Alethos, Du darfst Dich gerne, musst Dich aber nicht angesprochen fühlen, mir kamen gerade nur grundsätzliche Gedanken dazu und da fiel mir unser Dialog ein.Alethos hat geschrieben : ↑So 24. Jun 2018, 23:30Aus all diesen (und anderen) Überlegungen wird möglich, einen Realismus zu entwickeln, der Geist, Wahrheit usw. einen ontologischen Platz zugesteht, der weit über die notwendigen Bedingungen für unsere Erkennbarkeit, also Materialität etc. hinausgeht. Darum ist aber auch die Frage nicht zielführend, warum eine Schere keine Idee durchtrennen kann oder warum der Geist nicht die Schere bedienen kann. Denn die Frage zielt an diesem Verständnis darüber, was Dinge (und Tatsachen) sind und wie sie entstehen, vorbei. Es nützt nichts zu fragen, warum zwei ontologisch völlig andersartige Dinge nicht interagieren können, weil Dinge per se aus der Interaktion andersartiger ontologischer Dinge entstehen. Sie sind das Produkt einer Überlagerung lokaler Interferenzen unterschiedlicher ontologischer Sinne, und es können nicht diese Sinne, durch die ein Ding dieses Ding ist, von ihm abstrahiert und extrahiert werden, um im Anschluss daran zu fragen, wie diese Sinne wieder in ihn zurückgeführt werden können. Denn dann gäbe es dieses Ding bereits nicht mehr, wenn diese Überlagerung nicht wäre.
Was mich an der Intention der neurealistischen Richtungen freut, ist, dass sie den Gedanken und literarischen, phantastischen und logischen Welten vermutlich mehr Gewicht geben wollen. Das ist nicht etwas, was als Marginalie mitläuft und keine größere Bedeutung hat, man kann durchaus sagen, dass man mit einer Schwester, einem Hund, Batman und Alfred E. Neumann aufgewachsen ist und manches früher gehörte Märchen klingt vielleicht das ganze Leben nach, manches Stück Weltliteratur beeindruckt und verändert einen vielleicht mehr, als 500 belanglose Gespräche und vieles von diesem Inneren, bleibt ungleich mehr haften, als die Tonnen an Materie, die man auf diese oder jene Art bewegt hat und an die man sich nie mehr erinnert.
Unendlich viele Bereiche, in denen Innerlichkeit eine Rolle spielt habe ich gar nicht erwähnt: Lyrik, Meditation, Gebet, philosophisches Denken aber auch Musik seien nur kurz erwähnt.
Ich glaube nur, dass der Weg einer Ontologisierung dieser Bereiche nicht hinhaut, mindestens nicht auf diese Art. Der hier (m.E. insbesondere bei Gabriel) unterstellte ontologische Pluralismus hat m.E. die zentrale Schwäche, dass er mit einem oszillierenden Ontologiebegriff arbeitet, der mal stark und mal schwach ist. Wenn Hexen ‚Gegenstände‘ aus dem Sinnfeld Märchen, Literatur oder Faust sein sollen, dann ist der hier verwendete Ontologiebegriff sehr stark. Die Hexen haben keinen irgendwie epiphänomenalen Gehalt, sollen auch nichts sein, was ausreichend durch die Vorstellungskraft der Leser transportiert wird, sondern es soll diese Hexen tatsächlich und buchstäblich geben, wie Tassen oder Computer, nur eben in einem anderen Sinnfeld, das man nicht mit dem physischen verwechseln und auch nicht auf dieses reduzieren soll. Es ist eine andere ‚Welt‘, Sphäre oder eben ein anderes Sinnfeld, das aber wiederum nicht als erkenntnistheoretische Spielart, Sichtweise oder Perspektive verstanden werden darf, sondern in Abgrenzung davon, auf seine ontologische Andersartigkeit besteht. Hier ist der Ontologiebegriff stark, es gibt diese anderen Welten, Ebenen, Sphären, Sinnfelder wirklich und man wäre sogar ein Narr, würde man nach ihnen irgendwo in der pyhsischen Welt suchen. Die Show findet ganz woanders statt.
Wenn es dann aber darum geht zu erklären, wie dieses ganz andere denn eigentlich zu uns kommt, gibt sich der Realismus erstaunlich sparsam und der eben noch starke Ontologiebegriff schrumpft zu etwas, was doch eigentlich nicht der Rede wert ist, weshalb da überhaupt kein Graben, schon gar kein Hiatus ist, der überwunden werden müsste. Ganz locker haben wir zu all dem ontologisch Andersartigen Zugang, als Wesen aus Fleisch und Blut, also Materie.
Erklären ließe sich das, wenn der Mensch eben nicht nur ein Wesen aus Fleisch und Blut wäre, sondern ein Bewohner vieler Welten, Sphären, Sinnfelder. Aber Altethos‘ Satz: „Es nützt nichts zu fragen, warum zwei ontologisch völlig andersartige Dinge nicht interagieren können, weil Dinge per se aus der Interaktion andersartiger ontologischer Dinge entstehen.“, der m.E. Gabriels Intuition treffend einfängt, erklärt nichts, sondern sagt, wie es angeblich ist.
Doch die Fragen, wie das ontologisch Getrennte denn nun wirklich das Kunststück vollbringt, so ganz und gar anders zu sein – man denke hier an die die Diskussion um Herr K.s Schwester. Man behauptet einerseits, dass es sie sicher gibt (obwohl der Herr K. keine Schwester hat), dass sie in gewisser Weise auch Blutdruckprobleme und eine Warze haben kann, weil man ihr das als Eigenschaft zuschreiben kann, aber sie wird gleichzeitig niemals auf die Kinder aufpassen oder beim Umzug helfen, weil sie den Schritt in die physische Welt, in der Herr K. nun zumindest auch lebt, nicht schafft. Und da interagiert auch nichts, egal wie konzentriert ich eine Schwester imaginiere, die auf der anderen Seite das Regal anhebt. - und dann doch zu interagieren, bleibt auch hier ungeöst.
Nun könnte es aber sein, dass Gabriel einfach sehr intelligent und philosophisch ungleich versierter als wir alle ist und er selbst eine recht genaue Vorstellung davon hat, wie es sein kann, dass ontologisch getrennte Sinnfelder in anderen Sinnfeldern dennoch spielend vorkommen können, so dass sich immer wieder Sinnfelder diverser Art überlagern oder durchdringen und tatsächlich zusammen ein Ding oder einen Menschen bilden – obwohl die Definition ja eigentlich lautet, dass existieren heißt, in einem Sinnfeld zu erscheinen (mindestens einem?, nur einem?) - und dass in dieser Vision ständig irgendwo ‚Gegenstände‘ logischer, physischer, literarischer, phantastischer, mathematischer Art entstehen und vergehen, dass ständig Dinge und Personen aus diversen ontologischen Sphären oder Sinnfeldern vollkommen getrennt sind und dennoch problemlos interagieren oder mindestens kleine Ganzheiten bilden, die sich in all diesen Welten, die etwas zur Ganzheit beitragen, bewegen können. Aber wäre das was mir dann fehlt, nicht genau der verstehende Blick auf das Ganze, auf die Welt, die es nicht geben kann?
Das sind zwei Widersprüche, die zumindest ich nicht aufgelöst bekomme:
1. Die Verwendung eines sehr starken Ontologiebegriffs, der eigene Welten entstehen lässt, die nichts miteinander zu tun haben und dann, als Wellental der Oszillation, der sehr schwache Ontologiebegriff, der eine Interaktion oder einen Patchworkgegenstand, sowie einen problemlos unbegrenzten Zugang des Menschen zum Sinnfeld Materie, in dem man Kaffee trinkt und gleichzeitig zum Sinnfeld Philosophie, indem man Probleme wälzt und zum Sinnfeld, Literatur in dem man Hexen begegnet ermöglicht, ohne dass dabei eine Dualismusproblematik auch nur in Betracht käme. So ein Ontologiebegriff mit Augenzwinkern.
2. Die SFO ist m.E. eine Theorie, die den Anspruch hat über alles, was der Fall ist, zumindest in prinzipieller Weise aufzuklären (dafür muss man nicht erklären können, wie genau nun Ameisen ihre Beine bewegen), denn im Rahmen von Gabriels SFO macht es keinen Sinn zu sagen: ‚Außerdem gibt es noch Regionen, in denen alles vollkommen anders ist, als ich es gerade beschrieben habe‘ und damit wäre der zweite Widerspruch der, dass die SFO eine Theorie von Allem ist, die eine theoretische Position einnimmt, die genau das betrachtet, was es angeblich nicht gibt: Welt als Ganzes.