Ärger im Paradies - Walter Benjamin und die Magie der Sprache

Gemeinsame Lektüre und Besprechung philosophischer und anderer Literatur.
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Alethos
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Di 6. Aug 2019, 14:56

Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Aug 2019, 20:46
Der Mensch nach dem Sündenfall hat es nur noch mit toter Objektivität zu tun.
Und doch muss er im Gedanken Trost suchen, dass die Dinge durch Gott und durch seine Worte sind. Insofern den Dingen durch sie Sein zukommt, partizipieren sie an etwas noch grösserem als dem Lebendigen selbst, nämlich am reinen Sein in Ewigkeit. Das vermag wohl aus der Welt kein Paradies zu machen, aber kodifiziert doch ein Versprechen, dass es gut sei und werde für den Menschen, wenn er vertraut auf das Wort Gottes, indem er dies als notwendig gut nimmt, was durch seine Worte Wirklichkeit ist.
Das war der Antrieb des Scholastikers, dass er auch das noch so Tote und scheinbar Unwürdige mit der Hoffnung annahm, es möge direkt von Gott befohlen sein. Der Mensch hat es seit dem Sündenfall also nicht nur mit Objekten zu tun, die ihm gegenüberstehen und ihm auch entgegengestellt sein würden, sondern in ihnen drückte sich auch der Wille Gottes aus als eine Ermahnung: Eine Erinnerung an den Menschen, dass er den Zorn Gottes überhaupt erst entfacht habe. Denn war das Paradies ein Ort, wo es weder Gebote noch Regeln gab, da alles Gut und in Ordnung war, so erst mit dem Sündenfall erhob sich der Mensch gegen Gott und widersetze sich ihm, was eine Opposition zu Gott bedeutete, die er mit Gegenständlichkeit bestrafte. Durch sie war es zum ersten Mal möglich, dass etwas gegen den Menschen gerichtet sein und das Widrige in der Welt entstehen könnte. Vordringlicher noch, es war möglich, dass der Wille Gottes dem Menschen als ein Gebot und Verbot entgegengesetzt sei.

Von da an war die Unterordnung des Menschen eine doppelte: Einerseits unter das Objekt, das den direkten Willen Gottes in harter ontologischer Währung repräsentierte (eine Unterordnung, die erst durch die Bemächtigung des Subjekts über das Objekt umgekehrt werden sollte), andererseits unter die eigene Demut, entspringend aus der Einsicht, die Ursache für sein Vertriebensein aus der Einheit zu sein. Der frühchristliche Mystizismus und auch die spätere scholastische Phase waren geprägt vom Versprechen des Zurückkommens in die Einheit. Ein Verprechen, dessen Erfüllung nur möglich schien, indem der Mensch sich das Wort Gottes aneignete, als wäre er, der Mensch, das Wort selbst, denn die totale Unterordnung unter die Autorität des göttlichen Worts ist der maximale Einklang mit ihm durch absolute Identifikation und damit Wortwerdung des Menschen selbst. Hier finden sich die ersten Anlagen konstruktivistischer Sprachtheorien. Durch die Wortwerdung des Menschen legte er den Grundstein für seine Befreiung.



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Alle lächeln in derselben Sprache.

Nauplios

Di 6. Aug 2019, 19:33

Alethos hat geschrieben :
Di 6. Aug 2019, 14:56
Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Aug 2019, 20:46
Der Mensch nach dem Sündenfall hat es nur noch mit toter Objektivität zu tun.
Von da an war die Unterordnung des Menschen eine doppelte: Einerseits unter das Objekt, das den direkten Willen Gottes in harter ontologischer Währung repräsentierte (eine Unterordnung, die erst durch die Bemächtigung des Subjekts über das Objekt umgekehrt werden sollte), andererseits unter die eigene Demut, entspringend aus der Einsicht, die Ursache für sein Vertriebensein aus der Einheit zu sein. Der frühchristliche Mystizismus und auch die spätere scholastische Phase waren geprägt vom Versprechen des Zurückkommens in die Einheit. Ein Verprechen, dessen Erfüllung nur möglich schien, indem der Mensch sich das Wort Gottes aneignete, als wäre er, der Mensch, das Wort selbst, denn die totale Unterordnung unter die Autorität des göttlichen Worts ist der maximale Einklang mit ihm durch absolute Identifikation und damit Wortwerdung des Menschen selbst. Hier finden sich die ersten Anlagen konstruktivistischer Sprachtheorien. Durch die Wortwerdung des Menschen legte er den Grundstein für seine Befreiung.
Eine Besonderheit liegt ja im Denken Walter Benjamins, die vielleicht ein wenig mit dem Denken Heideggers vergleichbar ist, zumindest was die Richtungsnahme angeht. Beide nehmen eine Richtung auf - oder etwas pointierter in - einen verlorenen, vergessenen Zustand, einen Ursprung, aus dem heraus sie das Sprachgeschehen der Moderne als ein Derivat, einen abkünftigen Modus begreifen. Heidegger´s Denken geht zurück in die Auslegung vorsokratischer Philosophie, Benjamins Denken in die talmudische Lehre von den Sinnstufen der Thora. Nietzsche ließe sich hinzufügen, dessen frühe Philosophie sich als Beschwörung des Dionysischen und der aischyleischen Tragödie inszeniert. - Eine weitere Instanz, der Auskünfte über ein Ursprungsgeschehen zugetraut werden, ist die Poesie, die Kunst. (Benjamin: Erkenntniskritische Vorrede zum Ursprung des Deutschen Trauerspielbuchs - hier ist der "Ursprung" im Titel schon angesprochen) -

Man unternimmt also historisch gerichtete Versuche, die von Deutungen und Ausdeutungen von Texten profitieren wollen (Thora, griechische Tragödie, Hölderlin u.a.). Die Begrifflichkeiten werden dabei oft zu Integralen, um nicht zu sagen Kathedralen, in denen dann etwa "die Wahrheit ihr Haus" hat (Benjamin) oder die "ältesten logoi" (Benjamin) zum Sprechen gebracht werden oder in denen sich der "Sinn von Sein" ereignet u.ä. Zu vestehen, was etwas ist, bedeutet, in seine Herkunft hinabzusteigen. Herkünfte liegen oft im Dunklen. Begriffssysteme sind gleichsam unterirdische Gänge. Es wird gewühlt. Der Philosoph legt Schicht um Schicht frei wie ein Archäologe. Foucault kommt einem in den Sinn. -

Gemeinsam ist solchen hermeneutischen Verfahrensweisen immer das Narrativ von Verschüttung und Freilegung (Zurück in den Ursprung).




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Jörn Budesheim
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Di 6. Aug 2019, 21:37

Ich habe gerade eine Vorlesung zu Walter Benjamin entdeckt, befindet sich hier > https://www.dialogos-philosophie.de/vie ... hp?t=706i8




Nauplios

Mi 7. Aug 2019, 04:55

Nach Anhören des 1. Teils der 20-teiligen Vorlesung von Fürnkäs zu Walter Benjamin ist mein Eindruck - trotz des hundertfachen Zustimmung erwartenden "ne", "nicht" und "nicht wahr" - ein durchaus positiver. Leider bricht der erste Teil unvermittelt ab, ohne daß der zweite Teil direkten Anschluß findet; es geht dann ebenso unvermittelt mit Buber weiter. Dennoch zeichnet die Vorlesung Denkweg und historische Veranlassung der Benjamin' schen Sprachtheorie gemessenen Schrittes nach und ist damit geeignet, mögliche Verzagtheiten, welche die Lektüre des Originaltextes auslösen kann, zu lösen. -




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Ich habe mir jetzt die ersten 40 Minuten angehört zum Frühstück. Und das Gehörte fand ich gut. Falls die folgenden Vorlesungen nicht mit Benjamin weitergehen, wäre es natürlich schade.




Nauplios

Mi 7. Aug 2019, 19:05

"Was an einem geistigen Wesen mitteilbar ist, in dem teilt es sich mit; das heißt: jede Sprache teilt sich selbst mit. Oder genauer: jede Sprache teilt sich in sich selbst mit, sie ist im reinsten Sinne das ˋMedium´ der Mitteilung. Das Mediale, das ist die Unmittelbarkeit aller geistigen Mitteilung, ist das Grundproblem der Sprachtheorie, und wenn man diese Unmittelbarkeit magisch nennen will, so ist das Urproblem der Sprache ihre Magie." (II/1; 142f)

Der Verlust dieser Magie ist das Signum aller bestehenden Sprachen. Mit etwas Mut könnte man das die Sprachvergessenheit der Sprache nennen. Als System von Bezeichnungen und Prädikationen hat sie ihren Zauber, ihre Magie vergessen.




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Do 8. Aug 2019, 07:25

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Ich habe heute morgen noch einmal angefangen, mir die Vorlesung von Josef Fürnkäs anzuhören - und wie es sich für einen ordentlichen Studenten gehört, habe ich mir dazu einige Notizen gemacht:
  • Sprache ist mit-teilen, Kommunikation (die Sprache der Menschen ist nur ein Sonderfall der Sprache schlechthin)
  • Wesen ist das zeitlos gewesene, das was die Geschichte uns eingebracht hat
  • Alles hat Sprache, jedes Ding teilt sich mit
  • Alles teilt sich nach eigener Art mit




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Friederike
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Di 10. Dez 2019, 17:02

Der erste Teil des Thread-Titels bewegt mich, die Überlegung hier zu notieren - obgleich ein radikaler Schwenk weg von der Sprachmagie: Sind Adam und Eva sterblich gewesen? Theologisch betrachtet schon; sie sind geschaffen und alles Geschaffene, das hat einen Anfang und ein Ende, ist vergänglich, auf den Menschen bezogen, er ist sterblich.

Aber Adam und Eva im Hinblick auf die Frage, wie die Geschichte weitergegangen wäre, hätten sie Gottes Gebot nicht übertreten? Vor dem Sündenfall. Man kann sich kaum vorstellen, Adam und Eva wären an Altersschwäche gestorben, wären überhaupt gealtert.

Der Kirchenvater Athanasius schreibt in seinem Psalmenkommentar zu Psalm 29, Vers 8:

V 8: Da wir also ohne Deine Kraft nicht einmal stehen können, so laß, indem Du wieder Deinen Willen erfüllest, die Schönheit meiner Seele leuchten. Das hoffte auch Adam, als er vor der Ueberlistung im Paradiese lebte, [...]

und hier ist die Frage, wie Adam überhaupt auf etwas hat "hoffen" können, denn "hoffen" setzt ein Zeitbewußtsein voraus, und hat er nicht zeit-los gelebt? In vollkommenem Einklang mit Gott?

Es kommt mir unmöglich vor, die Geschichte ohne den Sündenfall fortzuspekulieren ...




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Jörn Budesheim
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im Paradies stand, das habe ich mal gelesen, neben dem Baum der Erkenntnis der Baum des Lebens.




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Friederike
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Mi 11. Dez 2019, 11:45

Fein, ich hatte nämlich heute an an den Baum des Lebens anknüpfen wollen. Ich zitiere die beiden maßgeblichen Stellen:

Gen 3, 3: nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben.

Gen 3, 22: Dann sprach Gott, der Herr: Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt!

Es ist nicht völlig eindeutig, oder? Gen 22 läßt sowohl den Schluß zu, Adam und Eva seien erst nach dem Sündenfall sterblich geworden als auch den, sie seien es vor dem Sündenfall schon. Hm, und Gen 3 schreibt "sterben", was etwas anderes ist als "sterblich" sein.

Dennoch, meine Interpretationstendenz ist eher die, daß Adam und Eva vor dem Sündenfall unsterblich gedacht wurden. Besonders weil Gen 3 auf unsicherem Boden steht (Übersetzung).




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Jörn Budesheim
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Wenn Adam und Eva gestorben sind, dann waren sie auch nie unsterblich. Weder vor noch nach dem Sündenfall.




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"Vorhänge sind die Dolmetscher für die Sprache des Windes."

(Walter Benjamin)




Timelaios
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Mo 5. Okt 2020, 14:48

Von Denni Karavan gibt es eine Gedenkstätte und eine Publikation zu dessen Werk... .




Timelaios
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Di 6. Okt 2020, 10:19

Timelaios hat geschrieben :
Mo 5. Okt 2020, 14:48
Von De(n)ni Karavan gibt es eine Gedenkstätte und eine Publikation zu dessen Werk... .
Das mit dem Vornamen und/oder ISBN könnte ich nachreichen... :?:




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Jörn Budesheim
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Sa 6. Feb 2021, 14:58

  • Sprache ist mit-teilen, Kommunikation (die Sprache der Menschen ist nur ein Sonderfall der Sprache schlechthin)
  • Wesen ist das zeitlos gewesene, das was die Geschichte uns eingebracht hat
  • Alles hat Sprache, jedes Ding teilt sich mit
  • Alles teilt sich nach eigener Art mit
ich habe gerade diese Notizen gefunden und gedacht, das passt ja prima und wollte es posten - bis ich gesehen habe, dass es das hier ja schon gibt :)




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Alethos
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Sa 6. Feb 2021, 17:44

Ich stelle gerade fest, dass meine Ansichten so eigenwillig nicht sind. :)



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