herbert clemens hat geschrieben : ↑ Sa 7. Apr 2018, 14:06
Den „ Auinger/Wittgenstein-Thread“ kenne ich nicht, bin philosophisch nicht so bewandert. Die Folgerungen hören sich interessant an. Das wäre interessant ausgeführt zu bekommen.
Ich glaube, das passt hier gut rein.
Wittgenstein ist Logiker und Sprachpragmatiker. Eine seiner prominenten Aussagen ist, dass es keine Privatsprache geben kann. Das ist insofern wider unser Empfinden, weil wir glauben, unser (geistiges) Innenleben sei doch nun im höchsten Maße privat. Meine Gedanken, meine Gefühle, meine Empfindungen, privater geht es eigentlich nicht. Wittgenstein fragt uns aber, woher wir eigentlich wissen, dass die Schmerzen haben und meint: dass das, was wir Empfinden (denn das tun wir auch so: es tut halt weh) Schmerz
genannt wird. Und führt nun aus, dass wir das erst lernen müssen. Wir hören Begriffe, wie "Schmerz", "Ouh, das hat bestimmt weh getan", "Der muss höllsche Schmerzen haben", "Aua", "Ahh! Scheiße!" ... und sehen entsprechende Situationen dazu, wie sich jemand stößt, schneidet, geschlagen wird ... und dann wird beides kombiniert, irgendwann schreit man selbst und denkt: "Dieses Gefühl, das müssen Schmerzen sein (die ich habe)."
Natürlich läuft es anders und die Mutter sagt: "Och, hast Du Aua? Komm mal her." Aber die Lernleistung ist entsprechend.
Damit sagt Wittgenstein, dass all unser innerer Kram, überhaupt nur erschlossen werden kann, weil es Sprache (er redet von Sprachspielen) gibt, die mir, wenn gelernt, den Blick ins eigene Innere erst oder zumindest viel besser ermöglichen. Das wird allgemein als wahr angesehen. Nur ist das die Situation, wenn man in einen Gesellschaft oder Familie geboren wird, die bereits spricht.
Aber was ist eigentlich ganz am Anfang, als die erste Primaten Laute bewusst bildeten und erste Worte entstanden? Die wollten ja auch was ausdrücken. Was, wenn nicht (auch) ihr Inneres? Über Sprache verfügen sie aber alle noch nicht. Wenn ich nun also beschließe etwas "Aga" zu nennen und auch weiß, was ich damit meine. Wie sag ich's den anderen? Denn erklären kann ich es ja nicht. Dass die von hektischen Gesten auf ein "Damit, mit Aga, meine ich eine große Gefahr" schließen können, würde (nach unseren Vorstellungen) voraussetzen, dass die andere innere Sätze bilden können, aber fast alle denken, dass man das ohne Sprache zu sprechen nicht kann.
Deutende Gesten, so meint man manchmal, könnten die Lücke füllen. Aber das kann auch eklig werden:
psyheu.de hat geschrieben : Zeigen
Das Zeigen ist kinderleicht. Buchstäblich. Kleine Kinder, so um ein Jahr, zeigen auf Bilder in einem Buch und unterstreichen die Geste oft mit einem „Da“. Die Geste des Zeigens ist so fundamental, dass sie einem unserer Finger, dem, der am häufigsten benutzt wird, seinen Namen gegeben hat: dem Zeigefinger.
Das Zeigen macht nur Sinn in einer Umgebung, in der man auch verstanden wird. Wer einfach „Da“ sagt und auf etwas deutet was er haben oder erklärt haben möchte, dessen Geste aber unerhört bleibt, der wird die Gestikulation irgendwann einstellen, da sie sinnlos ist. Das Zeigen setzt also einerseits eine verstehende, aber andererseits auch erklärende Umwelt voraus. Auf das „Da“ folgt Mutters Erklärung, dass das da ein Hund ist, dies Papas Auto und jenes eine Zitrone.
Heutige Kommunikation ist ein Kompositum aus einerseits gesprochener Sprache, die es uns ermöglicht abstrakte Welten zu erschaffen und zu beschreiben, anderseits hat Kommunikation noch eine ältere Wurzel, das Affektsystem, das es höheren Säugetieren erlaubt eine gezielte, auf das Individuum zugeschnittene Brutpflege zu betreiben. Beides ist heute untrennbar miteinander verbunden, so dass wir Mimik, Gestik, Tonfall und Begriffe in einem Fluss und kombiniert einsetzen. Es fällt uns jedoch heute noch auf, wenn Wortinhalt und Körpersprache nicht zusammenpassen.
Praktisch einfach, theoretisch schwer
Etwas was jedes Kind kann, verbirgt den Teufel gerne im Detail, so auch hier. In der Forschung zur künstlichen Intelligenz (KI) und Robotik hat sich das sogar bis zum Begriff von Moravec’s paradox herauskristallisiert, in dem gesagt wird, dass all das von dem man zuvor dachte, es sei ungeheuer schwer, wie hochkomplexe Logik, sich als leicht erwiesen hat – Computer besiegen uns heute problemlos und schon seit zig Jahren im Schach, neuerdings auch im intuitiveren und viel komplexeren Go oder bei Quizsendungen – allerdings erweisen sich Alltagsleistungen, die eben tatsächlich jedes Kind beherrscht, als ungeheuer schwer, weil das, was man intuitiv und auf den ersten Blick versteht, erstaunlich schwer zu formalisieren ist. Arm und Couch zu unterscheiden, etwas was umfällt aufzufangen, ins Badezimmer zu gehen und Spiegel zu holen, sind Akte, an denen sich die KI-Forscher immer wieder die Zähne ausbeißen.
„Das da“ hat genau wie „Ich“, „Jetzt“ und „Hier“ keine absolute Größenordnung, denn wenn der Autor „Ich“ sagt, ist dieses „Ich“ ein anderes, als wenn der Leser es sagt. Ist doch klar, zeigt aber, dass „Ich“ je nach Situation immer jemand anders ist. Wir verstehen das problemlos, aber der Akt als solcher ist hochkomplex, weil er keiner einfachen Wort-Welt-Bedeutung entspricht, in der „Ich“ immer der Autor genau dieses Textes hier ist.
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Quelle und weiterlesen
Unten im Text geht's dann noch um Quine und seinen Klassiker der Sprachphilosophie, sein "gavagai" Beispiel.
Quine und Wittgenstein haben zwei interessante Gemeinsamkeiten:
1. Beide glauben, dass die Bedeutung eines Begriffs sein Gebrauch ist. (Ich glaube, das stimmt.)
2. Beide sind sprachliche Holisten. Wittgenstein sagt ziemlich wörtlich, dass ein Wort zu lernen heißt, einen Satz zu lernen und einen Satz zu lernen, eine Sprache zu lernen. (Quine hat den Holismus später auf Cluster zurückgeschrumpft.)
Der selten verstanderenn Clou bei Quine liegt darin, dass er uns in einem berühmtem Buch sagen möchte, dass auch wenn man denkt man habe den anderen verstanden, sich theoretisch nicht sicher sein kann, dass das auch der Fall ist. Denn wie wir nun sicher sein können, dass unsere Ideen auch in den "Kopf" des anderen kommen, ist das was Jörn hier (gegen Hobbes) anführt. Quine würde sagen, dass wir uns gar nicht sicher sein können, wir Alltagsmenschen würden sagen, dass, wenn man am Tisch um das Salz bittet und Salz bekommt, die Sache soweit in Ordnung ist.
Die Philosophen sehen in der Regel ein, dass Quine völlig richtig liegt, aber sie wissen nicht so recht, was sie mit dieser Erkenntnis anfangen sollen.
Die Kluft zwischen einer Theorie, die uns sagt, dass etwas eigentlich (das heißt bei Philosophen immer: streng logisch) nicht geht und einer Praxis, die längst tut, was eigentlich nicht geht, ist altbekannt und geht auf Hume zurück. Der sagt, dass wir im Grunde in der empirischen Welt nur raten. Es geht ihm wie Quine, die Einsicht ist logisch nicht zu leugnen, aber praktisch eher mau.
Wir raten, tun es aber mit System und ganz gut. Klingt banal, hat aber noch immer größere Konsequenzen in der Philosophie.
Hoffe, das hilft Dir ein wenig und dass es nicht zu überfrachtet war?