Sinnfelder etc.

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 08:26
Ich sagte, sie sei 'vollwertig empirisch Seiendes', also etwas, das ganz real existiert und potenziell erfahrbar ist wie ein jedes andere Existierende auch. [Hervorhebung von mir]
Warum sollte es nicht etwas geben, was real ist, aber nicht erfahrbar?




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Jörn Budesheim
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Was auch immer Kant mit "Erscheinung" meint, es hat sicherlich einen Bezug auf uns und unsere Anschauung. Gabriel nutzt den Begriff der Erscheinung jedoch völlig anders. Existieren heißt in einem Sinnfeld zu erscheinen. Erscheinen heißt hier ungefähr so viel wie "vorkommen". Je nach Sinnfeld kann das ein Bezug zu uns haben, muss jedoch nicht.

Es trägt nicht zur Klärung bei, finde ich, wenn man zwei so verschiedene Begriffe fast unterschiedslos verwendet ...




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Alethos
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So 18. Aug 2019, 10:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 09:19
Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 08:26
Ich sagte, sie sei 'vollwertig empirisch Seiendes', also etwas, das ganz real existiert und potenziell erfahrbar ist wie ein jedes andere Existierende auch. [Hervorhebung von mir]
Warum sollte es nicht etwas geben, was real ist, aber nicht erfahrbar?
Erfahrbar nicht im Sinne von sinnlich wahrnehmbar, denn Gedanken sind ja offensichtlich in der Form, sie gedacht werden, nicht mit den Augen, Ohren oder sonst sinnlich erfahrbar. Aber sie sind real und als Reales etwas, zu dem wir einen Bezug haben können. Sie müssen potentiell Gegenstand unserer wie auch immer gearteten, weiten Verständnis von Wahrnehmungen. Das müssen sie als Reales sein können: sei es in mathematischen Modellen oder aber in der Art von sinnlich Gegebenem.



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So 18. Aug 2019, 11:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 09:47
Was auch immer Kant mit "Erscheinung" meint, es hat sicherlich einen Bezug auf uns und unsere Anschauung. Gabriel nutzt den Begriff der Erscheinung jedoch völlig anders. Existieren heißt in einem Sinnfeld zu erscheinen. Erscheinen heißt hier ungefähr so viel wie "vorkommen". Je nach Sinnfeld kann das ein Bezug zu uns haben, muss jedoch nicht.

Es trägt nicht zur Klärung bei, finde ich, wenn man zwei so verschiedene Begriffe fast unterschiedslos verwendet ...
Es hat aber einen Grund, warum Gabriel nicht 'in einem Sinnfeld vorkommen' geschrieben hat und den Begriff Erscheinung wählte. Ich meine, dass er als profunder Kenner des Deutschen Idealismus um die Bedeutung des Begriffs weiss. Und dass er diesen und keinen anderen Ausdruck gewählt hat, hat damit zu tun, dass Realismus per se alle Dinge umfassen können muss, die real sind und real sind sie nur, wenn sie sich uns wie auch immer vermitteln lassen. Nicht, dass sie sich uns vermitteln müssten, um real zu sein, aber sie müssen sich prinzipiell uns erschliessen können, ansonsten es der Realismus mit allem zu tun hätte, nur nicht mit Realem. Was jenseits der theoretischen Erkennbarkeit liegt (mithin nicht Phänomen für uns sein kann), ist nichts. Denn etwas, das nirgends erscheinen kann, für dessen Existenz haben wir weder Begriffe noch über ihn Gedanken, und wenn wir sie nicht haben, so erscheinen sie nicht. Nicht, dass es sie nicht gäbe, nur eben verbleiben sie im Irrealen, bis sie Erscheinung sind. Denn worüber wir nicht einmal spekulieren oder nachdenken, das existiert vielleicht oder vielleicht nicht, bis wir es bedenken oder über es spekulieren.

Realismus betrifft natürlich die ontische Wahrheit der Dinge unabhängig von uns, darunter auch die sogenannten 'Dinge an sich' aber diese nur als Erscheinungen. Es betrifft Reales, also etwas, das grundsätzlich erscheinen können muss, und was nirgends erscheint, mithin theoretisch nicht erfassbar ist, darüber denken wir nicht einmal nach, weil es sonst schon im Gedanken real wäre. Denn etwas, was im Gedanken erscheint, das ist ja erfahrbar durch diesen Gedanken. Erscheinung in diesem Sinne ist nicht der empirische Anschauungsbegriff Kants, also meint nicht die äusseren Dinge der Erfahrung, aber betrifft die reine Anschauung. Erscheinung bezieht sich auf den Erscheinungsbegriff in der reinen Anschauungslehre Kants, welche nun eben die Gegenstände der äusseren sinnlichen Erfahrung angehen kann, aber auch alle Verstandeserkenntnis mittels reiner Begriffe einschliesst. Im neorealistischen Vokabular hiesse das, dass auch Gedankeninhalte Erscheinungen sind (was Kant so nicht behauptete). Und nur davon kann der Realismus handeln, von tatsächlich Existierendem in der Erscheinung. Anders als bei Kant wird dieser Begriff des Erscheinens also ausgeweitet auch auf Gedankendinge: denn soviel sie Gedankeninhalte sind, müssen sie irgendwo im Gedanken ja vorkommen und darin erscheinen.

Damit man mich richtig versteht, nicht dass wir sie feststellen gibt ihnen Realität, sondern dass sie Erscheinungen sind, macht sie etwas Realem und erst als solche sind sie nichts Irreales.



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Jörn Budesheim
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So 18. Aug 2019, 12:11

Gabriel erklärt in "Warum es die Welt nicht gibt", warum er den Begriff der Erscheinung gewählt hat. An ein Zitat, das deine Interpretation stützt, erinnere mich hingegen nicht. Vielleicht kannst du ja etwas nachreichen:
Markus Gabriel in "Warum es die Welt nicht gibt" hat geschrieben : "Erscheinung ist ein allgemeiner Name für »Vorkommen« oder »Vorkommnis«. Der Erscheinungsbegriff ist aber neutraler. Auch Falsches erscheint, während es etwa gegen den Sprachgebrauch geht zu sagen, Falsches komme in der Welt vor. »Vorkommnisse« sind zudem greifbarer als »Erscheinungen«, weshalb ich den flexibleren Begriff der »Erscheinung« vorziehe."

[...]

"... nicht alle Bereiche sind Mengen von abzählbaren und mathematisch beschreibbaren Gegenständen, für Kunstwerke oder komplexe Gefühle gilt dies etwa nicht. Nicht alle Bereiche, in denen etwas erscheint, sind Gegenstandsbereiche. Deshalb ist der allgemeinere Begriff der Begriff des Sinnfeldes. Sinnfelder können zwar als Gegenstandsbereiche im Sinne abzählbarer Gegenstände oder im noch präziseren Sinne mathematisch beschreibbarer Mengen auftreten. Sie können aber ebenfalls aus schillernden Erscheinungen bestehen, was weder für Gegenstandsbereiche noch gar für Mengen gilt.

[Es ist eine] Fehlentwicklung in der modernen Logik, Existenz mit Zählbarkeit zu verwechseln ..."




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Alethos
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So 18. Aug 2019, 12:22

Dein Hinweis auf die 'Zählbarkeit' verstehe ich als laute Kritik, nur weiss ich nicht, wohin sie zielt.



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So 18. Aug 2019, 12:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 12:11
An ein Zitat, das deine Interpretation stützt, erinnere mich hingegen nicht.
Ich werde etwas nachreichen, aber nicht mehr heute, da es zu sonnig ist, um nicht draussen zu sein und einen der letzten Sommertag mit Recherche zu verbringen.

Ich bleibe dabei, dass Zahlen real sind und sie sich erforschen lassen durch denken und dass sie existieren in einem vielfältigen Sinn. Ein erfahrbarer Sinn ist unter allen anderen derjenige des Denkens in der reinen Anschauung.



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Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 12:22
Dein Hinweis auf die 'Zählbarkeit' verstehe ich als laute Kritik, nur weiss ich nicht, wohin sie zielt.
Nein, das war so nicht gemeint. Das Zitat galt nur den Begriff des Erscheinens bei Gabriel.




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So 18. Aug 2019, 13:15

Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 12:29
Ich bleibe dabei, dass Zahlen real sind und sie sich erforschen lassen durch denken und dass sie existieren in einem vielfältigen Sinn.
Ich bin auch der Ansicht, dass Zahlen existieren. Ich denke auch, dass sie sich wissenschaftlich erforschen lassen. Ich bezweifle nur, dass sie in irgendeiner Art und Weise, wie du behauptest, mit der Zeit verknüpft sind.




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Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 11:17
Realismus betrifft natürlich die ontische Wahrheit der Dinge unabhängig von uns, darunter auch die sogenannten 'Dinge an sich' aber diese nur als Erscheinungen.
Dieses Zitat soll steht nur stellvertretend für den gesamten Beitrag. Ich könnte, glaube ich, fast an jede Stelle ein Fragezeichen dran machen. Entweder, weil ich bezweifle, was da steht oder, weil ich es nicht begreife :-)

Zwei Beispiele: (1) Unter einer "ontischen Wahrheit der Dinge" kann ich mir nichts vorstellen. Ich hab keine Idee, was es heißen kann, dass ein Ding wahr ist. (ich habe eine vage Erinnerung, dass wir genau dasselbe auch schon früher besprochen haben.)

(2) Der Realismus, von dem ich spreche, zu dem auch Gabriels Version zählt, interessiert sich nicht primär für die Dinge "unabhängig von uns". Denn für den neuen Realismus geht es nicht nur um die "Welt ohne Zuschauer" sondern auch die Realität des Geistes selbst. Zum Beispiel um moralische bzw. ästhetische Tatsachen. Die findet man nicht (so ohne weiteres) in den Dingen "unabhängig von uns" - nichts desto trotz gehören sie zur Realität, zufällig auch noch zu einem Teil, der für uns besonders wichtig ist :-)




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So 18. Aug 2019, 14:51

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 13:15
Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 12:29
Ich bleibe dabei, dass Zahlen real sind und sie sich erforschen lassen durch denken und dass sie existieren in einem vielfältigen Sinn.
Ich bin auch der Ansicht, dass Zahlen existieren. Ich denke auch, dass sie sich wissenschaftlich erforschen lassen. Ich bezweifle nur, dass sie in irgendeiner Art und Weise, wie du behauptest, mit der Zeit verknüpft sind.
Ok, das habe ich verstanden, nur kann ich es beim besten Willen nicht nachvollziehen, wieso. Du tust gerade so, als würde die Zeitlichkeit bedingen, dass sie untergehen könnten und sie dadurch in eine Unzeitigkeit verlagern zu müssen glaubst.



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So 18. Aug 2019, 14:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 14:13
Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 11:17
Realismus betrifft natürlich die ontische Wahrheit der Dinge unabhängig von uns, darunter auch die sogenannten 'Dinge an sich' aber diese nur als Erscheinungen.
Dieses Zitat soll steht nur stellvertretend für den gesamten Beitrag. Ich könnte, glaube ich, fast an jede Stelle ein Fragezeichen dran machen. Entweder, weil ich bezweifle, was da steht oder, weil ich es nicht begreife ...

Unter einer "ontischen Wahrheit der Dinge" kann ich mir nichts vorstellen. Ich hab keine Idee, was es heißen kann, dass ein Ding wahr ist. (ich habe eine vage Erinnerung, dass wir genau dasselbe auch schon früher besprochen haben.
Ich habe gar nichts gegen Fragezeichen, wenn sie nicht exklusiv dann auftauchen, um ein Indiz für mein Falschliegen darzustellen. :)

Den Begriff der 'ontischen Wahrheit' hattest du selber eingeführt und ich war zunächst ein Bezweifler ihrer Möglichkeit. Eine ontische Wahrheit ist jene der Tatsache von etwas über etwas als wahr.



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So 18. Aug 2019, 15:06

Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 14:59
Den Begriff der 'ontischen Wahrheit' hattest du selber eingeführt ...
Für das Forum - ja, das stimmt. Aber ich sage ja auch nicht, dass ich mir unter ontischer Wahrheit nichts vorstellen kann. Ich hab aber keine Idee, was eine "ontische Wahrheit der Dinge sein soll". Was soll es zum Beispiel bedeuten, dass der Tisch wahr ist?




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So 18. Aug 2019, 15:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 15:06
Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 14:59
Den Begriff der 'ontischen Wahrheit' hattest du selber eingeführt ...
Für das Forum - ja, das stimmt. Aber ich sage ja auch nicht, dass ich mir unter ontischen Wahrheit nichts vorstellen kann. Ich hab keine Idee, was eine "ontische Wahrheit der Dinge sein soll". Was soll es zum Beispiel bedeuten, dass der Tisch wahr ist?
Nichts, das ist ja auch nicht meine Aussage. Die ontische Wahrheit der Dinge meint nicht die Tatsache, dass das Ding wahr ist, sondern sich die Wahrheiten über ihn auf ihn beziehen (und nicht etwa auf Aussagen)



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So 18. Aug 2019, 15:33

Für mich bleibt es schwierig, das zu verstehen. Es ist nicht einfach, wenn ich bei so vielen Sätzen eine Erläuterung brauche :-( Unser Sprachverständnis ist offenbar sehr, sehr verschieden.

Das "ontisch" in "ontische Wahrheit" sagt ja bereits, dass hier nicht "Aussagen-Wahrheit" gemeint ist. Und warum es "Wahrheiten der Dinge" statt zum Beispiel " Wahrheiten über die Dinge" sind, ist für mich nicht von selbst zu verstehen.

Sind das nur unterschiedliche Sprachgewohnheiten in Deutschland und der Schweiz?




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So 18. Aug 2019, 16:26

Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 14:51
Ok, das habe ich verstanden, nur kann ich es beim besten Willen nicht nachvollziehen, wieso.
Die 5 bestimmt sich durch ihre Stellung in der Ordnung der natürlichen Zahlen. Und in dieser Ordnung kommen Zeitbegriffe an keiner Stelle vor.




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So 18. Aug 2019, 17:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 16:26
Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 14:51
Ok, das habe ich verstanden, nur kann ich es beim besten Willen nicht nachvollziehen, wieso.
Die 5 bestimmt sich durch ihre Stellung in der Ordnung der natürlichen Zahlen. Und in dieser Ordnung kommen Zeitbegriffe an keiner Stelle vor.
Ja, die 5 kommt nach der 4 :) Kleiner Spass...

Das ist mir klar, Jörn, dass ein solcher Zeitbegriff, wie du ihn hast, nicht vorkommen kann in dieser Reihe: Es gibt keine vergehende 5, keine dauernde 5, keine gestrige und morgige 5 etc.

Aber nimm einmal die natürliche Zahl 5, sie komme in der Reihe der natürlichen Zahlen vor, da im Bereich aller Zahlen, dieser wiederum im Bereich der Abstraktionen etc. (wie du selbst vorschlugst) Etwas Abstraktes muss doch Abstrahiertes sein, etwas, das von etwas Anderem abgezogen wurde. Immerhin ist die Zahl 5 also einem Tun geschuldet, nämlich dem abstrahierenden. Sei es, dass wir von Gegenständen quantifizierend abstrahieren (wir zählen Äpfel, Birnen und Ameisen), so dass wir von ihnen ihre Zahl abziehen als Quanten/Mengen/Einheiten oder aber, indem diese Dinge quantifizierte Dinge sind, sind sie vorhanden an Ihnen als Allgemeines Ihrer Quantität (Kategorie der Quantität). Aber die Zahl kommt, als Abstraktum, nur vor, wo es Konkretes gibt, wovon sie die Anzahl ist. In allen Fällen sind Zahlen als Abstraktes irgendwie tätig, sei es, dass sie etwa den Dingen als ihre Quantitäten 'anhangen' oder dass mittels eines abstrahierenden Tuns (Verstandesleistung) als Zahl hervorgehen. Immer ist Zeit im Spiel, wenn auch diese Zeit der Zahl nichts anhaben kann, da sie nichts Veränderliches an sich hat, sie hat keine materiale Dimension, sie hat keine Eigenschaften, die sich mit Bezug auf ihr Wesen als Zahl ändern könnten. Sie ist schlicht unveränderlich und unvergänglich, was aber nicht heissen muss und kann, dass sie nicht in der Zeit ist.

Und auch die unendlichen irrationalen Zahlen: Sie kommen vor als Verhältnisse, z.B. des Quadrats des Radius zur Kreislinie. Es ist doch nicht etwa so, dass diese Zahl irgendwo im Nirgendwo hauste und darauf wartete, in das Verhältnis zwischen diesem und jenem geholt zu werden, sondern sie steckt dort schon drin im Kreis und all seinen Proportionen. Aber der Kreis, er ist doch nichts ausserhalb von Zeit, denn sowohl als gezeichneter wie auch als gedachter Kreis hat er eine zeitliche Ausdehnung. Denn nicht nur muss er gezeichnet oder in der Vorstellung konstruiert werden (was der Zeit bedingt), sondern indem er Kreis ist, ist er Seiendes. Der Kreis kreiset, das Quadrat quadratet und die Zahl zahlet. Weder du noch ich noch sonst jemand vermag es alternativ eine Existenz plausibel darzulegen, wenn nicht in Zeit. Denn Zeit ist nicht einfach ein Strahl, daran die Dinge hangen und vorbeizögen, sie ist nicht etwas, das erst mit den Dingen käme, sondern sie ist die Grundlage für Existieren überhaupt. Denn Erscheinen in einem Sinnfeld heisst nunmal erscheinen und erscheinen ist ein Tun, das sich zeitlich erstrecken können muss in der gesamten Erscheinung des Erscheinenden. Und die Zahl ist ein ewig Erscheinendes, unveränderlich Erscheinendes, aber ein sich in der Zeit ausdehnendes Erscheinendes.

Und wenn das alles nicht plausibel ist für dich, dann darfst du mir nicht verübeln, wenn ich deinen Existenzbegriff als Idealismus klassifiziere. Weil wenn kein Bereich des Bereichs des Bereichs etc von Zahlen irgendeinmal in der Reihe existenzialer Klammern in der Zeit wäre, so wäre er notwendigerweise in einem nichtzeitlichen Irgendwo, und das muss wohl der Ort der Ideen sein, wo alle Zahlen und alle Tatsachen unberührt von der Zeit ein ewiges Irgendwosein fristen. (Wobei das Wo in Irgendwo ohne Raum auch irgendwie schwierig zu begründen wäre) Ich glaube nicht, dass du Idealist bist (was ja auch kein Problem wäre), aber falls du es nicht bist, dann reicht es nicht zu sagen, dass die Zahl in irgendeiner Reihe (die übrigens auch reihet :)) vorkomme ohne zu sagen, wo diese Reihe selbst vorkomme oder wie sie zustande kommt.



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So 18. Aug 2019, 17:53

Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 17:38
Aber der Kreis, er ist doch nichts ausserhalb von Zeit, denn sowohl als gezeichneter wie auch als gedachter Kreis hat er eine zeitliche Ausdehnung.
Du verwechselt an dieser Stelle - wie in dem gesamten Text - Type und Token. Natürlich sind wir und unsere Wekzeuge in Raum und Zeit, wenn wir Zahlen aufschreiben, mit ihrer Hilfe messen oder Linien ziehen und Kreise malen. Aber die materielle Realisierung der Symbole der Zahlen (oder geometrischen Formen) sind nicht die Zahlen selbst. Das sind objektive, ideelle oder abstrakte (wie auch immer du es nennen willst) Strukturen. Und diese Strukturen erforschen Mathematiker wie Scholz. Diese sind real, nicht weil sie aus Geistpixeln oder irgendwie feinstofflich ätherisch sind, sondern weil sie den Bereich (das Sinnfeld) bilden, den dieser und andere Mathematiker erforschen. Die realen Strukturen dieses Bereichs entscheiden darüber, ob die Theorien der Mathematiker wahr oder falsch sind. Sie sind wahr, wenn sie sie treffen und falsch, wenn sie daneben liegen.




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So 18. Aug 2019, 18:02

Mit unserem Denken sind wir andauernd mit nicht-materiellen Wirklichkeiten in Kontakt: nicht nur den Zahlen, sondern auch der Wahrheit, Tatsachen, Gerechtigkeit etc. p.p.




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So 18. Aug 2019, 18:39

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 18:02
Mit unserem Denken sind wir andauernd mit nicht-materiellen Wirklichkeiten in Kontakt: nicht nur den Zahlen, sondern auch der Wahrheit, Tatsachen, Gerechtigkeit etc. p.p.
Lassen wir es. :) Wir kommen nicht zusammen. Nicht nur sprichst du hier wieder von Materiellem, ganz so als wollte ich durch die Hintertür für eine Raumzeit-Existenz plädieren, sondern sagst du auch nicht, wo diese Strukturen bestehen. Ich sage immerhin, was falsch sein kann, sie seien in der Zeit, und ich exponiere mich damit. Ich kann mich irren. Du hälst deine Annahme über den Existenzort von Abstraktionen (sofern sie das Sinnfeld von Zahlen sind) völlig unbeschadet im Unendlichen der Reihe der Sinnfelder. Und da kommen wir, wie gesagt, nicht zusammen, denn das ist keine Frage von Type und Token, sondern von Realismus als theoretisches Modell, das explizieren können muss, was es meinen würde, wenn es sagte, Zahlen existierten nicht in der Zeit. 'In einem Sinnfeld zu erscheinen' reicht meines Erachtens nicht hin, wir müssen wenigstens den Weg zu den Quellen von Sinnfeldern angeben, das allen Sinnfeldern Seinsgrundlage gibt.



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