Meditation und ihr philosophischer Gehalt

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
herbert clemens
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Fr 24. Aug 2018, 09:47

Ein paar Gedankensplitter zum Thema:

Idealiter mache ich mich in der Meditation frei von Gedanken, Gefühlen, Handlungsmustern,
bin frei von allen konkreten Inhalten,
bin nur geistiger Kern (höheres Selbst, höheres Ich?)
und wende mich (anschließend?) frei selbst gewählten Aufgaben und Bedürfnissen zu.
Anders formuliert: Ich löse mich
von körperlich diktierten Befindlichkeiten
von Emotionen, die durch Erziehung und Umwelt nahe gelegt werden,
z. B. bei mir, von der Angst nicht zu genügen,
Idealiter schaffe ich dann die jeweils gewählte Tätigkeit mit Herz und Hand ausführen, ohne auf den Beifall des anderen zu schielen.

Voraussetzung für Meditation und Freiheit ist, dass es eine geistige Dimension der Wirklichkeit gibt, an die ein persönlicher Wesenskern Anteil nimmt. Ich als Mensch gehe nicht auf, in naturgesetzliche und psychosoziale Zwänge. Ich kann sie übend wahrnehmen, und mich dazu verhalten.

Warum ist wohl der Atem zentrales Beobachtungsobjekt von meditativer „Arbeit“?
Ist es die Nahtstelle zwischen Seele und lebendigem individuellen menschlichem Körper?

Mir gelingt es selten nur den Atem wahr zu nehmen. Meine Gedanken schweifen immer wieder ab. Von „Erleuchtung“ keine Spur. (Eher gibt es mir Zeit meine verschiedenen Alltagssorgen wahr zu nehmen, und vielleicht gelassener mit ihnen umzugehen.)
Vielleicht stärkt es mein „Herzensdenken“: Es gibt die (göttliche) Liebe in der Welt. Es gibt meine persönliche einzigartige Individualität mit meiner Lebensfreude und meinem Leid. Ich kann mich beobachtend dazu verhalten, und Betroffenheit durch Leid verringern. Ich kann Freude an gelungenen eigenen Handlungen erleben. Ich kann Liebe und Mitgefühl in die Welt tragen.




Tosa Inu
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Sa 25. Aug 2018, 10:10

herbert clemens hat geschrieben :
Fr 24. Aug 2018, 09:47
Idealiter mache ich mich in der Meditation frei von Gedanken, Gefühlen, Handlungsmustern,
bin frei von allen konkreten Inhalten,
bin nur geistiger Kern (höheres Selbst, höheres Ich?)
und wende mich (anschließend?) frei selbst gewählten Aufgaben und Bedürfnissen zu.
Anders formuliert: Ich löse mich
von körperlich diktierten Befindlichkeiten
von Emotionen, die durch Erziehung und Umwelt nahe gelegt werden,
z. B. bei mir, von der Angst nicht zu genügen,
Idealiter schaffe ich dann die jeweils gewählte Tätigkeit mit Herz und Hand ausführen, ohne auf den Beifall des anderen zu schielen.

Voraussetzung für Meditation und Freiheit ist, dass es eine geistige Dimension der Wirklichkeit gibt, an die ein persönlicher Wesenskern Anteil nimmt. Ich als Mensch gehe nicht auf, in naturgesetzliche und psychosoziale Zwänge. Ich kann sie übend wahrnehmen, und mich dazu verhalten.
Ich würde das nicht gleich an Erwartungen heften, man kann zwar Meditation und Therapie prima kombinieren, aber in der Rohversion der Meditation geht es es darum, zu beobachten, was passiert und nicht mehr. Vielleicht wird man frei von etwas, vielleicht nicht, aber es geht in dem Sinne nichts, das ist auch nicht die Absicht, sondern es kommt zu dem was ist eher noch etwas dazu, die Instanz dieses schweigenden, nicht intervenierenden, nicht deutenden Beobachters.
Das ist uns sehr fremd, aber im besten Sinne stehen dahinter überhaupt keine Erwartungen, weil Erwartungen immer ein gewisses Maß an Egozentik haben.
Hat nicht alles eine gewisses Maß an Egozentrik? Die Meditation selbst schon mal nicht. Man kann zwar mit glühendem Ehrgeiz meditieren, weil man besonders, erleuchtet, heilig oder sonst was werden wll, aber während der Meditation ist sogar das ausgehebelt.
herbert clemens hat geschrieben :
Fr 24. Aug 2018, 09:47
Warum ist wohl der Atem zentrales Beobachtungsobjekt von meditativer „Arbeit“?
Ist es die Nahtstelle zwischen Seele und lebendigem individuellen menschlichem Körper?
Es gibt auch ganz andere Meditationsobjekte als den Atem, aber wir brauchen irgendwas zu festhalten, wenn schon nichts passiert und das Zählen der Atemzüge verhindert ein wenig, dass der Geist spazieren geht, d.h. wieder auf sein gewohntes Muster des dauernden Denkens zurückfällt.
herbert clemens hat geschrieben :
Fr 24. Aug 2018, 09:47
Mir gelingt es selten nur den Atem wahr zu nehmen. Meine Gedanken schweifen immer wieder ab.

Das passiert jedem, darum versucht man auch gar nicht erst nicht zu denken, was ein irrsinniger Kampf um wenige Sekunden Lohn ist, sondern das Denken zu beobachten. Dabei ist die Zählerei von Vorteil, von 1 bis 10, synchronisiert mit den Atemzügen und dann wieder bei 1 beginnend, denn daran merkt man, ob man bewusst bleiben kann und neben dem Denken einfach weiter zählen kann. 10 Minuten, 20 Minuten, 30 Minuten sind schon eine gute Marke.
herbert clemens hat geschrieben :
Fr 24. Aug 2018, 09:47
Von „Erleuchtung“ keine Spur. (Eher gibt es mir Zeit meine verschiedenen Alltagssorgen wahr zu nehmen, und vielleicht gelassener mit ihnen umzugehen.)
Vielleicht stärkt es mein „Herzensdenken“: Es gibt die (göttliche) Liebe in der Welt. Es gibt meine persönliche einzigartige Individualität mit meiner Lebensfreude und meinem Leid. Ich kann mich beobachtend dazu verhalten, und Betroffenheit durch Leid verringern. Ich kann Freude an gelungenen eigenen Handlungen erleben. Ich kann Liebe und Mitgefühl in die Welt tragen.
Auch Dich würde ich fragen, woher Du denn weißt, was zur Erleuchtung alles fehlt, wenn Du sagst, da sei noch keine Spur. Was Du da findest, sind eher Deine Projektionen dessen, was zur Erleuchtung gehören müsste. Besser ist, sich davon frei zu machen, weil Du immer etwas finden wirst, bei dem Du sagen kannst, dass Dich das noch trennt. Du willst wissen, wie ein Erleuchteter die Welt sieht? Setz Dich hin und schau in die Welt.
Versuch mal jedes "Ja, aber ..." das sicher kommt nicht zu beachten oder eben als das was es ist: Denken. Du weißt aber bereits, dass Du denkst.
Warum soll das Denken denn verschwinden, oder Dein Gefühl nicht zu genügen? Soll Dein rechtes Bein auch verschwinden?

Über kurz oder lang und ohne dass das ein Fehler oder eine Charakterschwäche wäre, kommt jeder an den Punkt, wo er sagt: "Ja, aber was ändert sich denn dann? Dann hab' ich ja nichts davon, wozu soll ich mich dann überhaupt abmühen?" Das ist das Problem, man meint, auch wenn es ganz lieb gemeint ist, letztlich was davon zu haben. Auch wenn man denkt, anderen dann besser helfen zu können, ein besserer Mensch werden will, letztlich ist auch das falsch, wenngleich nicht moralisch böse. Man trifft halt immer auf seinen Projektionen, aber ohne die geht man gar nicht los, sie sind also ein notwendiger Teil des Weges.

Im "richtigen Leben" macht man mit seinen Projektionen Schattenboxen, sieht es aber als ernsten und echten Kampf an, in der Psychotherapie bekommt man sie (hoffentlich) links und rechts um die Ohren geklatscht, in der Meditation schaut man sie einfach an. Und auch besonders ungeschickt, uneinsichtig, nicht willensstark oder demütig genug zu sein, ist so eine Projektion. Um sagen zu können: "Echt, ich hab's versucht, aber das ist so schwer und ich hatte so viel anderes zu tun ..." ? Dann würdest Du nur finden, was Du reingessteckt hast, das Gefühl wieder mal nicht zu genügen. Kennst Du, kannst Du, kannst Du vergessen. Neu ist, wenn Du alles hast, was Du brauchst und nichts fehlt. Und wahrscheinlich musst Du wieder ein "Ja, aber ..." unterdrücken. Wie es ist, wenn nichts fehlt, erlebst Du in der Meditation. Es gibt immer wieder Momente, wo Du da sitzt, einfach atmest, denkst oder auch nicht, fühlst oder auch nicht und wo nichts fehlt, vielleicht nur einen Augenblick lang. Danach kommt das "Ja, aber ..." zuverlässig wieder: Die Verpflichtungen, die Zweifel ... aber darum geht es nicht. Wenn Du einmal diesen Moment erlebt hast, was Du sicher hast, weißt Du alles und kannst ihn wieder erleben. Da erklingt kein Tusch, da gehen keine Rakteten hoch, aber Du kommst da jederzeit wieder hin.

Über diesen Punkt kann man sich dann auch unterhalten.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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So 26. Aug 2018, 08:30

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 25. Aug 2018, 10:10
Vielleicht wird man frei von etwas, vielleicht nicht, aber es geht in dem Sinne nichts, das ist auch nicht die Absicht, sondern es kommt zu dem was ist eher noch etwas dazu, die Instanz dieses schweigenden, nicht intervenierenden, nicht deutenden Beobachters.
Das ist uns sehr fremd, aber im besten Sinne stehen dahinter überhaupt keine Erwartungen, weil Erwartungen immer ein gewisses Maß an Egozentik haben.
In der Tat :lol: - ich meine die Fremdheit, von der Du in Hinsicht auf den Beobachter sprichst. "Zeuge" hattest Du ihn einige Tage zuvor auch genannt; sogar die Möglichkeit, es handle sich um ein bisher nicht entdecktes "Etwas" eigener ontologischer Dignität hattest Du nicht ausgeschlossen. Sicher scheint zu sein, daß es nicht mehr das individuelle "Ich" ist? Ich frage bzw. möchte ich mich vergewissern, weil ich selber diese Erfahrung, die des unbeteiligten Beobachtens, nicht habe. Ich könnte mir vorstellen, daß das individuelle "Ich" sich in Zwei oder in Mehrere aufteilt, ohne daß es zu einer Dissoziation kommt, aber daß da ein "Etwas" hinzutritt, daß vorher nicht ein Teil meiner selbst war ... an der Stelle setzt meine Phantasie aus.




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Friederike
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So 26. Aug 2018, 10:02

Der Atem als die "Nahtstelle" zwischen Seele und individuellem lebendigen Körper @Herbert, den finde ich sehr schön. Noch besser gefällt mir der Gedanke, so wie er in der lat. Bedeutung von "anima" vorkommt, der Atem sei die Seele.

Ja, und die Formulierung "der Geist geht spazieren", @T.I., die habe ich mir gemerkt, weil sie dem unentwegten Gedanken-Wälzen die Dramatik so angenehm entzieht. An die Stelle von Schwere tritt Leichtigkeit.




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So 26. Aug 2018, 10:18

Friederike hat geschrieben :
So 26. Aug 2018, 08:30
In der Tat :lol: - ich meine die Fremdheit, von der Du in Hinsicht auf den Beobachter sprichst. "Zeuge" hattest Du ihn einige Tage zuvor auch genannt; sogar die Möglichkeit, es handle sich um ein bisher nicht entdecktes "Etwas" eigener ontologischer Dignität hattest Du nicht ausgeschlossen.
Entdeckt ist es schon, es wird ja bereits eifrig darüber geschrieben.
Den Meditierenden muss die Frage nach dem ontologischen Gehalt nicht jucken, die ist so sinnvoll wie die Frage, ob es Zahnschmerzen oder Ärger über einen zickenden Router wirklich gibt oder ob das nicht aus der Perspektive einer 'tieferen Realität' nur biochemische Entladungen sind.
Für den Philosophen könnte die Frage allerdings schon relevant sein und man könnte sie vielleicht vergleichen mit der Frage nach der Sprache.
Friederike hat geschrieben :
So 26. Aug 2018, 08:30
Sicher scheint zu sein, daß es nicht mehr das individuelle "Ich" ist?
Naja, wo beginnt und wo endet das individuelle Ich? Ist die Sprache eigentlich ein Teil von mir, weil ich sie ja so verwende, wie ich es will oder bin ich ein Teil der Sprache, weil ich ja doch gewissen Regeln unterliege, die ich eben nicht frei gestalten kann, bzw. wenn ich die Ausage: "Jembkridk jjjaj tatatam,,," also neue Tosa-Sprache veröffentliche, muss ich damit rechnen, dass mich niemand versteht und sich auch keiner die Mühe macht, mich verstehen zu wollen.
Der Zeuge, ist der nun ein Teil meines Ich, oder ist das einfach eine Instanz, die ich finden kann?
Friederike hat geschrieben :
So 26. Aug 2018, 08:30
Ich frage bzw. möchte ich mich vergewissern, weil ich selber diese Erfahrung, die des unbeteiligten Beobachtens, nicht habe. Ich könnte mir vorstellen, daß das individuelle "Ich" sich in Zwei oder in Mehrere aufteilt, ohne daß es zu einer Dissoziation kommt, aber daß da ein "Etwas" hinzutritt, daß vorher nicht ein Teil meiner selbst war ... an der Stelle setzt meine Phantasie aus.
M.E. braucht es dazu gerade keine Phantasie. Mit der Position des Zeugen/Beobachters meine ich einfach das, was bleibt (oder erscheint) wenn man seinen Gedanken, Gefühlen und Körperimpulsen nicht mehr folgt.
Das ist keine Reflexion, bei der ich ja zu meinen Gedanken auch eine Art Metaposition einnehme und mich fragen kann, warum ich eigentlich diese Einstellung zum Thema x habe und nicht jene. In der stillen, absichtslosen Meditation, die ich zum größten Teil praktiziere, neben einigen geführten Meditationen, die in etwa die andere Hälfte darstellen (sehr selten mache ich andere, speziellere Meditationen), folge ich keinem Gedanken, d.h. ich habe die Absicht das nicht zu tun. Natürlich passiert das ständig und so starte ich immer wieder neu.
Wenn mein linkes Knie nicht mehr weh tut wie Sau - ich starte immer mit einem gefühlten Schmerz von 8 (auf der Skala von 0 bis 10), der sich innerhalb von 60 bis 120 Sekunden verflüchtigt - dann der Druck von Tagesaktuellem aus dem Kessel ist, komme ich nach etwa 10 Minuten in die ruhigere Phase, wo das was ich Mediation nennen würde überhaupt erst beginnt.
Eigentlich ziemlich langweilig weil oft nichts passiert, neuerdings gelingt es mir sogar im Sitzen kurz einzudösen, wenn ich müde bin, aber durch die Sitzposition im Halblotus, werde ich sofort wieder wach, bei Veränderungen in der Körperspannung. Dann kommen natürlich regelmäßig Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen und versuche diese einfach wahrzunehmen und austrudeln zu lassen, den Gedanken gelingt es immer mal wieder mich zu entführen, so dass ich mich in einem Gedankengang vertieft wiederfinde, was ich dann abstelle oder loslasse, sobald ich es wahrnehme.
Es ist anstrengend diese Postion aufrecht zu halten, weil ich es wie wir alle gewohnt bin, mich dem unablässigen Strom der Gedanken und des inneren Geplappers hinzugeben, was ich daran merke, dass es gewissermaßen erleichternd ist wieder in der gewohnten Weise denken zu dürfen, d.h. sich wie ein Tiger auf alles zu stürzen, was man be- und zerdenken kann. Obwohl das anstrengend ist, ist es für den Körper entspannend, was ich daran merke, dass sich immer mal wieder ganze Muskelpartien entspannen, man dem Atem teilweise bis in den unteren Bauch folgen kann.

Aber diese Position des reinen Wahrnehmens, klar das bin ich, denn mir passiert das ja, aber es ist wiederum von dem getrennt, was ich überlicherweise als Ich bezeichnen würde, die Summe aus Denken, Gefühlen/Affekten, Körpersensationen und auch eine Reflexion ist das nicht. Es ist eben das was bleibt, wenn man alles andere abstreift, aber nicht in dem Sinne, dass man unempfindsam wird, sondern dem was kommt keine große Beachtung schenkt.
Diese Position ist recht eigenschaftslos, weil sie ja nichts bewertet. Man kann ja auch denken: "Mist, jetzt denke ich schon wieder, das wird nie was mit mir und der Meditation." Aber das wäre eine kritische innere Stimme, nicht der Zeuge. Der Zeuge ist die innere Variante von "Warum es die Welt nicht gibt", und man könnte sagen: "Warum es das Ich nicht gibt." Wenn Du eine Liste anfertigst auf der nach intensivster Innenschau all Deine Eigenschaften stehen, dann ist da noch immer die, die diese Liste angefertigt hat und die müsste auf der Liste ja auch noch stehen. Doch in dem Moment wo sie drauf steht, ist man ja wieder auf einer neuen Metaebene ad infinitum. Das ist eher denkend und überzeugt mich letztlich so wenig, wie bei dem Welt-Gedanken, aber Ramanas Frage "Wer bin ich?" versucht dieses Ich zu fangen (oder besser: zu zeigen, dass das nicht geht) und kommt zu der Konsequenz: Das auch noch und das noch und das noch, so dass am Ende eher die Frage bleibt, wer man eigentlich nicht ist. Meine Projektionen, das bin ja auch ich. Das was ich im anderen sehe, das bin ja auch noch ich, vor allem da der andere oft sagen wird: "So bin ich eigentlich gar nicht." Wie ich die Welt sehe: ... ein Irrenhaus, oder großes Teamwork, oder ein Spiel von lauter Egozentrikern ... das bin auch ich, plus jene Empfindungen, wenn mir der andere wirklich unter die Haut rutscht.
Der Zeuge sieht auch all das, ist er nun ein Teil von mir? Welcher? Und wer bin ich?



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Friederike
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So 26. Aug 2018, 11:34

Tosa Inu hat geschrieben : [...] aber Ramanas Frage "Wer bin ich?" versucht dieses Ich zu fangen (oder besser: zu zeigen, dass das nicht geht) und kommt zu der Konsequenz: Das auch noch und das noch und das noch, so dass am Ende eher die Frage bleibt, wer man eigentlich nicht ist.
Alleine vom Lesen des Satzes kriege ich diese Empfindung, wie es sein könnte, im freien Fall von der Brücke zu stürzen ... das zeigt aber nur, wieviel Halt ein "Ich" gibt, das klar markiert ist.

Und Danke für Dein detailliertes Erzählen über die Erfahrungen in Deiner gegenwärtigen Meditationspraxis.




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Jörn Budesheim
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So 26. Aug 2018, 12:58

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Meine erste Meditation im Stehen ;)




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So 26. Aug 2018, 13:08

Friederike hat geschrieben :
So 26. Aug 2018, 11:34
Alleine vom Lesen des Satzes kriege ich diese Empfindung, wie es sein könnte, im freien Fall von der Brücke zu stürzen ... das zeigt aber nur, wieviel Halt ein "Ich" gibt, das klar markiert ist.
Keine Frage.
Psychotherapie und Meditation und natürlich irgendwie auch die Philosophie, sind unterschiedliche Wege, um die Grenzen dieses konventionellen Konstrukts immer wieder infrage zu stellen und gewissermaßen nach außen zu schieben. Dieses Ich, was nicht nur an einem theoretischen Exkurs über das Ich teilnimmt, sondern das wirklich in Leben umsetzt, wird sich prüfen lassen müssen, was Sätze wie "Es gibt kein Ich" denn tatsächlich bedeuten.

Meistens definieren wir ja gar nicht unser Ich, weil wir das irgendwie überflüssig finden, sondern wir präsentieren unsere Einstellungen. Da wird bei einem kleinen Ich das "Ich bin der Meinnung, dass ..." gerne mal zur unbezweifelbaren Tatsache, weil es im Grunde die Glaubenssätze des Ichs sind, die Halt geben. Und da die Glaubenssätze noch mehr Halt geben, wenn sie kein Glaube, sondern ganz einfach wahre, unverrückbare Tatsachen sind (glauben tun ja immer nur die anderen), dann gibt es noch mehr Halt. Ich glaube ja, dass wer sehr viele Tatsachen um sich braucht, oft sehr unsicher ist.

Allerdings ist diese "Es könnte alles auch ganz anders sein" Geschichte, bei der man sich als Bescheidwisser gibt, auch nur ein recht billiger Trick, der das eigene Ego poliert. Der spirituelle Weg lehrt einen frei davon zu werden und das aushalten zu können.



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Friederike
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So 26. Aug 2018, 14:43

Tosa Inu hat geschrieben :
So 26. Aug 2018, 10:18
Den Meditierenden muss die Frage nach dem ontologischen Gehalt nicht jucken, die ist so sinnvoll wie die Frage, ob es Zahnschmerzen oder Ärger über einen zickenden Router wirklich gibt oder ob das nicht aus der Perspektive einer 'tieferen Realität' nur biochemische Entladungen sind. Für den Philosophen könnte die Frage allerdings schon relevant sein und man könnte sie vielleicht vergleichen mit der Frage nach der Sprache. [...] Naja, wo beginnt und wo endet das individuelle Ich? Ist die Sprache eigentlich ein Teil von mir, weil ich sie ja so verwende, wie ich es will oder bin ich ein Teil der Sprache, weil ich ja doch gewissen Regeln unterliege, die ich eben nicht frei gestalten kann, bzw. wenn ich die Ausage: "Jembkridk jjjaj tatatam,,," also neue Tosa-Sprache veröffentliche, muss ich damit rechnen, dass mich niemand versteht und sich auch keiner die Mühe macht, mich verstehen zu wollen. Der Zeuge, ist der nun ein Teil meines Ich, oder ist das einfach eine Instanz, die ich finden kann?
Seit Du den Thread eingerichtet hast, kreisen meine Gedanken um das "Ich", und ich habe den Eindruck, daß ich bei dem Ziel, des "Ichs" habhaft zu werden, genau s o vorgehe wie bei Problemen jedweder Art: Ich probiere dies und das, Versuch und Irrtum, gehe wieder zurück, wiederhole, setze erneut an, nehme einen neuen Weg, kehre wieder um usw.usf. Das ist einmal eine Erklärung, mit der ich meine unsortierten Bemerkungen rechtfertige -und es ist zugleich eine Selbst-Entdeckung, nämlich die, daß die gedankliche Erkundung eines Begriffs sich in der Verfahrensweise nicht oder kaum unterscheidet von dem Erlernen der Funktionsweise eines Gerätes.*

Du hast ja recht mit dem, was Du in einem späteren Beitrag geschrieben hast. Halt gibt nicht das Ich, sondern Halt gewinnt man vermittels der Einstellungen bzw. besonders der Wertungen, die mit den Einstellungen verbunden sind. Das "Ich" ist völlig abstrakt. Man denkt es nicht, man empfindet es nicht, man nimmt es nicht wahr (sieht, hört, riecht, schmeckt, tastet es nicht). Falls ich Dich im folgenden Absatz recht verstehe, dann verstehst Du unter "Ich" ebenfalls die Bündelung verschiedener Phänomene in einen Begriff:
Tosa Inu hat geschrieben : Aber diese Position des reinen Wahrnehmens, klar das bin ich, denn mir passiert das ja, aber es ist wiederum von dem getrennt, was ich üblicherweise als Ich bezeichnen würde, die Summe aus Denken, Gefühlen/Affekten, Körpersensationen und auch eine Reflexion ist das nicht. Es ist eben das, was bleibt, wenn man alles andere abstreift, [...]Der Zeuge sieht auch all das, ist er nun ein Teil von mir? Welcher? Und wer bin ich?

*(by the way hat die Therapie die wundervolle Erkenntnis gebracht, daß es sich um eine Angst-Situation handelt, was das Mucken des Internets angeht. Außerdem die betäubende -nicht die zerstreuende- Komponente des PC's, der einfach nur zur Verfügung steht, indem er läuft. Also insgesamt für mein Vorankommen ein "Glücksfall", wie gute Therapeutinnen aus der Distanz die Dinge einschätzen).




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So 26. Aug 2018, 14:56

Tosa Inu hat geschrieben :
So 26. Aug 2018, 13:08
Psychotherapie und Meditation und natürlich irgendwie auch die Philosophie, sind unterschiedliche Wege, um die Grenzen dieses konventionellen Konstrukts immer wieder infrage zu stellen und gewissermaßen nach außen zu schieben. Dieses Ich, was nicht nur an einem theoretischen Exkurs über das Ich teilnimmt, sondern das wirklich in Leben umsetzt, wird sich prüfen lassen müssen, was Sätze wie "Es gibt kein Ich" denn tatsächlich bedeuten.
Möcht' ich nur dick unterstreichen!

Ihr steht, sitzt ... wie schon erwähnt, brauch' ich Bewegung. Kundalini-Yoga zuletzt hat mir ausnehmend gut gefallen. Indische Sitar, im Herzrhytmus spielend, öffnende und schließende, weitende und verengende Bewegungen von Armen und Beinen - das stoppt die Gedanken nicht, aber die Gedankenfolge verlangsamt sich. Genau so wie beim Bus- oder Bahnfahren, wenn der Körper bewegt wird und das Getöse im Kopf dadurch ruhiger wird.




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So 26. Aug 2018, 19:44

Friederike hat geschrieben :
So 26. Aug 2018, 14:43
Du hast ja recht mit dem, was Du in einem späteren Beitrag geschrieben hast. Halt gibt nicht das Ich, sondern Halt gewinnt man vermittels der Einstellungen bzw. besonders der Wertungen, die mit den Einstellungen verbunden sind. Das "Ich" ist völlig abstrakt. Man denkt es nicht, man empfindet es nicht, man nimmt es nicht wahr (sieht, hört, riecht, schmeckt, tastet es nicht). Falls ich Dich im folgenden Absatz recht verstehe, dann verstehst Du unter "Ich" ebenfalls die Bündelung verschiedener Phänomene in einen Begriff: ...
Ich sehe das Ich in jedem Fall als mehrdeutig an, weil es vom Ich des Tieres oder Kleinkindes, nach Sterne schon des Säuglings; dem unreflektierten Ich das immerhin weiß, was es will; dem reflektiverten Ich des Descartes, das sich fragt, warum es will, was es will und dem Rest-Ich eines Zen-Meisters (um einige Zwischenstufen zu überspringen) ziemliche Unterschiede.

Von den verschiedenen Perspektiven von Psychologie, Philosophie, Soziologie, Hirnforschung, Buddhismus usw. mal ganz abgesehen.

Dass dieses Ich jedoch dynamisch ist, finde ich nicht tragisch, sondern damit kann man, ganz im Gegenteil, sehr viel erklären.
Ich, das Weltbild und seine Stufen, die Wahrheit dieser Weltbilder, im Sinne folgerichtiger Ableitungen aus ihren Prämissen, das hängt zusammen und passt auch sehr schön, die Frage ist, ob und wie sich das alles auflöst, in einer oder mehreren höheren oder höchsten Wahrheit(en).



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Di 28. Aug 2018, 15:13

Tosa Inu hat geschrieben :
So 12. Aug 2018, 11:51
[...]An anderer Stelle schrieb ich mal:
Tosa Inu hat geschrieben : „Ich habe ein Interview mit der Performance Künstlerin Marina Abramovic gelesen, was die so in Nebensätzen locker raushaut, gereicht jedem spirituellen Meister zur Ehre.
Sie hat unter Aborigines gelebt, bei brasilianischen Schamanen, war bei diversen spirituellen Retreats, saß drei Monate allein in einem Raum im Dschungel und sagt, sie stecke spirituell noch in den Kinderschuhen.
Und sie zeigt es her, hat eine dreimonatige Performance im MOMA hinter sich, bei der sie Leute einfach „nur“ gegenüber gesessen hat und nichts gemacht hat.
Aber sie sagt:
„Das einzige was ich tun musste, war gegenwärtig zu sein. Wenn man ganz still sitzt, gehen einem Hunderte von Gedanken durch den Kopf. Für mich ging es darum, in die Lücke zwischen dem einen Gedanken, der geht, und dem anderen Gedanken, der kommt, zu gelangen. Wie komme ich da hinein? Das ist die schwierigste Aufgabe. Im Grunde muss man da einsteigen, wo die Lücken größer und größer werden. Und dann kommst du in den Raum des Nicht-Denkens, in dem wir den Verstand, jedes Mal, wenn er sich wieder zeigt, aufs Neue loslassen. Das erfordert eine ungeheure Konzentration. Wenn du in diesem nicht-denkenden Raum, in der Gegenwart, bist, dann gibt es keine Zeit. Und du machst eine außerkörperliche Erfahrung, du bist überall, 360 Grad. Das ist die höchste Erfahrung, ein Zustand des strahlenden Lichts, von Frieden und Glück. Die Zeit finden wir nur in der Vergangenheit und in der Zukunft, aber in der Gegenwart gibt es keine Zeit, da ist Nichts. Und wenn ich in diesem leeren Raum bin, dann kann ich dich auch dahin mitnehmen. Deswegen wird es so emotionale bewegend für die Menschen.“
(evolve, 01/2014, S.71 )
Wie es so geht. Vor einigen Tage habe ich die von Dir zitierten Erfahrungen von Abramovic flüchtig überflogen. Heute sitze ich schon eine gute halbe Stunde daran und lese die Zeilen ein wenig wie ein Mantra. Vor allen Dingen die Lücken haben es mir angetan, und ja, ich verstehe sofort, wenn ich versuche, die Lücken zu finden, daß es -nahezu- unmöglich ist, die Lücken zu bemerken.

Mir wird aber bewußt, daß man entweder ein sehr großes Vertrauen in sich selbst haben muß (ein starkes, selbstgewisses "Ich") oder aber, daß man unbedingt einen Meister/eine Meisterin braucht, der oder die einen führt und unterstützt. Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß man zwischendurch öfter Phasen durchläuft, in denen man denkt, man sei verrückt oder irre oder abgedreht, irgendwie psychisch nicht in Ordnung. Phasen, in denen die antrainierten elterlichen Glaubenssätze voll greifen (aus dir wird nie was, du wirst nie erwachsen, du spinnst ...). Das ist mir dazu eingefallen, warum ich eher nur beiläufig meditiere. Wenn man sehr konsequent und ernsthaft meditiert, sind die Auswirkungen nicht gut berechenbar.




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Di 28. Aug 2018, 15:25

proximus hat geschrieben :
Do 23. Aug 2018, 08:09
M.E. geht es in Meditation um Wahrnehmungen von Zwischenräumen; In ideologischer Philosophie um ein Behaupten von "Absolutheiten".
Was meinst Du mit "Zwischenräumen"? Könntest Du es an einem Beispiel zeigen? Oder sind es die Lücken zwischen den Gedanken, von denen Abramovic spricht?




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Di 28. Aug 2018, 19:20

Friederike hat geschrieben :
Di 28. Aug 2018, 15:13
Mir wird aber bewußt, daß man entweder ein sehr großes Vertrauen in sich selbst haben muß (ein starkes, selbstgewisses "Ich") oder aber, daß man unbedingt einen Meister/eine Meisterin braucht, der oder die einen führt und unterstützt.
Chögyam Trungpa hat geschrieben : „Die ganze Schilderung gründet – mit anderen Worten – auf einer anderen Art und Weise, das psychologische Bild unserer selbst anzusehen, nämlich in der Form einer praktischen meditativen Situation. Niemand wird uns retten, alles ist ganz und gar dem Individuum überlassen, der Hingabe an das, was wir sind. Gurus und spirituelle Freunde mögen uns auf diese Möglichkeit hinweisen, aber im Grunde haben sie keine Funktion.“
Chögyam Trungpa, Das Totenbuch der Tibeter, Diedrichs Gelbe Reihe, Hugendubel 2000, S. 21
Und ich denke auch, dass am Ende die Selbstermächtigung steht. Erleuchtung per Urkunde, vom TÜV Rheinland?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Di 28. Aug 2018, 20:01

Friederike hat geschrieben :
Di 28. Aug 2018, 15:13
Mir wird aber bewußt, daß man entweder ein sehr großes Vertrauen in sich selbst haben muß (ein starkes, selbstgewisses "Ich") oder aber, daß man unbedingt einen Meister/eine Meisterin braucht, der oder die einen führt und unterstützt.
Oder eine App :) ich mach das jetzt seit fast zwei Wochen täglich und es ist gut.




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Di 28. Aug 2018, 22:37

Lücken

Die ganze Bardo-Lehre dreht sich um Lücken, aber aufgrund ihrer Fremdartigkeit für unsere Kultur besteht die Gefahr, sich da intellektuell zu sehr zu verbuddeln und erst alles verstehen zu wollen.

Diese Bardo- oder Zwischenzustände finden nicht unbedingt nur zwischen Leben und Tod und Leben statt, sondern, da die andere Seite der Zustände das klare Licht ist, zwischen zwei Augenblicken, egal welchen. Alle haben das Potential zur Befreiung, wenn man es schafft, im klaren Licht zu verweilen, wobei es darum auch nicht unbedingt geht. Zumeist wird das klare Licht aber ohnehin nicht erkannt. Dann sinkt man weiter in den Tschönyi-Bardo durch eigenes Karma, wobei man das nicht als die Summe schlechter Eigenschaften missverstehen darf, sondern eher als das, was einen anzieht, jenen Bereich in dem man sich wohlfühlt.
Das ist es, was einen anzieht und dieses Karma wirkt nicht nur zwischen Leben und Tod und Leben, sondern in jedem Augenblick, in dem ich doch wieder dort lande ... wo ich eben immer lande, weil hier alles so bekannt ist und ich alles einordnen kann.
Friederike hat geschrieben :
Di 28. Aug 2018, 15:13
Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß man zwischendurch öfter Phasen durchläuft, in denen man denkt, man sei verrückt oder irre oder abgedreht, irgendwie psychisch nicht in Ordnung. Phasen, in denen die antrainierten elterlichen Glaubenssätze voll greifen (aus dir wird nie was, du wirst nie erwachsen, du spinnst ...). Das ist mir dazu eingefallen, warum ich eher nur beiläufig meditiere. Wenn man sehr konsequent und ernsthaft meditiert, sind die Auswirkungen nicht gut berechenbar.
Dahlke hat immer gesagt, wenn jemand einem anderen, der in den Urlaub fährt wünscht: "Hoffentlich passiert nichts", dass man dann auch gleich zu Hause bleiben kann. Man fährt ja weg, damit was passiert. Berechenbar ist nichts, was neu ist, aber die Meditation kann einem zeigen, dass man die Berechenbarkeit, die man zu brauchen meint, nicht braucht.
Der einfache Trick ist: Weiteratmen. Diese Techniken beim Baghwan sind doch weitaus explosiver. Wer dort hinfährt kann nicht ängstlich sein. Hast Du Tolle gelesen, sein "Jetzt" Buch? Der hat viel Schönes über diese andere Seite geschrieben, über die andere Seite der Geräusche, die Stille und der Gedanken, die Leere. Es ist diese Leere, die einen nie verlässt, die man immer wieder erreichen kann, wenn man im Moment ist.
Wie man im Moment ist, ist im Grunde egal. Zu viel Achtsamkeitstraining ist super, weil es einem zeigt, wie es nicht geht, nämlich in dem man angestrengt versucht im Moment zu sein. Das wird immer krampfig. Man fällt immer wieder heraus, genau wie man in der Meditation immer wieder denkt.

Aber wenn man sich wiederum da hinein entspannt ist schon wieder alles in Butter, egal welches Schild man (oder irgendwer) dran hängt: zwanghaft oder oberflächlich, kühl distanziert oder emotional verwickelt, irgendwie muss man ja sein. Man kann das ja erkennen, beobachten und weiteratmen. Nicht um sich das zu verzeihen und das innere Kind zu heilen, sondern einfach schauen. Sich auf keine Art zu verhalten ist so, wie der Blick von Nirgendwo, geht nicht. Spiritualität ist da recht radikal, weil sie sagt, egal wie Du bist, Du kannst in jedem Moment durchbrechen.
Diese riesige Wand, auf der steht, dass Du zu zwanghaft, unsicher oder was auch sonst bist ... wovor soll die Dich denn schützen?
Ist die Erleuchtung so schlimm, oder die Angst vor der Enttäuschung, dass sich vielleicht gar nicht so bombastisch ist?
Einen Moment in dem es Klick machte hatte ich tatsächlich bei Tolles Buch, als er beschrieb, wie der Zen Meister den Finger hebt und fragt: "Was fehlt hier?" Und die Anwort ist, dass hier in diesem Moment nichts fehlt. Egal wie die reale Lebenssituation aussieht, es gibt immer den Moment, um ... ja, eben nicht auszusteigen und sich in eine Illusionswelt zu switchen, sondern ganz hier anzukommen, hinzuschauen, den Atem zu spüren, hier zu sein, wie man es immer wieder in der Meditation geübt hat. Der ganze Kram ist real und zielt mitten auf unser Leben ab. Aber wir schieben das gerne weit weg, sagen in falscher Demut, das sei (eben leider noch) nichts für uns. Andere machen sich lustig, wieder andere halten sich das sonst wie vom Leib. Keine falsche Scheu, keine Überheblichkeit, wenn man an das Thema herangeht, wie Zorn an die Philosophie, macht man alles richtig.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Mi 29. Aug 2018, 09:07

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 28. Aug 2018, 19:20
Chögyam Trungpa hat geschrieben : Die ganze Schilderung gründet – mit anderen Worten – auf einer anderen Art und Weise, das psychologische Bild unserer selbst anzusehen, nämlich in der Form einer praktischen meditativen Situation. Niemand wird uns retten, alles ist ganz und gar dem Individuum überlassen, der Hingabe an das, was wir sind. Gurus und spirituelle Freunde mögen uns auf diese Möglichkeit hinweisen, aber im Grunde haben sie keine Funktion.“
Chögyam Trungpa, Das Totenbuch der Tibeter, Diedrichs Gelbe Reihe, Hugendubel 2000, S. 21
Und ich denke auch, dass am Ende die Selbstermächtigung steht. Erleuchtung per Urkunde, vom TÜV Rheinland?
Ist der von mir unterstrichene Satz ein sinnvoller Satz? Was heißt es, das psychologische Bild unserer selbst anzusehen? Das Bild, das wir von unserer Psyche haben? So könnte es gemeint sein. Und das Bild, das wir von unserer Psyche haben, sollen eines in der "Form einer praktischen meditativen Situation" sein? Nein, da setzt es bei mir aus. Ich verstehe einfach nicht, was Ch.T. meint.

Außerdem @T.I. weiß ich nicht, was Du eigentlich sagen willst? :lol: Das mit dem Meister bzw. der Meisterin ist Quatsch?

NS: Mit Deinem zweiten Beitrag vom späteren Abend beantwortest Du meine -zweite- Frage an Dich. Ich habe den Beitrag eben erst gelesen.




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Friederike
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Mi 29. Aug 2018, 10:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 28. Aug 2018, 20:01
Friederike hat geschrieben :
Di 28. Aug 2018, 15:13
Mir wird aber bewußt, daß man entweder ein sehr großes Vertrauen in sich selbst haben muß (ein starkes, selbstgewisses "Ich") oder aber, daß man unbedingt einen Meister/eine Meisterin braucht, der oder die einen führt und unterstützt.
Oder eine App :) [...]
:P (ich folge meinem Impuls).




Tosa Inu
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Mi 29. Aug 2018, 12:01

Trungpa diskutiert hier die Frage, was einem Westler aus dem 20. oder 21. Jahrhundert mythische Bilder aus einer frühen Hochgebirgsregion sagen können.
Dann folgt das erwähnte Zitat, angeschlossen die Frage, woher wir denn wissen, dass das wirklich mal jemandem passiert ist.
Unser aller Misstrauen wird thematisiert, bei uns noch stärker, weil unser Sozialisationsprozess meilenweit von dem des alten Tibet entfernt ist.
„Den Lebensprozess von Standpunkt des Geschehens während des Sterbens anzusehen, erscheint uns wie die Beschäftigung mit einem Mythos; wir brauchen eine praktische Erfahrung dieses ständen Bardo-Prozesses.“
(Chögyam Trungpa, Das Totenbuch der Tibeter, Diederichs Gelbe Reihe, Hugendubel 2000, S. 22)


Heidegger hat das getan, das Leben vom Tode aus zu denken, er ist uns fremd genug geblieben, seine Botschaft, dass wir zwar alles delegieren können, aber spätestens Sterben dann jeder für sich muss, stimmt, ist aber eigentlich nicht allein aufs Sterben reduziert, jede Erfahrung kann ich bei Licht betrachtet nur für mich haben. Das kann man üben und sich bewusst machen, das ist kein Widerspruch.
„Sind wir offen und realistisch genug, es auf diese Weise anzusehen, dann wird die tatsächliche Erfahrung des Todes und des Bardo-Zustandes weder ein reiner Mythos noch ein außergewöhnlicher Schock sein, denn wir sind bereits damit ungegangen und haben uns an die ganze Angelegenheit gewöhnt.“
(Chögyam Trungpa, Das Totenbuch der Tibeter, Diederichs Gelbe Reihe, Hugendubel 2000, S. 22)


Naja, könnte man meinen, aber schau Dir mal die Berichte von Menschen an, die Nahtoderfahrungen hatten. Wenn wir die Philosophie hier wirklich mal ernst nehmen und daraus keine Denksportübung machen, dann folgt aus der philosophischen Tatsache, dass es keine privilegierte Perspektive gibt (Gott und der Blick von Nirgendwo sind keine realen Optionen), doch abermals eine Betonung des subjetkiven Gehalts einer solcher Erfahrung, auch wenn man meint, so eine Erfahrung sei „nur“ eine Reaktion des neuronalen Systems auf extremen Stress. Und Liebe sind nur Hormone und ein Wohlgefühl nur eine Dopmain und Opioid Cocktail, aber wie weit kommt man damit? Huxley hat das alles schon vorweg genommen.

Kurz vor dem Tod dann:
„Schließlich, wenn sich Raum und Bewusstsein in das zentrale Nadi auflösen, dann ist da die Empfindung eines innerliches Lichtes, eines inneren Glanzes, dann hat sich alles ganz und gar nach innen gekehrt.
Solche Erfahrungen ereignen sich dauernd und man weiß nicht recht, ob man Erleuchtung erlangt oder den Verstand verliert. Jedesmal wenn es zu einer solchen Erfahrung kommt, lassen sich vier oder fünf verschiedene Stufen unterscheiden.“
(Chögyam Trungpa, Das Totenbuch der Tibeter, Diederichs Gelbe Reihe, Hugendubel 2000, S. 23f)


Ich fasse zusammen:
Man versucht sich zu versichern, dass der Verstand noch funktioniert. Das klappt nicht immer und dann versucht man sich in bekannte starke Emotionen zu retten, man denkt an jemanden, den man liebt oder hasst, um sich zu erden. Das machen Borderliner auch, wenn sie sich ritzen und eine Flasche Tabasco trinken. Gelingt das nicht, gibt man auf, weil auch die Konzentration auf das starke Gefühl einen nicht mehr verankert.
Man lässt es über sich ergehen, den Zusammenbruch der Dualität in dem allerlei mächtige Eindrücke von Lust, Freude, Schmerz und Hass auf einen einprasseln.
„Der dualistische Kampf um den Versuch etwas zu sein, ist durch die beiden widerstreitenden Kräfte des Hoffens auf Erleuchtung und der Angst vor dem Wahnsinn vollkommen verwirrt. Die beiden Extreme sind so ausgeprägt, dass es zu einer gewissen Entspannung kommen kann; und wenn du nicht mehr kämpfst, offenbart sich ganz von selbst der Glanz.
Der nächste Schritt ist die Erfahrung des Lichtes im täglichen Leben. Der Glanz ist der neutrale Grund oder Hintergrund, eine Lücke bei nachlassen der Intensität. Und dann beginnt irgendeine Einsicht, diese mit dem erleuchteten Bewusstseinszustand zu verbinden, und es kommt zu einem plötzlichen Aufblitzen der meditativen Erfahrung, des Buddha-Wesens, oder, wie wir es auch nennen können, des Dharmakaya. Habe wir jedoch keine Möglichkeit uns mit der fundamentalen Einsicht zu verbinden und beherrscht verwirrte Energie weiterhin unseren geistigen Prozess, dann steigert sich die Energie blindlings immer mehr und fällt schließlich ab auf verschiedene Ebenen ‚verdünnter Energie‘, wie man sie im Vergleich zur absoluten Energie des Glanzes nennen könnte. Eine Grundtendenz des Ergreifens beginnt sich im Zustand des Glanzes zu entwickeln, und je nach ihrer Intensität entwickelt sich daraus die Erfahrung der sechs Bereiche der Welt.“
(Chögyam Trungpa, Das Totenbuch der Tibeter, Diederichs Gelbe Reihe, Hugendubel 2000, S. 24f )
Man landet wieder beim Gewohnten, das Tor ist wieder geschlossen, aber buchstäblich in jedem Moment öffnet sich ein neues. Das sind unsere karmischen Bindungen, aber nicht von Leben zu Leben, sondern von Moment zu Moment. Wir vergewissern uns einerseits immer wieder, ob die Welt auch so ist, wie wir sie kennen, atmen auf, wenn das der Fall ist, auf der anderen Seite sind wir aber klug genug, zu verstehen, dass dieses Anhaften tatsächlich problematisch ist. Ich denke, dass wir mit der Philosophie ebenso umgehen, sie bereichert unser Leben, nur letzten Endes verstören lassen, wollen wir uns dadurch nicht, sondern sie soll ein wenig unsere Langeweile vertreiben. Wenn mal jemand daherkommt, der es ernst meint, sind wir verwirrt bis entrüstet.

Das meine ich nicht zynisch, denn man ist kein besserer Mensch, wenn man meditiert oder philosophiert. Ähnlich wie bei der Psychotherapie ist vielleicht sogar ein gewisser Leidensdruck ganz gut, Talent ist ein anderes Motiv.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Friederike
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Mi 29. Aug 2018, 14:11

Nein, E. Tolle habe ich nicht gelesen. Ich habe eben eine Leseprobe gefunden und zitiere den allerersten Abschnitt aus dem "Vorwort":
E.T. hat geschrieben : Mein Buch Jetzt! Die Kraft der Gegenwart hat seit seinem Erscheinen 1997 bereits einen Einfluss auf das kollektive Bewusstsein der Erde gehabt, der weit über alles hinausgeht, was ich mir hätte vorstellen können. Es ist in 15 Sprachen übersetzt worden, und jeden Tag bekomme ich Post von Lesern aus aller Welt, die mir mitteilen, wie sich ihr Leben durch die Lehren dieses Buches verändert hat.
Nett - und mir vergeht jegliche Lust, von Tolle Weiteres zu lesen.

Was ich jetzt getan habe, entspricht ungefähr dem, was Du vorhin beschrieben hast. Ich rette mich in was Handfestes, woran ich mich festhalten und "nein" sagen kann. "Nein" ist eigentlich kein Gefühl, daher schreibe ich besser, eine "starke Emotion" der Abneigung.

Was Du so aus dem Ärmel schüttelst @T.I., ich muß es häppchenweise schlucken - too much.




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