückwärts, gar nicht ablaufen lassen. Das ändert nichts. Kein Neues.

Auch hier wieder das Problem, das Aussagen produzierende Individuum in eine Welt zu integrieren, die nur aus Aussagen besteht.




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Jörn Budesheim
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Do 3. Mai 2018, 06:34

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 1. Mai 2018, 22:28
[OT]Akku ist platt[/OT]
[Offtopic-Antwort] Mein natürlicher Feind ist übrigens nicht der Akku, sondern die AutoKorrektur :-) sie ist irgendwie nicht in Hinsicht auf philosophischen Unterhaltungen programmiert. So sehr sie oft auch hilft, manchmal produziert sie auch ziemlichen Nonsens. Turing-Tests könnte sie jedenfalls nicht bestehen :-) [/Offtopic-Antwort]




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Jörn Budesheim
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Do 3. Mai 2018, 09:04

TN, in "Das objektive Selbst" hat geschrieben : Denken Sie sich eine vollständige Weltbeschreibung, und zwar eine solche, die aus keiner... besonderen Perspektive [z.B. meiner] formuliert wäre - eine Weltbeschreibung, in der mithin bereits alle in dieser Welt vorkommenden Menschen verzeichnet wären, wovon einer Thomas Nagel ist. Zum einen schiene in einer solchen Weltbeschreibung gleichwohl eines noch gar nicht angegeben zu sein, nämlich: welches dieser Individuen ich selbst bin.
Tommy hat geschrieben :
Do 19. Apr 2018, 15:21
In dem vorliegendem Textauszug aus THOMAS NAGELs "Das objektive Selbst" beschreibt NAGEL zunächst die Welt aus einer objektiven Sicht.
Alethos hat geschrieben :
Sa 21. Apr 2018, 15:07
Mich würde zunächst interessieren, was mit 'objektivem Selbst' gemeint ist.
Ja, was heißt das eigentlich: "Das objektive Selbst"?

Zunächst war mein Eindruck, dass es dabei vielleicht darum geht, dass es hier etwas objektives, tatsächliches gibt, was dem Naturalismus notwendig entgehen muss, eben das "Ich" oder das "Selbst". Ich glaube aber mittlerweile, dass etwas anderes gemeint ist. In dem ersten Zitat Nagels heißt es: "Denken Sie sich eine vollständige Weltbeschreibung, und zwar eine solche, die aus keiner... besonderen Perspektive [z.B. meiner] formuliert wäre ..." [Hervorhebung von mir] Wir alle hier sind dergleichen gewohnt. Man denke zum Beispiel an den Thread über den Urknall. Niemand von uns geht ja davon aus, dass er beim Urknall dabei war und sich das Spektakel von außen angeschaut hat. Wir können solche Gedanken, wie Nagel sie "fordert" dennoch nachvollziehen.

Allerdings ist das gar nicht so selbstverständlich. Ich bin schließlich im alltäglichen Erleben das "Zentrum meiner eigenen subjektiven Welt". Und manch einer meint, da kommt man nicht raus, wir seien im Grunde zum Solipsismus verpflichtet oder ewige Konstruktivisten. Aber Nagel ist kein Solipsist, sondern ein Realist. Falls die Theorie vom Urknall das letzte Wort ist, falls die Theorie also wahr ist, dann gab es einen Urknall, denn das wäre die Tatsache, die der Theorie entspricht. Nichts desto trotz muss jeder von uns diese Gedanken (vom Urknall und ähnlichem) ja vollziehen. Das heißt, man muss diesen "Blick von nirgendwo" einnehmen. Das wiederum heißt wir müssen von der Einstellung, in der wir das Zentrum der eigenen Welt sind, "wechseln" zu Auffassung von einer zentrumslosen Welt. Das Selbst, das danach strebt, die Wirklichkeit so zu "sehen", nennt Nagel das "objektive" Selbst. "Ich bin immer einerseits der logische Brennpunkt einer objektiven Auffassung der Welt, und andererseits ein besonderes Wesen in dieser Welt, das in ihr keinerlei Schlüsselstellung innehat." (Thomas Nagel, Der Blick von Nirgendwo, Seite 113)

Wir können natürlich nie vollkommen der subjektiven Färbung des eigenen Blicks entgehen, dennoch scheint dieses "objektive Selbst" etwas durchaus Reales zu sein. Wir erstellen ja "Weltberichte" von Nirgendwo. Und wenn wir auf der Suche nach Aliens sind, dann schicken wir Voyager ins All mit Botschaften, von denen wir glauben, dass auch diese Außerirdischen sie lesen können, weil sie dieses "objektive Selbst" ebenso einnehmen können.

Wenn das "objektive Selbst" den Blick von Nirgendwo inne hat, dann sieht es sich jedoch einer seltsamen Situation gegenüber gestellt: "Wie kann ich, der das ganze azentrische Universum denkt, etwas so Besonderes sein, wie dies da:" Ich. "Thomas Nagel" hingegen ist für dieses "Objektive Selbst" kein Problem, denn TN ist ein Datum der vollständigen Weltbeschreibung, die wir uns zu Beginn des Textes vorstellen sollen. Und der Satz "Ich bin Thomas Nagel" spiegelt diese Spannung wieder. Das "Ich" ist das uns allen wohlvertraute "ich" aus dem heraus jeder von uns denkt, handelt, spricht ... das auch dann ganz real ist, wenn wir nicht aufschlüsseln können, was es "eigentlich" ist. Und "Thomas Nagel" ist das, was sich dem Blick von Nirgendwo präsentiert. (Die Metapher ist deshalb so gut, weil sie das Paradoxe dieser Situation auf den Punkt bringt.)

Das passt - soweit ich es richtig deute - sehr gut zu den verschiedenen Zeitbegriffen, über die ich weiter oben schon etwas geschrieben habe. Aus der Perspektive der Ewigkeit (die im Grunde gar keine Perspektive ist) gibt es zwar Zeitabläufe bei denen ein Zeitpunkt der frühere und eine Zeitpunkt der spätere ist, aber es gibt keine "Jetzte". Diese ergeben sich immer nur aus der Perspektive der ersten Person.

(Etwas wirr geschrieben, gebe ich zu - und natürlich auch ohne Gewähr)




Tosa Inu
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Do 3. Mai 2018, 14:41

Ich versuch‘s noch mal:
Nagel fragt, ob es ein objektives Selbst geben kann und etwas komisch, wenn auch statthaft, im weiteren, ob ich noch ich bin, wenn ich über mich selbst etwas aussage.
Weil zum Ich ja dann die Aussage von mir über mich dazu kommt, analog zu Welt und Tasse. Das habe ich davor umfassender erläutert, das Problem war, dass man dann über nichts mehr reden kann. Alles entzieht sich, sogar eine Tasse.

Quine sagt, dass man gewöhnlich mit Identität im Deutschen meint, dass man etwa als denselben „Gegenstand“ wiedererkennt.

Das Ich oder objektive Selbst ist so ein Gegenstand. Wer kann kompetent darüber berichten? Das Subjekt, um das es geht. Das schließt sich zwar beim ersten Hinhören aus, denn das Subjekt ist ja vermeintlich subjektiv, nicht objektiv, aber die Philosophie hat dem durchaus Rechnung getragen, in der prima facie Berechtigung, die es dem Subjekt zuspricht, wenn es um sich selbst und sein inneres Sosein geht, zum Beispiel, wie es ist, Thomas Nagel zu sein.
Dass es dazu eine öffentliche Sprache benötigt, ist kein Wiederspruch. Dass ich mich durch Begriffe besser selbst erkennen kann, bedeutet nicht, dass ich die Deutungskoheit über das dann (von mir) Erkannte verliere.
Dass jemand nicht alles von sich weiß, heißt nicht, dass er nicht sehr viel von sich wissen kann. Und wer könnte mehr wissen? Wenn Objektivität ein Gemeinschaftsleistung ist, hat das Subjekt erst einmal die stärkste Stimme, trotz Unbewusstem und blinden Flecken.

Doch eine Berechtigung kann auch aberkannt werden, wenn sehr gute Gründe dafür vorliegen. Ein Identitätsdiffusion bedeutet philosophisch, dass jemand seine prima facie Berechtigung in Teilen verspielt hat und wesentliche eigene Motive seines Handels und seiner Weltsicht nicht kennt. Das „Ich bin so und so“ weicht dann zu deutlich von der Beschreibung anderer ab, lässt innere Konsistenz und Empathie (im Sinne der Fähigkeit andere konsistent zu erfassen) vermissen, die objektive Richtigkeit erscheint begründet als angeschlagen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Do 3. Mai 2018, 15:20

Hallo @'Tosa Inu', @'Tommy' Danke für eure Einschätzung/Erläuterung, ich werde es aber vermutlich nicht schaffen, gleich heute darauf einzugehen :-)




Enno
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Do 3. Mai 2018, 21:56

Hier die Definition des "Selbst" von Rudolf Kaehr. 8-)

Die Simultaneität von volitiven und kognitiven Akten läßt sich als das Selbst eines selbstorganisierenden Systems im Sinne eines lebenden Systems verstehen. Das Selbst ist nicht positiv bestimmbar, weil es weder dem volitiven noch dem kognitiven System zu zuordnen ist. Das Selbst ist der Mechanismus des Zusammenspiels von Kognition und Volition selbst. Dieser
Mechanismus ist selbst nicht wieder ein kognitiver oder volitiver Operator und daselbst auch nicht der Träger von beiden. Daher gibt es keinen Referenten, der als das „Selbst“ designierbar wäre. Damit gibt es aber auch keine Wahrheit des Selbst, wenn Wahrheit Unverborgenheit, aletheia, heißt.

(Rudolf Kaehr, VOM SELBST IN DER SELBSTORGANISATION - Reflexionen zu den
Problemen der Konzeptionalisierung und Formalisierung selbstbezüglicher Strukturbildungen)




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Jörn Budesheim
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Fr 4. Mai 2018, 07:59

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 3. Mai 2018, 14:41
Nagel fragt, ob es ein objektives Selbst geben kann und etwas komisch, wenn auch statthaft, im weiteren, ob ich noch ich bin, wenn ich über mich selbst etwas aussage.
Ich verstehe den Text anders. Nagel fragt nicht, ob es ein objektives Selbst gehen kann. Er geht im Gegenteil davon aus, dass es eins gibt. Das steht nach meinem Verständnis gar nicht in Frage. Was er unter dem "objektiven Selbst" versteht, habe ich in Beitrag Nummer 18769 zu skizzieren versucht. Das ist mein bisheriger Zwischenstand :-) ob er mit Nagels Verständnis übereinstimmt, weiß ich nicht sicher - ein paar Unklarheiten gibt es für mich da noch. Aber die grobe Richtung dürfte (so hoffe ich) stimmen.

Dazu zwei Zitate, die meine Sichtweise stützen:

Jim Holt (in "Gibt es alles oder nichts") fasst den fraglichen Punkt aus seiner Sicht so zusammen: "Obwohl ich mich im Zentrum meiner subjektiven Welt befinde, glaube ich, dass es eine objektive Welt gibt, eine Welt, die völlig unabhängig von mir existiert, eine ungeheure Weite des Raums und der Zeit, von der ich nur einen relativ winzigen Ausschnitt kenne. Diese objektive Welt war vorhanden, bevor ich geboren wurde, und sie wird auch noch vorhanden sein, wenn ich gestorben bin. Außerdem glaube ich, dass die objektive Welt keinen Mittelpunkt hat. Sie hat keine eingebaute Perspektive – wie es der Fall wäre, wenn sie zum Beispiel im Geist Gottes existierte. Und so muss ich auch versuchen, die Welt zu verstehen – ohne Mittelpunkt. Thomas Nagel hat für diesen mittelpunktlosen Blick auf die Wirklichkeit die einprägsame Bezeichnung «der Blick von nirgendwo» gefunden. Das Selbst, das danach strebt, die Wirklichkeit so zu sehen, nennt er das [... "objektive Selbst"]. Das objektive Selbst unterscheidet Nagel in seinem Entwurf von einer bestimmten Person. Dieses Selbst verwendet die Erfahrungen dieser bestimmten Person als eine Art Fenster zur Welt, indem es mit diesen Erfahrungen ein perspektivloses Wirklichkeitsverständnis konstruiert. [...]

Daraus ergibt sich eine gewisse Spannung, die Nagel so zum Ausdruck bringt: "Ich bin immer einerseits der logische Brennpunkt einer objektiven Auffassung der Welt, und andererseits ein besonderes Wesen in dieser Welt, das in ihr keinerlei Schlüsselstellung innehat." (Thomas Nagel, Der Blick von Nirgendwo, Seite 113)




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Fr 4. Mai 2018, 08:08

Quine hat geschrieben : "Identität wird im deutschen durch diejenigen Verwendungsweisen von "ist" ausgedrückt, die man bereit ist, zu "ist derselbe Gegenstand wie" zu erweitern." (W. V. Quine, Wort und Objekt, Seite 205)
Tosa Inu hat geschrieben :
Do 3. Mai 2018, 14:41
Quine sagt, dass man gewöhnlich mit Identität im Deutschen meint, dass man etwa als denselben „Gegenstand“ wiedererkennt.
Hmmm ... das wäre dann eine "epistemische" Umdeutung dessen was Quine schreibt, scheint mir. Oder?

Ich glaube aber nicht, dass Quine es epistemisch meint. Er will nicht sagen, dass identisch das ist, was man als denselben Gegenstand wiedererkennt. Die Scheune hinter dem Hausnummer 21 auf der Ulmenstraße ist wirklich dieselbe Scheune hinter dem Hausnummer 16 auf der Hauptstraße, auch dann, wenn ich das nicht weiß oder erkenne. Der Kommentar zu dem "ist" ist keine epistemische Einschränkung, sondern ein Hinweis auf die Bedeutung des "ist" an der fraglichen Stelle, denn das verdammte "ist" hat ja eine Reihe von Bedeutungen :-) In "Die Wiese ist grün" ist man schließlich nicht wirklich bereit "ist" zu "ist derselbe Gegenstand wie" zu erweitern."




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Fr 4. Mai 2018, 08:16

Tommy hat geschrieben :
Do 3. Mai 2018, 13:05
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 3. Mai 2018, 09:04
(Etwas wirr geschrieben, gebe ich zu - und natürlich auch ohne Gewähr)
:-) Ich hätte es anders formuliert (Das objektive Selbst ist kein Selbst, sondern ein Standpunkt oder Blickpunkt den das Selbst einnimmt, nämlich den objektiven), aber wenn Du das meinst, was ich in Klammern meine, dann meinst Du mMn richtig.
Und das Problem das Nagel zu sehen meint ist nun, dass von diesem Standpunkt aus, den das objektive Selbst einimmt, aber etwas fehlt, nämlich "Ich bin TN". Das ist nämlich, obwohl eine Aussage über die Welt, nicht allein über das "objektive Selbst" erklärbar.
Ungefähr so. (ist wirklich schwer in eigenen Worten kurz und knapp zu erklären)
Der Beitrag hinterlässt mich leider etwas ratlos :-) Mir ist nämlich nicht ganz klar, was du an meinem Erläuterungsversuch monierst und wie du das begründest bzw. worauf du dich textlich beziehst.

Hier ein kurzes Zitat von Nagel selbst aus dem Aufsatz, vielleicht ist es eine gute Ergänzung: [Jenes Selbst, das die objektive Realität erfaßt, werde ich das ›objektive Selbst‹ bezeichnen] "Das objektive Selbst schaut die Welt durch die Person TN an. Meines Erachtens haben wir hier das in Wahrheit korrekte Bild vor uns, und mein Urteil, daß ich TN bin, bringt in seiner philosophischen Form nichts anderes zum Ausdruck als ebendieses Bild."(Thomas Nagel)




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@ Jörn

Ja, ich stimme dem zu, was Du schreibst, ist auch meine Auffassung.
Mein, dann doch kurz gewordener Text hatte gedanklich zum Inhalt, zu erklären, was das mit der Identitätsdissusion soll, darum hattest Du gebeten.
Bei Nagel, hatte ich eher Ennos Interpretation von ihm im Hinterkopf, die Frage eben, ob ein über sich sprechendes Selbst noch mit sich identisch sein kann.
Quines Antwort ist ja, zu ihm sehe ich da keine große Differenz, ich hatte mir seinen Satz bei der Umformulierung extra noch mal durchgelesen.

Ansonsten finde ich, dass die Antwort auch die Frage, nach dem objektiven Selbst möglich und einfach ist.
Mit Nagel, finde ich, dass es den 'Blick von nirgendwo', eine, in der Tat starke Formulierung, nicht gibt
Und das, mit Jim Holt, weil wir immer nur als Subjekte unterwegs sind. Ich bin ja selbst Psychologist, der darunter versteht, dass wir Welt stets nur als Subjekt oder eben Psyche wahrnehmen können. Wir sind Psyche. Nur, sehe ich das nicht solipisistisch oder pessimistisch, in dem Sinne dass wir nie zum anderen vordringen und wir sozusagen, immer allein in uns eingesperrt wären. Der Solipsist leugnet (oder bezweifelt) außerdem noch die Existenz von allem anderen, Luhmann würde das nicht tun, sieht aber nicht mehr als eine sich immer abkapselnde Irritierbarkeit der Systeme, keinen echten Austausch.

Den sehe ich sehr wohl, wenn auch immer rekonstruiert, über das eigene Ich. Dass es dazu öffentliche Sprachspiele nutzt, ist kein Widerspruch.
Die philosophschen Fehler die hier passieren können, wenn das Ich zu eng ist, korrepondieren bildschön mit typischen psychischen Pathologien.
Die Bitte nach Selbstbeschreibung und der Beschreibung wichtiger anderer, klärt uns über die Größe des Ich auf.

Dass wir im Zentrum der Welt stehen, nämlich jener, die wir uns als Psyche deutend erschließen und gleichzeigtig einer von vielen sind, sehe ich auch als sich durchziehendes Faktum an, aus dem eine Spannung und Pathologien sich nähren. Der Narzisst sieht sich gerne als Zentrum an, hat aber Probleme den anderen Aspekt zu erfassen. Bei Paranoia oder Depression ist man bereit sich als kleinstes Rädchen zu sehen, leugnet aber die eigene Bedeutung als Zentrum.

Alle Blicke von nirgendwo wird implizit ebenfalls von der Praxis der Psychologie kritisiert, mit einem der stärksten Argumente überhaupt, gegen jene Objektivierer, die meinen, Objektivierung müsse als Gegensatz und unter Verzicht auf die Subjektsicht verstanden werden.
Auf deutsch: Wenn jemand meint, ein Selbst könne es logisch nicht geben, oder man habe im fMRT keines gefunden oder es sei eben konstruktivistisch ungreifbar, dann bleibt doch die Frage, wieso der komplette Ich-Verlust, den wir Psychose nennen so ernst genommen wird, dass wir Menschen mitunter deshalb einsperren, ihnen schwerste Medikamente geben und die als psyhiatrischen Notfall deuten.
Wir machen ein riesiges Getöse darum, müsste jedoch, wenn die Sicht der Nirgendwoer gilt, sagen, dass derjenige nur erkannt hätte, wie es wirklich ist: Es gibt kein Ich oder Selbst. Schärfer kann ein Widerspruch (sogar in ein und derseleen Disziplin, denn Neurologie und Pscyhiatrie sind engstens verwandt) kaum sein.



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Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 09:12
Mit Nagel, finde ich, dass es den 'Blick von nirgendwo', eine, in der Tat starke Formulierung, nicht gibt
Und das, mit Jim Holt, weil wir immer nur als Subjekte unterwegs sind.
Das verwirrt mich. Wo findest du das bei Nagel und Holt?




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 09:26
Tosa Inu hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 09:12
Mit Nagel, finde ich, dass es den 'Blick von nirgendwo', eine, in der Tat starke Formulierung, nicht gibt
Und das, mit Jim Holt, weil wir immer nur als Subjekte unterwegs sind.
Das verwirrt mich. Wo findest du das bei Nagel und Holt?
Na, hier:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 4. Mai 2018, 07:59
Jim Holt (in "Gibt es alles oder nichts") fasst den fraglichen Punkt aus seiner Sicht so zusammen: "Obwohl ich mich im Zentrum meiner subjektiven Welt befinde, glaube ich, dass es eine objektive Welt gibt, eine Welt, die völlig unabhängig von mir existiert, eine ungeheure Weite des Raums und der Zeit, von der ich nur einen relativ winzigen Ausschnitt kenne. ..."
und
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 3. Mai 2018, 09:04
"Ich bin immer einerseits der logische Brennpunkt einer objektiven Auffassung der Welt, und andererseits ein besonderes Wesen in dieser Welt, das in ihr keinerlei Schlüsselstellung innehat." (Thomas Nagel, Der Blick von Nirgendwo, Seite 113)



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Interessant :-) Ich finde nicht, dass das einfach so da steht :-)




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