George Berkeley: "Ueber die Principien der menschlichen Erkenntniss"
Es folgt ein kurzer Ausschnitt aus Berkeleys Text: "Ueber die Principien der menschlichen Erkenntniss" mehr findet man HIER
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XIX. Jedoch wenn wir auch möglicherweise zu allen unseren sinnlichen Wahrnehmungen ohne äussere Objecte gelangen, so könnte man es doch vielleicht für leichter halten, ihre Entstehungsweise durch die Voraussetzung von äusseren Körpern, die ihnen ähnlich seien, als auf andere Weise zu erklären, und so würde es denn wenigstens für wahrscheinlich gelten dürfen, dass solche Dinge wie Körper existiren, die ihre Ideen in unseren Seelen anregen. Aber auch dies kann nicht gesagt werden; denn geben wir auch den Materialisten ihre äusseren Körper zu, so wissen sie nach ihrem eigenen Bekenntniss doch noch ebenso wenig, wie unsere Ideen hervorgebracht werden, da sie sich selbst für unfähig erklären zu begreifen, in welcher Art ein Körper auf einen Geist einwirken könne, oder wie es möglich sei, dass eine Idee dem Geiste eingeprägt werde. Hiernach leuchtet ein, dass die Production von[30] Ideen oder Sinneswahrnehmungen in unserem Geiste kein Grund sein kann, Materie oder körperliche Substanzen vorauszusetzen, da anerkannt wird, dass diese Production unter jener Voraussetzung und ohne dieselbe gleich unerklärlich bleibt. Also selbst dann, wenn es möglich wäre, dass Körper ausserhalb des Geistes existirten, müsste doch die Annahme, dass solche wirklich existiren, eine sehr unsichere Meinung sein, da dies voraussetzen hiesse, Gott habe unzählige Dinge geschaffen, die durchaus nutzlos seien und in keiner Art zu irgend welchem Zwecke dienen.
XX. Kurz, gäbe es äussere Körper, so konnten wir unmöglich zur Kenntniss derselben gelangen, und gäbe es keine, so möchten wir doch die gleichen Gründe, wie jetzt, für die Existenz derselben haben. Macht die Voraussetzung, deren Möglichkeit Niemand leugnen kann, eine Intelligenz habe ohne Mitwirkung äusserer Körper die nämliche Reihe von Sinneswahrnehmungen oder Ideen, die ihr habt, und zwar sei dieselbe in der nämlichen Ordnung und mit gleicher Lebhaftigkeit dem Geiste eingeprägt. Ich frage, ob diese Intelligenz nicht ganz eben den Grund habe, die Existenz körperlicher Substanzen, die durch seine Ideen repräsentirt würden und dieselben in ihr anregten, anzunehmen, den ihr möglicherweise haben könnt, das Nämliche anzunehmen? Dies kann gar nicht zweifelhaft sein, und diese Eine Betrachtung genügt schon, jedem vernünftig Erwägenden die Kraft der Argumente, von welcher Art auch dieselben sein mögen, verdächtig zu machen, die er für die Annahme, dass Körper ausserhalb des Geistes existiren, vielleicht zu haben glaubt.
XXI. Wäre es erforderlich, irgend welchen ferneren Beweis gegen die Existenz einer Materie dem schon Gesagten noch beizufügen, so könnte ich einige von jenen Irrthümern und Schwierigkeiten (um nicht zu sagen Gottlosigkeiten) anführen, welche aus jener Annahme hergeflossen sind. Dieselbe hat zahllose Streitfragen und Disputationen in der Philosophie und nicht wenige von weit grösserer Bedeutung in der Religion hervorgerufen. Aber ich werde hier nicht speciell darauf eingehen, theils weil ich dafür halte, dass es keiner aus den Consequenzen (a posteriori) entnommenen Argumente zur Bestätigung dessen bedürfe, was, wenn ich nicht irre, zureichend aus[31] den Realgründen (a priori) erwiesen worden ist, theils darum, weil ich hernach noch Gelegenheit finden werde, einiges darüber zu sagen.
XXII. Ich fürchte, dass ich Anlass gegeben habe zu glauben, ich sei unnöthigerweise weitläufig bei der Behandlung dieses Gegenstandes gewesen. Denn wozu dient es ausführlich zu sein über das, was mit der grössten Deutlichkeit in einem oder zwei Sätzen einem Jeden erwiesen werden kann, der auch nur des geringsten Nachdenkens fällig ist? Ihr braucht blos eure eigenen Gedanken zu betrachten und so zu erproben, ob ihr für möglich halten könnt, dass ein Ton, eine Figur, eine Bewegung oder eine Farbe ausserhalb des Geistes oder unpercipirt existire. Dieser leichte Versuch lässt euch erkennen, dass eure Behauptung ein völliger Widerspruch ist, so sehr, dass ich damit einverstanden bin, die Entscheidung der ganzen Frage von dem Ergebniss abhängig zu machen. Falls ihr es auch nur als möglich denken könnt, dass eine ausgedehnte bewegliche Substanz oder im Allgemeinen irgend eine Idee oder etwas einer Idee Aehnliches in einer anderen Weise existire als in einem sie percipirenden Geiste, so werde ich willig meinen Satz aufgeben und euch die Existenz des ganzen Gefüges äusserer Körper, die ihr behauptet, zugestehen, obschon ihr mir keinen Grund angeben könnt, warum ihr glaubt, dass es existire, und keinen Zweck, dem es diene, wenn vorausgesetzt wird, dass es existire. Ich sage, die blosse Möglichkeit, dass eure Meinung wahr sei, soll für ein Argument gelten, dass sie in der That wahr sei.
XXIII. Aber es ist doch, sagt ihr, gewiss nichts leichter, als sich vorzustellen, dass z.B. Bäume in einem Parke oder Bücher in einem Cabinet existiren, ohne dass Jemand sie wahrnimmt. Ich antworte: es ist freilich nicht schwer, dies vorzustellen, aber was, ich bitte euch, heisst dies alles anders, als in eurem Geiste gewisse Ideen bilden, die ihr Bücher und Bäume nennt, und gleichzeitig unterlassen, die Idee von Jemandem, der dieselben percipire, zu bilden? Aber percipirt oder denkt ihr selbst denn nicht unterdess eben diese Objecte? Dies führt also nicht zum Ziel; es zeigt nur, dass ihr die Macht habt, zu erdenken oder Vorstellungen in eurem Geiste zu bilden; aber es zeigt nicht, dass ihr es als möglich begreifen könnt, dass die Objecte[32] eures Denkens ausserhalb des Geistes existiren; um dies zu erweisen, müsstet ihr vorstellen, dass sie existiren, ohne dass sie vorgestellt werden oder an sie gedacht werde, was ein offenbarer Widerspruch ist. Wenn wir das Aeusserste versuchen, um die Existenz äusserer Körper zu denken, so betrachten wir doch immer nur unsere eigenen Ideen. Indem aber der Geist von sich selbst dabei keine Notiz nimmt, so täuscht er sich mit der Vorstellung, er könne Körper denken und denke Körper, die ungedacht von dem Geiste oder ausserhalb des Geistes existiren, obschon sie doch zugleich auch von ihm vorgestellt werden oder in ihm existiren. Ein wenig Aufmerksamkeit wird einem Jeden die Wahrheit und Evidenz dessen, was hier gesagt worden ist, zeigen und es überflüssig machen, andere Beweise gegen die Existenz einer materiellen Substanz aufzustellen.
XXIV. Es ist schon bei der geringsten Prüfung unserer eigenen Gedanken sehr leicht zu wissen, ob es uns möglich sei zu verstehen, was gemeint sei mit der absoluten Existenz sinnlich wahrnehmbarer Objecte an sich oder ausserhalb des Geistes. Mir ist offenbar, dass diese Worte entweder einen directen Widerspruch oder andernfalls überhaupt nichts bedeuten. Um hiervon auch Andere zu überzeugen, weiss ich keinen leichteren und geraderen Weg einzuschlagen, als den, dass ich sie bitte, ruhig auf ihre eigenen Ge danken zu achten, und wenn hierdurch die Sinnlosigkeit dieser Ausdrücke oder der Widerspruch in denselben zu Tage tritt, so ist gewiss nichts Weiteres zu ihrer Ueberzeugung erforderlich. Hierauf also lege ich Gewicht, dass die Worte »absolute Existenz undenkender Dinge« ohne Sinn oder mit einem Widersprach behaftet seien. Dies wiederhole und betone ich und empfehle es ernstlich dem aufmerksamen Nachdenken des Lesers.
XXV. Alle unsere Ideen, Sinneswahrnehmungen oder die Dinge, die wir percipiren, durch welche Namen auch immer dieselben bezeichnet werden mögen, sind augenscheinlich ohne Activität; es ist in ihnen nichts von Kraft oder Thätigkeit enthalten, so dass eine Idee oder ein Denkobject nicht irgend, eine Veränderung in einem anderen hervorbringen oder bewirken kann. Um uns von der Wahrheit dieses Satzes zu überzeugen, brauchen wir nur unsere Ideen zu beobachten. Denn da sie und ein jeder ihrer Bestandtheile nur In dem Geiste existiren, so folgt, dass[33] nichts in ihnen ist, als was percipirt wird. Ein Jeglicher, der auf seine vermittelst der Sinne oder vermittelst der auf Seelenvorgänge gerichteten Reflexion hervorgebrachten Ideen achtet, wird in denselben keine Kraft oder Thätigkeit wahrnehmen; es ist demgemäss nichts Derartiges in ihnen enthalten. Ein wenig Aufmerksamkeit wird uns zeigen, dass das Sein einer Idee die Passivität oder Inactivität so durchaus involvirt, dass es unmöglich ist, dass eine Idee etwas thue, oder, um den genauen Ausdruck zu gebrauchen, die Ursache von irgend Etwas sei; auch kann sie nicht das Abbild oder der Abdruck von irgend einem activen Dinge sein, wie aus Section VIII. hervorgeht. Hieraus folgt offenbar, dass Ausdehnung, Figur und Bewegung nicht die Ursache unserer Sinnesempfindungen sein können. Wenn man sagt, dass diese die Wirkungen von Kräften seien, die aus der Gestalt, Zahl, Bewegung und Grösse von kleinsten Körpertheilen hervorgehen, so muss dies hiernach gewiss falsch sein.
XXVI. Wir percipiren eine beständige Folge von Ideen; einige derselben werden von Neuem hervorgerufen, andere werden verändert oder verschwinden ganz. Es giebt demnach eine Ursache dieser Ideen, wovon sie abhängen und durch die sie hervorgebracht und verändert werden. Dass diese Ursache keine Eigenschaft oder Idee oder Verbindung von Ideen sein kann, ist klar aus der vorigen Section. Dieselbe muss also eine Substanz sein; es ist aber gezeigt worden, dass es nicht eine körperliche oder materielle Substanz giebt; es bleibt also nur übrig, dass die Ursache der Ideen eine unkörperliche thätige Substanz oder ein Geist ist.
XXVII. Ein Geist ist ein einfaches, untheilbares thätiges Wesen, welches, sofern es Ideen percipirt, Verstand, und sofern es sie hervorbringt oder anderweitig in Bezug auf sie thätig ist, Wille heisst. Daher kann keine Idee einer Seele oder eines Geistes gebildet werden; denn da (nach Section XXV.) alle Ideen passiv oder unthätig sind, so können sie uns nicht als Abbilder oder durch Aehnlichkeit das, was wirkt, repräsentiren. Ein wenig Aufmerksamkeit wird einem Jeden klar machen, dass es absolut unmöglich ist, eine Idee zu haben, welche jenem thätigen Princip der Bewegung und des Wechsels der Ideen ähnlich sei. Derartig ist die Natur des Geistes oder dessen, was wirkt, dass derselbe nicht an sich selbst percipirt werden kann,[34] sondern nur vermöge der Wirkungen, die er hervorbringt. Wenn Jemand an der Wahrheit des hier Vorgetragenen zweifelt, so mag er nur nachdenken und versuchen, ob er die Idee irgend einer Kraft oder eines thätigen Dinges bilden könne, und ob er Ideen von zwei Grundkräften habe, die durch die Namen Wille und Verstand bezeichnet werden und ebensowohl von einander verschieden sind, wie von einer dritten Idee, nämlich der Idee der Substanz oder des Seienden überhaupt, die mit der Relationsvorstellung verbunden ist, die vorhin genannten Kräfte zu tragen oder ihr Substrat zu sein, und den Namen trägt Seele oder Geist. Einige nehmen dies an; aber so viel ich sehen kann, bezeichnen die Worte Wille, Seele, Geist nicht verschiedene Ideen oder in Wahrheit überhaupt nicht irgend eine Idee, sondern etwas, was von Ideen sehr verschieden ist und was, da es etwas Thätiges ist, nicht irgend welcher Idee ähnlich oder durch dieselbe repräsentirt sein kann. Doch muss gleichzeitig zugegeben werden, dass wir einen gewissen Begriff (notion) von der Seele, dem Geist und den psychischen Thätigkeiten, wie Wollen, Lieben, Hassen haben, sofern wir den Sinn dieser Worte kennen oder verstehen.
XXVIII. Ich finde, dass ich Ideen in meinem Geiste nach Belieben hervorrufen und die Scene so oft wechseln und sich verändern lassen kann, als ich es für geeignet halte. Ich brauche nur zu wollen und sofort taucht diese oder jene Idee in meiner Phantasie auf, und durch dieselbe Kraft tritt sie ins Unbewusstsein zurück und macht einer anderen Platz. Dieses Produciren und Aufheben von Ideen berechtigt uns, den Geist recht eigentlich activ zu nennen. Dieses alles ist gewiss und auf Erfahrung gegründet; wenn wir dagegen von nicht denkenden activen Dingen oder von einem Hervorrufen von Ideen durch etwas anderes als den Willen reden, dann spielen wir nur mit Worten.
XXIX. Aber was für eine Macht ich auch immer über meine eigenen Gedanken haben mag, so finde ich doch, dass die Ideen, die ich gegenwärtig durch die Sinne percipire, nicht in einer gleichen Abhängigkeit von meinem Willen stehen. Wenn ich bei vollem Tageslicht meine Augen öffne, so steht es nicht in meiner Macht, ob ich sehen werde oder nicht, noch auch, welche einzelnen Objecte sich meinem Blicke darstellen werden, und so sind[35] gleicherweise auch beim Gehör und den anderen Sinnen die ihnen eingeprägten Ideen nicht Geschöpfe meines Willens. Es giebt also einen anderen Willen oder Geist, der sie hervorbringt.
XXX. Die sinnlichen Ideen sind stärker, lebhafter und bestimmter als die Ideen der Einbildungskraft; sie haben desgleichen eine gewisse Beständigkeit, Ordnung und Zusammenhang und werden nicht auf's Gerathewohl hervorgerufen, wie es diejenigen oft werden, welche die Wirkungen menschlicher Willensacte sind, sondern in einer geordneten Folge oder Reihe, deren bewunderungswürdige Verbindung ausreichend die Weisheit und Güte ihres Urhebers bezeugt. Nun werden die festen Regeln oder bestimmten Weisen, wonach der Geist, von dem wir abhängig sind, in uns die sinnlichen Ideen erzeugt, die Naturgesetze genannt, und diese lernen wir durch Erfahrung kennen, die uns belehrt, dass gewissen bestimmten Ideen bestimmte andere Ideen in dem gewöhnlichen Laufe der Dinge folgen.
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Dieser Beitrag /diese erste "Antwort" basiert auf dem Text "George Berkeleys Beweis des metaphysischen Idealismus" von John M. DePoe, aus Michael / Barbone, Steven (Hrsg.) : Die 100 wichtigsten philosophischen Argumente. WBG (Wissenschaftliche Buchgemeinschaft).
George Berkeleys (1685– 1753) widmet sich in etlichen seiner Schriften dem sogenannten metaphysischen Idealismus und versucht, ihn zu beweisen. Der metaphysisch Idealisten vertreten nach John M. DePoe die Ansicht, dass alles was es gibt ausschließlich aus Gedanken, Bewusstsein oder Gott besteht. Berkeley ist der Meinung, dass sich Dinge, die aus Gedanken bestehen, sich im völligen Gegensatz zu Dingen aus Materie befinden. Er will zeigen, dass die Ansicht, es gebe materielle Dinge unvernünftig und inkohärent ist. Falls es Materie gebe, müsse es sie unabhängig von jeglichen Gedanken geben.
Für Berkeley ist Materie als etwas Unbewegliches und Unsinnliches, wie John M. DePoe erläutert. Darüber hinaus müsste sie über sog. primäre Qualitäten verfügen. Primäre Qualitäten sind einfach gesagt nach Ansicht der britischen Empiristen jene Eigenschaften die unabhängig von ihrer bewussten Wahrnehmung existieren: zum Beispiel Masse, Ausdehnung, Bewegung etc. Der berühmteste “Beweis” Berkeleys gegen die Existenz von Materie wird im englischen Raum oft auch als Meisterbeweis (master argument) bezeichnet. Falls er sich als richtig erweist, kann er die Existenz von Materie mit einem einzigen (Meister-)Streich beiseite fegen.
Wie lautet nun der Beweis? Im Grunde kann man ihn mit einer einzigen Frage zusammenfassen: „Bist du in der Lage, dir die Existenz irgendeines Gegenstandes vorzustellen, "ohne ihn wahrzunehmen oder zu denken?“ Im ersten Moment ist man geneigt “ja, klar!” zu antworten. Nach Ansicht von Berkeley und denjenigen, die ihm in seinem Argument folgen, liegen die Dinge jedoch anders: Bereits ein geringes Maß an Reflexion genügt, um einzusehen, dass es anders ist : Denn beim Versuch, sich (beispielsweise) einen Baum vorzustellen, nimmt man ihn bereits sozusagen “geistig” wahr.
Es scheint daher nicht möglich, sich die Existenz von etwas zu denken, was nicht zugleich in irgendeiner Form wahrgenommen wird: esse percipi. Falls es jedoch nicht möglich ist, sich etwas ohne Wahrnehmung vorzustelle , dann gibt es (nach Berkeley) keinen Grund glauben, dass das ausgerechnet für die Materie möglich ist, so dass diese existiert, ohne wahrgenommen werden zu müssen. Da es ausgeschlossen ist, Materie zu denken, ohne sie auch (geistig) wahrzunehmen, folgert Berkeley, die Annahme der Existenz von Materie sei eigentlich irrational.
George Berkeleys (1685– 1753) widmet sich in etlichen seiner Schriften dem sogenannten metaphysischen Idealismus und versucht, ihn zu beweisen. Der metaphysisch Idealisten vertreten nach John M. DePoe die Ansicht, dass alles was es gibt ausschließlich aus Gedanken, Bewusstsein oder Gott besteht. Berkeley ist der Meinung, dass sich Dinge, die aus Gedanken bestehen, sich im völligen Gegensatz zu Dingen aus Materie befinden. Er will zeigen, dass die Ansicht, es gebe materielle Dinge unvernünftig und inkohärent ist. Falls es Materie gebe, müsse es sie unabhängig von jeglichen Gedanken geben.
Für Berkeley ist Materie als etwas Unbewegliches und Unsinnliches, wie John M. DePoe erläutert. Darüber hinaus müsste sie über sog. primäre Qualitäten verfügen. Primäre Qualitäten sind einfach gesagt nach Ansicht der britischen Empiristen jene Eigenschaften die unabhängig von ihrer bewussten Wahrnehmung existieren: zum Beispiel Masse, Ausdehnung, Bewegung etc. Der berühmteste “Beweis” Berkeleys gegen die Existenz von Materie wird im englischen Raum oft auch als Meisterbeweis (master argument) bezeichnet. Falls er sich als richtig erweist, kann er die Existenz von Materie mit einem einzigen (Meister-)Streich beiseite fegen.
Wie lautet nun der Beweis? Im Grunde kann man ihn mit einer einzigen Frage zusammenfassen: „Bist du in der Lage, dir die Existenz irgendeines Gegenstandes vorzustellen, "ohne ihn wahrzunehmen oder zu denken?“ Im ersten Moment ist man geneigt “ja, klar!” zu antworten. Nach Ansicht von Berkeley und denjenigen, die ihm in seinem Argument folgen, liegen die Dinge jedoch anders: Bereits ein geringes Maß an Reflexion genügt, um einzusehen, dass es anders ist : Denn beim Versuch, sich (beispielsweise) einen Baum vorzustellen, nimmt man ihn bereits sozusagen “geistig” wahr.
Es scheint daher nicht möglich, sich die Existenz von etwas zu denken, was nicht zugleich in irgendeiner Form wahrgenommen wird: esse percipi. Falls es jedoch nicht möglich ist, sich etwas ohne Wahrnehmung vorzustelle , dann gibt es (nach Berkeley) keinen Grund glauben, dass das ausgerechnet für die Materie möglich ist, so dass diese existiert, ohne wahrgenommen werden zu müssen. Da es ausgeschlossen ist, Materie zu denken, ohne sie auch (geistig) wahrzunehmen, folgert Berkeley, die Annahme der Existenz von Materie sei eigentlich irrational.
Berkeley hat geschrieben : Aber es ist doch, sagt ihr, gewiss nichts leichter als sich vorzustellen, dass zum Beispiel Bäume in einem Park oder Bücher in einem Kabinett existieren, ohne dass jemand sie wahrnimmt. Ich antworte : Es ist freilich nicht schwer, sich dies vorzustellen, aber was, ich bitte euch, heißt dies alles anders als in eurem Geist gewisse Ideen bilden, die ihr Bücher und Bäume nennt, und gleichzeitig unterlassen, die Idee von jemand, der sie perzipiert, zu bilden? Aber perzipiert oder denkt ihr selbst denn nicht unterdessen eben diese Objekte? Dies führt also nicht zum Ziel; es zeigt nur, dass ihr die Macht habt, vermöge eurer Einbildungskraft Vorstellungen in eurem Geist zu bilden; aber es zeigt nicht, dass ihr es als möglich begreifen könnt, dass die Objekte eures Denkens außerhalb des Geistes existieren; um dies zu erweisen, müsstet ihr vorstellen, dass sie existieren , ohne dass sie vorgestellt werden oder an sie gedacht wird, was ein offenbarer Widerspruch ist. Wenn wir das Äußerste versuchen, um die Existenz äußerer Körper zu denken, so betrachten wir doch immer nur unsere eigenen Ideen. Indem aber der Geist von sich selbst dabei keine Notiz nimmt, so täuscht er sich mit der Vorstellung, er könne Körper denken und denke Körper , die ungedacht vom Geist oder außerhalb des Geistes existieren, obschon sie doch zugleich auch von ihm vorgestellt werden oder in ihm existieren. (Berkeley: Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis)
In der Form ist das einfach eine Verwecheslung von Erkenntnistheorie und Ontologie.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
Schöner Zufall, dass dieses Thema aufkommt, befasse ich mich doch gerade mit Berkeley.
Ich denke, der Eingangsbeitrag interpretiert Berkeleys idealistische Position nicht angemessen, wenn er behauptet, Berkeley sei der Auffassung gewesen, Materie existiere nicht. Er will auch nicht zeigen, dass die "Ansicht, es gebe materielle Dinge unvernünftig und inkohärent" sei. Seine Argumentation baut auf den Eigenschaften der Dinge auf, d.h. auf den primären und sekundären Qualitäten. Er sagt von den primären Qualitäten, z.B. Ausdehnung, dass wir über den Sehsinn allein nur eine zweidimensionale Vorstellung der Dinge hätten, mithin keine Idee der Ausdehnung. Nur vermittels des Tastsinns erhielten wir eine Vorstellung von Räumlichkeit und Plastizität und verstünden wir, was Ausdehnung bedeute. Aus diesem Umstand, dass die primären Eigenschaften der Dinge an die Art und Weise der sinnlichen Erfassung gebunden seien, schliesst er, dass es kein vorrangiges Kriterium der sinnlichen Erkenntnis geben könne, aufgrund dessen sich eine irgendwie geartete Vorstellung einer Existenz an sich denken liesse. Da der Idealismus des Typs Berkeley behauptet, es könne keine Vorstellung von Existenz geben, die das Apriori des Erfasstwordenseins dieser Existenz durch uns hintertreiben kann, behauptet er implizit, dass es materielle Dinge überhaupt gebe. Lediglich fliesse apriori in unsere Vorstellungen der materiellen Dinge die Gegebenheit dieses Dings für uns ein. Die Gedankenabhängigkeit zeige lediglich die Idealität des Erfassten an, nicht aber die Konstruktion seiner Existenz durch uns. Berkeley war kein Anti-Realist, denke ich.
In diesem Sinne können wir Esse est percipi so übersetzen, dass zu existieren höchstens bedeuten könne, prinzipiell wahrnehmbar zu sein resp. überhaupt wahrgenommen worden zu sein. Denn ohne eine Wahrnehmung von etwas gründet die Aussage über die Existenz dieses Etwas allein in der Annahme, dass es dieses etwas gebe und allein dieser hypothetische Charakter der Aussage verweist ja auf das Gedachtsein der Existenz als der Idee der Möglichkeit der Existenz und nicht auf ihre ontologische "Selbstständigkeit". Wenn etwas nicht wahrnehmbar ist, so könne denn auch nichts über seine Existenz in notwendiger Weise gesagt werden. Die Annahme, es gäbe Existenz auch ohne Wahrnehmung, wäre nichts anderes als eine Idee der Möglichkeit, dass es sich mit diesem Ding so und so verhalte, ohne aber zu wissen, ob es sich tatsächlich so und so verhalte. Im Grunde nimmt er hier Kants "Ding an sich" vorweg, der in seinen kritischen Schriften einräumt, dass über das Ansichsein der Dinge nichts gesagt werden könne.
Ich denke, der Eingangsbeitrag interpretiert Berkeleys idealistische Position nicht angemessen, wenn er behauptet, Berkeley sei der Auffassung gewesen, Materie existiere nicht. Er will auch nicht zeigen, dass die "Ansicht, es gebe materielle Dinge unvernünftig und inkohärent" sei. Seine Argumentation baut auf den Eigenschaften der Dinge auf, d.h. auf den primären und sekundären Qualitäten. Er sagt von den primären Qualitäten, z.B. Ausdehnung, dass wir über den Sehsinn allein nur eine zweidimensionale Vorstellung der Dinge hätten, mithin keine Idee der Ausdehnung. Nur vermittels des Tastsinns erhielten wir eine Vorstellung von Räumlichkeit und Plastizität und verstünden wir, was Ausdehnung bedeute. Aus diesem Umstand, dass die primären Eigenschaften der Dinge an die Art und Weise der sinnlichen Erfassung gebunden seien, schliesst er, dass es kein vorrangiges Kriterium der sinnlichen Erkenntnis geben könne, aufgrund dessen sich eine irgendwie geartete Vorstellung einer Existenz an sich denken liesse. Da der Idealismus des Typs Berkeley behauptet, es könne keine Vorstellung von Existenz geben, die das Apriori des Erfasstwordenseins dieser Existenz durch uns hintertreiben kann, behauptet er implizit, dass es materielle Dinge überhaupt gebe. Lediglich fliesse apriori in unsere Vorstellungen der materiellen Dinge die Gegebenheit dieses Dings für uns ein. Die Gedankenabhängigkeit zeige lediglich die Idealität des Erfassten an, nicht aber die Konstruktion seiner Existenz durch uns. Berkeley war kein Anti-Realist, denke ich.
In diesem Sinne können wir Esse est percipi so übersetzen, dass zu existieren höchstens bedeuten könne, prinzipiell wahrnehmbar zu sein resp. überhaupt wahrgenommen worden zu sein. Denn ohne eine Wahrnehmung von etwas gründet die Aussage über die Existenz dieses Etwas allein in der Annahme, dass es dieses etwas gebe und allein dieser hypothetische Charakter der Aussage verweist ja auf das Gedachtsein der Existenz als der Idee der Möglichkeit der Existenz und nicht auf ihre ontologische "Selbstständigkeit". Wenn etwas nicht wahrnehmbar ist, so könne denn auch nichts über seine Existenz in notwendiger Weise gesagt werden. Die Annahme, es gäbe Existenz auch ohne Wahrnehmung, wäre nichts anderes als eine Idee der Möglichkeit, dass es sich mit diesem Ding so und so verhalte, ohne aber zu wissen, ob es sich tatsächlich so und so verhalte. Im Grunde nimmt er hier Kants "Ding an sich" vorweg, der in seinen kritischen Schriften einräumt, dass über das Ansichsein der Dinge nichts gesagt werden könne.
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Alle lächeln in derselben Sprache.
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So sieht die Geschichte dann tatsächich deutlich anders aus, danke, für die hervorragende Replik.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
- Jörn Budesheim
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Wie immer man die Ontologie Berkeleys beurteilen mag - meine Lektüre einiger Textabschnitte von ihm ist schon recht lange her, aber wenn er nicht explizit darüber geschrieben hat, dass die physikalischen Objekte Gedanken bzw. Ideen Gottes seien und nur durch diesen Umstand die Konstanz und allgemeine Wahrnehmbarkeit durch die menschlichen Seelen gegeben sei, mache ich mir um mein Gedächtnis schon ernsthafte Sorgen - den folgenden Beweis kann ich nicht nachvollziehen:
Ich sehe nicht, dass daraus, dass man sich kein Objekt vorstellen kann, ohne es sich vorzustellen, folge, dass man sich nicht vorstellen kann, es könne ein Objekt geben, von dem niemand eine Vorstellung hat. Vielleicht ist das Problem, dass ein Objekt ja nur dann ein "Objekt meines Denkens" ist, wenn ich es mir vorstelle oder es wahrnehme. Ich vermute, dass obiger "Beweis" dadurch zustande kommt, dass das materielle Objekt des Denkens, das aber nur rein kontingent Objekt des jeweiligen Denkens sein muss, mit dem Gedanken (oder der Vorstellung, der Idee, der Wahrnehmung) von dem Objekt verwechselt wird. Der Gedanke als Objekt meines Denkens kann nie außerhalb des Geistes existieren. Das Objekt, auf das sich mein Denken bezieht, ist aber nicht notwendig mit meinem Gedanken an dieses Objekt identisch. Dieses Problem, wie wir es schaffen, mit Gedanken und Worten auf Dinge Bezug zu nehmen, die ihrerseits nicht Gedanken und Worte sind, ist ja bis heute "auf der philosophischen Agenda".Berkeley hat geschrieben : ... Dies führt also nicht zum Ziel; es zeigt nur, dass ihr die Macht habt, vermöge eurer Einbildungskraft Vorstellungen in eurem Geist zu bilden; aber es zeigt nicht, dass ihr es als möglich begreifen könnt, dass die Objekte eures Denkens außerhalb des Geistes existieren; um dies zu erweisen, müsstet ihr vorstellen, dass sie existieren , ohne dass sie vorgestellt werden oder an sie gedacht wird, was ein offenbarer Widerspruch ist.
- Jörn Budesheim
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Ich würde das unterstützen. Ein ernstes Problem der Argumentation ist folgendes: Daraus, dass man sich etwas nicht vorstellen kann, ohne es sich vorzustellen, kann überhaupt nichts substanzielles folgen. Denn "man kann sich nichts vorstellen, ohne sich etwas vorzustellen" ist einfach eine Tautologie und daraus kann aus logischen Gründen nichts folgen, außer der Tautologie selbst.mariaboiler hat geschrieben : ↑Mi 31. Jan 2018, 17:00Ich sehe nicht, dass daraus, dass man sich kein Objekt vorstellen kann, ohne es sich vorzustellen, folge, dass man sich nicht vorstellen kann, es könne ein Objekt geben, von dem niemand eine Vorstellung hat
- Jörn Budesheim
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Am Ende des Zitates spricht Berkeley ganz explizit davon, dass er "gegen die Existenz einer materiellen Substanz" argumentiert, denn seinen eigenen Beweis dagegen hält er für so schlagkräftig, dass es überflüssig wird, noch andere Beweise aufzustellen. Und selbst wenn Berkeley anders zu interpretieren wäre, bleibt es eine Tatsache, dass der Argumentationstyp sehr verbreitet ist.Realismus Jetzt, Merve verlag hat geschrieben : 31. [die folgenden Zeilen behandeln] das Argument, das am häufigsten von den Korrelationisten gegen den metaphysischen (oder transzendentalen) Realismus angeführt wird. Dieses Argument dreht sich um einen besonderen Trugschluss, den David Stove »The Gem« getauft hat. Sein Locus classicus findet sich in Paragraph 23 von Berkeleys Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, in der Berkeley die Annahme infrage stellt, dass man sich vorstellen kann, dass etwas unabhängig von unserer Vorstellung existieren kann (im vorliegenden Zusammenhang lassen wir die Unterscheidung von Denken und Wahrnehmung außer Acht, so wie es auch Berkeley tut):
»Aber es ist doch, sagt ihr, nichts leichter als sich vorzustellen, dass z. B. Bäume in einem Park oder Bücher in einem Kabinett existieren, ohne dass jemand sie wahrnimmt. Ich antworte: es ist freilich nicht schwer, sich dies vorzustellen, aber was, ich bitte euch, heißt dies alles anders als in eurem Geist gewisse Ideen bilden, die ihr Bücher und Bäume nennt, und gleichzeitig unterlassen, die Idee von jemand, der sie perzipiert, zu bilden? Aber perzipiert oder denkt ihr selbst denn nicht unterdessen eben diese Objekte? Dies führt also nicht zum Ziel; es zeigt nur, dass ihr die Macht habt, vermöge eurer Einbildungskraft Vorstellungen in eurem Geist zu bilden; aber es zeigt nicht, dass ihr es als möglich begreifen könnt, dass die Objekte eures Denkens außerhalb des Geistes existieren; um dies zu erweisen, müsstet ihr vorstellen, dass sie existieren, ohne dass sie vorgestellt werden oder an sie gedacht wird, was ein offenbarer Widerspruch ist. Wenn wir das Äußerste versuchen, um die Existenz äußerer Körper zu denken, so betrachten wir doch immer nur unsere eigenen Ideen. Indem aber der Geist von sich selbst dabei keine Notiz nimmt, so täuscht er sich mit der Vorstellung, er könne Körper denken und denke Körper, die ungedacht vom Geist oder außerhalb des Geistes existieren, obschon sie doch zugleich auch von ihm vorgestellt werden oder in ihm existieren. Ein wenig Aufmerksamkeit wird einem jeden die Wahrheit und Evidenz dessen, was hier gesagt worden ist, zeigen und es überflüssig machen, andere Beweise gegen die Existenz einer materiellen Substanz aufzustellen.«
Ja, gewiss. Aber wir dürfen nicht die Tatsache ausblenden, dass der Materiebegriff des 17./18. Jahrhunderts ein anderer war als heute. Schon der Substanzbegriff ('materielle Substanz') verweist doch auf die metaphysische Aufladung des Materiebegriffs.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 2. Feb 2018, 08:53Am Ende des Zitates spricht Berkeley ganz explizit davon, dass er "gegen die Existenz einer materiellen Substanz" argumentiert
'Beweise gegen die materielle Substanz' würden wir heute nicht so übersetzen: Es gibt einen Beweis, dass es keine materiellen Dinge gibt.', schätze ich mal, sondern wir würden heute eher sagen: 'Es kann kein Ding gedacht werden, dessen Sein sich auf seine Materie allein erstreckt'. Aber das ist ja auch nicht unplausibel: Wir können zwar denken, dass Dinge gibt, die existieren, auch ohne sie zu bedenken. Aber sie zu bedenken heisst, sie überhaupt zu erschaffen als Gegenstand der Hypothese. Wo sollten denn die Dinge sonst sein, wenn nicht auch in ihrem unbedachten Sein? Aber wo sollten sie denn für uns sein, wenn nicht in Gedanken, dass sie sind?
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Alle lächeln in derselben Sprache.
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Da kommen wir der Sache näher. Alles Wahrnehmbare , also die Materie, ist von der Wahrnehmung durch ein Bewusstsein abhängig. Warum bleiben die Bäume im Wald stehen, wenn sie niemand wahrnimmt? Ganz einfach: Sie existieren in der Anschauung Gottes. Esse est percipi bedeutet, dass alles nur in der Anschauung Gottes existiert. Berkeley war Bischof. Seine Philosophie ist ein komplexer Gottesbeweis. Liest man ihn mit atheistischen Vorannahmen, wird die Sache kompliziert.Alethos hat geschrieben : ↑Sa 3. Feb 2018, 19:21
Ja, gewiss. Aber wir dürfen nicht die Tatsache ausblenden, dass der Materiebegriff des 17./18. Jahrhunderts ein anderer war als heute. Schon der Substanzbegriff ('materielle Substanz') verweist doch auf die metaphysische Aufladung des Materiebegriffs.
'Beweise gegen die materielle Substanz' würden wir heute nicht so übersetzen: Es gibt einen Beweis, dass es keine materiellen Dinge gibt.', schätze ich mal, sondern wir würden heute eher sagen: 'Es kann kein Ding gedacht werden, dessen Sein sich auf seine Materie allein erstreckt'.
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Was folgt aus "alle Kreise sind rund"? Meines Erachtens nichts außer, dass alle Kreise rund sind. Aus Tautologien kann nichts substanzielles folgen. Und daher ist jeder Versuch aus "alles, was wir uns vorstellen, stellen wir uns vor" (oder andere tautologische Umformulierungen des selben Grundgedankens) irgendetwas zu folgern zum Scheitern verurteilt.
Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es Berkeley ja nicht um unsere Vorstellung (das wäre Solipsismus oder radikaler Konstruktivismus), sondern um die Welt als Vorstellung Gottes. Vermutlich sind unsere Vorstellungen dann auch nur möglich, weil auch diese Vorstellungen Gottes sind.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 4. Feb 2018, 10:08Was folgt aus "alle Kreise sind rund"? Meines Erachtens nichts außer, dass alle Kreise rund sind. Aus Tautologien kann nichts substanzielles folgen. Und daher ist jeder Versuch aus "alles, was wir uns vorstellen, stellen wir uns vor" (oder andere tautologische Umformulierungen des selben Grundgedankens) irgendetwas zu folgern zum Scheitern verurteilt.
Wie bei allen Gottesbeweisen muss man sich am Ende der Frage zuwenden, ob, wenn man die Sache logisch versteht, es denn überhaupt nötig ist, sich die Gedanken Gottes als Verursachung für das Sein der Dinge vorzustellen oder ob es nicht auch gleich gute Erklärungen gibt, die auf die Prämisse der göttlichen Gedanken ganz einfach verzichten.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
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Es geht hier um Berkeley Beweis, dass es keine materiellen Dinge jenseits unserer Vorstellungen geben kann. Das kann seiner Ansicht nach nicht sein, denn sonst müssten wir uns vorstellen, dass sie existieren, ohne dass sie vorgestellt werden oder an sie gedacht wird, was ein offenbarer Widerspruch ist.
Der Beweis ist nach meiner Ansicht aus mehreren Gründen ungültig, einen davon habe ich weiter oben genannt.
Der Beweis ist nach meiner Ansicht aus mehreren Gründen ungültig, einen davon habe ich weiter oben genannt.
Wenn das die Pointe bei Berkeley sein soll, ist er tatsächlich nicht viel wert, aber das hatten wir schon.
Im anderen Fall finde ich die Position allerdings auch nicht viel überzeugender.
Im anderen Fall finde ich die Position allerdings auch nicht viel überzeugender.
„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)
Vielleicht, aber nur vielleicht, sollten wir von einem Philosophen zuerst einige Kapitel durchgearbeitet haben, bevor wir uns ein Urteil erlauben können. Das gilt für Berkeley wie für jeden anderen Denker genauso.
Ich halte nicht viel von Kommentierungen, die allein auf hurtig ergoogelten Zitaten aufbauen. Und das ist schade, weil ich die Kommentierungen ja eigentlich ernst nehmen möchte.
Ich halte nicht viel von Kommentierungen, die allein auf hurtig ergoogelten Zitaten aufbauen. Und das ist schade, weil ich die Kommentierungen ja eigentlich ernst nehmen möchte.
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Alle lächeln in derselben Sprache.
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- Jörn Budesheim
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Das stimmt im Grunde natürlich. Allerdings hab ich das Zitat nicht einfach hurtig ergoogelt :-) Sondern ich kenne es aus diversen ausführlichen Kommentaren, die diesen und andere Fehler ziemlich einstimmig namhaft machen. Durch das Wiedererstarken des Realismus haben sich eine Reihe zeitgenössischer Autoren daran gesetzt, solche (manchmal korrelationistisch genannte) Argumentationsmuster ein für alle mal zu widerlegen.
Das mag alles sein und es geht ja auch nicht gegen dich oder jemand anderes, als vielmehr gegen die vorschnelle Kündigung des Versprechens, sich auf eine Position einzulassen, damit man sie verstehen könne. Nicht gutheissen, aber verstehen.
Ein Argument ist nicht einfach 'nichts wert'. Es mag unplausibel sein, ja sogar falsch, aber in jedem Fall hat sich ein Denker in ihn investiert und das sollte man würdigen - nicht durch Zustimmung, aber doch wenigstens durch die Bemühung, sich in das Argument einzudenken, so als wäre es das eigene.
Ein Argument ist nicht einfach 'nichts wert'. Es mag unplausibel sein, ja sogar falsch, aber in jedem Fall hat sich ein Denker in ihn investiert und das sollte man würdigen - nicht durch Zustimmung, aber doch wenigstens durch die Bemühung, sich in das Argument einzudenken, so als wäre es das eigene.
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Alle lächeln in derselben Sprache.
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Absolut korrekt, sie ist eine auf Lockes empiristischer Theorie gründende Konsequenz.
Locke hat zwischen primären und sekundären Qualitäten unterschieden: Erstere (Masse, Volumen, Geschwindigkeit etc.) hat er als den Substanzen selbst zukommende Eigenschaften bezeichnet. Letztere wie Farbe, Geschmack, Wärme etc. hat als der Wechselwirkung mit einem Subjekt resultierend beschrieben.
Nun stellte sich im Nachgang die berechtigte Frage, ob diese Zuschreibungen nicht willkürlich seien, schliesslich erscheine ein roter Gegenstand mit einer gewissen Stetigkeit rot. Das Rotsein könne also ja nicht eine rein subjektive Bestimmung des Gegenstands sein. Wenn das aber so ist, mit welchem Recht klassieren wir Eigenschaften zur Gruppe der primären oder sekundären Qualitäten? Es gibt keine Gewissheit für die Richtigkeit dieses Vorgehens.
Nun gab es zwei mögliche Auswege: Man deklarierte einen prinzipiellen Skeptizismus mit Bezug auf die Klassifizierung von Eigenschaften als primäre oder sekundäre, was Hume umgesetzt hat. Oder man erklärte alle Bestimmungen zu reinen Ideen, also auch die Bestimmungen der Ausdehnung als ideelle, so wie es Berkeley getan hat. Dieser Denkschritt basiert aber nicht auf einer willkürlichen Idealisierung von Substanzen, sondern auf dem Lockeschen Konzept der perzeptuellen Subjektivität. Auch Locke meinte mit diesem Konzept ausdrücken zu müssen, dass alle Gegenständlichkeit auf ideas, also auf Vorstellungen beruhen, da wir es nie mit unmittelbarer Erkenntnis der Dinge selbst zu tun hätten, sondern mit Vorstellungen im Vorstellungsvermögen. Dieser perzeptuelle Subjektivismus, in der Folge ideaism genannt, führte nun zum subjektiven Idealismus Berkeley'scher Provenienz.
Man darf dabei nicht aus den Augen verlieren den spinozistischen Hintergrund für diese Neigung: Spinoza begründete in seiner Metaphysik eine pantheistische Substanzlehre, nach der jeder Gegenstand der res extensa und res cogitans als Ausstülpung einer absoluten, göttlichen Substanz gedacht werden muss. Wenn jeder Gegenstand als eine Individuation der göttlichen Substanz gedacht werden kann, so begründet diese theistisch-monistische Ontologie die Vorstellung einer reinen Idealität der Gegenstände. Das Erkennen der Substanzen in der Welt wird zur Wesenerkenntnis Gottes, das reine Erkennen der Dinge zum amor dei intellectualis. Dass der Bischof Berkeley eher auf diese Schiene ging, scheint naheliegend.
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Dazu und zwar , dass ein jeder Gegenstand als eine Individuation der göttlichen Substanz gedacht werden kann, eine Anmerkung von Heisenberg bzw. von mir ..Alethos hat geschrieben : ↑Sa 14. Apr 2018, 13:57
Man darf dabei nicht aus den Augen verlieren den spinozistischen Hintergrund für diese Neigung: Spinoza begründete in seiner Metaphysik eine pantheistische Substanzlehre, nach der jeder Gegenstand der res extensa und res cogitans als Ausstülpung einer absoluten, göttlichen Substanz gedacht werden muss. Wenn jeder Gegenstand als eine Individuation der göttlichen Substanz gedacht werden kann, so begründet diese theistisch-monistische Ontologie die Vorstellung einer reinen Idealität der Gegenstände. Das Erkennen der Substanzen in der Welt wird zur Wesenerkenntnis Gottes, das reine Erkennen der Dinge zum amor dei intellectualis. Dass der Bischof Berkeley eher auf diese Schiene ging, scheint naheliegend.
"Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber im Grunde des Bechers wartet Gott."
Werner Heisenberg:
"Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht trunkend ,aber im Grunde des Bechers wartet mit Gott die Ernüchterung ."
Timberlake