@ ‚Friederike‘
Mit dem Bild vom Knoten kann ich viel anfangen. Wilber benutzt ein ähnliches und sieht das Ich als Kontraktion, was mich auch spontan angesprochen hat. Ein fester Knoten entspricht einer großen Kontraktion und einem kleinen, engen Ich. Umgekehrt weist dann ein großes Ich eine sehr geringe oder gar keine Kontraktion mehr auf, der Knoten wäre irgendwann einmal gelöst.
In der Meditation findet man häufig zunächst, bei den ersten zehn Versuchen, ganz viel Ich, weil alles neu ist und man merkt, was alles weh tut, stört usw. Aber irgendwann beruhigt sich das Ich und der Knoten lockert sich.
In Begegnungen mit anderen verändert sich das Ich laufend, da bestimmte Ich-Arten, wenn man es so sagen will, sich ja dominant aus Begegnungen mit Welt und vor allem mit anderen konstituieren
Friederike hat geschrieben : ↑ So 19. Aug 2018, 13:35
Alles, was ich von mir und über mich sagen könnte, ist gesagt und irgendwas anderes tritt an die Stelle der tausende von Selbstbeschreibungen, mit denen ich mein "Ich" konstituiert habe.
Das finde ich ebenfalls sehr passend. An anderer Stelle lese ich dazu gerade, dass das Selbst eine Erzählung ist, über die andere uns und wir die anderen kennen lernen. Irgendwann ist dann vielleicht wirklich einmal alles gesagt, vor allem ist auch die Qualität dessen entscheidend, was man für mitteilenswert hält. Qualität heißt hier nicht unbedingt, für wie interessant man die Geschichte hält, die man da erzählt, sondern ob man überhaupt vom Ich abstrahieren und aus dem generellen Modus von „Kinder, was ich alles schon erlebt habe, ihr glaubt es nicht“ heraus kommt. Das gilt natürlich auch für die Meditation, denn, dass man allein damit zum Glück nicht mehr bei allen punkten kann, heißt ja nicht, dass man es nicht dennoch, in einem bestimmten Umfeld kann.
Da das Ich dynamisch ist und im guten Fall auch empathiefähig, kann es aber auf der anderen Seite auch nicht darum gehen, sich immer mehr zu vergeistigen und alles „Niedere“ mehr oder weniger angestrengt von sich abzustreifen und hinter sich zu lassen. Jeder hat seine Geschichte und sein eigenes Temperament, aber die zu hochnäsige Attitüde, habe ich in den meisten Fällen als eher unglückliche Show erlebt. Es kann ja nicht sein, dass Erleuchtung heißt, eins mit allem zu sein und gleichzeitig mit nichts und niemandem in der Welt mehr etwas zu tun zu haben. Das ist eher Solipsismus und die Erkenntnis der Aufbruch zum Mahayana-Buddhismus vor 1000 Jahren gewesen.
Eher scheint mir das Gegenteil richtig, dass man immer mehr Schatten abbaut und ins Ich hinein nimmt. Dass das Ich immer mehr verdrängte Bereiche erobert, also ebenfalls den Knoten lockert, war schon Freud bewusst.
Schwieriger zu verstehen als zu leben, ist vielleicht das Verhältnis von Offenheit und Distanz. Denn das immer größer und damit immer luzider werdende Ich, ist einen kein psychotischer Ich-Verlust und auch kein Verlust der Impulskontrolle, wie bei einer Borderline-Störung. Eine generelle Offenheit, die auch die Angst verliert, dass der eigene gute Ruf mit „Niederem“ kontaminiert wird, heißt dennoch nicht, dass man alles mitmachen muss.
Wenn man – darum rede ich so gerne von Archetypen – einen bestimmten Typus von Erfahrungen kennt, kennt man ihn, kann jederzeit mitmachen, es aber auch bleiben lassen. Ein größeres Ich bedeutet immer mehr Freiheit, man hat die Wahl sich da einzuklinken, muss es aber nicht dranghaft tun.
Meine Beobachtungen sind, dass Begegnungen mit Menschen, Tieren, Landschaften, Literatur, Kunst, Philosophie, die Reflexion über diese Erlebnisse, gerade auch die äußerst verdichtete philosophische und Meditation, mit den Erfahrungen in diesem Bereich alle Hand in Hand gehen. Woran ich so gut wie immer scheitere, ist die meditative Haltung z.B. in den Beruf mitzunehmen. Auf der anderen Seite bin ich vor wenigen Sekunden, dank unseres Austauschs, zu der Überlegung gekommen, dass das vielleicht auch nicht die angemessene Haltung ist. Denn bereits seit längerer Zeit glaube ich immer weniger an die Idee, dass es darum geht, einen bestimmten Zustand zu erreichen, einen irgendwie meditativen, spirituellen oder erleuchteten und in diesem dann immer zu verweilen, sondern, dass es darum geht, ständig durch alle Zustände, Hohen und Tiefen zu wandern. Je größer die Spannbreite dessen, was man kennt und teilen kann, womit man in Empathie gehen kann, umso besser, so wie ich das sehe, nach oben und nach unten.
Wer ernsthaft sagt, er könne überhaupt nicht verstehen, wie man sowas machen oder so denken könne, hat da vermutlich noch viel nachzuholen.
Es gibt immer was, was man nicht sein möchte und man ist ständig bemüht oben zu schwimmen und sich keine Blöße zu geben, doch damit kämpft man eben auch unablässig um seine Rolle und sein virtuelles Ansehen, fast lächerlich möchte man meinen, andererseits äußerst ernst zu nehmen, da viele dieser Aufrechterhaltung eines digitalen Selbstbildes ungeheuer viel Energie widmen. Gehört heute bei vielen dazu.
Mehr Ich, also mehr gesundes, großes Ich heißt, über eine größere Amplitude zu verfügen, mehr Brüche zu leben, in alle archetypischen Kuchenstücke im Zweifel reinbeißen zu können, statt einige immer wieder zu meiden, weil diese zu süß, heiß, kalt oder eklig sind.
Was Meditation sehr gut kann, ist diese Dinge zusammen zu bringen. Eben nicht krampfhaft theoretisch, sondern durch achtsames Anschauen und Loslassen. Das Ich führt da oft Kleinkrieg, immer mit der Botschaft, dass ich so eigentlich nicht bin. Vielleicht war das gerade mal ein Ausrutscher, aber im Grunde bin ich ganz anders. Das was wir da verbergen wollen, ist unser Schatten, das, was wir nicht mögen, um keinen Preis sein wollen. Es ist sehr sehr schwer wirklich zu konfrontieren, dass man das und so auch ist, gerade wenn man im Leben viel investiert hat um sich und anderen unablässig zu beweisen, dass man so nicht ist.
Ein wirklich schwieriger Punkt, denn womit man in spirituellen Kreisen vielleicht noch durchkommt, mit Worten wie, dass man ja irgendwie jeder ist und alles und überall, andererseits aber auch nichts, nicht besser sein will als andere, aber irgendwie auch nicht schlechter, damit fällt man beim Psychologen durch.
Kann ja sein, dass der Check der Identitätsdiffusion beim erleuchteten Menschen nicht mehr adäquat ist, aber das kann man nicht einfach so behaupten, man muss es auch belegen. Aber bevor man niemand werden kann, ist es ganz gut jemand zu sein und das auch ausdrücken zu können und seinen Stil behält man auch bei, wenn man erleuchtet ist. Man ist zornig oder mitfühlend, intellektuell oder emotional.
Der nächste schwierige Punkt ist, dass das, was sich kenne und erkenne, auch wenn ich es mir nicht zuschreibe, dennoch in mir ist und ich es damit dennoch auch bin. Um diesen Punkt werden weiter ideologische Kriege geführt, Dethlefsen und Kernberg, haben ihn auf dem Boden vollkommen unterschiedlicher Ansätze beide klar erkannt, im Grunde ist das nur die Überwindung von Projektionen oder wohl noch öfter projektiven Identifikationen, aber was man schnell intellektuell begriffen hat, ist ungeheuer schwer zu integrieren.
Vermutlich bringen Psychotherapie und Meditation in Kombination das Ich eher in die Lage, diese Punkte zu konfrontieren.
Nicht nur das Ich hat Stufen oder Grade, auch der Schatten. (Kann man vielleicht noch mal näher beleuchten, würde jetzt zu weit führen.)
Erleuchtung ist der Spaziergang durch alle Welten, ich glaube, im Bewusstsein der eigenen Wachheit, womit ich meine, dass man entscheidende Begegnungen und Situationen erkennt und nicht verschläft und eine gewisse Sicherheit darin hat, zu wissen, dass man jederzeit das richtige tun oder unterstützen kann. Da das innere Wege sind, die äußere Aktion nicht ausschließen aber auch nicht erzwingen, geht es eher darum zu erkennen, wenn irgendwo ein Fenster aufgeht und jemand bereit ist einen Schritt zu machen. Erleuchtung als Dauermodus der Predigt ist eher suspekt, man muss erkennen, wo es sich lohnt etwas zu tun.