Thomas Auinger: Gedanken im Kopf? Wittgenstein über die Art und den Ort des Denkens

Gemeinsame Lektüre und Besprechung philosophischer und anderer Literatur.
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Dia_Logos
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So 1. Apr 2018, 19:55

Thomas Auinger:
Gedanken im Kopf?

Wittgenstein über die Art und den Ort des Denkens, nebst dem Zusammenhang mit der Lebensform und der Frage nach den Grenzen interkultureller Verständigung

Wenn wir nicht gerade Neurowissenschaftler sind, glauben wir im Normalfall nur in einem metaphorischen Sinn, dass sich die Gedanken im Kopf befinden. Freilich kommt so eine Ausdrucksweise vor, aber damit wird zumeist auf eine vage Art auf den Zusammenhang von Denktätigkeit und Gehirntätigkeit Bezug genommen. Dass ein derartiger Zusammenhang besteht, wird von kaum jemand bezweifelt, aber wenn nach einer Konkretisierung gefragt wird, erhält man häufig nur sehr unklare Antworten oder die Befragten ziehen sich auf die Aussage zurück, dass sich das eben nicht so leicht sagen lasse. Abgesehen davon wird das Denken als eine äußerst private und individuelle Angelegenheit betrachtet. »Die Gedanken sind frei«, das ist ein Diktum, das in diesem Sinne verstanden wird. Niemand hat Zugriff auf meine Gedanken, es sei nicht möglich, die Gedanken anderer zu lesen etc. Das wird häufig vorgebracht, außer in jenen Shows, die geradezu den besten Gedankenleser küren wollen. Aber selbst dort wird von der Voraussetzung ausgegangen, dass das Prozedere des Denkens oder die Gedankenproduktion, wenn man so will, zunächst von isolierten Subjekten vollzogen wird. Es ist dann nur die Frage, wie es sich mit der Unzugänglichkeit bzw. angeblichen Zugänglichkeit verhält.

Quelle: https://www.academia.edu/1716198/Gedank ... es_Denkens (Kostenlose Anmeldung erforderlich)




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Alethos
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So 1. Apr 2018, 22:51

Das gibt grosse Lust auf mehr. Her mit der Sprache. :)

Dachten wir früher, die Sprache werde von einer mysteriösen intelligiblen Sphäre, dem Geist, in die Welt gebracht, so dass sie als etwas Sekundäres gedacht wurde, das auf den Geist als das Primäre folgt, müssen wir heute vielmehr feststellen, dass es kein Zuvor oder Danach von Sprache und Geist gibt. Geist ist nichts von der Sprache Losgelöstes, Sphärisches, das diese Sprache irgendwie umgäbe; die Sprachzeichen selbst sind Bedeutung konstituierende Elemente des Denkens. Geist erfährt eine grammatische Genese durch die Einbindung von Zeichen in ein Sprachspiel nach Regeln. In ihr findet Denken statt, und nicht irgendwo im Reich der ewigen Ideen. Geist ist also nichts Transzendentes, sondern durch und durch Sprachimmanentes. Ihre Bedeutung gewinnen Begriffe und Sätze nicht durch einen Geist, dem sie entspringen und der sie in die Welt entäussert, sondern sie werden überhaupt zu Bedeutungsformen durch ihr referenzielles Ineinandergewobensein in einem Sprachgefüge.

Und doch gibt es in mir einen Willen, der mich antreibt dieses und jenes zu schreiben, auf dass es geschrieben stünde. Also gibt es doch etwas, das nicht Sprache ist, sondern Kraft, mein Wille. Kraft meines Willens steht hier x und nicht z. Der Agens des Gedankens kann deshalb nicht allein in Sprache liegen, also nicht allein etwas Intersubjektives sein, das sich durch die Sprache konstituiert, sondern es muss dieser Sprache wenigstens der Impuls gegeben sein, damit sie sei und nicht nicht sei. Dass hier also etwas steht, bedeutet etwas, das nicht nur das ist, was hier steht, sondern jenseits dessen, was hier steht, zugleich und zuvor in mir wirkt.

Wenn ich nicht den Willen hätte, dieses und jenes zu schreiben, so wäre auch kein Zeichen geäussert worden, das verinnerlicht werden könnte. Und wo kein Wille zur Verinnerlichung auf der anderen Seite der Sprache liegt, so dass diese Sprache irgendwo aufgenommen würde, so verflüchtigte sich die Bedeutung der Zeichen durch Antriebslosigkeit in Bedeutungslosigkeit. Denn nur die Aktivierung dieser Zeichen durch eine Sprachpraxis, durch ein Tun, kann sie dynamisieren, so dass ihnen eine lebendige Bedeutung erwächst.

Wenn wir also sagen, dass wir Sprachwesen sind, und das auch verstehen, sagen wir zugleich, dass wir lebendige Wesen überhaupt sind, die zu Gefühlen fähig und damit zur Rezeptivität. Denn es ist jede Sprache nur Information, wenn sie
nicht empfunden wird durch Wesen, in denen sie nachhallen und sich entwickeln kann. Der reflektierende Mensch ist das eigentliche Medium, das die blosse Sprachmechanik übersetzen kann in Bedeutung, es einweben kann in seine Kontexte, so dass die Sprache ihre Wirkungen entfalten kann. Das, was also da steht, ist mehr als das, was einfach da steht, denn es geht ineins mit dem, was nicht da steht, sondern in mir ist und in anderen empfindsamen Wesen zugleich: Lebendigkeit.

Das macht die Frage nicht leichter zu beantworten, wo Gedanken stattfinden, sondern schwieriger: weder im Kopf noch in der Sprache allein finden sie statt sondern auch in unseren Herzen, ja, sogar im Knie. :)



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Jörn Budesheim
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Mo 2. Apr 2018, 08:38

Alethos hat geschrieben :
So 1. Apr 2018, 22:51
Und doch gibt es in mir einen Willen, der mich antreibt dieses und jenes zu schreiben, auf dass es geschrieben stünde. Also gibt es doch etwas, das nicht Sprache ist, sondern Kraft, mein Wille. Kraft meines Willens steht hier x und nicht z. Der Agens des Gedankens kann deshalb nicht allein in Sprache liegen, also nicht allein etwas Intersubjektives sein, das sich durch die Sprache konstituiert, sondern es muss dieser Sprache wenigstens der Impuls gegeben sein, damit sie sei und nicht nicht sei.
Ich hoffe ja nicht, dass dich ein Wille antreibt - schreckliche Vorstellung - aber lassen wir das beiseite, das ist ein anders Thema :-)

"Der Agens [...] kann [...] also nicht allein etwas Intersubjektives sein." Mir ist nicht ganz klar, wie dein Argument hier funktionieren soll. Der Umstand, dass du etwas geschrieben hat, spricht doch nicht dagegen, dass die Sprache "etwas Intersubjektives sei". Der Begriff "Intersubjektiv" erzwingt ja doch einen Plural von Subjekten und ein "Inter" ein Zwischen. Nehmen wir ein anschauliches Beispiel: einen Elfmeter beim Fußball. Natürlich muss ihn ein einzelner Spieler ausführen, so sind die Regeln. Aber nur im Gesamtgefüge der Regeln gibt es den Elfer. Dass ein Einzelner antritt - von seinem Willen getrieben - spricht ja nicht dagegen. Oder?




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Alethos
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Mo 2. Apr 2018, 09:41

Dein Argument verfehlt etwas wichtiges, finde ich: Die Regeln allein ergeben noch kein Spiel. Den Elfer gibt es zwar nur im Regelgefüge, aber schiessen tut ihn einer :), Das spricht ja nicht gegen die Regelhaftigkeit, sondern bestätigt sie ja durch Performanz. Aber den Elfmeter gibt es nicht, wenn es die Tätigkeit der Regelexekution nicht gibt, und die Tätigkeit selbst ist nun keine Regelhaftigkeit, sondern das, das auch entgegen einer Regel stattfinden kann.

Auf die Sprache bezogen: Sprache ist nicht nur Regelhaftigkeit allein, sondern Aktivität der Interaktion von Sprechenden. Und das war mein Punkt, dass es mit dem Willen etwas Nichtsprachliches gibt, das diese Aktion und Tätigkeit darstellt, ohne die Sprache gar nicht dynamisiert würde.

Dass ich also einen Willen habe, meine ich, spricht nicht dagegen, dass Sprache intersubjektiv ist, wie du mir unterstellen willst :)

Darum schrieb ich auch das:
Der Agens des Gedankens kann deshalb nicht allein in Sprache liegen



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Jörn Budesheim
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Alethos hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 09:41
Sprache ist nicht nur Regelhaftigkeit allein, sondern Aktivität der Interaktion von Sprechenden.
Ich befürchte, das verstehe ich nicht. Vor dem Hintergrund des Textes von Auinger über Wittgenstein: Warum bedeutet der zitierte Satz nicht folgendes: Sprache ist nicht nur Regelhaftigkeit allein, sondern auch Regelhaftigkeit.

Im Texte heißt es dementsprechend:
Thomas Auinger hat geschrieben : Handeln und Sprachhandeln sind unauflöslich miteinander verquickt und in diesem Horizont wird jegliche Bedeutung konstituiert, wobei hierzu die Einsicht gehört, dass sich dies nur im Rahmen intersubjektiver Anerkennungsstrukturen einstellen kann.




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Alethos hat geschrieben :
So 1. Apr 2018, 22:51
Geist ist nichts von der Sprache Losgelöstes, Sphärisches, das diese Sprache irgendwie umgäbe; die Sprachzeichen selbst sind Bedeutung konstituierende Elemente des Denkens.
Kommt drauf an, was man unter Denken versteht.
Reflexives, philosophisches Denken braucht vermutlich diesen Umgang mit Zeichen, aber Denken setzt vor der Reflexion an und ein, würde ich behaupten.
Alethos hat geschrieben :
So 1. Apr 2018, 22:51
Und doch gibt es in mir einen Willen, der mich antreibt dieses und jenes zu schreiben, auf dass es geschrieben stünde. Also gibt es doch etwas, das nicht Sprache ist, sondern Kraft, mein Wille. Kraft meines Willens steht hier x und nicht z. Der Agens des Gedankens kann deshalb nicht allein in Sprache liegen, also nicht allein etwas Intersubjektives sein, das sich durch die Sprache konstituiert, sondern es muss dieser Sprache wenigstens der Impuls gegeben sein, damit sie sei und nicht nicht sei. Dass hier also etwas steht, bedeutet etwas, das nicht nur das ist, was hier steht, sondern jenseits dessen, was hier steht, zugleich und zuvor in mir wirkt.
Was Du beschreibst, findest Du im Affektsystem.

Affekte haben zwei Funktionen: 1. Kommunikation, irgendwie auf dem Weg von unbewusst, über halbewusst zu bewusst. 2. Motivation oder eben Antrieb, Wille. Warum tue ich was und nicht vielmehr nichts?



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Mo 2. Apr 2018, 14:26

Ich hab den Text mal in eigenen Worten und nach bestem Wissen und Gewissen zusammen gefasst. Das soll und kann den Text natürlich nicht ersetzen. Ziel ist nur eine Art Überblick über die Struktur des Textes zu bieten.

Sind Gedanken im Kopf?

Bild

"Gedanken sind im Kopf." Gelegentlich reden wir so und manchmal mag es auch sinnvoll sein, so zu reden. Mit Ausnahme von Neurowissenschaftler glaubt wohl aber kaum jemand, dass Gedanken wortwörtlich im Kopf sind, meint Auinger. Sind Gedanken hingegen privat? Dass erscheint den meisten wohl schon plausibler. Schließlich kann niemand meine “inneren” Gedanken lesen. “Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten …” heißt es bekanntlich. Doch wenn sie nicht wortwörtlich im Kopf sind, wo dann?

  • „Wo unsere Sprache uns einen Körper vermuten läßt, und kein Körper ist, dort, möchten wir sagen, sei ein Geist.“ (Wittgenstein)

Doch innere geistige Vorgänge erklären nicht viel: “Die Bedeutung eines Zeichens erklärt sich [...] nicht durch das Auftauchen eines Bildes in unserm Geist.” (Thomas Auinger) Wittgenstein betätigt sich hier als Geisteraustreiber. Denn der Geist und die inneren Bilder sind “unerklärte Erklärer, auf deren Zauberkraft man sich verlässt.” (TA) Doch es sind unerklärte Erklärer, die nichts erklären. Aber was erklärt es statt dessen? Was ist der “Agens des Denkens und der Sprache?” Wie werden aus “toten Zeichen” lebendige? Wittgensteins eigener Zauberbegriff ist der Gebrauch. Bedeutung ist Gebrauch. Nicht der Gebrauch des Individuums für sich allein betrachtet, sondern immer innerhalb einer Sprachgemeinschaft, denn alles Bedeutungsvolle erwächst aus dem “Sprachsystem einer Sprachgemeinschaft, und dieses System ist ein diffizil gewobenes Netz.” (TA)

Dieses Netz ist ein “holistisches Gefüge, das nur in seiner Gesamtheit gehaltbestimmend sein kann. Die Begriffe hängen wie mit unsichtbaren Fäden aneinander” Diese Fäden sind nicht fixiert, sondern stets in Bewegung, sie können reißen und neue Verknüpfungen können entstehen.

  • „Das Zeichen (der Satz) erhält seine Bedeutung von dem System der Zeichen, von der Sprache, zu dem es gehört. Kurz: einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Als ein Teil des Sprachsystems, so kann man sagen, hat der Satz Leben. Jedoch ist man versucht, sich das, was dem Satz Leben gibt, als etwas in einer geheimnisvollen Sphäre vorzustellen, das den Satz begleitet. Aber was es auch sei, das ihn begleitet, es wäre für uns nur ein anderes Zeichen.“ (Wittgenstein, BB, S. 21)

Wittgenstein wendet sich gegen die Vorstellung, die Zeichen müssten durch einen geistigen Windhauch belebt werden wie dürres Laub. Er sieht die Sprache statt dessen als ein Instrumentarium, das auf äußerst verschiedene Weisen eingesetzt werden kann. Sprechen heißt, sich auf diese Techniken zu verstehen. Dementsprechend ist Denken nicht etwas, das “als unkörperliches Phänomen jenseits der so irdisch anmutenden Zeichen eigenständig wirkt.” (TA) Das Denken ist nicht der Windhauch, der die Blätter zum Rascheln bringt. Auinger meint hingegen mit Wittgenstein quasi “umgekehrt”, “dass die Vorgänge, die wir mit dem Denken verbinden, sich [erst] aus den Möglichkeiten herleiten, die uns in der vielfältigen Handhabung der Zeichen offenstehen.” (TA)

Kommen wir aus der Sprache heraus?

Manche Techniken scheinen uns aus der Sprache heraus zu den Dingen zu katapultieren. Doch können wir die Sphäre der Sprache nicht wirklich verlassen: Dort, wo wir landen, ist kein reiner sprachfreier Ort: “Das heißt auch, dass wir einerseits mit Worten über andere Worte reden (sie beeinflussen in ihrer Bedeutung) und dass wir uns andererseits mit Worten auf Sprachtranszendentes beziehen. Beide Male bewegen wir uns in der Sprache, aber es sind
dennoch unterschiedliche Funktionen.” (TA)

(Wie) können wir "übers Denken reden"?

Können wir uns auf das Denken wie auf die Dinge beziehen? Was ist also problemlos “übers Denken reden” so wie über Steine? Damit verschleiern wir nach Auinger gegebenenfalls - so wie ich ihn verstehe - dass wir es beim Denken bereits mit unserer Zeichenfähigkeit zu tun haben und nicht etwas, auf das wir erst durch diese Zeichenfähigkeit referieren.

Wir haben also nicht hier das Denken und dort die Zeichen, die dem Denken Ausdruck verleihen. Denken ist in dieser Sicht der Dinge nichts Eigenständiges und Isoliertes, das nachträglich auf die Zeichen angewandt wird. Vielmehr sind “die mit dem Denken verknüpften Vorgänge ohnehin im Sein der Zeichen präsent” so dass “Zeichenstrukturen immer auch im Sinne von Gedanken aufgefasst werden können.”

  • Der Versuch, Bedeutung mittels reiner Selbstbeobachtung eruieren zu wollen ist zum Scheitern verurteilt: „Um über die Bedeutung des Wortes »denken« klar zu werden, schauen wir uns selbst beim Denken zu: Was wir da beobachten, werde das sein, was das Wort bedeutet! – Aber so wird dieser Begriff eben nicht gebraucht. (Es wäre ähnlich, wenn ich, ohne Kenntnis des Schachspiels, durch genaues Beobachten des letzten Zuges einer Schachpartie herausbringen wollte, was das Wort »mattsetzen« bedeutet.)“ (Wittgenstein PU, § 316, S. 380).

Warum ist das laut Wittgenstein so? Nimmt man nur einen einzelnen Zug ins Blick, verpasst man immer den Zusammenhang, der diesem Zug erst Bedeutung verleiht. Nach Auinger vertritt Wittgenstein (II) eine ziemlich radikale linguistische Theorie der Intentionalität, die sich am Ende durch sprachliche Mechanismen erklären lässt. Eine reine “zeichenlose” Substanz des Denkens gibt es in diesem Bild nicht.

Was bedeutet das alles nun für die Frage, ob die Gedanken im Kopf sind?

  • „Es ist eine der für unsere Betrachtung gefährlichsten Ideen, daß wir mit dem Kopf, oder im Kopf, denken. Die Idee von einem Vorgang im Kopf, in dem gänzlich abgeschlossenen Raum, gibt dem Denken etwas Okkultes. »Das Denken geht im Kopf vor sich« heißt eigentlich nichts anderes, als: der Kopf steht im Zusammenhang mit dem Denken. – Man sagt freilich auch: »ich denke mit der Feder« und diese Ortsangabe ist mindestens ebensogut. Zu sagen: Denken sei eine Tätigkeit unseres Geistes, wie Schreiben eine Tätigkeit der Hand, ist eine Travestie der Wahrheit.“ (Wittgenstein, PG, § 64, S. 106)

Der Gebrauch, der Umgang mit Zeichen ist also nichts, was vom Einzelnen her zu verstehen ist, er ist abhängig von der “Lebensform”. Gemeint sind damit eingeübte Verhaltensmuster, “die so grundlegend sind, dass sie nicht reflexiv in Frage gestellt oder verändert werden.” Die Lebensform “durchdringt alle bewusst gesetzten Akte, also auch alle Akte des Denkens.” (TA)

Kultureller Dialog manchmal unmöglich?

Das bringt uns an einen überraschenden Punkt, der uns in die Nähe des Threads "François Jullien: "Es gibt keine kulturelle Identität". Kann es Lebensformen (also Kulturen?) geben, die so verschieden, dass eine Verständigung unmöglich wird? “In diesem Punkt geht Wittgenstein davon aus, dass sehr divergente Lebensformen ein gänzliches Nichtverstehen bewirken können, selbst dann, wenn wir unterstellen, dass jeweils sprachbegabte Wesen aufeinandertreffen.” (TA) “Es kann also – gemäß Wittgenstein – sehr wohl so sein, dass menschliche Lebensformen eine derartig divergente Ausgestaltung annehmen, die in gänzliches Nichtverstehen und vollständige Unübersetzbarkeit der sprachlichen Äußerungen mündet.” (TA)




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Alethos
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Mo 2. Apr 2018, 14:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 10:05
Alethos hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 09:41
Sprache ist nicht nur Regelhaftigkeit allein, sondern Aktivität der Interaktion von Sprechenden.
Ich befürchte, das verstehe ich nicht. Vor dem Hintergrund des Textes von Auinger über Wittgenstein: Warum bedeutet der zitierte Satz nicht folgendes: Sprache ist nicht nur Regelhaftigkeit allein, sondern auch Regelhaftigkeit.
Weil das, was in einem Text steht, nicht nur von dem abhängt, was de steht, sondern von den am Text in Text partizipierenden Personen. Verstehen geschieht nicht durch sich selbst resp. durch die Struktur der Begriffe in einem Text nach Regeln, sondern gleichsam durch den Willen und die Fähigkeit zur gelingenden Kommunikation der daran teilhabenden Personen.

Im besagten Text zu Wittgenstein steht ja auch, dass die Textbausteine (die Begriffe) dynamisiert werden.
Thomas Auinger hat geschrieben : Worin besteht also die gesuchte Aktion, das Agens des Denkens und der Sprache? Es besteht – ganz simpel - im Dynamisieren der Zeichen, indem wir sie
verwenden und ganz spezifisch
gebrauchen sie also in bestimmte Konstellationen versetzen, wodurch ihre Funktion im Netz der Sprache bestimmt und zugleich veränderbar gehalten wird.
Aber was bedeutet das nun genau?
Es bedeutet, dass der Wille zur Handlung auf den Sprechakt selbst ausgerichtet werden muss, weil die Handlung sonst keine Sprachhandlung ist. Zur Grammatik, zur Syntax, also zur regelhaften Struktur von Sprache muss doch das sprachhandelnde Subjekt hinzukommen, so dass er die Regeln performiert, die sonst nichts sind als leere Form?



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Jörn Budesheim
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Mo 2. Apr 2018, 15:03

Das klingt für mich so ähnlich wie das hier: Tango allein genügt nicht, es müssen auch noch die Tänzer hinzu kommen. Hinzukommen hieße, dass sie zuvor nicht bedacht wurden, oder? Wenn aber Bedeutung (kurz gesagt) Gebrauch in einer Sprachgemeinschaft ist, wie soll dann der Sprachverwender noch hinzu kommen, wo er doch schon dabei ist?




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Mo 2. Apr 2018, 15:04

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 11:37
Affekte haben zwei Funktionen: 1. Kommunikation, irgendwie auf dem Weg von unbewusst, über halbewusst zu bewusst. 2. Motivation oder eben Antrieb, Wille. Warum tue ich was und nicht vielmehr nichts?
Ja, das scheint mir plausibel, obwohl ich die Affektlehre nicht kenne.

Es spult sich doch die Sprache nicht von selbst ab, als bestünde sie aus einer mechanischen Folge von nackten Zeichen, die nur deshalb etwas bedeuten, weil sie in dieser Reihenfolge und an dieser Stelle des Gesamtgefüges eingearbeitet sind. Das, was da jeweils spricht, ist in der Regel ein willentlicher Agens, ein intentionales Wesen, und wenn es sich auch in Sprache allein zeigen kann, so erschöpft er sich nicht darin allein, ein sprechendes Etwas zu sein. Das, was in Sprache hineingelegt ist, sind nicht nur Zeichen, meine ich. Darum aber ist Denken, darum sind Gedanken, zwar allein in Sprache möglich, aber sie bestehen doch nicht nur aus Sprache.



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Mo 2. Apr 2018, 15:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 15:03
Das klingt für mich so ähnlich wie das hier: Tango allein genügt nicht, es müssen auch noch die Tänzer hinzu kommen. Hinzukommen hieße, dass sie zuvor nicht bedacht wurden, oder? Wenn aber Bedeutung (kurz gesagt) Gebrauch in einer Sprachgemeinschaft ist, wie soll dann der Sprachverwender noch hinzu kommen, wo er doch schon dabei ist?
Sie sind mitgedacht, Tango gibt es nur mit Tänzern. Aber zu sagen, Tango sei ein bestimmter Tanz, lässt sich deshalb auch nicht erfassen, ohne die Bewegung von Tänzern einzubeziehen. Und Tänzer tanzen besser und schlechter. Zu sagen, Tango bestehe aus diesen und diesen Tanzschritten verfehlt doch die Idee, dass Tango mit dem Tanzen, mit den Gefühlen, mit der individuellen Ausdruckskraft der Tänzer einhergeht. Wir müssen alles das zur performativen Kraft dessen, was Tango ist, mitdenken.



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Mo 2. Apr 2018, 15:33

Alethos hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 15:04
Es spult sich doch die Sprache nicht von selbst ab, als bestünde sie aus einer mechanischen Folge von nackten Zeichen, die nur deshalb etwas bedeuten, weil sie in dieser Reihenfolge und an dieser Stelle des Gesamtgefüges eingearbeitet sind. Das, was da jeweils spricht, ist in der Regel ein willentlicher Agens, ein intentionales Wesen, und wenn es sich auch in Sprache allein zeigen kann, so erschöpft er sich nicht darin allein, ein sprechendes Etwas zu sein. Das, was in Sprache hineingelegt ist, sind nicht nur Zeichen, meine ich. Darum aber ist Denken, darum sind Gedanken, zwar allein in Sprache möglich, aber sie bestehen doch nicht nur aus Sprache.
Ich glaube, jetzt fange ich endlich an zu ahnen, worum es Dir geht. Es ist wohl das, was Blumenberg "Überschuß des Denkens über die Sprache" nennt, woraus überhaupt erst die Möglichkeit und Notwendigkeit der Interpretation folge. Da ich gerade noch beim Verstehenwollen feststecke, bleibe ich zunächst meinungslos.




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Mo 2. Apr 2018, 17:01

Falls Wittgenstein meinen sollte, dass Denken und Meinen auf öffentlichen sprachlichen Praktiken basieren, dann können sie nicht die Sprache erklären, sondern die Sprache erklärt sie. Daraus folgt aber keineswegs, dass es Denken und Meinen nur in einem eingeschränkten Sinn oder sonstwie abgespeckt gibt, finde ich.




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Mo 2. Apr 2018, 17:31

Friederike hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 15:33
Überschuß des Denkens über die Sprache
Das klingt interessant. Kannst du das etwas ausführen? Vielleicht können wir eine Meinung darüber entwickeln :)



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 17:01
Falls Wittgenstein meinen sollte, dass Denken und Meinen auf öffentlichen sprachlichen Praktiken basieren, dann können sie nicht die Sprache erklären, sondern die Sprache erklärt sie. Daraus folgt aber keineswegs, dass es Denken und Meinen nur in einem eingeschränkten Sinn oder sonstwie abgespeckt gibt, finde ich.
Kannst du das noch etwas ausformulieren?

So wie ich es verstehe, sagst du: das volle Sein von Denken und Meinen ist in Sprache. Dass ihr gänzliches Sein in Sprache ist, sei deshalb kein Grund zur Sorge resp. zur Annahme, dass dieses Denken in irgendeiner Form limitiert sei. Auf Sprache limitiert zu sein, entspreche der vollen Entwicklung des Seins von Denken.

Aber das würde ich auch nicht bestreiten, falls du das überhaupt gemeint hast. Ich bezweifle nicht, dass Denken und Meinen in Sprache vorkommt, sondern ich bezweifle, dass in Sprache nur Regelhaftigkeit vorkommt.



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Mo 2. Apr 2018, 17:51

Alethos hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 17:31
Friederike hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 15:33
Überschuß des Denkens über die Sprache
Das klingt interessant. Kannst du das etwas ausführen? Vielleicht können wir eine Meinung darüber entwickeln :)
Gerade eben hatte ich nochmal in "Sprachsituation und immanente Poetik" hineingesehen. Gekommen bin ich erst bis dahin, daß Blumenberg diese grundlegende Auffassung des Verhältnisses zwischen Sprache und Denken als einen Hauptstrang der Philosophie ansieht. Er nennt als Epigonen dieser Richtung Cicero und erwähnt dann Justus Möser (mir ist er unbekannt), der gesagt hat, daß die Sprache niemals die "Totaleindrücke" erfassen könne, allenfalls die "Tangenten" könne sie anlegen. Und ja, daß die Sprache immer hinter der Empfindung zurückbliebe. Die Gegenposition(en) habe ich noch nicht gelesen und auch nicht die Bewertung Blumenbergs.

Ich stolpere nur über die "Empfindung", die ich als einen Teil der "Totaleindrücke" erachten würde und bin verwirrt wegen des "Denkens". In die Richtung hattest Du ja auch argumentiert, aber dann hätten wir auf einmal die Sprache und das Denken, und in das Denken wäre das Empfinden eingeschlossen.




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Jörn Budesheim
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Di 3. Apr 2018, 07:07

Alethos hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 17:49
Kannst du das noch etwas ausformulieren?
Das meint, nicht der Kopf ist zuerst und seine vermeintlich privaten Empfindungen. Das ist die cartesische Vorstellung, dass wir uns aus diesem Inneren erst heraus kämpfen müssen. Explanatorisch primär ist vielmehr der Umstand, dass wir uns in einer sozialen von anderen Menschen ebenfalls bewohnten Welt befinden.




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Di 3. Apr 2018, 13:03

Friederike hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 17:51
Justus Möser..., der gesagt hat, daß die Sprache niemals die "Totaleindrücke" erfassen könne, allenfalls die "Tangenten" könne sie anlegen. Und ja, daß die Sprache immer hinter der Empfindung zurückbliebe.
Das ist ein interessanter Punkt. Wenn das stimmt, dass wir mit Sprache nur die Tangenten anlegen können, dann erhellt, dass es einen Überschuss von Totaleindrücken geben muss (wobei die Tangente ja an den Rändern jeweils das Äusserste wäre, so dass alles dazwischen nicht überschiessen kann). Aber es wird mit diesem Ansatz vielleicht ein Denkpfad vorgespurt auf das Innere der Differenz von Denken und Fühlen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Gefühle (als Affekte?) durchaus präreflexiv sein können, dass sie quasi die Fähigkeit, sie zu benennen, zu begreifen, gegenständlich zu machen, übersteigen (resp. nicht genug 'hoch' aufsteigen, um die Bewusstseinsschwelle zu überschreiten).

Wie es um das Verhältnis von Denken und Gefühlen nach Blumenberg bestellt ist, sollten wir vielleicht in einem anderen Thread diskutieren. Ich wäre sehr dafür. Interessant in diesem Zusammenhang wäre sicherlich auch eine Untersuchung über den Unterschied zwischen Bild- und Zeichensprache (zwischen Metapher und Aussagesatz?). Im Auinger-Text wird zwar explizit erwähnt, dass jede Form von Sprache ununterscheidbar Sprache sei, und das würde ich auch unterschreiben, aber es wäre vielleicht zu vorschnell geurteilt, wenn wir die verschiedenen kommunikativen Qualitäten dieser beiden 'Spracharten' ausser Acht liessen? Es lohnt sich jedenfalls, diese Fährte weiterzuverfolgen.



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Di 3. Apr 2018, 13:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 3. Apr 2018, 07:07
Alethos hat geschrieben :
Mo 2. Apr 2018, 17:49
Kannst du das noch etwas ausformulieren?
Das meint, nicht der Kopf ist zuerst und seine vermeintlich privaten Empfindungen. Das ist die cartesische Vorstellung, dass wir uns aus diesem Inneren erst heraus kämpfen müssen. Explanatorisch primär ist vielmehr der Umstand, dass wir uns in einer sozialen von anderen Menschen ebenfalls bewohnten Welt befinden.
Das sehe ich auch, und ich verstehe, dass wir in gewissem Sinn sozial präformiert sind: Unser Denken ist es, unser Fühlen und Handeln. Meine Frage wäre lediglich die, ob sich so unsere Konstitutionen alle befriedigend erklären lassen.

Nach Auinger (und vielleicht nach Wittgenstein auch) ist es ja so, dass auch Gemälde und Zeichnungen zu dieser öffentlichen Sprache zu zählen sind. Jedes deiner Bilder beteiligt sich so gesehen an diesen öffentliche Sprachspielen, auch Bilder sind Sprache, sie sind der Welt entlehnt. Aber wäre es nicht auch möglich zu denken, dass in sie zugleich etwas gelegt ist, das gar nichts mehr sein kann als dein eigenes? Was meinen wir damit, wenn wir von etwas sagen, es sei originell? In Kunst künstelt man ja :), es entsteht doch jeweils auch etwas, das in dieser Form noch nicht da war, einem Urknall gleich zündet sich ein Licht ins Dunkle der Sprachlosigkeit. Vielleicht wäre es besser zu sagen, dass die Kunst / das Kunstwerk eine neue Sprache findet, eine neue Ausdrucksform. Dass jedenfalls etwas hinzukommt, das im Äusseren der Welt so noch nicht vorhanden war (und damit ursprünglich ist), das erscheint mir plausibel und wert, es eingehender zu bedenken.



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Di 3. Apr 2018, 13:56

Alethos hat geschrieben :
Di 3. Apr 2018, 13:03
Aber es wird mit diesem Ansatz vielleicht ein Denkpfad vorgespurt auf das Innere der Differenz von Denken und Fühlen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Gefühle (als Affekte?) durchaus präreflexiv sein können, dass sie quasi die Fähigkeit, sie zu benennen, zu begreifen, gegenständlich zu machen, übersteigen (resp. nicht genug 'hoch' aufsteigen, um die Bewusstseinsschwelle zu überschreiten).
Eine meine philosophischen Sternstunden war eine Sendung des philosophischen Radios vor vielleicht 5 Jahren, das Thema und den Namen der Philosophin habe ich leider vergessen, dafür den Inhalt gut behalten. Da ging es genau darum, Gefühle und was es bedeutet, diese nur zu empfinden oder auch benennen zu können. Es ist ein fundamentaler Unterschied. Angst und Freude haben Tiere auch, sie erleben sie auch, weil sie ja fühlen können, sie wissen nur nicht, dass es Angst oder Freude sind, die sie fühlen.

Das bisschen Wissen als Bonus zu haben klingt zunächst sehr marginal. Aber gleichzeitig bedeutet es eine Welt zu erobern, denn es heißt zum eigenen, emotionalen Sosein eine Metaebene aufbauen zu können und seine Befindlichkeit deuten zu können. Genau das ist es, was in jedem neuen Leben (meistens) die Mutter macht, ihrem Kind die Welt und die eigene Gefühle zu deuten. Durch die angeborene Fähigkeit Affekte auszudrücken und lesen zu können, kann die Mutter dem Kind sagen: „Du hast Angst.“ Und wenn die Mutter dem Kind dabei das Gefühl gibt, dies zu kennen und kein Drama daraus macht, kann das Kind sich beruhigen, weil es wiederum emotional spürt, dass sie es kennt und selbst nicht übermäßig besorgt scheint.
Erneut lernt ein Kind sich selbst kennen, inklusive der eigenen Gefühlswelt, gerade so, wie Wittgenstein es beschreibt.

Aber damit es dazu kommen kann, muss eine Welt der Empfindungen vorgeschaltet sein, als das, was dann zu benennen ist. Heute ist dieser Vorgang insofern sehr differenziert, als wir über ein sprachlich reiches Instrumentarium verfügen und sich die sprachliche Sphäre auf die Welt der Gefühle herniedersenkt, um mit dieser zu verschmelzen. Das ist dann in der Tat ein intersubjektives Spiel, bei der Neuentstehung der Sprache kann es nur insofern intersubjektiv gewesen sein, als wir guten Gewissens davon ausgehen dürfen, dass die noch nicht sprechenden Wesen sehr ähnlich empfunden haben. Das zu Benennende war weitgehend gleich, auf den Begriff musste man sich einigen.

Einer musste den Anfang machen. Ich vermute, dass die natürlichen Laute der Angst, Wut, Lust, des Schreckens, der Überraschung usw. Pate standen und mit diesen zunächst experimentiert wurde. Ein ummantelnder Geist war dafür nicht nötig.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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