Sinnfelder etc.

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Alethos
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Sa 17. Aug 2019, 11:43

Bei Kant ist die Welt 'das Feld möglicher Erfahrung', aber Welt eben nicht konstitutives Ganzes, sondern nur regulatives Ganzes, d.h. eine Universalienfunktion von Existenz darbietend. Denn wenn wir nach der Existenz von etwas fragen, also inwiefern etwas existiere, dann fragen wir ja nach der Eigenschaft von Existenz überhaupt, so dass wir sie allem Existierenden zuschreiben können. Das aber wiederum setzt voraus, dass erstens dies alles, was existiert, auch existiere und zweitens, dass es eine universalisierende Existenzeigenschaft gebe, die auf alles Seiende Anwendung finden kann, sofern es Seiendes überhaupt sein soll.

Aber diese universalisierende Funktion ist bei Kant nichts anderes als 'das Feld möglicher Erscheinung' und bei Gabriel 'Erscheinung in einem Sinnfeld'. Bei Gabriel ist also die Idee, dass Existenz eine so und so geartete Eigenschaft von allem sei, in einem Feld zu erscheinen, gleichbedeutend mit der regulativen Idee, dass alles als Erscheinung im Feld möglicher Erscheinungen vorkomme: nicht im Sinne eines konstitutiven in der Welt Erscheinens, sondern in Form eines universalisierenden Existenzprädikats. Sofern nämlich für alles gelten soll, dass es Erscheinung sei, werden diese alle unter einer universalistischen Prämisse existential zusammengedacht. Das ist die regulative Idee bei Kant.
Zuletzt geändert von Alethos am Sa 17. Aug 2019, 12:07, insgesamt 1-mal geändert.



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Jörn Budesheim
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Sa 17. Aug 2019, 11:59

Ich glaube, es war im letzten Jahr - da erhielt der Bonner Mathematiker Peter Scholze einen bedeutsamen Preis. Wenn ich es recht verstanden habe, erforscht er die natürlichen Zahlen. Ich hätte nicht gedacht, dass sich ein Mathematiker damit beschäftigt. Doch die Probleme, um die es dabei geht, sind so komplex, liest man, dass selbst viele Mathematiker sie nicht verstehen noch lösen können.

Ich bin kein Mathematiker. Die 7 gehört jedoch, da bin ich mir noch recht sicher, zu den natürlichen Zahlen. In welchen Bereich dieses Feld gehört kann ich dir nicht sagen, vielleicht in einem erweiterten Bereich von Zahlen und abstrakten Dingen.

Vor ein zwei Jahren wollte Herr K. von mir wissen, in welchem Bereich das Universum vorkommt. Ich bin auch kein Physiker. Bis vor kurzem schien die Ansicht, dass das Universum einen Anfang hatte, in der Physik "das letzte Wort" zu sein. Aber schaut man sich für ein breites Publikum aufbereitete Filme (etwa bei BBC) dazu an, scheint diese Ansicht mittlerweile in Frage gestellt zu werden. Und zwar mit einem Argument, das sogar Laien wie ich verstehen: Von Nichts kommt nichts.

Die Ontologie von Gabriel versucht den Begriff der Existenz zu klären und von da aus den Weltbegriff. Daraus kann sich natürlich auch ein "Forschungsfeld" ergeben: In welchen Bereich gehört der Bereich der Zahlen, in welchen Bereich gehört dieser Bereich seinerseits, etc. Das sind Spezialfragen, die ggf. von den Spezialdisziplinen erörtert werden müssen. Dass ich als Nicht-Mathematiker die Antwort nicht kenne und sie mir auch nur schwer vorstellen kann, heißt nicht, dass es sie nicht gibt.

Im Bereich der Physik scheint es ähnlich kompliziert zu sein. Gibt es viele Universen? Unendlich viele? Was heißt das überhaupt? Gibt es vier Dimensionen oder X Dimensionen? Keine Ahnung. Sind die letzten "kleinen Teile" schon entdeckt? Gibt es so etwas überhaupt oder ist das physikalische Universum eine ideelle (mathematische!) Struktur?

Ich glaube nicht, dass die Sinnfeld-Ontologie beansprucht eine Antwort auf alle Fragen in petto zu haben. Sie macht einen (wie ich finde) plausiblen Vorschlag ... und damit eröffnet sich ein neues Forschungsfeld. Ist es wahrscheinlich, dass es irgendwo eine letzte Mauer gibt? Keine Ahnung ... aber man wird dann vielleicht fragen, was dahinter ist :-)




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 11:59
Ich bin kein Mathematiker. Die 7 gehört jedoch, da bin ich mir noch recht sicher, zu den natürlichen Zahlen. In welchen Bereich dieses Feld gehört kann ich dir nicht sagen, vielleicht in einem erweiterten Bereich von Zahlen und abstrakten Dingen.
Das sehe ich auch so, dass die SFO neue Forschungsbereiche eröffnen kann, indem sie anregt zu überlegen, was es heisst, in einem bestimmten Sinn vorzukommen. Und es ist dabei ganz natürlich, dass wir immer wieder nach einem Davor und dem noch tiefer Zugrundeliegenden fragen - nach dem Davor des Universums oder dem Bereich von Zahlen. Dass wir hier nicht an ein Ende kommen können, wenn wir es kausalistisch angehen, liegt in der Natur der Sache.

Man muss aber kein Mathematiker und auch kein Astrophysiker sein, um festzustellen, dass Existenz existieren bedeutet, d.h. Sokrates sokratisiert und Pegasus pegasiert :) und dass diese Seienden, in welchem Sinn sie immer seien, zur Bedingung haben, in der Zeit zu sein. Denn nur unter dieser Bedingung können sie real sein und damit Gegenstand unserer Forschung, wenn sie mögliche Erscheinung sind. Über ein Zahlenreich jenseits von Zeit zu spekulieren ist einfach nur spekulativ und unmöglich empirisch jemals fruchtbar zu machen. Also müssen wir doch auch in der Philosophie auf robuste Realität bauen, weil sie sonst keine Kunstform sein könnte, die es mit Wahrheit zu tun haben will.



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Darauf können wir uns nicht einigen, das scheint mir eine Form des Naturalismus zu sein. Ich sehe nicht, warum alles in der Zeit sein sollte, gerade Zahlen, Tatsachen und Wahrheiten zeigen, dass es nicht so ist. Der große Vorteil der Sinnfeld-Ontologie ist ja, dass sie den Eigenwert der Gegenstände akzeptiert. Und das willst du offenbar wieder zurückdrehen.

(Und wieso jetzt Quine?)




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Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 12:21
Über ein Zahlenreich jenseits von Zeit zu spekulieren ist einfach nur spekulativ und unmöglich empirisch jemals fruchtbar zu machen.
Wie soll man sich denn die empirische Erforschung der Zahlen vorstellen, mittels eines Teilchenbeschleunigers?




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Alethos
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 13:19
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 12:21
Über ein Zahlenreich jenseits von Zeit zu spekulieren ist einfach nur spekulativ und unmöglich empirisch jemals fruchtbar zu machen.
Wie soll man sich denn die empirische Erforschung der Zahlen vorstellen, mittels eines Teilchenbeschleunigers?
Natürlich nicht. Zahlen sind keine atomaren Konstrukte, sie können durch den raumzeitlichen Aufbau von Materie nicht begriffen werden. Was aber kein Indiz (und erst recht nicht ein Argument) gegen die Existenz von Zahlen (und eines jeden Einzelnen) in Zeit ist.

Ich glaube auch nicht, dass man Zahlen (vielleicht die natürlichen noch eher) in einem 'abstrahierenden Tun' zur Existenz zu verhelfen braucht. Sie haben also nicht einen sekundären ontologischen Status, etwa gegenüber Atomen, weil sie (die Zahlen) von diesen abgeleitet worden wären. Sie sind Zahlen, also Entitäten, die in bestimmten Sinnfeldern vorkommen: in Zählungen von Fingern an der Hand, als irrationale Zahlen in mathematischen Formeln, auf Hausnummern und Strassenschildern, in der Logik. Ich denke, dass die Tatsache, Zahl zu sein, bedeutet, ein Gegenstand zu sein, durch den vielfältige Strukturen gegeben werden, die es möglich machen, zu wahren Aussagen über den vielfältigen Sinn des Seins dieses Gegenstandes zu kommen. Die Bundesrepublik Deutschland bspw. ist nur möglich, weil es Politik gibt (politischer Aspekt des vielfältigen BRD-Seins). Und in einem anderen Sinne, weil es Geografie gibt. In einem anderen Sinne, weil es Geschichte gibt. Weil es Deutsche gibt. Weil es Nichtdeutsche gibt etc. Bundesrepublik zu sein unterscheidet sich aber ontologisch in nichts vom Zahlsein. Eine Zahl ist in vielfältige Strukturen eingelassen, durch die sie eben Zahl in vielfältiger Weise sein kann. Besser: Dadurch, dass sie Zahl ist, erscheinen die Hintergründe, vor denen sich ihr vielfältiges Sein artikuliert, manifestiert, konkretisiert (wie immer du es nennen willst).

Und nun mag man sich fragen: Ja, aber was ist denn der Grund für das Zahlsein, was verhilft der Zahl dazu, dieses Ding zu sein. Und da würde ich sagen, das sind die sie individuierenden Eigenschaften: Durch sich selbst teilbar zu sein, keine räumliche Ausdehnung zu haben, keine Masse zu haben, Produkt, Summand, Divisor etc. in mathematischen Operationen zu sein etc. Durch alle diese Eigenschaften ist die Zahl eine Zahl und als solche ist sie komplett erfahrbar und somit in einem vollwertig empirischen Sinne Seiendes.



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Sa 17. Aug 2019, 15:06

Du hast einiges über die Eigenschaften der Zahlen geschrieben, es fehlten jedoch zwei wichtige Dinge, wenn ich recht sehe: Das Zeitliche der Zahl und wie man sie empirisch erforscht.




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Alethos
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 13:09
Darauf können wir uns nicht einigen, das scheint mir eine Form des Naturalismus zu sein. Ich sehe nicht, warum alles in der Zeit sein sollte, gerade Zahlen, Tatsachen und Wahrheiten zeigen, dass es nicht so ist. Der große Vorteil der Sinnfeld-Ontologie ist ja, dass sie den Eigenwert der Gegenstände akzeptiert. Und das willst du offenbar wieder zurückdrehen.

(Und wieso jetzt Quine?)
Ich erkenne nirgends, dass ich naturalistisch argumentieren würde. Du bastelst dir aus der von mir eingebrachten Zeitlichkeit eine Raumzeitlichkeit und meinst, dass ich alles für Materie halte oder zu einer Natur gehörig. Nein, ich bin Realist und behaupte, dass nur sein kann, was potentiell erscheinen kann resp. dass nur das existiert, was erscheint.

Ich bin ontologischer Pluralist und gehe lediglich gegen die Annahme, die SFO sei nicht Transzendentalphilosophie - denn sie ist Transzendentalontologie, was ja Gabriel selber zugibt.



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Sa 17. Aug 2019, 15:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 15:06
Du hast einiges über die Eigenschaften der Zahlen geschrieben, es fehlten jedoch zwei wichtige Dinge, wenn ich recht sehe: Das Zeitliche der Zahl und wie man sie empirisch erforscht.
Durch denken erforscht man Zahlen.



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Sa 17. Aug 2019, 15:17

Da müsste man mal einen Physiker fragen. Ich glaube nicht, dass man die Zeit für sich allein ohne Raum und Materie/Energie haben kann. Ich vermute, wenn du eins davon aufrufst, rufst du alles auf. Wenn du die Zeit zur Voraussetzung machst, machst du alles andere auch dazu. Zumindestens schätze ich das.

Ich habe auch nicht direkt von der Naturalismus gesprochen, sondern von einer besonderen Art des Naturalismus.




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Sa 17. Aug 2019, 15:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 15:06
Du hast einiges über die Eigenschaften der Zahlen geschrieben, es fehlten jedoch zwei wichtige Dinge, wenn ich recht sehe: Das Zeitliche der Zahl und wie man sie empirisch erforscht.
Das Zeitliche der Zahl ist, dass sie in Systemen vorkommen muss, zu deren Strukturiertheit sie selbst beiträgt. Eine Zahl ist immer relational zu etwas.. eine Relation bedarf aber der Gleichzeitigkeit von etwas und etwas anderem. Es ist nicht anders möglich, als die Zahl als etwas Zeitliches zu betrachten.. nur als solches ist sie in einem relevanten Sinne real.

Du hast offenbar ein Problem damit, weil du mit Zeitlichkeit Veränderung verknüpfst oder Vergänglichkeit.



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Sa 17. Aug 2019, 15:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 15:17
Da müsste man mal einen Physiker fragen. Ich glaube nicht, dass man die Zeit für sich allein ohne Raum und Materie/Energie haben kann. Ich vermute, wenn du eins davon aufrufst, rufst du alles auf. Wenn du die Zeit zur Voraussetzung machst, machst du alles andere auch dazu. Zumindestens schätze ich das.

Ich habe auch nicht direkt von der Naturalismus gesprochen, sondern von einer besonderen Art des Naturalismus.
Dass du das von mir Gesagte für eine Art von Naturalismus hältst, entspringt offensichtlich der falschen Annahme, dass Zeit den Raum 'aufschliesst'. Wir beide können uns doch einen perfekten Quader denken, ihn in unserer Vorstellung drehen und wenden, es hat nirgends eine Ausdehnung. Aber es hat Zeit. Denn allein schon das Ziehen der Linien erfordert Zeit, geschweige denn das Drehen und Wenden :)

Darum Quine: Ein Quader quadert.. es braucht eine zeitliche Erstreckung, um Quader zu sein. Ein ideales Quadrat braucht dazu nicht einmal Raum.

Bin nicht sicher, ob Physiker hier helfen können, da ihr Fachgebiet das Physikalische ist (das Raumzeitliche)



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Sa 17. Aug 2019, 17:36

Ich kann mir keinen Quader vorstellen, der keine räumliche Ausdehnung hat. Das kann jedoch ein Sprachproblem sein. Ein Quader ist für mich etwas dreidimensionales. Ein Quadrat ist hingegen etwas zweidimensionales. Aber was von beiden ich auch nehme, ich habe nicht die geringsten Probleme, mir sie zeitlos vorzustellen.

Wenn ich den Quader hingegen auch noch drehen will, dann braucht es tatsächlich Zeit. Denn hier geht es um Veränderung. Der Quader ändert seine Position im Raum.

Meines Erachtens kann man nicht über Zeit reden und allein Gleichzeitigkeit meinen. Zeit heißt, dass die Zeit vergeht, sie hat eine Richtung. Wir sprechen von einem Zeitpfeil. Es gibt meines Erachtens an den Zahlen nichts, was die Rede von der Zeit rechtfertigt. Die sieben hat keine Richtung auf die Zukunft und sie kommt auch nicht aus der Vergangenheit. Und was soll das überhaupt bedeuten, dass die sieben und die fünf gleichzeitig sind?

Also ich für meinen Teil kaufe das nicht.




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Alethos
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Sa 17. Aug 2019, 18:46

Ich verweise an dieser Stelle auf die Transzendentale Elementarlehre Kants, die du entweder übersprungen oder widerlegt hast, oder du kannst andere Argumente ins Feld führen für Zeit als eine Erscheinung an den Dingen selbst, also als etwas, das a posteriori erkannt würde.

Wie dem auch sei: Nimm ein Quadrat, wenn es dir beliebt. Du kannst dir ein Quadrat denken oder ein gleichschenkliges Dreieck. Nirgends brauchst du Raum dazu, aber immer Zeit. Oder nimm einen Gedanken, den du denkst. Du kannst dir die Beziehung von a zu b im Urteil 'a ist ungleich b' denken, ohne hierfür auf Erfahrung zu rekurrieren resp. ohne hierfür einen Raum vorauszusetzen, darin a und b ausgedehnt erschienen. Gedanken sind räumlich ebenso unausgedehnt wie Zahlen, aber sie sind nie zeitlos.

Und nun kannst du natürlich behaupten, was immer du willst, z.B. dass Zahlen irgendwo bestehen oder negativ definieren, sie seien nicht in der Zeit, jedoch ohne zu sagen, wo. Dann verlässt du aber alle Realität, die dir und mir gleichsam gegeben sein kann. Dann fabulierst du jedoch an einem Existenzbegriff herum, ohne auch nur die Anstalt eines Versuchs zu wagen, dir oder mir zu erklären, wo diese Zahl existieren soll. Denn würdest du sagen, was du nicht tust, sie könne wenigstens gedacht werden (wo ich beipflichten würde), so müsstest du wenigstens Zeit als inneren Sinn bezeichnen, und damit Zeit als Bedingung apriori deiner Erkenntnis dieses Gedankens der Zahl anerkennen. Irgendwo musst du die Zahl verorten: denn jedes Sinnfeld muss notwendig in einem anderen ad infinitum existieren: So auch die Zahlen.



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Sa 17. Aug 2019, 19:53

Ich sage nicht, dass sie irgendwo vorkommen. Die 5 kommt im Bereich der natürlichen Zahlen vor. Dieser Bereich ist in sich unendlich ... Die natürlichen Zahlen mögen darüberhinaus ein Bereich im Bereich der Zahlen überhaupt sein, dieser Bereich gehört zur Realität der Abstraktionen etc. p.p.

Zahlen haben Eigenschaften, die von Wissenschaftlern erforscht werden. Der angesehene Mathematiker Peter Scholze ist der Ansicht, "dass die Zahlen unabhängig von uns sind. In welchem Sinne sie „existieren“ ist vielleicht schwer zu sagen, sicherlich nicht als konkrete Objekte [also raumzeitlichen Dinge] unserer Welt. Ich fühle mich aber wie ein Physiker, der die zugrundeliegenden Gesetze der Zahlen erforscht. So wie der Physiker die Welt ergründet, versuche ich einfach, die ganzen Zahlen zu erforschen. [...] Die Zahlen sind Teil von unserer Welt." (Peter Scholze)

Zahlen haben Eigenschaften, die man erforschen kann, man kann sich über die irren und richtig liegen, das ist kein schlechtes Indiz dafür, dass sie existieren. Zahlen sind also Teil unserer Welt (= Teil dessen, was es gibt), wie Scholz sagt, aber nicht des raumzeitlichen Bereichs, sondern des Bereichs der abstrakten Entitäten.

Es würde mich schon sehr wundern, wann Kant an der besagten Stelle, die du andeutest, über Zahlen als Gegenstände möglicher Erfahrung sprechen würde :-) Zahlen werden schließlich auch nicht empirisch erforscht. Wir können sie auch nicht sehen, schmecken oder riechen. Man sollte auch nicht Ding und Gegenstand verwechseln: Die Bedingung der Möglichkeit raumzeitliche Gegenstände zu erkennen sind sicherlich andere, als die Bedingung der Möglichkeit abstrakte Entitäten wie Zahlen zu erkennen. Und die Bedingungen der Möglichkeit Gedichte zu verstehen oder Musikwerke sind wiederum andere. Und die Bedingung der Möglichkeiten ethisch zu handeln sind wieder andere... es ist keine gute Idee, das alles unter einen Hut bringen zu wollen, denn dort gehört es nicht hin.




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Sa 17. Aug 2019, 21:15

Kant hat auch nicht behauptet, dass Zahlen Gegenstände der Erfahrung, sondern dass sie Gegenstände der reinen Anschauung seien, also im Felde der Mathematik angesiedelt wären. Diese reine Anschauung ist nur zu haben mittels eines inneren Sinns, und ich überlasse es dir zu forschen, was dieser sei :)

Betreffend Zahlen in der SFO: Du schreibst vom Bereich der Abstraktionen. Nachvollziehbar. Meinst du damit eine abstrahierende Tätigkeit des Verstandes oder meinst du damit etwas anderes?
Dies vielleicht als Einleitung zum Ende dieser Erörterung.

Zur SFO generell: Sie hat es mit Einzeldingen zu tun, deren Existenz nach einem Kriterium bewertet wird - in einem
Feld zu erscheinen. Das hat natürlich ganz viele Konsequenzen für alle Existenzkonzepte, die eine ontologisch vorrangige 'Ebene' annehmen: Welt, Natur, Physik, Geist, Gott etc. Es ist das Verdienst der SFO, dass sie die Dinge unter den lokalen Bedingungen ihres Erscheinens untersucht und damit befreit von allen Metaphysik-Gelüsten. Die Allmacht eines Bereichs, der bevorzugt in der Form 'Alles ist x' vorkommt, wird gebrochen. Das ist insofern relevant, weil es einen Blick auf die Dinge öffnet, wie sie ihrem Wesen nach sind, und ihrem Wesen nach sind sie vielfältig. Unter einander sind sie verschieden, aber auch in sich sind sie es. Denn auch das noch so eindeutig individuierte Etwas, es ist ja nicht nur in diesem Sinn Dieses, sondern es ist Dieses in ganz vielfältiger Weise. Eine 'rote Blume auf der Wiese' ist nicht einfach nur ein botanisches Phänomen, es ist ein photographisches, ein malerisches, ein duftendes, ein Zeichen der Verliebtheit, der Vergänglichkeit, ein Nahrungsmittel, Inhalt eines Gedankens usw. usf. Diese Bedeutungsvielfalt rückt die SFO in den Vordergrund und verleiht den 'Aspekten' des Dingseins eine prominente Rolle im theoretischen Modell. Das ist ihre Schönheit, wie ich finde, dass sie die indefiniten Differenzierungen eines Individuums gleichberechtigt hervorhebt. Durch sie eröffnet sich im Einzelding eine unendliche Bedeutungsweite, die nicht einfach akzidentiell ist, beiläufig ist, sondern ganz integral zum Sinn gehört, in welchem es Ding ist.



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So 18. Aug 2019, 07:18

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 15:12
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 15:06
Du hast einiges über die Eigenschaften der Zahlen geschrieben, es fehlten jedoch zwei wichtige Dinge, wenn ich recht sehe: Das Zeitliche der Zahl und wie man sie empirisch erforscht.
Durch denken erforscht man Zahlen.
Genau, das ist allerdings nicht das, was man gemeinhin unter empirischer Forschung versteht :)




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So 18. Aug 2019, 07:33

Zur SFO generell: Sie hat es mit Einzeldingen zu tun, deren Existenz nach einem Kriterium bewertet wird - in einem
Feld zu erscheinen.
Nur kurz ein zwei Sachen. Die SFO hat es meines Erachtens nicht alleine mit Einzeldingen zu tun, die 5 ist kein Einzelding, aber dennoch Gegenstand dieser Ontologie.

Der Begriff des Erscheinens ist im vorliegenden Zusammenhang schwierig, da Kant ihn ja mit ganz anderer Bedeutung ebenso verwendet.

Die Sache mit dem Kriterium und der Bewertung verstehe ich nicht wirklich?!




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Jörn hat geschrieben : Du hast einiges über die Eigenschaften der Zahlen geschrieben, es fehlten jedoch zwei wichtige Dinge, wenn ich recht sehe: Das Zeitliche der Zahl und wie man sie empirisch erforscht.
Alethos hat geschrieben : Durch denken erforscht man Zahlen
Jörn hat geschrieben : Genau, das ist allerdings nicht das, was man gemeinhin unter empirischer Forschung versteht :)
Alethos hat geschrieben : Was auch niemand behauptete. Ich sagte, sie sei 'vollwertig empirisch Seiendes', also etwas, das ganz real existiert und potenziell erfahrbar ist wie ein jedes andere Existierende auch. Alles in einem hier besprochenen Sinne ist 'Erscheinung' :)
[Jörn= leider habe ich aus Versehen den Beitrag editiert, statt sie zu zitieren, ich konnte ihn aber notdürftig wieder rekonstruieren :-(]



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Alethos hat geschrieben :
So 18. Aug 2019, 08:26
Was auch niemand behauptete.
Ich habe mich auf folgendes bezogen:
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Aug 2019, 12:21
Über ein Zahlenreich jenseits von Zeit zu spekulieren ist einfach nur spekulativ und unmöglich empirisch jemals fruchtbar zu machen.
Wie soll ich das denn verstehen "empirisch fruchtbar machen"? Meine Interpretation war pi mal Daumen so: statt auf Spekulationen sollte man auf empirische Forschung zielen.

Wenn praktisch jede einzelne Formulierungen Anlass zu Missverständnissen gibt, dann ist es schwierig zu einem gemeinschaftlichen Verständnis zu kommen :(




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