Da würde ich nun auch keinen Vermeidungs-Fetisch daraus machen.herbert clemens hat geschrieben : ↑Fr 18. Mai 2018, 10:31Nicht von mir, und nicht nur für flechtlicht (?):
Warum versuche ich mir immer wieder Regeln und Gesetze, Sichtweisen, Verhaltensideale und Realitätsmodelle aufzubürden, die ich mir von verschiedenen Lehrmeistern, spirituellen Richtungen, Philosophien etc. zusammengelesen habe?
Sicher, die Absicht dahinter ist gut und Ausdruck meines Suchens, aber letztendlich ist es ein Strampeln in erstarrten Systemen, das mich der Aufmerksamkeit gegenüber der Intuition meiner ureigenen Individualität beraubt.
Wenn ich nicht mein inneres Geschehen und Wirklichkeitserfassen mit absolut eigenen Worten und in immer wieder neuer Weise auszudrücken vermag, sondern hilflos in die Redewendungen diverser okkulter, religiöser oder ideologischer Schulen zu pressen versuche, dann habe ich mir den wahren Kern der dort vermittelten Erkenntnisse nicht wirklich angeeignet. Dann rede ich mechanisch nur in toten Formeln und bewege mich stockend im kristallisierten Geistesfeld anderer (wenn auch großer) Menschen.
Selbst wenn es gute Worte sind, die ich auf diese Weise in meine Umwelt injiziere und gute Taten, so entsprechen diese doch nichts anderem als den biblischen toten Werken. Da sie nicht göttlich sind. Denn sie sind nicht aus mir. Aus dem innersten lichten Kern meines Ichs, der allein dem Klang des universalen Orchesters zu lauschen vermag und dementsprechend das eigene Instrument bedient.
Sich von anderen etwas anzunehmen, ist ja an sich gut und auch Ausdruck dessen, was jetzt gerade zu einem passt.
Ganz originär Eigenes zu produzieren, ist vielleicht auch etwas viel verlangt.
Wie Du, oder wer auch immer, schon geschrieben hat, die Absicht ist gut und das ist schon mal aller Ehren wert. Man will ein guter Mensch sein, kein Drecksack. Aber die meisten Wahrheits- und Weisheitsverkünder haben so ihre eigene Idee, wie das maximal gelungene Leben aussieht und Aufforderungen wie: „Sei ganz Du selbst“, haben den Nachteil, dass keine Signallampe aufleuchtet, die einem zeigt, wann man ganz zu sich gefunden hat.
Die engeren Theorien, die man manchmal mythisch nennen kann (hängt aber von der Mythosdefinition ab), sagen einem oft sehr genau, was richtig und falsch ist, haben den Nachteil recht dogmatisch zu sein und den Vorteil recht strukturierend zu sein. Und man steht nicht selbst in der Verantwortung, weil man seine Handlungen (oder sein Nichtstun) mit einem höheren Zweck oder Sinn rechtfertigen kann.
Breitere Theorien trauen dem Individuum mehr zu und nehmen es in die Pflicht. Man hat mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung, es gibt keine Schablone für alle Fälle und man muss mit den eigenen Zweifeln und Unzulänglichkeiten klar kommen. (Z.B. Kants Ethik.)
Einige Karmatheorien versuchen in gewisser Weise beides zu vereinen. Man kann nicht anders und im Grunde ist es genau so, wie es ist auch gut, dennoch ist man verantwortlich und muss die Suppe auslöffeln. Aber es ist nicht einfach so, dass man in zu simpler und mythischer Weise einfach nur ‚Gutes‘ tun muss, denn gerade auch im Osten wird immer wieder darauf hingewiesen, dass auch die gute Absicht Karma erzeugt und das Rad, aus dem man eigentlich aussteigen sollte, wird nur noch weiter gedreht.
Oft heißt es da, man solle im Zustand der Absichtslosigkeit agieren, aber das fällt in etwa wieder mit dem „Sei Du selbst“ zusammen, man weiß nicht genau, wann man angekommen ist.
Im Westen gibt Meister Eckhard darauf eine recht klare Antwort, die vielen buddhistischen sehr ähnlich ist: Gott ist stark und weise genug, dich genauso so zu machen, wie er dich haben will, also kümmere dich nicht groß darum ein guter Mensch werden zu wollen. Natürlich kommen auch da wieder Zweifel auf, weil man sofort an seine eigenen, vermeintlichen Unvollkommenheiten denkt. Gott kann mich so nicht gewollt haben, das muss ein Irrtum sein. Das ist eine schöne Parallele zu den Erleuchtungslehren des Buddhismus, die einer recht rationalen Analyse folgen. Alles in der Welt (des Samsara) kommt und geht, oder entsteht und vergeht. Das was kommt, wollen wir oft nicht haben, das was ist, nicht loslassen. Buddhistisch ist das Anhaften und die Wurzel allen Leidens. Erleuchtung kann nichts sein, was kommt, denn dann würde sie den Gesetzen der samsaraischen Welt unterworfen sein und auch wieder gehen. Ergo: Erleuchtung ist immer da, ein 'Zustand', den wir in einem gewissen Sinne weder erreichen können, noch müssen. Aber auch dieser Idee erteilen wir eine analoge Absage, wie dem Meister. Das kann nicht sein, so unvollkommen wie ich bin, kann ich unmöglich erleuchtet sein.
Die Problematik dieser (an sich demütigen) Aussage ist, dass man damit behauptet trefflich über Erleuchtung Bescheid zu wissen. Denn sooo, so meint man zu wissen, kann Erleuchtung nicht sein (Gott mich nicht gewollt haben), unmöglich. Gleichzeitig sagt man aber, dass man unvollkommen ist, also im Grunde keine Ahnung von Erleuchtung hat. Beides kann schlecht zugleich sein. Eine Lösung wäre, auf seine Unwissenheit zu vertrauen, dann muss ich aber glauben, dass andere es besser wissen, z.B. jene, die ihre Erleuchtung erkannt haben. Oder man schreibt sich die Autorität dessen zu, den Gott genau so gewollt hat oder der erleuchtet ist. Dann muss man aber seine Idee der Erleuchtung (dass da erst noch dies oder das passieren muss) revidieren. Im Ergebnis ist beides dasselbe.
Wenn man das begriffen hat, fällt einem die Aufforderung sich in das und den/die zu entspannen, den/die man vorfindet (also sich selbst), schon leichter. Wichtig fand und finde ich noch die Bemerkung, dass Erleuchtung, sozusagen das Handeln in leidenschaftlicher Absichtslosigkeit kein Dauer-High ist, sondern das sich entspannen in das Kommen und Gehen, zu dem Erleuchtungserfahrungen gehören können, aber die gehen dann auch wieder und man tut, was man eben gerade tut. Ein häufiger Fehler ist glaube ich, dieses ganze normale Tun, angestrengt betont normal aussehen zu lassen, wobei man sich in Wirklichkeit immer selbst beobachtet (worauf Sloterdijk treffend hingewiesen hat) oder sich in dusseligen Fragen zu verheddern, ob ich denn der gestolperten Oma aufhelfen ‚darf‘, da ich ja dann in ihr Karma eingreifen würde. Die heimliche Angst, das könnte wiederum Minuspunkte auch meinem Karmakonto bedeuten, zeigt, dass man da irgendwie noch verwickelt ist, ansonsten hat es ja seinen Sinn, dass die Oma gerade vor meiner Nase gestolpert ist.
Wenn ich allerdings Psychopath bin und denke: „Super, der Oma helf‘ ich auf, dabei klau‘ ich ihr die Brieftasche“ ist nach der Karmaidee auch alles in Ordnung und das ist problematisch. Im größeren Rahmen kann man sich auch da hinein entspannen, denn es ist nicht unsere Aufgabe zu bewerten, ob das alles richtig ist. Der karmische Ausgleich würde kommen, falls die Idee stimmt. Den Psychopathen würde das nicht jucken, den Beobachter der Szene schon. Man könnte sagen: „Ja, das gibt es, aber es ist im großen Insgesamt gut so", aber das könnte man auch als naturalistischen Fehlschluss werten. Hier könnte man entgegnen, dass man das in dem Moment verstehen wird, in dem man seine Erleuchtung erkennt. Dann geht die Sache wieder auf, aber hier finden wir dann wieder ein Element des Glaubens. Zwischenzeitlich scheint mir das unvermeidlich zu sein, so dass ich mit der Hierarchie mythischen Glauben, zur individualisierten und ethischen Verantwortung bis zur Erleuchtung - wo sich die ethische Komponente evtl. dahin gehend ändert, dass man als höchsten ethischen Imperativ spürt, dem anderen zu ermöglichen, was man selbst erfahren hat, die Freiheit der Absichtslosigkeit der Erleuchtung zu ermöglichen, so gut es geht - viel anfangen kann.