Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus

Gegenstand dieses Projekts ist die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels
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Jörn Budesheim
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Fr 3. Jan 2020, 09:16

(Schelling, Hölderlin) Hegel hat geschrieben : – eine Ethik. Da die ganze Metaphysik künftig in die Moral fällt – wovon Kant mit seinen beiden praktischen Postulaten nur ein Beispiel gegeben, nichts erschöpft hat –, so wird diese Ethik nichts anderes als ein vollständiges System aller Ideen oder, was dasselbe ist, aller praktischen Postulate sein. Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewussten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus Nichts. – Hier werde ich auf die Felder der Physik herabsteigen; die Frage ist diese: Wie muss eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein? Ich möchte unserer langsamen, an Experimenten mühsam schreitenden Physik einmal wieder Flügel geben.

So, wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die Data angibt, können wir endlich die Physik im Großen bekommen, die ich von späteren Zeitaltern erwarte. Es scheint nicht, dass die jetzige Physik einen schöpferischen Geist, wie der unsrige ist oder sein soll, befriedigen könne.

Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk. Die Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, dass es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muss freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören. Ihr seht von selbst, dass hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden u.s.w. nur untergeordnete Ideen einer höheren Idee sind: Zugleich will ich hier die Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit niederlegen und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung bis auf die Haut entblößen. Endlich kommen die Ideen von einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit, – Umsturz alles Afterglaubens, Verfolgung des Priestertums, das neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst. – Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen.


Zuletzt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit, das Wort in höherem platonischen Sinne genommen. Ich bin nun überzeugt, dass der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfasst, ein ästhetischer Akt ist und dass Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind. Der Philosoph muss ebenso viel ästhetische Kraft besitzen als der Dichter. Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere Buchstabenphilosophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man kann in nichts geistreich sein, selbst über Geschichte kann man nicht geistreich räsonieren – ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich den Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen – und treuherzig genug gestehen, dass ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinausgeht.

Die Poesie bekommt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wieder, was sie am Anfang war –Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben. Zu gleicher Zeit hören wir so oft, der große Haufen müsse eine sinnliche Religion haben. Nicht nur der große Haufen, auch der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, dies ist's, was wir bedürfen!

Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die, soviel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist – wir müssen eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muss im Dienste der Ideen stehen, sie muss eine Mythologie der Vernunft werden.

Ehe wir die Ideen ästhetisch, d. h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse; und umgekehrt, ehe die Mythologie vernünftig ist, muss sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muss philosophisch werden und das Volk vernünftig, und die Philosophie muss mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blick, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern. Dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft wird mehr unterdrückt werden. Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister! – Ein höherer Geist, vom Himmel gesandt, muss diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte, größte Werk der Menschheit sein.
Vorlesung von Prof. Dr. Petra Gehring > ab Minute 45: https://openlearnware.tu-darmstadt.de/r ... 02?start=0




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Stefanie
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So 5. Jan 2020, 20:30

Ähm, ich bin etwas verwirrt.

Von wem ist denn jetzt der Text, den sie zitiert? Hegel? Oder nicht, oder wie? Sie sagt Verfasser.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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Jörn Budesheim
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So 5. Jan 2020, 21:08

Ob der Text von Hegel ist, ist wohl umstritten.




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Stefanie
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Di 7. Jan 2020, 19:07

Aha, danke. Ich hätte mal googlen sollen, was ich jetzt getan habe.

Den Text gibt es hier im Original, auch der handschriftlich Text.

http://www.hs-augsburg.de/~harsch/germa ... _frag.html

Die Handschrift ist von Hegel. Laut wiki ist das klar. Nur ob es auch der Inhalt ist, dies ist die ungeklärte Frage.
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_%C3%A ... Idealismus

Mal abgesehen vom Inhalt, es gibt tatsächlich eine Urheberschaft in der deutschen Philosophie, die ungeklärt ist, spannend.



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Goethe

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Stefanie
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Sa 11. Jan 2020, 21:03

Mich erinnernd, dass ich von Safranski das Buch "Romantik" habe, aber noch nie hineingeschaut habe, dachte ich, schau mal nach, vielleicht steht da was zu dem Thema. In der Tat, es steht was dazu.

Zwar spekuliert auch er, wer denn nun der konkrete Urheber des Textes war, meint aber, dass aufgrund der damals noch bestehenden Freundschaft zwischen Hegel, Hölderlin und Schelling alle drei gedanklich etwas zum Inhalt beigetragen haben. Safranski schreibt daher auch von Autoren. In einer kurzen Besprechung von Safranskis Buch wird gesagt, der Hauptautor wäre wohl Hölderlin gewesen.

Ich fasse das, was Safranski in seinem Buch schreibt, kurz zusammen.
Es geht in dem Text um die Mythologie der Vernunft. Bei dieser soll das Vernünftige im identitätsphilosophischen Ansatz liegen. Diesem liegt der Ansatz zu Grunde, dass in Gesellschaft und Natur dieselbe Vernunft waltet, wie im menschlichen Geist.
Das mythologische sei nichts Substantielles, sondern lediglich eine ästhetische Einkleidung. Es ist ein ästhetische Akt als eine Form der Popularisierung. Safranski schreibt: Die Autoren wollen eine Mythologie, in deren Gewand sie ihre Gedanken hüllen, um eine bessere Wirkung beim Publikum zu erzielen. Der Text sei nicht mehr als ein volkspädagogisches Projekt.
Weiter führt Safranski, dass sich die Autoren als große Ichs fühlen, die sich zutrauen, etwas zu bewirken, einen Paradigmenwechsel.
Diese Sätze aus dem Text:
"Mit dem freien, selbstbewussten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus Nichts. und
Wir müssen also auch über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muss freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören." seien politisch gemeint.
Der Text soll deutlich machen, dass nur eine Mythologie, die öffentlich gemacht wird und gemeinschaftsbildend ist, eine Mythologie ist, die diesen Namen verdient. Die Mythologie der Vernunft soll daher die Poesie aus der privaten Nische herausholen, den dort würde die Poesie nur dazu dienen, das gesellschaftliche Übel zu kompensieren.

Safranski Romantik Eine deutsche Affäre, Fischer Taschenbuch 2011, Seiten 153 - 155



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