Sinnfelder etc.

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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So 29. Jul 2018, 07:21

Alethos hat geschrieben : Das dauernde Evozieren mehrerer Welten ist einfach nicht im Sinne der SFO. Es gibt also nichts, was zu den Hirnaktivitäten noch hinzukommen könnte, was nicht von dieser Welt ist, denn alles das, was einen Gedanken vollständig als solchen auszeichnet, stammt ausschliesslich von dieser Welt.
Ich finde auch, dass die Rede vom "hinzukommen" seltsam ist. Nehmen wir dazu ein Beispiel von Richard Schröder aus dem Aufsatz des Lachzentrum. Vor einiger Zeit wurde per Zufall im Gehirn des Lachzentrum entdeckt. Wenn man die fragliche Region im Gehirn einer Person mit einer Elektrode reizt, dann fängt sie an zu lachen. Und zwar ganz unabhängig davon, ob in ihrer Umgebung etwas Witziges oder Lächerliches vorgefallen ist. Bei dieser Gehirnregion handelt es sich also um die notwendige Voraussetzung für unsere lebensweltliche Fähigkeit zu lachen. Diese Person lachte "bloß mit Ursache im Gehirn, aber ohne Grund in der Welt. Nichts Lächerliches war vorgefallen. Es war ein weltloses Lachen und wenn wir nicht wüssten, dass es von der der Elektrode kommt, würden wir sagen: die Arme ist verrückt, das ist ja ein irres Lachen." (R.S.)

Was einerseits hinzukommen muss, damit es ein richtiges Lachen ist, ist der Gegenstand des Lachens. Also das Witzige, das Lächerliche etc. Es kommt jedoch andererseits nichts hinzu - also z. B. keine weitere materielle oder immaterielle Wirklichkeits-Substanz z. B. Lächerlichkeits-Pixel oder Witzigkeits-Atome. Außerirdische, die die Situation mit ihrem hochauflösenden Scanner beobachten würden, würden gar nicht merken, dass etwas Seltsames vorgefallen war, als die Frau ohne Grund und nur mit Ursache lachte, falls sie mit dem Konzept des Lachens nicht selbst vertraut sind.




Tosa Inu
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So 29. Jul 2018, 07:24

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 13:03
Das spricht jedoch nur dann für deine Sichtweise, wenn du einfach unterstellst, dass mit Sichtweise, Perspektive, Projektion, Sinnfeld je das selbe gemeint ist. Das ist aber nicht der Fall.
Was ich erkennbar nicht tue, da ich ja stets sage, dass das Sinnfeld für mich eine Mischung aus Perspektive und so etwas wie einer Struktur an sich ist (und mich andere frage, wie Gabriel diese verschiedenen Aspekte unter Sinnfeld zusammenfassen will) – z.B. Naturgesetze.
Sichtweise und Perspektive sehe ich annähernd synonym, Projektion deutlich anders.

Meine Metakritik ist, dass Du einen von zwei Komponenten des Textverständnisses überbetonst.
Einen Text oder Autor zu verstehen ist ein Ideal, dem man sich annähern sollte, ohne es ganz zu können. Man ist ja nicht der Autor, der den Text geschrieben hat, lebt evtl. in einer anderen Zeit oder einem anderen Umfeld.
Dennoch sollte man schon ein Stück erfassen, was der Autor meint, sonst redet man an ihm vorbei. Letztlich bleibt man bei sich, also dem eigenen Verständnis des Autoren. Ein dynamisches Gleichgewicht.

Du überbetonst den Verständnisaspekt in der Weise, dass öfter mal der paradoxe Eindruck erweckt wird, dass man Gabriel nur dann kritisieren darf, wenn man ihm unumwunden zustimmt.

In Deinem folgenden Posting kann man das schön darstellen:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 13:17

Du siehst ein Problem, weil du es fälschlicherweise nach dem Muster des Descartischen Dualismus (oder Vergleichbaren) zu verstehen versuchst. Statt nach dem Muster der Sinnfeld-Ontologie selbst.

Genau das ist der angesprochene Aspekt.

Dazu dann auch:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 13:17
Die Behauptung, die Hexen in Macbeth existieren, besagt nicht, es gäbe einen eigenen, strikt getrennten, vielleicht gar: jenseitigen oder "ontologischen" - in deinem Gebrauch des Wortes - oder substanzartigen Bereich a la des cogitans, in dem sie vorkommen oder einen platonischen Himmel.
Nur ist „mein“ Ontologiebegriff in etwa der, den man allgemeinphilosophisch darunter versteht, Gabriel weicht da eher ab, übrigens auch mit seinem Metaphysikbegriff. Darf er aber.
Nur:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 13:17
Die Sichtweise, dass es in der Würfel-Allegorie ganz viele Bereiche gibt, basiert ganz offensichtlich nicht auf einem Substanzpluralismus. Auch in diesem Fall würde die Frage "Wie" einfach nur zeigen, dass man die Allegorie missdeutet hat.

Wenn Gabriel sagt, dass die Natur nicht alles ist, dann hörst du - wie mir scheint - immer, es müsse noch andere, von der Natur ganz und gar "ontologisch" unabhängiges (wie immer du es nennen möchtest) geben. Aber das ist nicht Gabriels Behauptung. Auch der Bereich Wohnzimmer und der Bereich Polizeiwache sind verschiedene, aber nicht, weil es eine Wohnzimmer-Substanz und eine Polizeiwachen-Substanz gibt. Und solange du diese verschiedenen Ontologie-Begriffe (deinen und Gabriels) verwechselst, kommen wir nicht dazu, die Theorie so zu diskutieren, wie sie wirklich ist.


Mit Deiner Setzung der Anführungszeichen bei meiner Position machst Du ja klar, wo das Problem bei der Diskussion liegt: Ich verstehe unter ontologischer Andersartigkeit tatsächlich genau das: Ontologische Andersartigkeit. Gabriel offensichtlich nicht. Ich habe mit seiner Sicht auch dann wenig Probleme, wenn ich ihn nicht ontologisch verstehe, dann würde ich dazu Sichtweisen oder Perspektiven sagen und das gehört für mich in den Bereich Erkenntnistheorie.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 13:17
MG hat geschrieben : Es gibt neben dem Universum viele andere Gegenstandsbereiche. Dies bedeutet nicht, dass die anderen Gegenstandsbereiche insgesamt außerhalb des Universums existieren, was eine ganz andere (und falsche) These wäre. Thomas Manns Zauberberg oder die Bundesrepublik Deutschland existieren nicht an einem anderen Ort als das Universum, sozusagen hinter oder über den Galaxien und damit sozusagen »hyper-« oder »meta-galaktisch«.
Was dann alles in allem einer textliche Nachordnung (A. Koch) oder Überordnung (Zorn) entspräche und m.E. überhaupt keinen ontologischen Gehalt beanspruchen kann.
Damit hätte dann aber auch kein Physikalist ein Problem, der eingesteht, dass es Gedanken, Gefühle, Astrkationen, Reflexionen … tatsächlich gibt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 13:17
Meines Erachtens ist einer der Grundgedanken Gabriels dies hier: "Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen."
M.E. auch.
Und das war ja von Beginn des erneuten Versuchs zwischen mir und Alethos klar, es ist der buchstäblich erste Punkt gewesen:
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 09:47
Alethos hat geschrieben :
Fr 27. Jul 2018, 20:58
Sinn und Existenz, S. 20 hat geschrieben : ... naturalistische Metaphysik. Diese geht davon aus, dass die Wirklichkeit ein Bereich ist, der sich aus natürlichen Arten zusammensetzt, die genau deshalb natürlich und wirklich sind, weil sie in der Ontologie der als vereinheitlicht gedachten Physik vorkommen. Die gegenwärtige Analytische Metaphysik ist deswegen wörtlich eine Meta-Physik, das heisst der Versuch, die Grundbegriffe zu klären, die angeblich von der Physik in Anspruch genommen werden müssen, um sicherzustellen, dass die Wirklichkeit sich im Wesentlichen nicht darum kümmert, dass es urteilende, denkende und handelnde Wesen gibt.
Das sehe ich schon anders, bzw. und wichtiger, die Mehrzahl der Naturalisten/Physikalisten sieht das auch anders.
Die Realität von Gedanken, Gefühlen, Phantasien, Texten, Reflexionen, Abstraktionen usw. wird ja zunächst einmal überhaupt nicht geleugnet.
Menschen, die ernsthaft sagen, dass es Gedanken oder selbstreflexive Gedanken gar nicht gibt, die widersprechen sich ja erkennbar selbst und sind an der Stelle schon raus. So dumm ist dann aber auch selten jemand und noch seltener ein Philosoph.
Insofern ist das in meinen Augen ein Strohmann. Herr K., der hier im Forum eine physikalistische Position vertritt, leugnet mit keiner Silbe, dass es Gedanken, Phantasien etc. gibt, noch leugnet er Wert und Einfluss derselben.
Oder noch mal anders: Da ich Psychologist bin, vertrete ich ohnehin die Auffassung, dass Gabriel hier goldrichtig liegt: "Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen." Es kann gar nicht anders sein, denn wir können je unsere Sicht nicht von der Welt abziehen, wir können höchstens qua unserer eigenen Perspektive hindurchblicken.

Nun ist die Frage wie stohmannig der Stohmann tatsächlich ist oder wie Du schreibst:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 15:01
Ich glaube keine Sekunde, dass das niemand so sieht, ich glaube im Gegenteil, dass das der Mainstream ist. Gabriel zitiert dazu z. B. Carnap, der explizit der Ansicht ist, ....

Der angebliche Strohmann ist quicklebendig.
Nun, Du glaubst A, andere B, okay, solange man weiß, was der andere glaubt, kein Problem, auch wenn Du das gerne zu einem „so ist es“ durch „angeblich“ verstärken willst.

Ein anderer Punkt ist aber der: Bevor man nun auflistet, wen man auf seiner Seite hat: Was ist damit gewonnen, wenn man sich diskurstechnisch dadurch eine Sicht aufdrücken lässt, von der nun Nida-Rümelin, Pauen, Gabriel, Du, Herr K. und ich gleichermaßen meinen, sie sei an sich falsch? Keiner meint, dass das „ … ist Physik“ in einem mehr als ontologischen Sinne war sein könnte und uns wirklich irgendwas erklärt.

Es wird immer Menschen geben, die auch das anders sehen, aber solange sie ihren Stand zwar verdeutlichen können, damit aber erkenntnis- oder diskurstechnisch nichts gewonnen ist, ist das belanglos, warum also diesem Punkt größere Aufmerksamkeit schenken? Man bindet sich dadurch an etwas, was alle als überwunden ansehen.

Zusammengefasst mit oben: Wenn die andere Ontologie Gabriels, seine Sinnfeld-Ontologie, terminologisch so weit von der üblichen Verwendung des Ontologie-Begriffs entfernt liegt, wie das in meinen Augen der Fall ist, kann ich gelten lassen, was Gabriel m.E. als richtig kritisiert, nur macht dieses Hin und Her von ontologisch anders, aber „Thomas Manns Zauberberg oder die Bundesrepublik Deutschland existieren nicht an einem anderen Ort als das Universum ...“ in ontologischer Hinsicht gerade nichts her.

Ein derart schwacher Ontologie-Begriff (den Gabriel natürlich so definieren darf), hat dann in der Tat auch nicht das Problem irgendeinen Hiatus überwinden zu müssen, aber einfach deshalb, weil da von Anfang an gar keiner entsteht. Allerdings sehen das sehr viele Vertreter eines ontologischen Physikalismus problemlos ebenso und so muss Gabriel zuerst eine philosophische Außenseiterposition stark machen, um dann gegen diese Position aufzustehen und sie wieder zu schwächen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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So 29. Jul 2018, 09:54

Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Wie sollten denn zwei (oder unzählig viele) Neuronen einen Gedanken bilden können?
Wie soll denn Luftdruck Blitze machen?
Offenbar ist es aber so, dass Denken ohne Neuroaktivität schwer zu denken ist.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Ist es in ihnen selbst als Zellen sowie in den chemischen Konfigurationen angelegt, dass sie so und so zusammengesetzt, einen Satz ergeben können, der zudem noch wahr ist? Das ist offenbar absurd.
Was Du damit sagst, ist, dass reine bottom up Erklärungen in bestimmten Bereichen nicht viel hergeben.
So sehe ich das auch, Sprachen, Texte und Theorien sind immer (relativ) holistisch.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Das, wodurch sich die Wahrheit über Dinge sagen lässt, sind Sprache und Begriffe, letztere als logische 'Bausteine' vorgestellt.

Richtig.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Aber Begriffe finden sich doch nicht im Kopf, sondern ausserhalb davon in einer gegenständlichen Welt.
Sie kommen aber ‚in den Kopf‘, wenn wir sprachlich denken.
Psychologisch heißt das interalisieren und externalisieren und beschreibt das, was wir unablässig tun. Außenwelt: Gerüche, Bilder, Laute … nach innen nehmen – automatisch und unbewusst – und sie dann als Begriffe, ad hoc Theorien usw. wiede nach ‚außen‘ entlassen, usw., ein ständiger sich verändernder Interpetationsmodus.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Wenn ich einen Satz bilde, ihn also denke, so ist ein Hirn involviert, aber doch nicht so, dass er die Bedeutung beinhaltete, sondern ich 'entlehne' die Bedeutung einer intersubjektiven Sprachpraxis, einem Sprach- und Kulturraum, einer Gewordenheit von Bedeutung, die ausserhalb meines Hirns vorkommt.
Aber Du verstehst den Begriff, sonst könntest Du nicht kommunizieren. Damit wird „die Bedeutung“ auch zu Deiner.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Nicht Neuronen stellen uns Bedeutung zur Verfügung, es sind vielmehr Dinge in Tatsachen, deren Bedeutung wir sprachlich beschreiben und erfassen.
Ja, Neuronen schreiben keine Briefe, aber das behauptet auch keiner.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Also kommt doch etwas zur Hirnaktivität hinzu, das deshalb objektiv und nicht subjektiv ist, weil es ausserhalb von Subjekten stattfindet und unabhängig eines individuellen Wollens Geltung hat.
Es könnte sein, dass etwas zur Hirnaktivität hinzu kommt, aber an der Stelle ist das einfach nicht notwendig.
Sprachspiele und Bedeutungen sind insofern objektiv, als es sie gibt. „Straße“ meint etwas, ich muss das nicht erfinden.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Ich kann mir zwar denken, dass gavagai Boot bedeutet, aber wenn alle einen Hasen meinen, dann ist das wohl seine geltende Bedeutung und nicht die, die meine neuronalen Konfigurationen geltend machen könnten.
Jein. Es stimmt, aber das wollte Quine damit genau nicht zeigen.
Was er zeigen wollte, war, dass man sich eines auf den ersten Blick offensichlichen Begriffs (etwas was wir Kaninchen nennen kommt daher, jemand sagt in dem Moment „gavagai“, also bedeutet Kaninchen = gavagai) gerade nicht durch diese simple Verknüpfung sicher sein kann, da „gavagai“ auch beliebig viel anderes bedeuten könnte. Z.B. Kaninchenauge, Kaninchenfliegen (die immer Kaninchen begleiten), lecker Abendbrot, Ahnengeist, böses Omen, heilige Erscheinung, Morgen regnet es …
Man kann das erste begreifen, wenn man die Sprache komplett spricht, den Punkt hat Quine später leicht korrigiert und aus dem Holismus Cluster gemacht.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Ich weiss einfach nicht, was du meinst mit 'nicht von dieser Welt'. Es gibt, reden wir einmal nicht im Tonfall der SFO, nur eine Welt.
Nee, gerade nicht.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Das Universum ist Teil davon.
Ja, sowas will Gabriel wohl sagen und dann auch mal wieder nicht, wenn „Der Zauberg“ dann doch nicht aus einer anderen Welt kommt, ist das ontologisch andere auf einmal wieder Teil des Universums, ansonsten nur andere Perspektive, die Sicht der Physiker/Astronomen auf das was ist.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Das dauernde Evozieren mehrerer Welten ist einfach nicht im Sinne der SFO. Es gibt also nichts, was zu den Hirnaktivitäten noch hinzukommen könnte, was nicht von dieser Welt ist, denn alles das, was einen Gedanken vollständig als solchen auszeichnet, stammt ausschliesslich von dieser Welt.
So spricht ein lupenreiner Naturalist.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 11:50
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 10:46
Der Gedanke wird gedacht, er wird produziert und dafür braucht es ein Hirn, aber das Hirn ist ja nicht der Generator des Denkens, es ist nicht die das Denken konstituierende Einheit.
Sondern wer oder was?
Der Sprachraum, Sprachregeln, Sprechakte, Sprachakteure, Traditionen, grammatische und syntaktische Regeln, Semantik etc.. Das entsteht ja nicht alles in meinem Hirn, sondern auch durch Zeigen auf etwas, durch Übersetzungsleistungen, Rechtfertigungspraxen etc. Man sieht doch ein, dass das, was wir von klein auf erlernen, nicht etwa im Kopf steckt, sondern ausserhalb davon auffindbar ist: bei den Anderen, den Eltern etc. Dass etwas ein Würfel ist und rot ist, das beinhaltet sich doch nicht im Kopf, sondern am Würfel selbst und dass wir es so erfassen und beschreiben ist eine kollektive Leistung.
Man fragt doch als Kind seine Mutter oder seinen Vater, was es mit diesem oder jenem auf sich habe, aber doch nie das benachbarte Neuron. :)
Alles was Du hier schreibst teile ich.
Nur, was ich nicht sehe, ist, inwiefern das irgendwie ontologisch relevant sein könnte.
Gerade weil wir ja das Äußere verinnerlichen (internalisieren) können, es fortwährend tun und dann unser Inneres der Außenwelt anbieten (externaliseren), z.B. unsere Meinungen und Interpretationen (Behauptungen), sowie deren implizite und explizite Rechtfertigungen ist das alles ontologisch eins. Ich muss doch nicht mein Gehirn an die Wand nageln, es reicht (und ist auch klarer), wenn ich auf eine m Zettel schreibe, was ich meine. Aber was ich meine, hat eben mein Gehirn eher als meine Kniescheibe durchlaufen, die Denkdrüse produziert eben keinen Urin.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 11:50
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 10:46
Ein Gedanke wird nur vermittels der Verflechtung von logischen Regeln, also durch Anwendung einer öffentlichen Praxis, in den ontologischen Status des Gedankenseins gehoben. Es ist das Denken als Denken angelegt in einer Intersubjektivität und nicht in der Materialität des Hirns.
Es bleibt, was ist. Entweder all das ist etwas was im Hirn vorkommt, sprich, dort verarbeitet wird, denn "das Denken als Denken" leidet ja, wenn das Gehirn verletzt wird, oder man sagt, z.B. das Denken findet in einer anderen Welt statt und das Gehirn bietet uns irgendwie die Möglichkeit des Zugangs zu dieser Welt.
Dies wäre dualistisch und müsste erklärt werden, also, wie man die Spaltung überwindet.
Diese Spaltung gibt es nicht. Woher dein Bedürfnis nach Transzendenz kommt, kann ich nicht nachvollziehen und eine Brücke ins Diesseits kann ich dir nicht basteln.
Wo bitte siehst Du denn da Transzendenz? Ich sage einfach: Entweder man sagt A, dann hat das Folgen oder B, dann hat das andere Folgen.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Jede Weltbeschreibung bewegt sich im theoretischen Rahmen des entsprechenden Weltbilds. Zu diesem gehört eine Vielzahl von falliblen Gedanken über Tatsachen. Man kann sich irren, aber nicht immer irrt man sich. Dass es so etwas gibt wie ein Sein und dem gegenübergestellt einen Geist, das ist in der Tat eine dualistische Auffassung.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Aber man kann sich stattdessen auch vorstellen, dass nicht alles, was wir denken, einfach eine mentale Repräsentation ist, die dann als gelungen zu gelten hat, wenn sie die Tatsachen richtig simuliert.
Ja, klar, und wenn man das denkt, sollte man sagen können, was man meint, dass es noch ist.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Man kann sich auch denken, dass wahre Aussagen über die Welt nicht dadurch zustande kommen, dass die Aussage dieselbe logische Struktur hat wie die ontische Struktur der Dinge in Tatsachen, so als stellte sich Wahrheit ein als Kongruenz oder Korrespondenz zwischen Denken einerseits und Wirklichkeit andererseits. Man kann sich z.B. denken, dass der Gedanke an den Tisch, an dem ich sitze, genau von dieser Bedeutung handelt, die der Gegenstand selbst ist. Wenn ich sage: 'Der Tisch steht auf der Terrasse', dann ist mit Terrasse ja nicht etwas anderes gemeint als eben die Bedeutung dieses Begriffs, einmal im Gedankensinn und einmal im ontischen Sinn. Es ist aber jedesmal genau dieser Tisch und nicht ein anderer.
Ja, wenn ich Dich recht verstehe, ist es das, was Kant mit seinen Dingen an sich im Sinn hatte.
Eine Interalisierung vieler konkreter empirischer Ereignisse, die 200 verschiedenen Dinge, zu denen wir Tisch sagen und das Erfassen abstrakter gemeinsamer Muster, die den Tisch zu einem solchen machen und ihn von den 200 Dingen, die wir Auto nennen unterscheidet.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Gedanken, die wahr sind, handeln von Tatsachen. Und gewisse Tatsachen bestehen ja nicht durch das Denken, sondern durch sich selbst. Und die Wahrheit eines Gedankens über eine Tatsache, die durch sich selbst besteht, besteht nun eben nicht durch die Korrespondenz, sondern dadurch, dass vieles über viele Dinge wahr ist.
Dennoch bleibt Wahrheit eine Eigenschaften von Aussagen. Kaffeetassen oder Berge sind nicht wahr und können es auch nicht sein.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Das ist der Hauptgedanke des Realismus: Alle Weltbeschreibungen sind an ein begrifflich-semantisches System gekoppelt, Aussagen über die physikalische Welt nicht ausgenommen. Nun gibt es also keinen Zugang zu den Dingen an sich, ...
Doch natürlich, kommt drauf an, was man darunter´verstehte. Wenn Du mich besuchst, wirst Du, ohne dass ich Dir mein Zimmer erklären muss, sofort erkennen, was mein Tisch ist, meine Bücher, mein Bett, mein Computer … . Und dabei ist das doch mein Zimmer. Und warum kannst Du das? Weil Du Zugang zu den Dingen an sich hast.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

… auch nicht für den Empiriker, aber das heisst nichts anderes, als dass jeder Gegenstand, der gedacht und beschrieben wird, in vielerlei Hinsicht vorkommt: In einer Theorie oder auch in der weiten Ferne des unerforschten Universums.

Hierzu Gabriel auf S. 49:
Bei einer Beschreibung handelt es sich um eine logische Form, die darin besteht, dass etwas so-und-so ist. "Es ist eine Tatsache, dass 7 + 5 = 12" bedeutet, dass es auf die 7 und die 5 zutrifft, dass sie zusammengenommen 12 sind, vorausgesetzt, es sind gewisse Restriktionen erfüllt, welche die 'Addition' als basale arithmetische Operation festlegen. Dass gewisse Beschreibungen auf 7 und 5 zutreffen, heisst nichts weiter, als dass sie über 7 und 5 wahr sind, wobei es sich hier um einen Sinn von 'Wahrheit' handelt, der diese unterhalb der Theorieschwelle einer repräsentationalistischen Wahrheitskonzeption verortet. Tatsachen sind Wahrheiten, die durch Beschreibungen artikuliert sind, die auf Gegenstände zutreffen. Deswegen sind wahre Gedanken Tatsachen und handeln nicht von diesen (womit nicht gesagt ist, dass jede Tatsache ein wahrer Gedanke ist). Sie handeln von Gegenständen, auf die dasjenige zutrifft, was wahre Gedanken artikulieren. Die Dinge an sich sind schon so-und-so, Beschreibungen treffen auf sie zu, ob wir dies entdecken oder nicht. Das bedeutet nicht, dass gleichsam ein "Geist über den Wassern schwebte". Es bedeutet lediglich, dass wahre Gedanken nicht neben den Gegenständen stehen und versuchen, mit ihren relationalen, perspektivisch verzerrten Mitteln irgendwie indirekt zu diesen vorzustossen.
Das glaubt ja keiner.
Der Monismus ist ja gerade der Gedanke einer Welt, nicht einer Welt der Bücher, einer der Tiere, einer der Nahrungsmittel, einer der Primzahlen, einer der Nebensätze.
Darum stehen Sprache und Denken auch nicht neben der Welt. Sprechen ist so konkret, wie einen Nagel in die Wand zu schlagen.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 11:50

Aber dem Fluss und dem Regentropfen (und dem See, Meer, Bach, Vollbad, Schwimmbad ...) das Wasser zu nehmen, hieße, sie ihrer Existenz zu berauben, denke ich.
Ja, was aber nur zeigt, dass Wasser eine notwendige Bedingung des Regentropfenseins und des Flussseins ist, nicht eine hinreichende, weshalb nur die hinreichende Bedingung hier für das Spezifische des entsprechenden Seins stehen kann, und nicht das Wasser selbst. Das Gegebensein des Wasser in dieser spezifischen Form des Regentropfens oder des Flusses erhebt den Regentropfen oder den Fluss zur Existenz. Das ist der springende ontologische Punkt.
Ja, Wassser, Begriffe und Gedanken kommen auf verschiedene Arten und Weisen vor, durch die man sie individuíeren kann. Dabei ist mehr als eine starres 1 zu1 Verhältnis nötig weil Ein Tropfen und ein Fluss zwar beide Wasser aber nicht identisch sind. Ebenso können wir beide den Begriff „Ich“ oder „mein Tisch“ benutzen, meinen damit aber denselben Sachverhalt, individuieren aber ein andere logisches Subjekt. Die Funktionen von Begriffen und Sätzen ist stets mehrdeutig. Das ist aber kein ontologisches Problem.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Dabei wird doch klar, dass das spezifische Sein des Regentropfens nicht an unseren Beschreibungen hängt, sondern der Regentropfen beschreibt sich durch sich selbst als Regentropfen.
Nein, und hier machst Du einen logischen Fehler, weil Du auf zwei Hochzeiten tanzt.
Du beziehst Dich hier nämlich 1. auf eine Welt oder Dinge in der Welt an sich und sagst 2. gleichzeitig, mit Gabriel (und vielen anderen), dass es diese Welt ohne unsere Perspektive gar nicht gibt.
Und das meint eigentlich, dass wir uns Welt nur denkend und damit begrifflich erschließen können. Auch das was wir sehen, müssen wir deuten. Welt liegt für uns nicht „einfach so“ vor. So simpel das ist, man muss es einordnen, weil es zwischen einem Verlieren der Welt, also der Tatsache, dass wir nur leben, weil unsere äffischen Vorfahren, beim Sprung von Ast zu Ast die Entfernung richtig einschätzen konnten und der Idee einer Welt, die für an sich für alle gleich ist, ausbalanciert werden muss.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Unsere Epistemologie vollzieht dieses Sein nach, aber bringt es nicht in die Welt.
Und darum sind die Perspektiven, die der Regentropfen gibt, nicht einfach begriffliche Konstrukte, sie entstehen nicht durch unsere Draufsicht aus verschiedenen Winkeln. Ihr Sein entsteht nicht durch unsere Beschreibungen und Begriffe, sondern letztere durch sie.
Das ist kein entweder/oder, sondern die Begriffsbildung ist ein dynamischer Prozess der ständig aufrecht erhalten werden muss. Zum Begriff gehört die Praxis sines adäquaten Gebrauchs, die Kenntnis um Kontexte usw. aber das ist eben alles nicht ontologisch, sondern normatives und Sprachverständnis.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Da sind wir nun wieder bei einem sonderbaren Argument: Weil der Gedanke an das viele Geld in meiner Hosentasche, nur eine Phantasie ist, und ich mir im Laden um die Ecke davon nichts kaufen kann, ist das illudierte Geld (als Gedanke an Geld) nicht existent? Jedenfalls ist es nichr wirkliches Geld, wirst du sagen, aber das setzt eben eine einzige Wirklichkeit als einzig ontologisch gültige voraus. Wir können doch aber einem Ding (hier Gedanke an Geld) nicht einfach Wirklichkeit absprechen bloss deshalb, weil es in einem spezifischen Bereich der Wirklichkeit nicht vorkommt, z.B. Geld in meiner aus Stoff genähten Hosentasche. Dass Wasser nur wirklich Wasser sein soll, wenn es durch mich als biophysikalisches Wesen getrunken werden kann, es aber nie und nimmer in einer fiktiven Erzählung vorkommen kann, denn da handle es sich eben nicht um wirkliches Wasser, sondern nur um Tinte oder Pixel, das entspringt einer monistischen Grundannahme, dass etwas nur in einem Sinn als dieses Wirkliche gelten kann. Und das ist eben nicht pluralistisch, sondern reduktionistisch.
Der Einwand war der einer Äquivokation und der ist ja handfest.
Da nun Parallewelten zu erschaffen, in denen es Wasser gibt, was kein Wasser ist, in Welten, die es eigenständig gibt, von unserer aber doch nicht getrennt sind, ist ja nicht wirklich überzeugend. Wie reduziert man denn auf eine physikalische Welt, wenn im gleichen Atemzug gesagt wird, dass es gar keine andere Welt gibt?
MG hat geschrieben : Thomas Manns Zauberberg oder die Bundesrepublik Deutschland existieren nicht an einem anderen Ort als das Universum, sozusagen hinter oder über den Galaxien und damit sozusagen »hyper-« oder »meta-galaktisch«.
Dieses hinter oder über muss man aber nun in keiner Weise ontologisch aufladen, sondern kann es als „nachgeordnet“ im Sinne Anton Kochs oder „übergeordnet“ im Sinne Daniel-Parcal Zorns semantisch oder logisch verstehen. „Das ist ein Stuhl.“ ist dann eine Gedanke/Satz über etwas. Der Satz „„Das ist ein Stuhl“, ist ein Hauptsatz“ ist ein Satz über einen Satz. Der Satz „Der Satz „„Das ist ein Stuhl“, ist ein Hauptsatz“, ist ein Satz, den ich als illustierenndes Beispiel verwednet habe“ ist eine weitere Metaebene“ und so kann man weiter vorgehen, ohne dabei eine ontologisch andere Ebene zu berühren. Dass alle diese Sätze von meinem Gehirn verarbeitet wurden, heißt ja nicht, dass damit alles über dieselben gesagt ist, diese Aussage ist im Gegenteil von einer so großen Undifferenziertheit, dass sie nahezu nichts aussagt, weil auch an buchstäblich jedem Satz den ich gedacht habe, mein Gehirn beteiligt war, aber dass dies wohl richtigerweise so ist, sagt über den Inhalt des Satzes – um den geht es ja nun mal vorrangig – überhaupt nichts aus.
Denn wichtig an einem Satz ist, ob er etwas behauptet, droht oder fleht, ob er wahr oder falsch ist, in welcher Beziehung er zu einem größere Kontext steht und die Bezeichnung „ist irgendwie aus Tosa Inus Gehirn“ ist sagenhaft nichtssagend.
Über dieses Nichtssagende sind Neurobiologen bis heute kaum hinausgekommen, man kann so gut wie gar nichts über unsere Sprache aus der Neurologie ableiten, alles was man sagen kann, ist, dass wenn bestimmte Areale ausfallen, man sehr spezifische Begriffsstörungen hat (nachzulesen bei dem großartigen Oliver Sacks) und so weiß man dass Klang, Sprachmelodie und Wortbedeutung an verschiedenen Stellen verarbeitet werden, was es aber bedeutet, dass mich ein Argument überzeugt und warum das so ist, davon haben Neurologen keinen Schimmer. Dennoch, ballert man Tosa die Birne weg, wird das mit dem Denken für ihn schwer und das ist ja logisch folgernd nicht nichts.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 11:50
Klar, das Ich der Neurobiologen ist nicht das der Psychologen, ist nicht das, was ich mir zuschreibe, ist nicht das, was mit "ist ein indexikalischer Ausdruck" beschrieben wird, ist nicht das, was der Meditierende betrachtet, ist nicht das der Säuglingsforscher ... Aber ontologisch getrennt?
Ja, ontologisch getrennt, manchmal auch ontologisch überlappend. Das Ich, das sich bei deinen Meditationen in kosmische Höhen schwingt, das gibt es einfach nicht im Computertomographen, aber es gibt es in deiner Erfahrung.
Doch, gibt es, in dem Sinne, dass sich Hirnaktivität bei speziellen Arten der Meditation an spezifischen Hirnregionen festmachen lässt.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Es ist dann mit Bezug auf den einen Bereich, in welchem dieses Ich vorkommt und den anderen Bereich, in dem dieses Ich nicht vorkommt, ontologisch getrennt, auch wenn es im weiten Sinn immer um dasselbe Ich geht.
Ich deute die verschiedenen Umfänge von „Ich“ als unterschiedlichen Komplexitätsgrad des Denkens und seiner Beobachtung.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Auch der Ätna in Sizilien existiert ja nicht vervielfältigt in seinen möglichen Beschreibungen, es handelt sich immer um denselben Vulkan, den wir sehen und beschreiben. Aber es gibt keine allumfassende Beschreibung, die den Ätna in seinem vollen Dasein zu beschreiben in der Lage wäre. Das wäre eine unendlich lange Beschreibung, denn es gibt eben nicht den Ätna nur in einem Sinn, in einer Gegebenheit, sondern in einer ontologisch plural verschränkten Weise. Er ist einerseits Gegenstand der Geschichte, andereseits von Erzählungen, der Erfahrung deiner Fussohlen und er wird manchmal von da und manchmal von dort gesehen. Er wirkt manchmal spitz und dann wieder stumpf. Aber zu keinem Zeitpunkt ist der Ätna ein Konstrukt, sondern es ist seine ontologische Vielfalt, die in unseren Beschreibungen Einlass findet.
Ja, es gibt unterschiedliche Blickwinkel.
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 11:50
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 10:46
(Gabriel meint in SuE, dass er den Begriff Perspektive meidet, um antitealistischen Deutungen vorzubeugen, aber er sagt klar, dass der fregesche Sinn eine Art von Perspektive ist)
Ich glaube sogar, dass die SFO ziemlich ausschließlich eine Perpektive ist, also Erkennitstheorie.
Das ist leider nachweislich falsch. Leider deshalb, weil du diese Fehlinterpretation schon oft vorgebracht hast und sie sich auch durch unzähliges Wiederholen nicht als wahr perpetuieren lässt.

Dass wir etwas erkennen, gehört der Epistemologie an. Dass ein Glas Wasser im Roman existiert, weil es dort vorkommt in diesem Sinn, das hat mit unserer Erkenntnisleistung nichts zu tun. Es geht um die Ontologie des entsprechenden Dings.
Und das war jetzt der Nachweis?
Es ist eine Äquivokation, die spätestens beim Praxistest relevant wird, wenn es um so etwas wie „Leben“ oder „Existenz“ selbst geht.
Den Tausch eines mittelguten Lebens in der Alltagswelt, gegen 5 bildschöne Wunsch- und Optimalversionen im Roman lässt den Bruch und damit die Äquivokation dann auch spübar werden.
Dass es Gedanken tatsächlich gibt und Filme mich erregen können, kann ich auch ohne zig Ontologieeben annehmen, von denen ich dann auch den Vorteil schon deshalb nicht sehe, weil es um eine zwielichtige Zuweisung von Zuständigkeitsbereichen geht. Kann man am „Ich“-Begriff blendend durchspielen.
In welchen Sinne geht die Ontologie Gabriels denn über die Aussage, dass Begriffe oder Sätze in Kontexten stehen denn hinaus?
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Ja, genau. Ontologie bedeutet immer die systematische Untersuchung des Seins und als solche Gegenstände der Reflexion können Dinge gar nie an sich sein. Und doch können Aussagen wahr sein, z.B. dass ich jetzt ein Glas Wasser trinke oder dass Herr K. im 'wirklichen' Leben keine Schwester hat. Dass wir die Dinge immer theoretisch-relational verorten macht das Sein nicht zu epistemologisch konstituieren Tatsachen, weshalb der Psychologismus im Übrigen auf falschen Prämissen aufgebaut ist. Aber das ist ein weites Feld und meine Ferien sind (leider) endlich.
Okay, ich glaube, wir wissen dennoch beide in etwa, was der andere meint und wo wir schlicht anderer Auffassung sind.
Mir ist der Hintergrund von etwas relativ schnuppe, solange ist damit in Bereiche vorstoße, die mir bislang unzugänglich waren.
Je mehr mich mich damit befasse, umso weniger sehe ich aber, dass das mit der SFO möglich ist.
Gibt es aktuell etwas, von dem Du sagen würdest, dass Du es aufgrund der SFO heute deutlich anders siehst oder es sogar zum ersten Mal erkannt oder begriffen hast und falls ja, was wäre das?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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So 29. Jul 2018, 10:27

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 10:31
Zunächst der Versuch der Klärung.
1. Dass Gabriel sagt, dass Sinnfelder in Sinnfeldern erscheinen ist zwischen uns unstrittig, oder?
Es kann sein und ist auch oft der Fall, dass Sinnfelder in Sinnfeldern erscheinen.
Ich denke aber, dass ein Sinnfeld nicht in einem Sinnfeld vorkommen muss, um zu existieren. Sinnfelder ergeben sich vielmehr selbst aus der Struktur der spezifisch gearteten Dinge, die Sinnfelder ausbilden, weshalb die SFO sagt, dass zu existieren bedeute, in einem Sinnfeld zu erscheinen.
Es ist aber nicht zunächst ein Sinnfeld da, woraufhin die Erscheinung stattfindet, sondern es gibt die Dinge und es gibt sie in durch sie selbst gebildeten Sinnfeldern. Sinnfelder werden aber nicht in einem Verhältnis des zeitlichen Nacheinanders gebildet (zuerst Dinge, dann Sinnfelder), als vielmehr in einem relational-konstitutiven Verhältnis. Sinnfelder sind durch die vorkommenden Dinge und ihre Eigenschaftsstrukturen restringierte Gegenstandsbereiche.
Wie haben also bei Punkt 1 bereits keinen Konsens.

Zur Frage, wo Logik vorkommen kann resp. wie:

Betrachten wir die Aussage: "Peter ist ein Mensch."

Es entspricht doch der Wirklichkeit, es ist also eine Tatsache, dass Individuum P ein Mensch ist. Denn es ist doch über P wahr, dass er ein Mensch ist, sofern er die Eigenschaften des Menschseins hat. Dabei wird vorausgesetzt, dass das Menschsein diese Eigenschaften hat unabhängig von kategorisierenden Leistungen von Subjekten. Die Natur des Menschseins ist nun eben an gewisse Merkmale geknüpft, sie bestehen an sich.

Mit der ontischen Wahrheit, dass P ein Mensch ist, wird gleichsam eine Vielzahl logischer Wahrheiten mitgegeben, zum Beispiel dass P kein Stein ist. Denn sofern P zur Menge M der Dinge mit Eigenschaften m gehört, Eigenschaften m aber nicht in der Menge der Dinge S mit Eigenschaften s vorkommen, kann P nicht zur Menge S gehören.

Das ist eine logische Wahrheit, die in der Sache selbst begründet liegt als die freiliegende, logische Struktur der ontischen Wirklichkeit.

Nun aber sehen wir zugleich, dass die logischen Wahrheiten der Dinge wiederum andere Eigenschaften aufweisen als onische. Die ontische Wahrheit, dass dies ein Stein ist, wird mit sich führen die Tatsache, dass er eine gewisse Dichte hat, ein spezifisches Gewicht, dass er fallen wird, wenn man ihn loslässt etc. Das gilt für die logischen Wahrheiten nicht, die auf ihn zutreffen.
Die Struktur der logischen Tatsachen, in die Dinge auch eingelassen sind, ist eine andere als die Struktur seines feststofflichen Seins. Die Logik ist deshalb ein Bereich eigenen Rechts, weil darin ganz andere Seinsbedingungen ihrer Wahrheiten herrschen.

Die Logik ist nicht eine Welt für sich, sie ist keine transzendente, ideelle Welt, sie ist aber ein Bereich, in dem logische Perspektiven Wirklichkeit entfalten.



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So 29. Jul 2018, 10:38

MG hat geschrieben : "Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen."
Mit dem letzten "innen" ist allerdings nicht unser "Innen" gemeint.




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So 29. Jul 2018, 10:40

Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 07:24
Ich habe mit seiner Sicht auch dann wenig Probleme, wenn ich ihn nicht ontologisch verstehe, dann würde ich dazu Sichtweisen oder Perspektiven sagen und das gehört für mich in den Bereich Erkenntnistheorie.
Aber es ist doch keine epistemologisch begründete Perspektiviertheit, dass der Ätna ein geologischer Gegenstand und zugleich ein Gegenstand von Erzählungen ist?



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So 29. Jul 2018, 10:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 10:38
MG hat geschrieben : "Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen."
Mit dem letzten "innen" ist allerdings nicht unser "Innen" gemeint.
Sehe ich auch so, Tosa. Wir registrieren die Welt durch Welt. Unserem Erkennen wird Maß gegeben durch Welt.



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So 29. Jul 2018, 10:50

Gabriel bezieht sich ja hier auf (s)eine Frege-Interpretation. Arten des Gegebenseins sind nach dieser Interpretation etwas objektives, sie kommen mit den Dingen selbst. Der Sinn selbst existiert, er gehört zu den Gegenständen. Er liegt nicht im Auge des Betrachters, er kommt nicht von "innen", zum Beispiel aus der Psyche.




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So 29. Jul 2018, 11:10

Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 10:27
Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 10:31
Zunächst der Versuch der Klärung.
1. Dass Gabriel sagt, dass Sinnfelder in Sinnfeldern erscheinen ist zwischen uns unstrittig, oder?
Es kann sein und ist auch oft der Fall, dass Sinnfelder in Sinnfeldern erscheinen.
Ich denke aber, dass ein Sinnfeld nicht in einem Sinnfeld vorkommen muss, um zu existieren. Sinnfelder ergeben sich vielmehr selbst aus der Struktur der spezifisch gearteten Dinge, die Sinnfelder ausbilden, weshalb die SFO sagt, dass zu existieren bedeute, in einem Sinnfeld zu erscheinen.
Es ist aber nicht zunächst ein Sinnfeld da, woraufhin die Erscheinung stattfindet, sondern es gibt die Dinge und es gibt sie in durch sie selbst gebildeten Sinnfeldern. Sinnfelder werden aber nicht in einem Verhältnis des zeitlichen Nacheinanders gebildet (zuerst Dinge, dann Sinnfelder), als vielmehr in einem relational-konstitutiven Verhältnis. Sinnfelder sind durch die vorkommenden Dinge und ihre Eigenschaftsstrukturen restringierte Gegenstandsbereiche.
Wie haben also bei Punkt 1 bereits keinen Konsens.
M. Gabriel, SuE, S.185 hat geschrieben : Wenn es überhaupt irgendwas und nicht vielmehr nichts gibt, gibt es indefinit viele Felder. Die Grundidee hierfür sieht folgendermaßen aus: Wenn etwas exisitert, muss es in einem Sinnfeld erscheinen, sodass es mindestens ein Sinnfeld geben muss. Wenn es aber ein Sinnfeld geben soll, muss es mindestens ein anderes Sinnfeld geben muss, indem es erscheint, usw. ad infinitum.
Beachte bitte die implizite Reihenfolge.
Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 10:27
Die Logik ist nicht eine Welt für sich, sie ist keine transzendente, ideelle Welt, sie ist aber ein Bereich, in dem logische Perspektiven Wirklichkeit entfalten.
Ich bin mir nicht sicher, was die Logik angeht, aber für mich ist die These, dass es eine Abstraktion von Wahrheit behauptenden Sätzen über die empirische Welt ist, ganz plausibel.
Logik wäre demnach etwas, was aus der ersten und frühen Alltagssprache an irgend einer Stelle geborgen oder gehoben wird und dann eine eigene Dynamik entwickelt, die mit der Empirie nichts mehr zu tun hat.



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So 29. Jul 2018, 11:39

Wie sind uns immerhin darin einig, dass Denken nicht ausschliesslich Hirnaktivität ist. Was dieses 'Holistische' ist, müssten wir an anderer Stelle weiter erarbeiten.

Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 09:54
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Aber Begriffe finden sich doch nicht im Kopf, sondern ausserhalb davon in einer gegenständlichen Welt.
Sie kommen aber ‚in den Kopf‘, wenn wir sprachlich denken.
Psychologisch heißt das interalisieren und externalisieren und beschreibt das, was wir unablässig tun. Außenwelt: Gerüche, Bilder, Laute … nach innen nehmen – automatisch und unbewusst – und sie dann als Begriffe, ad hoc Theorien usw. wiede nach ‚außen‘ entlassen, usw., ein ständiger sich verändernder Interpetationsmodus.
Ok, ja. Bedeutungen gelangen in den Kopf, wir memorisieren sie. Sie bleiben aber etwas Internalisiertes. Das, woraus das Denken besteht (Begriffe, Bedeutung, logische Strukturen), wird immer öffentlich sein, sofern es Denken ist. Wir müssen das aber an dieser Stelle auch nicht ausdiskutieren. Wir haben unsere Positionen immerhin leicht kompatibilisiert :)
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 09:54
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Also kommt doch etwas zur Hirnaktivität hinzu, das deshalb objektiv und nicht subjektiv ist, weil es ausserhalb von Subjekten stattfindet und unabhängig eines individuellen Wollens Geltung hat.
Es könnte sein, dass etwas zur Hirnaktivität hinzu kommt, aber an der Stelle ist das einfach nicht notwendig.
Sprachspiele und Bedeutungen sind insofern objektiv, als es sie gibt. „Straße“ meint etwas, ich muss das nicht erfinden.
Ich schlage vor, wir verteilen diese verschiedenen Argumentationslinien auf mehrere Threads, sonst werden die Antworten durch Zitat und Zitat des Zitats unlesbar.

Es muss zur Hirnaktivität zwingend eine Sprachpraxis hinzukommen, oder wie du es sagst, es muss etwas da draussen sein, das internalisiert werden kann.
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 09:54
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44
Ich kann mir zwar denken, dass gavagai Boot bedeutet, aber wenn alle einen Hasen meinen, dann ist das wohl seine geltende Bedeutung und nicht die, die meine neuronalen Konfigurationen geltend machen könnten.
Jein. Es stimmt, aber das wollte Quine damit genau nicht zeigen.
Was er zeigen wollte, war, dass man sich eines auf den ersten Blick offensichlichen Begriffs (etwas was wir Kaninchen nennen kommt daher, jemand sagt in dem Moment „gavagai“, also bedeutet Kaninchen = gavagai) gerade nicht durch diese simple Verknüpfung sicher sein kann, da „gavagai“ auch beliebig viel anderes bedeuten könnte. Z.B. Kaninchenauge, Kaninchenfliegen (die immer Kaninchen begleiten), lecker Abendbrot, Ahnengeist, böses Omen, heilige Erscheinung, Morgen regnet es …
Ja, aber in jedem Fall hängt die Bedeutung sowohl vom Gegenstand selbst ab, also davon, dass es einen Gegenstand gibt, der Hase, Hasenfliegen, lecker Abendessen bedeuten könntr wie auch von der sozialen Praxis, die den Begriff gemeinhin mit dem Gegenstand verknüpft. Dieses pragmatistische Verständnis liegt allen Ansichten darüber, was gavagai bedeutet, zugrunde.

Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 09:54
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Das dauernde Evozieren mehrerer Welten ist einfach nicht im Sinne der SFO. Es gibt also nichts, was zu den Hirnaktivitäten noch hinzukommen könnte, was nicht von dieser Welt ist, denn alles das, was einen Gedanken vollständig als solchen auszeichnet, stammt ausschliesslich von dieser Welt.
So spricht ein lupenreiner Naturalist.
Wenn er Welt gleichsetzt mit Natur, ja. Aber 'Welt' halte ich gerade nicht für die Summe aller natürlichen Tatsachen.
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 09:54
Dennoch bleibt Wahrheit eine Eigenschaften von Aussagen. Kaffeetassen oder Berge sind nicht wahr und können es auch nicht sein.
Da haben wir offensichtlich einen Dissens.
Wenn das so wäre, dass Wahrhheit ausschliesslich Aussagen vorbehalten wäre, erstreckte sich sich die Welt auf jenen Bereich, über den wir Aussagen machen können. Denn, wenn Welt alles ist, was der Fall ist, dies was der Fall ist aber zugleich nicht wahr an sich wäre, so wäre es ja nicht der Fall. Denn der Fall kann ja nur sein, was wahr ist, also was eine wahre Aussage erst möglich macht durch sein der Fallsein. Der Fallsein ist Wahrheit.
Wenn aber die Wahrheit erst mit Aussagen ins Spiel käme, dann käme auch das Wahrsein des Fallseins erst mit Aussagen ins Spiel und damit das Fallsein selbst. Offensichtlich ist aber vieles wahr, jetzt schon, auch wenn wir es nicht wissen und folglich auch keine Aussagen darüber machen.



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So 29. Jul 2018, 11:45

Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 10:40
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 07:24
Ich habe mit seiner Sicht auch dann wenig Probleme, wenn ich ihn nicht ontologisch verstehe, dann würde ich dazu Sichtweisen oder Perspektiven sagen und das gehört für mich in den Bereich Erkenntnistheorie.
Aber es ist doch keine epistemologisch begründete Perspektiviertheit, dass der Ätna ein geologischer Gegenstand und zugleich ein Gegenstand von Erzählungen ist?
Kommt drauf an, was Du hier unter Erzählungen verstehst.
Verstehst Du darunter, dass er von Osten anders aussieht als von Westen? Nun, es gibt nur Erzählungen über den Ätna, denn auch der geologische Gegenstand Ätna ist eine Erzählung (eine der Geologen) und den Ätna an sich, aus einer Perspektive von Nirgendwo gibt es deshalb nicht weil es keine Perspektive von Nirgendwo gibt.
Wenn man "der Ätna" sagt, bezieht man sich aber auf einen Vulkan und zugleich auf einen semantische, alltagssprachliche Schnittmenge.
Man muss nicht alles über Vulkanologie wissen, um eine Aussage über den Ätna machen zu dürfen.
Man muss aber dennoch grob wissen, dass der Ätna keine Fischsorte ist und nicht in Spannien liegt, also so ein bisschen Wissen muss schon da sein, sonst ist der Begriff falsch.
Wenn ich nun in einem Roman von dem Ätna schreibe, dann ist das auch dann nicht der Ätna, wenn im Roman der größte Vulkan auf Sizilien gemeint ist, denn der Ätna im Roman ist eine semantische Einheit und kein Vulkan.
Da mir diese sematische Einheit aber über die Buchstaben zugänglich ist, existeirt sie in derselben Welt, wie der Ätna. Ich kann die Buchstaben sehen, wie ich den Ätna sehen kann. Und weder Schirftzeichen noch Vulkanen sieht man ihr Sosein an sich an. Schrift zu verstehen muss man lernen und selbst wenn man einenn feuerspeiender Berg in Aktion erlebt, weiß man nicht, dass das ein Vulkan ist. Man muss lernen, was Berge sind, was Bchstaben sind, sogar was Gefühle und Gedanken sind. Man kann sofort affektiv auf Umwelt reagieren, bereits das neugeborene Kind schreit ja nicht ohne Grund, es empfindet etwas und drückt sich durch Affekte aus, aber es weiß nicht, dass es gerade Affekte empfindet.
Alles ist iin dem Sinne Perspektive, was aber nicht heißt, dass wir die Dinge der Welt erfinden müssten. Es gibt Berge auch, wenn niemand hinschaut, aber Perspektiven gibt es ohne jemanden der hinschaut nicht. Und die Welt erschließen wir uns immer durch eine/mithilfe einer Perspektive.
Da gibt es das was ich schon mal sinnliche Rohdaten nenne, die aber bereits Interpretationen unserer Sinnessysteme sind und dann noch das, was man dann noch mal interpretiert, wenn man eine bestimmten Sinneseindruck "rot" nennt.
Diese Interpretationsmodi wachsen nahezu untrennbar zusammen.

Ob es diesseits oder jenseits der Begrifflichkeiten reine Wahrnehmung geben kann, darüber kann man streiten, aber erst mal ist es richtig, dass wir Welt von innen wahrnehmen und es ist, wie Jörn richtig anmerkt, nicht innerhalb der Hautgrenzen, sonder Innerlichkeit damit gemeint, als das was in mir 'synthetisiert' wird. Aber auch diese Innerlichkeit ist mir ja zugänglich, wenngleich auch in einer beschreibenden Form nur über Begriffe.
Inwieweit es orher schon legitim von Ich oder Selbst und analog implizitem oder explizitem Wissen geredet werden kann, ist ja Inhalt der Rödl Threads.



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So 29. Jul 2018, 12:07

Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 11:39
Wie sind uns immerhin darin einig, dass Denken nicht ausschliesslich Hirnaktivität ist.
Absolut, in dem Sinne, dass ich noch keine Neurotheoie gelesen habe, die erklären kann, was Denken ist.
Die Falschfarbendarstellung einer Durchblutungssituation erklärt ja nun erst mal gar nichts.
Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 11:39
Ok, ja. Bedeutungen gelangen in den Kopf, wir memorisieren sie. Sie bleiben aber etwas Internalisiertes. Das, woraus das Denken besteht (Begriffe, Bedeutung, logische Strukturen), wird immer öffentlich sein, sofern es Denken ist. Wir müssen das aber an dieser Stelle auch nicht ausdiskutieren. Wir haben unsere Positionen immerhin leicht kompatibilisiert :)
Was Du nichts veröffentlichst, ist auch nicht öffentlich.
Gemeint ist immer, dass man sich sein privates Inneres qua öffentlich vorhandener Mittel erschließen kann, aber keiner weiß, was Du denkst, außer Dir.
Wenn Du dann sagst, dass Du gerade an Dreieiecke denkst, weiß ich es auch, dennoch ist die Bedeutung von dem allen für mich nicht bis ins Letzte zugänglich.
Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 11:39
Ich schlage vor, wir verteilen diese verschiedenen Argumentationslinien auf mehrere Threads, sonst werden die Antworten durch Zitat und Zitat des Zitats unlesbar.

Es muss zur Hirnaktivität zwingend eine Sprachpraxis hinzukommen, oder wie du es sagst, es muss etwas da draussen sein, das internalisiert werden kann.
Und Welt ist auch eine coole Zutat, also Dinge in ihr. Berge, Magenknurren, Angstzustände, Vogelschreie, Glücksempfindungen ...
Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 11:39
Ja, aber in jedem Fall hängt die Bedeutung sowohl vom Gegenstand selbst ab, also davon, dass es einen Gegenstand gibt, der Hase, Hasenfliegen, lecker Abendessen bedeuten könntr wie auch von der sozialen Praxis, die den Begriff gemeinhin mit dem Gegenstand verknüpft. Dieses pragmatistische Verständnis liegt allen Ansichten darüber, was gavagai bedeutet, zugrunde.
Klar, wenn nix da ist, kann man nichts (also schwer) etwas mit Begriffen belegen. Bei Gott und so etwas, wird das dann interessant.
Wobei mir das Muster recht ähnlich zu sein scheint.
Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 11:39
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 09:54
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Jul 2018, 20:44

Das dauernde Evozieren mehrerer Welten ist einfach nicht im Sinne der SFO. Es gibt also nichts, was zu den Hirnaktivitäten noch hinzukommen könnte, was nicht von dieser Welt ist, denn alles das, was einen Gedanken vollständig als solchen auszeichnet, stammt ausschliesslich von dieser Welt.
So spricht ein lupenreiner Naturalist.
Wenn er Welt gleichsetzt mit Natur, ja. Aber 'Welt' halte ich gerade nicht für die Summe aller natürlichen Tatsachen.
Kommt drauf an, wo man die Grenze zwichen natürlich/unnatürlich zieht.
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 09:54
Dennoch bleibt Wahrheit eine Eigenschaften von Aussagen. Kaffeetassen oder Berge sind nicht wahr und können es auch nicht sein.
Da haben wir offensichtlich einen Dissens.
Wenn das so wäre, dass Wahrhheit ausschliesslich Aussagen vorbehalten wäre, erstreckte sich sich die Welt auf jenen Bereich, über den wir Aussagen machen können.[/quote]Ja.
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 09:54
Denn, wenn Welt alles ist, was der Fall ist, dies was der Fall ist aber zugleich nicht wahr an sich wäre, so wäre es ja nicht der Fall.
Das was der Fall ist kann ja nur Inhalt einer Aussage sein.
Ansonsten bezieht man sich erneut auf einen Blick von Nirgendwo oder die Gottesperspektive.
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 09:54
Denn der Fall kann ja nur sein, was wahr ist, also was eine wahre Aussage erst möglich macht durch sein der Fallsein. Der Fallsein ist Wahrheit.
Wenn aber die Wahrheit erst mit Aussagen ins Spiel käme, dann käme auch das Wahrsein des Fallseins erst mit Aussagen ins Spiel und damit das Fallsein selbst. Offensichtlich ist aber vieles wahr, jetzt schon, auch wenn wir es nicht wissen und folglich auch keine Aussagen darüber machen.
Ich glaube, dass in dem Fall Behauptung und Rechtfertigung zusammenfallen, ich hatte das sogar mal in einem griffigen Text hier im Forum dargestellt, den ich ggf. noch mal suchen kann sollte das hier wichtig sein.



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Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 10:43
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 10:38
MG hat geschrieben : "Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen."
Mit dem letzten "innen" ist allerdings nicht unser "Innen" gemeint.
Sehe ich auch so, Tosa. Wir registrieren die Welt durch Welt. Unserem Erkennen wird Maß gegeben durch Welt.
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 11:45
aber erst mal ist es richtig, dass wir Welt von innen wahrnehmen und es ist, wie Jörn richtig anmerkt, nicht innerhalb der Hautgrenzen, sonder Innerlichkeit damit gemeint, als das was in mir 'synthetisiert' wird.
Das meint Gabriel jedoch nicht. Er will die einfache Wahrheit hervorheben, dass unsere Zugang zur Welt selbst Teil der Welt ist. "Wenn ich einen Ton höre, so gehört der Ton, den ich höre, genau so zur Welt wie die Schallwellen, die an meine Ohr treffen."




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So 29. Jul 2018, 12:30

Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 11:45
Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 10:40
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 07:24
Ich habe mit seiner Sicht auch dann wenig Probleme, wenn ich ihn nicht ontologisch verstehe, dann würde ich dazu Sichtweisen oder Perspektiven sagen und das gehört für mich in den Bereich Erkenntnistheorie.
Aber es ist doch keine epistemologisch begründete Perspektiviertheit, dass der Ätna ein geologischer Gegenstand und zugleich ein Gegenstand von Erzählungen ist?
Kommt drauf an, was Du hier unter Erzählungen verstehst.
Verstehst Du darunter, dass er von Osten anders aussieht als von Westen? Nun, es gibt nur Erzählungen über den Ätna, denn auch der geologische Gegenstand Ätna ist eine Erzählung (eine der Geologen) und den Ätna an sich, aus einer Perspektive von Nirgendwo gibt es deshalb nicht weil es keine Perspektive von Nirgendwo gibt.
Wenn man "der Ätna" sagt, bezieht man sich aber auf einen Vulkan und zugleich auf einen semantische, alltagssprachliche Schnittmenge.
Dann glaubst du also, dass es die geologische Erhebung auf Sizilien in einer beobachterfreien Welt nicht geben kann? Das impliziert die Aussage, es gebe den Ätna an sich nicht.

Ich meine, dass es eine unendlich lange Beschreibung sein müsste, die den Ätna voll und ganz zu beschreiben vermöchte. Denn auch alle Relationen mit Bezug auf ihn müssten beschrieben werden, auch die Tatsache, dass er jetzt gerade durch uns gedacht wird etc. ad infinitum.
Es gibt also 'den' einen Ätna gar nicht im Sinne einer einzigen Beschreibungsweise, und doch ist er uns immer nur in der Form von Beschreibungen gegeben, wobei diese Beschreibungen des Ätnas nicht von einer einzigen Gegebenheit des Ätnas handeln.

Der Ätna ist gegeben als geologische Erhebung auf der Landmasse Sizilien. Er ist zugleich gegeben in der Geschichte des Feuer spuckenden Monsters, das unter der Erde lebt. Er ist zugleich gegeben in der Draufsicht vom den Krater umkreisenden Flugzeug aus etc.

Wo aber der Blick von oben auf den Krater nicht zur Bedingung hat, dass es einen Blickenden von oben gibt, der die Perspektive einnimmt, sondern allein die räumliche Eingelassenheit des Ätnas die Perspektive von oben als die Möglichkeit, ihn von oben zu sehen, ergibt, ist der Ätna in der Geschichte des Feuer spuckenden Monsters auf einen Autor angewiesen, der die Geschichte erzählt. Nichtsdestotrotz handelt die Erzählung von diesem Ätna, nur eben in der Form eines beschriebenen Gegenstands in einer fiktionalen Geschichte. Aber diese semantische Form in der fiktionalen Erzählung unterscheidet sich betreffend seine (vollwertige) Wirklichkeit in keinster Weise von der semantischen Form in einer geologischen Theorie. In keiner Weise wird uns der Ätna anders gegeben sein können als eine Beschreibung seines wirklichen Gegebenseins. Auch als Sinnesdatum ist er nichts Unbegriffliches, denn er ragt ja als von anderem Verschiedenes heraus, was eine Begrifflichkeit voraussetzt. Anschauungen ohne Begriffe sind blind.
So ist uns der Ätna als Ätna nie einfach nur in dieser oder jener Perspektive gegeben, sondern immer in seiner entsprechenden Gegebenheit begrifflich bestimmt. Einige dieser begrifflichen Gegebenheiten (Perspektiven) hängen von uns ab, andere wiederum nicht.
Bezüglich des ontologischen Status (Ätna als Gegenstand in einer fiktionalen Geschichte, Ätna als räumliches Objekt, Ätna als identitätsstiftendes Merkmal einer Region, Ätna als geologisches Objekt etc.) reden wir aber nicht einfach vom Gegebensein desselben unter anderen epistemologischen Vorzeichen, sondern vom Gegebensein in einer ontologisch verschiedenen Grundform des Seins dieses Einen.



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So 29. Jul 2018, 12:43

MG hat geschrieben : Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen.
MG hat geschrieben : Das Denken gehört zu dem, was es gibt, und beschäftigt sich nicht »von außen« mit dem, was es gibt.
Hier das gleiche noch einmal in einer anderen Formulierung. Gabriel wendet sich damit gegen die Idee der "Welt ohne Beobachter". Also den Gedanken, dass wir die Welt im Grunde grundsätzlich erst dann objektiv erfassen, wenn wir uns selbst rausgerechnet haben.




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So 29. Jul 2018, 12:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 12:30
Das meint Gabriel jedoch nicht. Er will die einfache Wahrheit hervorheben, dass unsere Zugang zur Welt selbst Teil der Welt ist. "Wenn ich einen Ton höre, so gehört der Ton, den ich höre, genau so zur Welt wie die Schallwellen, die an meine Ohr treffen."
Da ich das schon mehrfach unterschrieben, selbst ausgeführt habe und vertrete, hier gerne auch noch ein weiteres Mal.
(Ansonsten muss ich nun wieder zur Arbeit.)



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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So 29. Jul 2018, 13:29

Mag sein, mag nicht sein ... dennoch ist meines Erachtens mit "innen" in dem Zitat nicht "Innerlichkeit" gemeint, so wie du oben geltend machst.




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Alethos
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So 29. Jul 2018, 13:59

Ist mit 'innen' nicht eher die Vorstellung eines Weltinneren gemeint? Dass wir in der Welt sind, hat auch einen prägenden Einfluss auf unsere Weise, die Welt zu erklären.



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Jörn Budesheim
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So 29. Jul 2018, 14:16

Ich meine eher, das wendet sich gegen die Neigung, Dinge die vermeintlich oder tatsächlich "an uns" hängen aus dem Katalog des "wirklich existierenden" auszuschließen. Dazu gehört (um dem Beispiel zu folgen) die Frage, ob es Farben und Töne wirklich gibt. Das gleiche gilt für Werte etc. und die Hexen in Macbeth.

Auch das hängt (nach meiner Einschätzung) mit dem Putnamschen Gedankenexperiment zusammen. Putnam widerlegt damit eine bestimmte Version des metaphysischen Realismus, er interpretiert das Experiment aber "antirealistisch". Die verschiedenen Perspektiven sind unseren verschiedenen Begriffssystemen geschuldet. Weshalb er von einem begrifflichen Relativismus spricht. Was da als existierend erscheint, gibt es nicht "wirklich". Unter Gabriels Analyse wird daraus ein ontologischer Relativismus. Die vielen Wahrheiten, sind nicht reaktiv auf unsere Diskurse da, sondern an sich selbst.




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Alethos
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So 29. Jul 2018, 16:02

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 14:16
Ich meine eher, das wendet sich gegen die Neigung, Dinge die vermeintlich oder tatsächlich "an uns" hängen aus dem Katalog des "wirklich existierenden" auszuschließen. Dazu gehört (um dem Beispiel zu folgen) die Frage, ob es Farben und Töne wirklich gibt. Das gleiche gilt für Werte etc. und die Hexen in Macbeth.
Ja, ich vermute, deine Einschätzung ist richtig.

Das realistische Konzept kämpft gegen die Ansicht an, dass es mit der Physikalität eine 'tragende, unterste Ebene' gebe. Die Kritik am physikalistischen Monismus lautet, dass er eine starke Wirklichkeit insinuiere, sozusagen eine wirkliche Wirklichkeit, von der es die schwache, deduzierte, abhängige Scheinwirklichkeit, abzuziehen gilt, um das Sein ontologisch richtig zu erfassen. Diese Scheinwirklichkeit, zu der übrigens auch moralische Werte zählen, bezeichnet man dann am liebsten auch gar nicht als Wirklichkeit, sondern als Epistemologie, als Konventionalismus oder als begriffliche Konstruiertheit durch Subjekte, jedenfalls als etwas, das nicht durch sich selbst Seinsrechte geltend machen könnte.

Darum ist es ein wichtiges Verdienst der realistischen Debatte, dass alle diese als nur scheinbar wirklich geltenden Wirklichkeitsfacetten wieder zurückfinden in den Schoss der Objektivität. Nicht zuletzt deshalb, weil wer einen Reduktionismus à la Laplace postuliert, sich als moralischen Nihilisten, Pessimisten oder aber im besten Fall als Relativisten verstehen muss. Denn wo alles nur Materie ist, da gibt es keine Werte. Dann steht es aber schlecht um die Durchsetzung der Universalität, z.B. von Menschenrechten.

Man kann gerne zu einem Urgrund von allem tauchen, es sich also so denken, dass alles in der Welt einen physikalischen Grund hat, aber was will man dort denn anderes finden als quantenphysikalische Partikel? Es gibt keinen Nutzen darin, sich die Welt als physikalisches Puzzle zu denken, weshalb es nicht einmal unter utilitaristischen Geichtspunkten Sinn ergibt, es zu tun. Zudem unterminiert es essentielle sozialpolitische Bestrebungen der Durchsetzung real existierender Werte, weshalb es doch unter diesem Aspekt sogar geboten ist, sich nicht auf solche reduktionistischen Modelle zu beschränken?
Zuletzt geändert von Alethos am So 29. Jul 2018, 16:05, insgesamt 2-mal geändert.



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