Meditation und ihr philosophischer Gehalt

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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herbert clemens hat geschrieben :
Fr 9. Nov 2018, 09:11
Das sehe ich auch so
Dann - schätze ich - hab ich dich bisher nicht verstanden oder du mich bisher nicht. Aber wir müssen das auch nicht vertiefen :-)




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proximus
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Sa 10. Nov 2018, 07:45

Im gegebenen Kontext::

Je tiefer die Meditation um so weniger universalistischer philosophischer Gehalt.



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

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Jörn Budesheim
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Sa 10. Nov 2018, 08:01



heute morgen wollte ich mal eine Kerzenmeditation ausprobieren. Aber diese war nicht wirklich nach meinem Geschmack, das wäre mir entschieden zu esoterisch :-) hat jemand dazu irgendwelche ernstgemeinte Tipps oder Empfehlungen?




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proximus
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Sa 10. Nov 2018, 08:02

Du könntest die Kerzenmeditation sein lassen.



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

flechtlicht
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Sa 10. Nov 2018, 22:35

flechtlicht hat geschrieben :
Mi 7. Nov 2018, 10:58
Von der Göttin zärtlich berührt, von Gott segnend die Stirn geküsst, öffnet der Menschensohn die Augen und blickt in das Licht der Welt...
Jeder Schritt ist Deiner, jeder Atemzug bist Du, jeder ❤️ schlag ein kontrollierter Urknall...
Es ist schön so zu sein, in der ganzen Vielfalt und all-ein.

Lausche und sieh, Engelsgesang wird Form und Gestalt, Wärme und Farbe, erhebt unsere Welt zum Lobgesang - kein Schöpfer, kein Geschöpf, ein, ein, ein Bewusstsein ohne Grenzen, ohne Form, ohne Zeit, das alles sieht und ist, ohne jemals gesehen zu werden.

Das bist Du.

https://m.youtube.com/watch?v=ggUtlUHIqQQ
Hallo Jörn,

Warum hast Du mich für diesen Beitrag verwarnt?




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Jörn Budesheim
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So 11. Nov 2018, 05:45

Ein Fehlklick, weswegen die Verwarnung ja auch schon wieder aufgehoben ist.




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Jörn Budesheim
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So 11. Nov 2018, 08:10



Diese kurze Übung fand ich schon besser. Besonders eigenartig ist die Erfahrung einerseits "durch die Kerze hindurch" zu schauen, sich aber anderseits auf die (bei mir: verdoppelte) Kerze zu konzentrieren. Es ist sogar Recht anstrengende, das Doppelbild der Kerze aufrecht zu erhalten, weswegen die beiden "Pausen" Recht willkommen waren :-)

Zunehmend mache ich die Erfahrung, dass ich - nachdem ich hier etwas geschrieben habe - leicht Probleme habe, mich ganz zu versenken, weil die philosophischen Gedanken noch nachhallen. Eine Meditations-Praxis empfiehlt (vielleicht daher): Aufstehen, Pinkeln, Meditieren ... vielleicht sollte ich das Mal probieren :-)




Tosa Inu
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 11. Nov 2018, 08:10
Zunehmend mache ich die Erfahrung, dass ich - nachdem ich hier etwas geschrieben habe - leicht Probleme habe, mich ganz zu versenken, weil die philosophischen Gedanken noch nachhallen.
Das ist ein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass die Mediation den Status den Besonderen und Spannenden allmählich verliert.
Nun weiß man, was der Körper für Zicken macht und der Alltag und seine Gedanken kehren zurück oder dringen ein, in die Meditation.
Wenn die Gedanken nicht geführt oder auf ein Objekt gerichtet werden, gehen sie spazieren und das natürlich in den Regionen, in denen man auch sonst wandelt.

Irgendwann wird die Meditation langweilig und dann wird es interessant. Die meisten hören dann auf, weil sie sagen, dass sie das ja jetzt kennen. Man hat dann eben auch mal eine Zeit in seinem Leben meditiert, war ganz nett und man hat eben was zu erzählen, andere waren beim Bund oder auf Krk.
Wer weiter macht, wird immer wieder vom Alltag „belästigt“, aber man ertappt sich auch immer öfter dabei, kann lächeln und wieder auf von neuem starten, bis man sich wieder mit aller Lust auf Denkbares stürzt und sich gerne entführen lässt und minutenlang denkt. Hier empfiehlt sich das Zählen der Atemzüge von 1 bis 10, denn wenn man plötzlich bei 16 oder 34 ist, merkt man, dass da was schief gelaufen ist.

Aber mit jedem Mal, bei dem man zurück kehrt in den Modus der umfassenden Aufmerksamkeit jenseits konkreter Denkinhalte stärkt man diesen Bereich, wie einen Muskel. Sich selbst zu ertappen wird zu einer Gewohnheit und man merkt, die anstrengend es ist, nichts zu tun und mit offenem Gewahrsein da zu sitzen und wie freudig und man das bekannte Denken umarmt. Endlich ist man wieder zu Hause und darf in seinem Denken hin und her springen. Aber ganz allmählich gewinnt man eine andere Heimat dazu.

Eine, die immer wieder auch andere Menschen gefunden haben. In der Jubiläumsausgabe des philosophischen Radios, letztes Jahr, war unter anderem ein ehemaliger Astronaut eingeladen, dessen Schilderungen mich beeindruckten und die ich hier festgehalten und verarbeitet habe:
psyheu hat geschrieben : Mit den Begriffen Heimat, Freiheit und Ich können wir alle spontan etwas anfangen, wissen zumindest was im Alltag gemeint ist. Heimat ist, wo ich herkomme, Freiheit, wenn ich mehr oder weniger uneingeschränkt tun und lassen kann was ich will und ich, das bin eben ich, so wie ich bin, mit meinem Körper und meinen Fähigkeiten, Hobbys und Interessen. Nun ist der Begriff Heimat schon ein wenig breiter und wir alle kennen vermutlich beim zweiten Nachdenken auch Menschen, die sagen, ihre Heimat sei eher die Musik, die Literatur, eine bestimmte Lebensart oder ein Glaube, so dass der Begriff doch weniger abgeschlossen ist, als er erscheint:

„Der Begriff Heimat verweist zumeist auf eine Beziehung zwischen Mensch und Raum. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird er auf den Ort angewendet, in den ein Mensch hineingeboren wird und in dem die frühesten Sozialisationserlebnisse stattfinden, die zunächst Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und Weltauffassungen prägen. Der Begriff „Heimat“ steht in einer speziellen Beziehung zum Begriff der „Siedlung“; dieser bezieht sich, und damit im Gegensatz zum Wohnplatz, in der Regel auf eine sesshafte Lebensform, d.h. auf ein dauerhaftes bzw. langfristiges Sich-Niederlassen und Wohnen an einem Ort bzw. in einer Region. Der Heimatbegriff befindet sich in ständiger Diskussion.“[1]

Und doch bleibt ihm zumeist eine gewisse Verbindung zum Damals, eine Verwurzelung eigen. Plötzlich und unvermittelt ein Geruch, den man von früher kennt. Weil jemand kocht, ein bestimmtes Deo in der Luft liegt, man ein altes Lied hört und sofort ist man ein wenig auf einer kleinen, inneren Zeitreise, weil zu dem Eindruck meist Bilder und Assoziationen von früher aufsteigen. Um so merkwürdiger, wenn man Menschen hört, die ganz andere Vorstellungen von Heimat haben.

Einer davon ist der deutsche Physiker und Astronaut Gerhard Thiele, der in der Jubiläumssendung des philosophischen Radios zu Gast war. Wenn man von den Erfahrungen von Astronauten hört, dann ist ein häufiges Element ihrer Erzählungen, dass sie erst aus der Ferne des Weltraums eine immense Nähe zur Erde verspürt hätten, mit der sie sich fast magisch verbunden fühlten. Auch Thiele beschreibt den Anblick der Erde als sehr eindrucksvolle Erfahrung, aber für ihn ist eine andere Erfahrung noch viel anziehender, die unendliche schwarze Tiefe des Alls. Dieses Nichts, die Weite, die Schwärze. Und überraschenderweise beschreibt er seine Erfahrung als tiefes Gefühl der Heimat. Überraschend deshalb, weil er diesen Anblick vorher so noch nie haben konnte.

Etwas ähnliches habe ich selbst erlebt und in diesem Artikel [er ist ganz am Anfang dieses Threads verlinkt - T.I.] so beschrieben: „Was das für ein Empfinden war, vermochte ich anfangs noch nicht zu fassen, doch nach einiger Zeit war klar, dass es eine Art Heimatgefühl war, das ich mit der Meditation verband.“ Meditation war ein auch für mich zu der Zeit neues Erlebnis, zugleich erschien, das dazu eigentlich erneut unpassende Gefühl der Erfahrung einer Art Heimat.

Heimat und Freiheit

Was Gerhard Thieles‘ und meine Erfahrungen außerdem verbindet, ist die Kombination von Heimat und Freiheit. Eine Form von Freiheit, die zu einem guten Teil dadurch definiert ist, dass da einfach nichts ist, was Widerstände setzt, eine unendliche, schwarze Weite, einmal beim Blick aus dem Fenster des Raumschiffs, zum anderen beim Blick nach Innen. Wieso kann man das überhaupt als Heimat empfinden, hat Heimat nicht eher die Assoziation des Festen, Sicheren, Verwurzelten? Nun aber, dieses namenlose Nichts, was nicht zu greifen ist. Man kann es faszinierend finden, es ist vorstellbar, dass man es als reine Freiheit empfindet, die Reinhard Mey als „Über den Wolken“ liegend genau so besungen hat, wie mancher Schriftsteller sie eingefangen hat, wenn es um das Fliegen ging. Die Freiheit zu denken fällt hier nicht schwer, aber Heimat?

Wenn Heimat das ist, wo wir in irgendeinem Sinne herkommen, dann kann das Grenzenlose doch eine tief in uns sitzende Erinnerung an ein sehr frühes Früher sein. ...

Quelle und weiterlesen



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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So 11. Nov 2018, 10:05

Tosa Inu hat geschrieben :
So 11. Nov 2018, 09:55
Irgendwann wird die Meditation langweilig und dann wird es interessant.
Ja stimmt, kann ich langsam nachvollziehen. Wenn sie das Neue und Aufregende verliert, kommt man der Sache wohl nochmal näher. Für mich ist das Ganze ein Langzeitprojekt, ich hab von Anfang an damit gerechnet, dass es dauert und ich Höhen und Tiefen durchmachen muss. Ich bin ja jetzt erst Viertel Jahr dabei.




herbert clemens
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Mo 12. Nov 2018, 11:45

Aufgrund von TosaInus Hinweis
"Quelle und weiterlesen" bin ich auf Ken Wilber gestoßen. Zitiere aus:
https://integralesforum.org/medien/inte ... e-der-welt
„Die Vorstellung, dass es ein Aufwachen gibt zu unserem wahren Selbst, zu unserer höchsten Identität, zum Seinsgrund, das ist weitestgehend unbekannt. Dieser erwachte Seinszustand ist das Herzstück aller spirituellen Systeme der Welt und doch irren die meisten von uns ohne Kenntnis dessen herum, gefangen in der Welt relativer Wirklichkeit, unempfänglich für das, was darüber hinausgeht, verlorenen in Träumen und Illusionen.
Der integrale Rahmen gibt uns einen Überblick über diese ganz entscheidenden und grundlegenden Dimensionen unserer Existenz, doch dazu müssen wir uns ihrer erst einmal so bewusst wie möglich werden.
Das ist eines meiner Lebensziele – glücklicher zu werden, bewusster zu werden, weiser zu werden, freier zu werden, und es ist auch etwas, was man sich für die Gesellschaft als Ganzes wünscht, dieses Wissen in sich aufzunehmen.“
Ich erwische mich auch manchmal beim meditativen Innehalten über philosophische Begründungszusammenhänge nachzudenken.
Vielleicht ist es aber auch ein Weg sich seines „wahren Selbst“ im Denken bewusst zu werden?




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Jörn Budesheim
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Mo 12. Nov 2018, 18:07

Dazu müsste man erst mal glauben, dass es so etwas wie ein "wahres Selbst" gibt. Ich für meinen Teil denke das nicht.




herbert clemens
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Di 13. Nov 2018, 08:28

Jörn, Du hast weiter oben geschrieben: „Nach meiner Auffassung folgt aus den Überlegungen Nagels, dass wir die "übliche" Bedeutung von "objektiv" nicht mehr gebrauchen können, weil sie alle Wirklichkeiten unterschlägt, die wir nur als die Wesen, die er sind erkennen können. Und diese Aspekte sind ebenso wirklich und objektiv, wie das was die Naturwissenschaftenissen untersuchen.“
Diese Aussage sehe ich als Brücke zur Annahme eines wahren Selbst.
Es gibt die Fähigkeit der Menschen sich von den natürlichen Lebensbedingungen im objektiven Blick zu distanzieren und wahr und falsch als Kategorien zu gebrauchen. Das wäre die Annahme eines „objektiven Selbst“.
Diese Fähigkeit gibt es auch für die persönlichen subjektiven Lebensinhalte des Menschen, die damit auch als (objektive(?)) Wirklichkeit erfasst werden.
Dieses könnte man das „wahre Selbst“ nennen, das über das jeweilige individuelle AlltagsIch hinausragt, und in der Meditation ein Stück weit verwirklicht wird.




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Jörn Budesheim
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Di 13. Nov 2018, 08:40

Mir wäre es sehr angenehm, wenn wir Nagels Terminologie nicht weiter nutzen. Geht das? Ich hab ein wenig von ihm gelesen, du eher noch weniger. Das führt nur zu Konfusionen.




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Jörn Budesheim
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Di 13. Nov 2018, 10:57

Mit anderen Worten: ich weiß nicht was DU mit objektivem Selbst meinst, eben sowenig wie ich verstehe, was DU mit "Wahres Ich" meinst. :-)




Tosa Inu
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Wilbers wahres Selbst ist das was bleibt, wenn man all das transzendiert (in der Meditation), dem man gewöhnlich nachgeht, das man gewöhnlich mit dem Ich/Selbst verbindet.

Was tue ich eigentlich, wenn ich meditiere, denke ich dann? Gewiss, immer wieder, aber darum geht es nicht, das tue ich ja sonst auch. Im Gegenteil geht es darum, den Gedanken gerade nicht nachzugehen, sondern sie einfach zu beobachten, als gehörten sie gar nicht zu mir … nicht zu meinem wahren Selbst. Dies zu tun, ist aber auch kein reflexives Denken, denn reflexives Denken ist, über das eigene Denken nachzudenken:
Warum habe ich eigentlich die Einstellungen, die ich habe? Könnte ich auch andere haben? Wie wäre das? Das sind reflexive Gedanken, aber das ist keine Meditation. Meditation heißt, den Prozess des Denkens zu beobachten, nicht zu bewerten, nicht drauf einzugehen und lediglich zu schauen, wie etwas erscheint und dann, irgendwann auch wieder vergeht und austrudelt.

Dasselbe mit Gefühlen und Empfindungen und Regungen des Körpers. Ich habe sie, ich habe sie die ganze Zeit, aber das ist nicht alles, was ich bin, ebenso wenig, wie ich mein Denken bin.

Bin ich denn identisch meine Einstellungen und Vorlieben? Sicher sind diese auch ein Teil von mir, aber hatte ich nicht auch mal ganz andere Einstellungen? War ich da nicht auch ich?
Wenn ich all das was mich im Leben ausmacht abstreife, bleibt dann immer noch etwas übrig?

Das ist keine Frage des Glaubens, sondern des Erlebens. Wenn ich erlebe, dass da immer noch etwas ist, wenn ich all das, was ich für mich oder mein Selbst halte hinter mir lasse, dann habe ich Gewissheit. Es ist dann, als wenn ich hier sitze und schreibe, dass ich nicht glaube, dass man auf der Erde leben kann. Man kann das ja ins Grundsätzliche treiben, ähnlich wie Descartes es tat. Spirituelle Praktiken sind da ähnlich, sie sagen: Glaube nichts, schau selbst nach. Mit Descartes könnte man dann sagen, dass man ja auch einer Täuschung unterliegen kann.

Descartes‘ philosophisches Schicksal war, dass seine Argumentation sich schnell fest frisst. Der Zweifel aus Prinzip ist zwar für viele heute noch die gefühlte ultimative Trumpfkarte – Beweis‘ mir, dass x nicht so ist – aber mehr als ein gefühltes Patt kann man damit nicht erreichen. Dass man, wenn man Beweise einfordert, den Vertrag, dass Beweise vorzulegen sind, bereits ‚unterschrieben‘ hat, wird dabei gerne vergessen. Und da man es unterschrieben hat, ist eben auch vorzulegen, was dafür spricht oder wieso etwas überhaupt bezweifelt werden sollte (auf das man sich geeinigt hat). Der paper doubt zählt nicht, formuliert Brandom.

Das wahre Selbst kann an nicht herzeigen, so wenig, wie das eigene Ich oder das Denken. Aber zu folgern, dass es das Denken darum nicht gibt, wäre kühn und selbstwidersprüchlich.
Man kann die Ontologisierung kritisieren, also sagen, dass es denken, aber nicht ‚das Denken‘ gibt, dass es Ich-Empfindungen aber kein ‚Ich‘ gibt. Ist dann eine Frage der Perspektive, ob man die Summe der Aufnahme fester Nahrung als ‚(das) Essen‘ bezeichnet, oder ob man das zu statisch findet.

Da Begriffe aber eine großenteils orientierende Funktion haben, geht es eher darum, ob wir durch sie etwas verstehen oder bei vorhandenen alternativen Konzepten, etwas besser verstehen.

Man kann das zunächst am Ich festmachen. Für Kant ist das Ich eine erkennende Einheit des Bewusstseins, das all meine Vorstellungen begleiten können muss: https://www.textlog.de/32427.html
Wenn man so will, ein reines Gedankenkonstrukt. Zu dieser Konstruktion aber fähig zu sein und eine Kohärenz der eigenen Darstellungen und Vorstellungen herzeigen zu können, ist keinesfalls beliebig, sondern korrespondiert und ist auch ursächlich mit psychischer Gesundheit oder Pathologie verbunden, es rekurriert beim Misslingen einer kohärenten Darstellung auf eine Spaltung zwischen dem eigenen Denken und Fühlen, mit mitunter dramatischen Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Kant hatte auch da den richtigen Riecher, denn sich die Freiheit zu nehmen, alle paar Minuten etwas anderes zu vertreten, ist eben gerade keine Freiheit, sondern Willkür, das Denken wird zum Spielball der aktuellen Begierden, Selbstwidersprüche im Minutentakt inklusive. Irgendwie ist das Ich zwar ‚nur‘ so eine Gedankenhülle, aber es ist doch nicht folgenlos, ob man diese aufbauen kann, oder nicht.

Eine interessante Frage wäre, ob es denn nun analoge Folgen hat, ein wahres Selbst errichten oder wahrnehmen zu können, oder nicht?
Ein Problem ist, dass Ich schon nicht gleich Ich ist. Damit meine ich nicht, dass Peter nicht Paul oder Monika ist, sondern dass man von Ich-Verlust, Ich-Schwäche oder auch einem normalen oder starken Ich spricht und das eben nicht nur so daher gesagt ist, sondern erneute handfeste Folgen in allen Lebensbereichen hat.

Und so besteht auch zwischen dem Aufflackern des wahren Selbst und seiner vollen Entwicklung erhebliche Unterschiede, so wie in einem sehr ich-schwachen Menschen natürlich (s)ein Ich immer aufflackert, aber bei einem ich-starken Menschen ist es konstant und kohärent zu finden und durch ihn darzustellen.

Und dann kommt noch das Problem hinzu, dass man sich einen zum wahren Selbst erwachten Menschen kaum vorstellen kann, der ja irgendwie ganz ichfrei und bedürfnislos daherkommen muss, zumindest in unseren Projektionen. So ergab sich die Schwierigkeit sich jemanden vorzustellen, der erleuchtet ist = in dauerhaftem Kontakt mit dem wahren Selbst ist und gleichzeitig ein Jemand ist.

Das wird hier thematisiert:
Ken Wilber hat geschrieben : Ein wahres Selbst + Perspektive = einzigartiges Selbst.

Mein einzigartiges Selbst ist das eine wahre Selbst, das durch die Perspektive schaut, die mein Körper-Geist [bodymind] verkörpert. Durch das Verständnis von Perspektiven und des einen wahren Selbst erhalten wir ein Verständnis eines einzigartigen Selbst, und plötzlich rückt die Individualität ins Blickfeld, die früher auf dem Weg zur Entdeckung des einen wahren Selbst ausgelöscht wurde. Auf dieser Reise, und mit dem früheren Verständnis von lediglich einem wahren Selbst, wurde alles dekonstruiert und es erfolgte eine Ent-Identifikation von allem. Ich bin nicht dies, ich bin nicht das. Gedanken tauchen auf, ich habe Gedanken, doch ich bin nicht meine Gedanken. Gefühle tauchen auf, ich habe Gefühle, doch ich bin nicht meine Gefühle. Neti neti, nicht dies, nicht das, in der reinen Leere, der reinen und nicht zu beschreibenden Bewusstheit, dem einen absoluten wahren Selbst. All die unterschiedlichen Fähigkeiten und „Intelligenzen“ werden dekonstruiert – auch sie sind nicht das, was ich bin. Das führt traditionell zu einer Befreiung im einen wahren Selbst, doch ohne eine Vorstellung darüber, was man nun damit anfängt und wie es sein kann, dass andere Bodhisattvas die Welt anders wahrnehmen. Was wir dabei erkennen ist, dass der Bodhisattva neben dir und neben mir das gleiche wahre Selbst hat, doch ein anderes einzigartiges Selbst. Das einzigartige Selbst nimmt dabei wieder die Perspektiven ein, die auf eine gewisse Weise auf dem Weg der Transzendenz des Ego verleugnet wurden. Wird das wahre Selbst als das einzigartige Selbst erkannt, kommt es zu einer erneuten In-Besitznahme der natürlichen Fähigkeiten des menschlichen Körper-Geistes, mit allen dazugehörigen „Intelligenzen“, Fähigkeiten und Talenten. Mathematische oder musische Talente werden gewürdigt, ebenso wie Fähigkeiten zu Introspektion oder Beziehungen – alle Talente und Möglichkeiten, die menschlichen Wesen gegeben sind, werden reanimiert und neu zum Leben erweckt, doch jetzt nicht aus dem Empfinden eines getrennten Wesens heraus, sondern vom radikal einen wahren Selbst, dem Zustand einen GEISTES, jedoch aus einer einzigartigen Perspektive heraus. Das macht die Aktivitäten eines Menschen einzigartig. Diese Einzigartigkeit ist eine neue Version der traditionellen Einheit von Leere und Form. Sie ist eins mit der nicht zu beschreibenden unermesslichen Leere, welche der Seinsgrund ist, und eins mit allen Formen, die erscheinen, doch jetzt wird noch etwas hinzugefügt, und das besteht darin, dass die Bewusstheit dieser Form in jedem empfindenden Wesen einzigartig ist.

Quelle und mehr
Aber ist das nicht einfach das, was wir vorher Ich nannten? Oder anders ausgedrückt: Kann uns nicht jemand einfach einen Bären aufbinden und sich ein paar Guru-Klischees aneignen: sanft sprechen, lieb lächeln usw. und dann den großen Erleuchteten, Weisen, Heiligen geben? Jein. Das wäre etwa der Frage analog, ob sich nicht jemand mit einer schweren Persönlichkeitsstörung ein Psychologiebuch schnappen könnte und sich einfach antrainiert, was gebraucht wird, um als gesundes Ich durchzugehen? Und das kann man nicht, weil ein normales oder starkes Ich zu haben eine so komplexe Geschichte ist, dass man sie nicht kopieren kann und wer das perfekt spielen kann, der hat in der Tat eine gesundes Ich.

Beim Ich erkennen wir es, wenn wir wissen, worauf wir achten müssen, sehr leicht, vor allem dann, wenn wir selbst ein gesundes Ich haben/sind fällt uns das auf, sind wird nicht geschult, dann immerhin oft, dass jemand ‚irgendwie komisch‘ wirkt. Beim wahren Selbst würden wir ähnliches merken, vor allem natürlich dann, wenn wir selbst öfter in Kontakt gekommen sind, was zunächst besonders in Gipfelerfahrungen der Fall ist, die meist spontan und unsystematisch auftreten, systematischer treten sie in der Meditation auf, oder speziellen Übungen.

Dann kann man die verschiedenen Mischformen zwischen Ich und wahrem Selbst versuchen zuzuordnen, denn daraus ergeben sich jede Menge interessanter Fragen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Mi 14. Nov 2018, 09:07

Jörn, du hast recht: vergessen wir Nagel und meinen hilflosen Versuch in kurzen Worten eine Brücke zu bauen.
Tosa Inu hat gut entwickelt, was ich meine. Danke.




Henk
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 12. Nov 2018, 18:07
Dazu müsste man erst mal glauben, dass es so etwas wie ein "wahres Selbst" gibt. Ich für meinen Teil denke das nicht.
Denn das wäre ein neues Konzept.




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Jörn Budesheim
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Fr 16. Nov 2018, 06:21



Das ist ein kurzes Radiofeature mit Matthieu Ricard und Wolf Singer. Das ist zwar nicht der Dialog zwischen einem Philosophen und einem Meditierenden. Singer ist sicher alles andere als ein Philosoph. Aber dennoch passt es ganz gut in diesen Thread und es ist recht unterhaltsam. Ich habe es Mitte August zum ersten Mal gehört, als ich mit dem Gedanken spielte, mit der Meditation zu starten. und vielleicht war es mit einer der Anstöße, ist dann wirklich zu tun.

Ich hoffe, dass es mir gelingt am Wochenende etwas zum "wahren Selbst", ein Begriff der mir zugegebenermaßen sehr unsympathisch ist, niederzuschreiben.




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Friederike
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Fr 16. Nov 2018, 15:13

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 16. Nov 2018, 06:21
Ich hoffe, dass es mir gelingt am Wochenende etwas zum "wahren Selbst", ein Begriff der mir zugegebenermaßen sehr unsympathisch ist, niederzuschreiben.
Ich bin sehr gespannt.




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Jörn Budesheim
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Sa 17. Nov 2018, 09:53

Wilber hat geschrieben : Entdeckung des einen wahren Selbst
Nur ganz kurz dazu: Hier scheint vielleicht der alte Streit hindurch, ob das "Selbst" etwas ist, was man entdeckt oder erfindet. Ich meine zwar, dass wir eine Identität haben, aber nicht so etwas wie einen "Selbstkern" - oder eben ein "wahres Selbst". Es gibt hier nicht ein etwas, was gleichsam fix und fertig ist und sozusagen bloß darauf wartet, entdeckt zu werden. Das Selbst ist eine Beziehung mit sich selbst, was es ist und was es zu sein glaubt oder zu sein beabsichtigt - das hängt immer eng zusammen. Wir können uns neu erfinden, das ist schließlich die Basis der Angst vor der Freiheit: "du könntest ein ganz Anderer sein oder werden."

Beziehen wir das auf die Meditation. Ich erwarte weder - noch hoffe ich, dort mein "wahres Selbst" zu entdecken. Für mich geht es eher um das "Erfinden" als das "Suchen" und "Entdecken". Es ist eher so wie bei der Kunst.

Mir ist klar, dass diese Kritik sicher zu eng an den Worten klebt und die Sache auch zu sehr vereinfacht. Ziel der wenigen Worte war nur meine negativen Gefühle und Assoziationen bei diesem Begriff darzustellen.




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