Meditation und ihr philosophischer Gehalt

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Friederike
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So 18. Nov 2018, 08:44

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Nov 2018, 09:53
Mir ist klar, dass diese Kritik sicher zu eng an den Worten klebt und die Sache auch zu sehr vereinfacht. Ziel der wenigen Worte war nur meine negativen Gefühle und Assoziationen bei diesem Begriff darzustellen.
Für mich gehört zu dem Begriff "wahres Selbst" irgendein metaphysischer Hintergrund. Wegen des "wahr", und insofern ordne ich ihn unter dem entdeckerischen Moment ein. Mir liegt der religiös-christliche Kontext nahe und dort würde die Entdeckung des wahren Selbst dann bedeuten, so zu werden, wie Gott sich gedacht hat, ein bestimmter Mensch solle werden. In der buddhistischen Konzeption dürfte wohl der Aspekt der Loslösung von allen (falschen) Vorstellungen, Bildern, Selbstentwürfen ein entscheidender Punkt dafür sein, zum wahren Selbst zu gelangen. Besonders sympathisch ist auch mir der Begriff nicht. Er scheint mir zu statisch.




Tosa Inu
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So 18. Nov 2018, 10:54

Friederike hat geschrieben :
So 18. Nov 2018, 08:44
Für mich gehört zu dem Begriff "wahres Selbst" irgendein metaphysischer Hintergrund. Wegen des "wahr", und insofern ordne ich ihn unter dem entdeckerischen Moment ein. Mir liegt der religiös-christliche Kontext nahe und dort würde die Entdeckung des wahren Selbst dann bedeuten, so zu werden, wie Gott sich gedacht hat, ein bestimmter Mensch solle werden. In der buddhistischen Konzeption dürfte wohl der Aspekt der Loslösung von allen (falschen) Vorstellungen, Bildern, Selbstentwürfen ein entscheidender Punkt dafür sein, zum wahren Selbst zu gelangen. Besonders sympathisch ist auch mir der Begriff nicht. Er scheint mir zu statisch.
Hinter dem was Du anführst steckt das in Religion, Philosophie und Mystik nicht seltene Motiv des Masterplans.
Werde, der du bist, im Sinne von, der du – nach eben diesem Plan – sein sollst.

Zeitgeisttechnisch ist uns das unsympathisch, weil wir meinen, in der häufig mit Willkür verwechselten Vielfalt läge die Freiheit.
epitox hat allerdings, m.E. zurecht, darauf aufmerksam gemacht, dass wir damit in einer ziemlich zufälligen und sinnentleerten Welt leben.

Die Frage, was das alles soll, hat die Antwort: Ja nix. Es hätte auch anders kommen können, ist es aber nicht, der Rest ist das große Lotteriespiel von Glück und Pech, bei dem Verdienste und Bemühungen keine Rolle spielen. Anders als die Religion, die mit ihren sinnstiftenden Mythen hier ein alternatives Angebot setzt, hat die Mystik im Grunde auch keine andere Antwort, als zu sagen, dass da niemand ist, der uns retten wird, ganz gleich wie eifrig wir uns bemühen, nur kommt die Antwort eben für viele zu schnell. Man nimmt nicht selten die Abkürzung zum Zyniker oder Egoisten, wenn man hört, dass der große Sinn hinter allem eventuell nicht vorhanden ist.

Aber dabei wird die entscheidende Pointe verfehlt, dass der große Masterplan keiner mehr ist, in dem Moment, wo man ihn erfüllt und dann zur Freiheit wird, bzw., wenn man sich an der Freiheit orientiert, man beim Masterplan landet.

Trotz allem ist das wahre Selbst bei Wilber und anderen etwas anderes, nämlich das, was jenseits aller Individualitäten bleibt. Im Christentum manchmal Seele genannt, aber hier kommt der ein problematische Begriff zum anderen. Für manche ist die Seele das Gewissen, für andere die Summe des Gefühlten, im Gegensatz zum Gedachten (falls dieser Gegensatz wirklich besteht) oder was auch immer, aber die Seele kann im Grunde kein Stück von mir sein, sondern weist über mich hinaus und ist dann wieder dem wahren Selbst sehr ähnlich, oder der unpersönlichen Weltseele.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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So 18. Nov 2018, 11:25

Tosa Inu hat geschrieben :
So 18. Nov 2018, 10:54
Trotz allem ist das wahre Selbst bei Wilber und anderen etwas anderes, nämlich das, was jenseits aller Individualitäten bleibt.
Das ist sicher der Königsweg zur Angst-Befreitheit: Wenn der Selbstwert, das "Ich bin der und der und der" auf nichts mehr gestützt ist -Kind, Ehemann von ...; arbeitendes Mitglied der Gemeinschaft; Klugheit; gesunder Körper usw.usf.- dann gibt es wenig noch, maximal nichts mehr, das wegbrechen kann (dieser Art Ängste, die sicher in unserem Leben eine weitaus größere Rolle spielen als die alberne Schlangenangst, haben wir nicht thematisiert, aber dies nur nebenbei). Ängste, die Säulen zu verlieren, auf der unsere Individualität fußt, verlieren ihre Funktion.
T.I. hat geschrieben : Im Christentum manchmal Seele genannt, aber hier kommt der ein problematische Begriff zum anderen. Für manche ist die Seele das Gewissen, für andere die Summe des Gefühlten, im Gegensatz zum Gedachten (falls dieser Gegensatz wirklich besteht) oder was auch immer, aber die Seele kann im Grunde kein Stück von mir sein, sondern weist über mich hinaus und ist dann wieder dem wahren Selbst sehr ähnlich, oder der unpersönlichen Weltseele.
Egal, welche Terminologie und welches Konzept wir wählen, der Zustand des "wahren Selbst-Seins" wäre sowas wie das Empfinden einer metapyhsischen Geborgenheit (@Jörn, ich greife Deine Formulierung, leicht abgewandelt, auf).




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Jörn Budesheim
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So 18. Nov 2018, 17:04

Tosa Inu hat geschrieben :
So 18. Nov 2018, 10:54
Die Frage, was das alles soll, hat die Antwort: Ja nix.
Das glaube ich keineswegs. Und zwar in verschiedenen Hinsichten. Drei davon will ich skizzieren.

Kategorienfehler: Selbst wenn wir die Vorstellung hätten, wir lebten in einem kalten Universum, das uns nicht gemeint hat, kann die Antwort auf die Frage, was das alles soll, keineswegs: "nix" lauten. Weil diese Frage nämlich vor dem Hintergrund der "kaltes Universum Sichtweise" schlicht verfehlt ist. Etwas kann nur dann im relevanten Sinn sinnleer sein, wenn es auch sinnvoll sein könnte. Ein Leben kann sinnleer sein. An die kalte, tote Materie gerichtet, handelt es sich bei der Frage um einen impliziten Kategorienfehler. So als wenn man fragen würde, welche Farbe hat das alles: Grau oder kariert.

Es gibt kein "alles": Das meine ich nach wie vor, aber diese Diskussion brauchen wir an dieser Stelle nicht wieder aufnehmen.

Sinn ist etwas "hiesiges". Es geht um das "Hiersein", das gelingen und misslingen kann. Warum muss ich, um zu sehen, wie sinnvoll ein Leben sein kann, quasi einen "Umweg" über das Universum machen? (Das ist dann eben doch der Glaube an einen Masterplan, wenn auch in anderer Form.) In uns hat das Universum, wie es so schön heißt, die Augen geöffnet und erkannt, dass es ist - und das geschieht hier - in dir und mir. Hier dürfen wir unser Leben führen. Dass es in den entferntesten und nächsten Sternen-Nebeln möglichweise nur Kälte und Leere gibt, ist dafür nicht von Belang.

...
Hiersein ist herrlich. Ihr wußtet es, Mädchen, ihr auch,
die ihr scheinbar entbehrtet, versankt –, ihr, in den ärgsten
Gassen der Städte, Schwärende, oder dem Abfall
Offene. Denn eine Stunde war jeder, vielleicht nicht
ganz eine Stunde, ein mit den Maßen der Zeit kaum
Meßliches zwischen zwei Weilen –, da sie ein Dasein
hatte. Alles. Die Adern voll Dasein.
...

(Rilke)

Um es mit dem Thema zu verbinden: Meditation ist eine Übung im Hiersein.




flechtlicht
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So 18. Nov 2018, 19:53

Tote Materie? Kaltes Universum? Sinn oder Unsinn? Zufall?
Es reicht, ein Salbeiblatt in den Mund zu nehmen, eine Distelblüte stachelnd auf der Hand zu spüren, barfuss übers Sternenmoos im Wald zu tiegern, um sich augenblicklich im Spiraltanz des einen Lebens wiederzufinden.
In blütenweisser Unschuld den Augenblick genießen, ist mein Geschenk für jeden, der es will

https://m.youtube.com/watch?v=q1NHXSR3R7I




flechtlicht
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So 18. Nov 2018, 22:11

Sie spielt barfuss und er ist immer nackt 💕

https://m.youtube.com/watch?v=Sk2yoOY8CTU




herbert clemens
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Mo 19. Nov 2018, 08:51

H: @ Jörn Das hast du (und Rilke) schön formuliert.
Im Hiersein bin ich nur für kurze Jetzt-Momente Zeuge meines Daseins.
Ich bin Ich, doch jeder individuellen persönlichen Qualität entsagend,
Ich bin „Selbst“, nur der Wahrheit nahe, (vielleicht in diesem Sinne?) wahres Selbst.
Ich bin so weit Punkt, dass ich Nichts und Nirgendwo bin.
Und doch bin ich der erfinderische Ausgangspunkt von meinem Selbst und meinem All.
Diese Charakterisierung von Selbst will deinem Satz weiter oben aufnehmen. „Ich meine zwar, dass wir eine Identität haben, aber nicht so etwas wie einen "Selbstkern" - oder eben ein "wahres Selbst". Es gibt hier nicht ein etwas, was gleichsam fix und fertig ist und sozusagen bloß darauf wartet, entdeckt zu werden.“ Jeder Mensch ist da ein Künstler,
Oder mit deinen Worten: Es geht nicht darum, „mein "wahres Selbst" zu entdecken. Für mich geht es eher um das "Erfinden" als das "Suchen" und "Entdecken". Es ist eher so wie bei der Kunst.“
Das Selbst muss nicht entdeckt werden, sondern es ist da.




flechtlicht
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Mi 21. Nov 2018, 02:52

Es ist noch dunkel als ich aufwache. Mit mir löst sich der Morgen aus der Umarmung der Nacht, ich bereite eine grosse Portion Milchreis für meine Rückkehr zum frühen Sonnenuntergang, als mich Schiffsschaukelgefühle jauchzend in die Luft werfen, ich tanz die Sonne aus dem grauen Nebel heraus https://m.youtube.com/watch?v=PPikciERDp4 und flieg die Achterbahntreppe hinunter aus dem Haus.

Im Garten knie ich vor meiner Salbeipflanze nieder, betrachte ihre prickelnden Blätter und pflück eins davon mit meinem Mund. Sie beginnt spiralförmig zu tanzen, ich nehme Ihre Einladung an und Sie zieht mich wirbelnd durch Ihren Schoß in sich hinein, wir lassen die Materie hinter uns, als freie Seelen wehen wir durch Ihr Reich. Die Kraftlinien der Biosphäre durchziehen das materielle Universum wie ein gewaltiges Spinnennetz, geknüpft um fallende, zerfallende Seelen aufzufangen und sie zurück zur Liebe ins eine Leben zu führen.

Meine Körper erhebt sich, spaziert zum nahen Kaiserblick-Wald einen schmalen Pfad hinauf immer höher und höher. An ein einem kleinen Wigwam aus Ästen und Zweigen hält er inne, ich trete ein, kniee abermals nieder und lege meinen Kopf auf eine Wurzel. Duft aus Laub, Holz, Harz und Erde hüllt mich ein, füllt mich aus, sie wächst durch mich hindurch, verzweigt sich bis in die Unendlichkeit und verbindet jede Zelle in mir mit allen anderen Zellen aller biologischen Geschöpfe.
Spaziergänger mit Hunden gehen vorbei, ich grüsse sie, immer noch halb erdversunken und sie murmeln, alles ist gut, alles ist gut...

Es zieht mich auf eine Lichtung, barfuss steig ich auf den mächtigen alten Baumstumpf, die Sonne steht im späten Vormittag und verschenkt mit milder Novemberkraft ihre letzten warmen Energieküsse, meine Arme werden zu Ästen, meine Hände tragen Blätter, ich recke und strecke, wachse ihr wunschlos selig entgegen. Meine Stirn berührt die ihre und ich schau ihr in die Augen, myriarden Lichtquanten durchjagen meinen Körper, wir spiegeln unsere leuchtende Liebe in die Herzen aller Kreatur dieser Welt.

Meine Wanderung führt mich zu einem grünen Graben und ich folge einem zarten Plätschern talabwärts durch hüfthohes Gestrüpp und Brombeergewächs als ich plötzlich vor einer kleinen Tröpfelstufe des Quellbachs stehe. Feine silberne Fäden und Perlen die lustvoll aus einem moosigen Schoss in einen steinernen Kelch hineinmurmeln und hineinklimpern. Ich sitze neben ihr andächtig im weichen Moos, setze meine Lippen an den kühlen Kelch und trinke dankbar vom Wasser des Lebens, das die gesamte Schöpfung durchfließt und allem seine Unsterblichkeit verleiht.

Weiter geht's Richtung Mangfall, das Steiglein endet auf einer Wildwiese und ich liege ausgestreckt auf ihr in der Mittagssonne... meine Seele lauscht einer stillen Stimme aus dem Mittelpunkt der Welt...ich hab dich gemacht, ich hab dich lieb, du bist mein, ich bin dein, du bist wie ich, nur so schön anders, komm...

Ich steh auf und mitten in meiner Welt, seine Augen sind meine geworden, ein Atem, ein Herzschlag, ein Bewusstsein. Ich bin.

Ein göttlicher Traumpfad schlängelt sich am Ufer entlang, immer wieder verweile ich beim Anblick des Flusses für Ewigkeiten im Augenblick, nach einer Weile halte ich an einem Quellsee inne, sein kristallklares Wasser trägt einen Spiegel aus flüssigem Metall und erlaubt einen Blick in den tiefsten Abgrund der Seele und reflektiert gleichzeitig das Abbild des höchsten Himmels.
Sobald ein Windhauch die Oberfläche berührt zerfällt jede Illusion zu Staub und löst sich auf im Meer der Wahrheit.

An einer alten Brücke wechsele ich ans andere Ufer und verfolge den märchenhaften Weg der Waldläufer bis zu einem abgestorbenem, abgebrochenen Baum, aus dessen Mitte ein neuer Baum wächst, dessen merkwürdige Wurzel sich wie eine Schlange am alten Stamm entlang in die Erde windet, ich beisse hinein, lehne meinen Kopf an die morsche Rinde, vergrabe meine Hand in einem Spalt des toten Holzes und nehme das Flehen und die Gebete der gefallenen Seelen wahr, ihre Sehnsucht nach Wärme und Liebe, den Schmerz und die Gram über ihr Fehlen und die inbrünstige Bitte, die Erde zu bewahren, sie nicht zu verstossen und auf ihre Rückkehr zu warten. Sie brauchen die Erde und unsere offenen Arme, sie habe keine andere Hoffnung.

Am späten Nachmittag überquere ich den sumpfigen Quell und Pfützengürtel, der die falsche Zivilisation vom wahren Märchenland trennt, noch einmal kniee ich dankbar betend im feuchten Laub, erfüllt vom Rauschen des Wassers, dem Duft der Luft, der Wärme der Sonne, dem Halt der Erde.

In der Abendsonne beginnt sich mein Kreislauf durch die Welt zu schließen. Links und rechts der kleinen Teerstrasse schnattern, auf grossen, eingezäunten Feldern die Gänse eines Geflügelhofes ... gaga gagaga, gaga gagaga, ich bleib stehen, halte ihnen freundlich meine gespreizten Hände entgegen, sie kommen neugierig und schüchtern näher und näher, wir schauen uns voller Herzenswärme in die Augen und unsere Seelen wehen zusammen durch diesen göttlichen Augenblick ... gaga gagaga ... es gibt nicht mehr, als in aller Unschuld den Augenblick zu geniesen, für immer und ewig... gaga gagaga.




flechtlicht
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Mi 21. Nov 2018, 08:44

Und gans liebe Grüße von Chief Dancing Thunder:

...folgt der uralten Meisterschaft von Gewahrsein ... (ihre) Rituale lehren hohe Wahrnehmungszustände und ausserkörperliche Erfahrungen, die wesentlich sind, um die materielle Welt zu stoppen und sich durch die Traumrealität zu bewegen, die als Brücke zur unendlichen Realität dient. Dies führt zum uralten Weg des "ohne Verstand Seins" und dem Erreichen des "einen Verstandes".

https://m.youtube.com/watch?v=XPd9be8R5bA




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Jörn Budesheim
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Do 22. Nov 2018, 06:43

Ich feiere heute 100 Tage Meditation!

In den letzten Tagen hatte ich beim Meditieren für einen kurzen Moment eine interessante Erfahrung beim Nachspüren der Körper-Gefühle.

Dazu vorab: Wir wohnen in der dritten Etage in der Stadt. Normalerweise ist es doch (zumindest bei mir) nicht so, dass man beim Gehen oder Sitzen in der Wohnung allgemein das Gefühl hat, so weit oben zu sein. Der Fußboden ist sozusagen der phänomenale Grund. Man fühlt im Grunde nicht permanent, dass beispielsweise unten drunter weitere Wohnungen sind ... dass der Bürgersteig weit unten ist etc. Das kann man sich zwar bewusst machen, aber es gehört nicht zum normalen Erleben der Wohnung dazu.

Bei dieser geführten Meditation sollte man versuchen, sich den einfachen Umstand gegenwärtig zu machen, dass man lebt. Also saß ich auf meinem Stuhl in der typischen Meditationshaltung und hatte plötzlich das Gefühl, weit über dem Boden, sagen wir den Bürgersteig zu sitzen, wie auf einem sehr erhöhten und freien Plateau. Ich hatte zugleich das Gefühl, oben im Freien zu sitzen und in einer gewissen Weise ausgesetzt zu sein, wie auch Steine um mich herum zu haben ... das war jedoch nur ein kurzer Moment, viel kürzer als es braucht, um ihn niederzuschreiben.




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proximus
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Do 22. Nov 2018, 08:19

Welche Weisheit hat Meditation ?

Ich unterscheide meditieren und Meditation.
Meditieren bezeichnet mir eine Praxis um in Meditation zu kommen.
Ist es also möglich beim Schreiben in Meditation zu sein ?

Wäre dieses Schreiben dann weise ?
Oder ist ein philosophischer Gehalt von Meditation ein Nachdenken über sie ?



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

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Friederike
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Do 22. Nov 2018, 15:26

proximus hat geschrieben :
Do 22. Nov 2018, 08:19
Welche Weisheit hat Meditation ?
Ich unterscheide meditieren und Meditation. Meditieren bezeichnet mir eine Praxis um in Meditation zu kommen. Ist es also möglich beim Schreiben in Meditation zu sein ? Wäre dieses Schreiben dann weise ?
Oder ist ein philosophischer Gehalt von Meditation ein Nachdenken über sie ?
Nein, das verstehe ich nicht. :oops: Was soll denn "Meditation" überhaupt sein, als Substantiv? Gebräuchlich ist außer dem Verb noch der Ausdruck "Meditationspraxis", was die Art und Weise des Tuns, das Meditieren, substantiviert. Wenn ich es näher bedenke, weiß ich eigentlich gar nicht, was der Sinn des Begriffs "Meditation" ist. Die Bedeutung ist mE. die Tätigkeit (des Meditierens). Also, so gebraucht man den Begriff wohl öfter (von mir aus könnt Ihr "Sinn" und "Bedeutung" gerne austauschen, ich habe Frege schon wieder vergessen :roll: ).




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Jörn Budesheim
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Do 22. Nov 2018, 16:29

Friederike hat geschrieben :
Do 22. Nov 2018, 15:26
Nein, das verstehe ich nicht.
Vielleicht so: Meditieren ist die Praxis, die dich in einen "Zustand" der Meditation bringt.




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Jörn Budesheim
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Sa 24. Nov 2018, 15:39



Zu Stockhausen meditieren - geht das. Ich fand es interessant - auch wenn die Musik für ungeübte Ohren eine Herausforderung ist.




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Jörn Budesheim
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Do 29. Nov 2018, 06:35

Heute habe ich mir mehr oder weniger "erfolglos" vorzustellen versucht, eine Welle im Meer zu sein. Eine Welle, die sich aus dem Meer langsam erhebt und sich zum Strand bewegt. Nicht einfach. Gestern bin ich durch einen Wald gewandert - das fiel mir leichter, weil ich da natürlich auf vielfältige Erfahrungen zurück greifen kann. Insgesamt sind diese Visualisierungen für mich sehr schwer, manchmal machen sie mich sogar nervös und "kribbelig".

Insgesamt wird die Morgenmeditation für mich langsam zu einer Routine, bzw. sie sind es schon. Diese Praxis verliert dadurch zwar ihr "sensationelles", aber ich genieße es dennoch. Dennoch? Trotzdem habe ich das Gefühl, dass mir das meiste, was ich übe, nicht sehr viel leichter fällt als zu Beginn. Den "Atem sein lassen" - sich aber auf ihn fokussieren, ist immer noch nicht so ohne für mich. Wenn es jedoch gelingt, sind es wirklich gute Momente.

Was sich jedoch geändert hat, ist das "Zeitempfinden". Meine Übungen dauern in der Regel 20 Minuten. Zu Beginn kam mir das eher lang vor, jetzt oft fast zu kurz.

Bei den Übungen wird sehr viel mit Metaphern gearbeitet. Das könnte auch ein interessanter philosophischer Anknüpfungspunkt sein. Was sind eigentlich Metaphern? Und wieso versteht man die? Und warum sind sie für die meditative Praxis so wichtig. Ein Beispiel: Der Meditierende ist wie ein Wetterfrosch, der ruhig und gelassen das "innere" Wetter beobachtet.




herbert clemens
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Fr 30. Nov 2018, 09:01

Spannend sind Deine Erfahrungen, Jörn. Du bist ja medtitativ sehr „musikalisch“, ich leider nicht so.
(Trotz aller Grundgewissheit und einer gewissen religiösen Musikalität herrscht auch hier der tägliche Zweifel vor.)
Grundgewissheit bedeutet: mein innerer persönlicher Kern (Selbst?) kann sich immer wieder beobachtend aus seinen Umgebungs- und biographischen Zwängen (mehr oder weniger) lösen.
Spontane Willensreaktionen, Gefühle, Gedanken können beobachtet werden,
und ich kann für (mehr oder weniger) lange Zeit den Fokus auf eine Angelegenheit im Hier und Jetzt richten.
Bei Stockhausen ist es mir nicht gelungen (allerdings gelingt es mir nur selten bei medial vermittelten Musikeindrücken). Brahms „Deutsches Requiem“ am vergangenen Wochenende in der Christuskirche hat mich sehr beeindruckt. Es gibt auch Gemälde (z.b.Ausstellung von Zimmer Kristallwelten (?)), die mich sehr berühren.
Mein Persönlichkeitskern trennt sich von der Befangenheit im Alltagsgedanken- und Gefühlsgewusel und nimmt mit neuer Intensität Kultur wahr. Auch bei der Spaziergangskultur möglich.
(Blick aus dem Fenster: ein einsam zitterndes Blatt an der Spitze eines klar strukturierten Winterbaums)
Eine mögliche Gesprächserweiterung: Im vorigen Jahrhundert habe ich mit Interesse den Roman von Pirsig: „Zen oder die Kunst ein Motorrad zu warten“ gelesen. Den Roman-Inhalt habe ich nicht vor Augen. Der Titel weist daraufhin, dass es z.B. in bestimmten Zen-Traditionen wichtig ist, wach bei der Alltagstätigkeit zu bleiben. Frei formuliert: Wenn ich spüle, dann spüle ich (und kann es dann auch genießen). Bei mir ist es häufig so: Wenn ich fege, dann denke ich über die Möglichkeit von Meditation nach und ob ich nachher Zeit habe, mich angemessen am Dialog zu beteiligen.




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Jörn Budesheim
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Fr 30. Nov 2018, 10:01

herbert clemens hat geschrieben :
Fr 30. Nov 2018, 09:01
Wenn ich spüle, dann spüle ich (und kann es dann auch genießen).
"Achtsames" Geschirrspülen habe ich vor exakt einer Woche auch mal ausprobiert :-) (Freitag ist für mich oft Haushaltstag.) War tatsächlich sogar sehr schon! In der Regel geht es ja darum, nicht unentwegt auf Autopilot zu fahren, sondern (wenn möglich/nötig/sinnvoll?) gegenwärtig zu sein. Auch mir fällt es (noch?) schwer, das in den Alltag zu integrieren. Der Autopilot ist ja auch nicht immer schlecht, er erlaubt einem z.b. zugleich Spazieren zu gehen und sich mit jemandem zu unterhalten. Echt blöd ist es nur, wenn der Autopilot die komplette Kontrolle übernommen hat :-) Deswegen ist Meditation nicht nur eine Übung in gegenwärtig sein, sondern (ineins) in frei sein.




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Di 4. Dez 2018, 07:13

Arbeitsteilung: die Philosophie untersucht, wieso es überhaupt so etwas wie ein phänomenales Selbst geben kann - und in der Meditation untersucht man dieses phänomenale Selbst selbst :-)




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Di 4. Dez 2018, 07:13

Heute habe ich ein neues Wort gelernt: Sitzbeinhöcker :-)




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Heute sollte ich über die Füße einatmen. Körperlich geht das nicht, leiblich schon :)




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