Ich hab den Text mal in eigenen Worten und nach bestem Wissen und Gewissen zusammen gefasst. Das soll und kann den Text natürlich nicht ersetzen. Ziel ist nur eine Art Überblick über die Struktur des Textes zu bieten.
Sind Gedanken im Kopf?
"Gedanken sind im Kopf." Gelegentlich reden wir so und manchmal mag es auch sinnvoll sein, so zu reden. Mit Ausnahme von Neurowissenschaftler glaubt wohl aber kaum jemand, dass Gedanken wortwörtlich im Kopf sind, meint Auinger. Sind Gedanken hingegen privat? Dass erscheint den meisten wohl schon plausibler. Schließlich kann niemand meine “inneren” Gedanken lesen. “Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten …” heißt es bekanntlich. Doch wenn sie nicht wortwörtlich im Kopf sind, wo dann?
- „Wo unsere Sprache uns einen Körper vermuten läßt, und kein Körper ist, dort, möchten wir sagen, sei ein Geist.“ (Wittgenstein)
Doch innere geistige Vorgänge erklären nicht viel: “Die Bedeutung eines Zeichens erklärt sich [...] nicht durch das Auftauchen eines Bildes in unserm Geist.” (Thomas Auinger) Wittgenstein betätigt sich hier als Geisteraustreiber. Denn der Geist und die inneren Bilder sind “unerklärte Erklärer, auf deren Zauberkraft man sich verlässt.” (TA) Doch es sind unerklärte Erklärer, die nichts erklären. Aber was erklärt es statt dessen? Was ist der “Agens des Denkens und der Sprache?” Wie werden aus “toten Zeichen” lebendige? Wittgensteins eigener Zauberbegriff ist der Gebrauch. Bedeutung ist Gebrauch. Nicht der Gebrauch des Individuums für sich allein betrachtet, sondern immer innerhalb einer Sprachgemeinschaft, denn alles Bedeutungsvolle erwächst aus dem “Sprachsystem einer Sprachgemeinschaft, und dieses System ist ein diffizil gewobenes Netz.” (TA)
Dieses Netz ist ein “holistisches Gefüge, das nur in seiner Gesamtheit gehaltbestimmend sein kann. Die Begriffe hängen wie mit unsichtbaren Fäden aneinander” Diese Fäden sind nicht fixiert, sondern stets in Bewegung, sie können reißen und neue Verknüpfungen können entstehen.
- „Das Zeichen (der Satz) erhält seine Bedeutung von dem System der Zeichen, von der Sprache, zu dem es gehört. Kurz: einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Als ein Teil des Sprachsystems, so kann man sagen, hat der Satz Leben. Jedoch ist man versucht, sich das, was dem Satz Leben gibt, als etwas in einer geheimnisvollen Sphäre vorzustellen, das den Satz begleitet. Aber was es auch sei, das ihn begleitet, es wäre für uns nur ein anderes Zeichen.“ (Wittgenstein, BB, S. 21)
Wittgenstein wendet sich gegen die Vorstellung, die Zeichen müssten durch einen geistigen Windhauch belebt werden wie dürres Laub. Er sieht die Sprache statt dessen als ein Instrumentarium, das auf äußerst verschiedene Weisen eingesetzt werden kann. Sprechen heißt, sich auf diese Techniken zu verstehen. Dementsprechend ist Denken nicht etwas, das “als unkörperliches Phänomen jenseits der so irdisch anmutenden Zeichen eigenständig wirkt.” (TA) Das Denken ist nicht der Windhauch, der die Blätter zum Rascheln bringt. Auinger meint hingegen mit Wittgenstein quasi “umgekehrt”, “dass die Vorgänge, die wir mit dem Denken verbinden, sich [erst] aus den Möglichkeiten herleiten, die uns in der vielfältigen Handhabung der Zeichen offenstehen.” (TA)
Kommen wir aus der Sprache heraus?
Manche Techniken scheinen uns aus der Sprache heraus zu den Dingen zu katapultieren. Doch können wir die Sphäre der Sprache nicht wirklich verlassen: Dort, wo wir landen, ist kein reiner sprachfreier Ort: “Das heißt auch, dass wir einerseits mit Worten über andere Worte reden (sie beeinflussen in ihrer Bedeutung) und dass wir uns andererseits mit Worten auf Sprachtranszendentes beziehen. Beide Male bewegen wir uns in der Sprache, aber es sind
dennoch unterschiedliche Funktionen.” (TA)
(Wie) können wir "übers Denken reden"?
Können wir uns auf das Denken wie auf die Dinge beziehen? Was ist also problemlos “übers Denken reden” so wie über Steine? Damit verschleiern wir nach Auinger gegebenenfalls - so wie ich ihn verstehe - dass wir es beim Denken bereits mit unserer Zeichenfähigkeit zu tun haben und nicht etwas, auf das wir erst durch diese Zeichenfähigkeit referieren.
Wir haben also nicht hier das Denken und dort die Zeichen, die dem Denken Ausdruck verleihen. Denken ist in dieser Sicht der Dinge nichts Eigenständiges und Isoliertes, das nachträglich auf die Zeichen angewandt wird. Vielmehr sind “die mit dem Denken verknüpften Vorgänge ohnehin im Sein der Zeichen präsent” so dass “Zeichenstrukturen immer auch im Sinne von Gedanken aufgefasst werden können.”
- Der Versuch, Bedeutung mittels reiner Selbstbeobachtung eruieren zu wollen ist zum Scheitern verurteilt: „Um über die Bedeutung des Wortes »denken« klar zu werden, schauen wir uns selbst beim Denken zu: Was wir da beobachten, werde das sein, was das Wort bedeutet! – Aber so wird dieser Begriff eben nicht gebraucht. (Es wäre ähnlich, wenn ich, ohne Kenntnis des Schachspiels, durch genaues Beobachten des letzten Zuges einer Schachpartie herausbringen wollte, was das Wort »mattsetzen« bedeutet.)“ (Wittgenstein PU, § 316, S. 380).
Warum ist das laut Wittgenstein so? Nimmt man nur einen einzelnen Zug ins Blick, verpasst man immer den Zusammenhang, der diesem Zug erst Bedeutung verleiht. Nach Auinger vertritt Wittgenstein (II) eine ziemlich radikale linguistische Theorie der Intentionalität, die sich am Ende durch sprachliche Mechanismen erklären lässt. Eine reine “zeichenlose” Substanz des Denkens gibt es in diesem Bild nicht.
Was bedeutet das alles nun für die Frage, ob die Gedanken im Kopf sind?
- „Es ist eine der für unsere Betrachtung gefährlichsten Ideen, daß wir mit dem Kopf, oder im Kopf, denken. Die Idee von einem Vorgang im Kopf, in dem gänzlich abgeschlossenen Raum, gibt dem Denken etwas Okkultes. »Das Denken geht im Kopf vor sich« heißt eigentlich nichts anderes, als: der Kopf steht im Zusammenhang mit dem Denken. – Man sagt freilich auch: »ich denke mit der Feder« und diese Ortsangabe ist mindestens ebensogut. Zu sagen: Denken sei eine Tätigkeit unseres Geistes, wie Schreiben eine Tätigkeit der Hand, ist eine Travestie der Wahrheit.“ (Wittgenstein, PG, § 64, S. 106)
Der Gebrauch, der Umgang mit Zeichen ist also nichts, was vom Einzelnen her zu verstehen ist, er ist abhängig von der “Lebensform”. Gemeint sind damit eingeübte Verhaltensmuster, “die so grundlegend sind, dass sie nicht reflexiv in Frage gestellt oder verändert werden.” Die Lebensform “durchdringt alle bewusst gesetzten Akte, also auch alle Akte des Denkens.” (TA)
Kultureller Dialog manchmal unmöglich?
Das bringt uns an einen überraschenden Punkt, der uns in die Nähe des Threads "François Jullien: "
Es gibt keine kulturelle Identität". Kann es Lebensformen (also Kulturen?) geben, die so verschieden, dass eine Verständigung unmöglich wird? “In diesem Punkt geht Wittgenstein davon aus, dass sehr divergente Lebensformen ein gänzliches Nichtverstehen bewirken können, selbst dann, wenn wir unterstellen, dass jeweils sprachbegabte Wesen aufeinandertreffen.” (TA) “Es kann also – gemäß Wittgenstein – sehr wohl so sein, dass menschliche Lebensformen eine derartig divergente Ausgestaltung annehmen, die in gänzliches Nichtverstehen und vollständige Unübersetzbarkeit der sprachlichen Äußerungen mündet.” (TA)