»Alles im Universum ist entweder eine Ente oder nicht«

Hier geht es einerseits um die Erörterung logischer Grundstrukturen in der Philosophie und andererseits um Sprachanalyse als philosophische Methode, Theorien der Referenz und Bedeutung, Sprechakttheorien u.ä.
ahasver
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Do 8. Dez 2022, 08:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 7. Dez 2022, 14:07
ahasver hat geschrieben :
Mi 7. Dez 2022, 12:42
Eines Glaubensbekenntnisses, das logisch nicht haltbar ist, was zu tolerieren wäre, das aber zudem brandgefährlich für ein gutes Zusammenleben ist, was nicht mehr zu tolerieren ist.
Ohne Wahrheit könnte es natürlich auch keine Glaubensbekenntnisse geben und vor allem keine Logik, denn bei der Logik handelt es sich um die "Gesetze des Wahrseins"
Die Logik teilt Aussagen Werte zu. Diese Werte als >wahr< oder >falsch< zu bezeichnen ist höchstproblematisch und völlig ungerechtfertigt. Man könnte auch die Werte >richtig< oder >falsch< wählen oder ganz abstrakt 1 oder 0. An den jeweiligen Logiken würde das nichts ändern. Als wäre das noch nicht kompliziert genug, gibts auch noch mehrwertige Logiken.
Das Problem dieses Threads ist das "Tertium non datur".
Geht es nicht um reine Logik, sondern um die Empirizität der Logik kann nur eine Quantenlogik gültig sein. Das "Tertium non datur" kann dann nur noch eingeschränkt gelten.
Das philosophische Problem >Wahrheit< wird von allen Logiken gar nicht berührt.



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Jörn Budesheim
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Do 8. Dez 2022, 08:46

Nach wie vor erkenne ich nicht, wie deine Position zum Thema Wahrheit begründet ist. Ich kann auch nicht erkennen, was die Pointen der entsprechenden Beispiele sind, weil sie für mich überhaupt kein Problem der Wahrheit aufzeigen, wie zum Beispiel hier: "Ich spaziere entlang dem Ufer eines Teiches. Da hör ich ein Rascheln und seh die Schilfrohre zittern. Da ist wohl was! Jetzt ein Schnattern! Das müssen Enten sein. Und dann watscheln sie aus dem Schilf heraus ans Ufer." Vielleicht kannst du noch mal erläutern, wo sich hier ein Problem mit Wahrheit zeigt.




ahasver
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Do 8. Dez 2022, 18:08

Da hör ich ein Rascheln und seh die Schilfrohre zittern.

Es geht ums allmähliche Verfertigen der Realität beim Wahrnehmen.
Der klassisch denkende Realist geht davon aus, daß im Schilf entweder Enten sind oder nicht. Punktum. Tertium non datur. Ich aber neige zu einer weniger plumpen Sicht der Dinge:
Realität entsteht in einem Prozess, den schon Whitehead in >Prozess und Realität< ausführlich beschrieben hat. Whiteheads Sicht der Dinge und das nichtklassische Denken nutzend, das ich mit der Quantentheorie gelernt habe, drängt sich mir schon seit langem der immer stärker werdende Verdacht auf, daß es keine klassische Welt gibt, in der wir leben, sondern, daß wir unsere Lebenswelt, unser In-der-Welt-sein nichtklassisch beschreiben müssen. Demnach verstecken sich im Schilf keine faktischen, fertigen Enten, sondern in einem verallgemeinerten Pendant zum Hilbertraum der Quantenmechanik reduzieren sich Möglichkeiten, kristallisiert sich immer deutlicher werdend heraus, daß da tatsächlich Enten aus dem Schilf rauswatscheln werden. Das Enten-im-Schilf-Rumwatscheln war vor meinen Wahrnehmungen noch kein Element meiner nichtklassischen Lebenswelt. Es war lediglich möglich. Kein entweder oder. Die einen Möglichkeiten nehmen ab, die anderen zu. Schließlich wird die Möglichkeit >Enten wahrnehmen< durchschlagend. Hätte auch anders kommen können. Und da kommen sie dann auch schon leibhaftig und für alle sichtbar aus ihrem Versteck gewatschelt. Enten so wirklich wie ich selbst.



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Jörn Budesheim
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Do 8. Dez 2022, 19:01

ahasver hat geschrieben :
Do 8. Dez 2022, 18:08
Realität entsteht in einem Prozess, den schon Whitehead in >Prozess und Realität< ausführlich beschrieben hat.
Meines Erachtens wendest du dich zwar gegen eine bestimmte Sichtweise der Realität, aber nicht gegen die Wahrheit. Denn offenbar hältst Du einfach etwas anderes für wahr als diese Sichtweise.




ahasver
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Do 8. Dez 2022, 20:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 8. Dez 2022, 19:01
ahasver hat geschrieben :
Do 8. Dez 2022, 18:08
Realität entsteht in einem Prozess, den schon Whitehead in >Prozess und Realität< ausführlich beschrieben hat.
Meines Erachtens wendest du dich zwar gegen eine bestimmte Sichtweise der Realität, aber nicht gegen die Wahrheit. Denn offenbar hältst Du einfach etwas anderes für wahr als diese Sichtweise.
Ich verstehe deinen Einwand und kann ihn nicht entkräften. Denn, um ehrlich zu sein, weiß ich nicht was wir unter WAHRHEIT verstehen sollten.



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AufDerSonne
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Mi 14. Dez 2022, 19:30

Alles im Universum ist entweder Materie oder nicht. Dieser Satz könnte Sinn machen.
Als Gegenteil der Wahrheit würde ich eher die Falschheit sehen, nicht den Irrtum.

Begriff engen uns ein. Das ist sehr gefährlich. Ohne Begriffe keine Wissenschaft. Und hat uns die Wissenschaft eingeengt?
Ich denke, Begriffe engen uns erst einmal ein, machen uns aber im Endeffekt freier.
Und kommt das Argument vom Einengen nicht ein wenig daher, dass es mühsam ist, Begriffe zu verstehen?



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ahasver hat geschrieben :
Do 8. Dez 2022, 20:00
Denn, um ehrlich zu sein, weiß ich nicht was wir unter WAHRHEIT verstehen sollten.
Man könnte ein paar Definitionen versuchen. Oft versteht man nicht, was Wahrheit ist, weil man sehr viel in diesen Begriff hineinlegt. Er wird ins Unsinnige aufgeblasen, um ihn dann zurückzuweisen.

Aus dem Bauch heraus bieten sich zwei Definitionen an:
  • Übereinstimmung von Satz und Sachverhalt (empirische Wahrheit)
  • Von empirischen Sachverhalten unabhängige logische Wahrheit (Tautologie)
Beide Definitionen kann man kritisieren oder sie durch zusätzliche Aspekte ergänzen.




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Lucian Wing
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Sa 4. Feb 2023, 13:24

Pseudonym hat geschrieben :
Sa 4. Feb 2023, 13:01
ahasver hat geschrieben :
Do 8. Dez 2022, 20:00
Denn, um ehrlich zu sein, weiß ich nicht was wir unter WAHRHEIT verstehen sollten.
Man könnte ein paar Definitionen versuchen. Oft versteht man nicht, was Wahrheit ist, weil man sehr viel in diesen Begriff hineinlegt. Er wird ins Unsinnige aufgeblasen, um ihn dann zurückzuweisen.
Meine Rede. Lieber ans Adjektiv halten, dann fallen einige Scheinprobleme weg.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Mi 8. Feb 2023, 16:43

Pseudonym hat geschrieben :
Sa 4. Feb 2023, 13:01
  • Übereinstimmung von Satz und Sachverhalt (empirische Wahrheit)
Übereinstimmung in welcher Hinsicht? Wenn wir die ontologische Wahrheit für den Augenblick beiseite lassen, dann scheint mir diese gängige Formulierung angemessen: Die Ansicht 'p' ist wahr, gdw. p.




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Mi 8. Feb 2023, 17:24

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Feb 2023, 16:43
Die Ansicht 'p' ist wahr, gdw. p.
Ja, darauf läuft es dann hinaus. Wobei hier die Differenz von Satz und Sachverhalt auf sprachlicher Ebene reproduziert wird durch das Spiel von Erwähnung und Gebrauch. Das trifft die Sache nicht wirklich, ist aber das Beste, was die Sprache diesbezüglich hergibt.




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Feb 2023, 17:57

Ich wollte gerade nicht auf Sätze hinaus, und ich bin mir auch nicht sicher, ob "Ansicht" der richtige Ausdruck ist. Wahrscheinlich braucht man einen abstrakteren Begriff, der mehr Fälle abdeckt. Ein Beispiel: Ich gehe durch die Stadt und sehe, wie ein Dieb einen blinden Bettler beklaut. Das Gefühl der Empörung hat meiner Meinung nach eine propositionale Struktur und ist daher ein Kandidat für Wahrheit oder Falschheit.

Aber der Begriff der Wahrheit geht meiner Meinung nach noch weiter, im Grunde ist es nur eine abstrakte Struktur, die "sagt", dass etwas so und so ist.




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Mi 8. Feb 2023, 20:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Feb 2023, 17:57
Das Gefühl der Empörung hat meiner Meinung nach eine propositionale Struktur und ist daher ein Kandidat für Wahrheit oder Falschheit.
Das leuchtet mir nicht ein. Ich würde vielmehr formulieren: Die Tatsache, dass ich empört bin, hat eine propositionale Struktur. Somit ist es wahr oder falsch, dass ich empört bin. Die Empörung selbst ist in meinen Augen keine Proposition. Es fehlt das Prädikat zum Subjekt. Oder anders gesagt: nach meinem Verständnis sind nur vollständige Aussagesätze wahrheitsfähig, keine Begriffe. Sätze artikulieren Beziehungen, und diese Beziehungen bestehen oder bestehen nicht.




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Jörn Budesheim
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Mi 8. Feb 2023, 20:28

Die Empörung hat durchaus eine propositionale Struktur. Wir haben einen Gegenstand, nämlich den Diebstahl, dem ein Prädikat zugeordnet wird, nämlich dass es ungerecht/empörend ist.




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Do 9. Feb 2023, 08:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 8. Feb 2023, 20:28
Die Empörung hat durchaus eine propositionale Struktur. Wir haben einen Gegenstand, nämlich den Diebstahl, dem ein Prädikat zugeordnet wird, nämlich dass es ungerecht/empörend ist.
Nun ist es ja auch wieder ein vollständiger Satz: Der Diebstahl ist empörend. Dieser Satz ist dann wahr oder falsch. Das Prädikat alleine ist nicht wahrheitsfähig.




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Jörn Budesheim
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Do 9. Feb 2023, 08:55

Eine Empörung ist nicht nur ein Prädikat, man ist schließlich immer über etwas empört. Dass ich versuchen kann, eine Empörung ebenfalls mit einem Satz auszudrücken, spricht nicht dagegen, dass die Emotion ihrerseits eine propositionale Struktur hat.




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Do 9. Feb 2023, 14:20

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 9. Feb 2023, 08:55
Eine Empörung ist nicht nur ein Prädikat, man ist schließlich immer über etwas empört.
Gilt das nicht für jedes Prädikat? Ein Prädikat ist ja immer eine Eigenschaft (oder Gattung) von etwas. Dennoch ist das Prädikat allein, ohne dieses Etwas, kein wahrheitsfähiger Satz.




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Jörn Budesheim
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Das ist aber hier nicht der Fall, dafür habe ich weiter oben ein Beispiel gegeben (der blinde Bettler wird bestohlen). Die Emotion hat dabei eine klare propositionale Struktur: E(x), wobei x in diesem Fall der Tatbestand des Diebstahls ist, wobei man sich aber natürlich auch über anders empören kann.




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AufDerSonne
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Do 9. Feb 2023, 17:59

Wie ist es mit der Wahrheit, wenn man die Welt in Materielles und Nicht-Materielles unterteilt?
Bei materiellen Gegenständen sagen wir sofort, es ist wahr, dass da ein Gegenstand ist.

Problematisch wird das mit der Wahrheit doch immer erst bei Nicht-Materiellen Gegenständen.
Zum Beispiel bei Empörung. Aber auch etwa bei Wille, Vernunft usw.
War ein Wille vorhanden bei dieser Tat? War dieser Mensch empört? War das vernünftig?
Da kommen dann immer die Probleme, ob etwas wahr ist oder nicht.



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 9. Feb 2023, 14:44
Das ist aber hier nicht der Fall, dafür habe ich weiter oben ein Beispiel gegeben (der blinde Bettler wird bestohlen). Die Emotion hat dabei eine klare propositionale Struktur: E(x), wobei x in diesem Fall der Tatbestand des Diebstahls ist, wobei man sich aber natürlich auch über anders empören kann.
Und meine Gegenrede war, dass man, wenn man denn möchte, jedem beliebigen Prädikat eine propositionale Struktur unterschieben kann. Das ist ja nicht verboten. Es stellt sich aber die Frage nach dem Sinn dieses Manövers.
AufDerSonne hat geschrieben :
Do 9. Feb 2023, 17:59
Wie ist es mit der Wahrheit, wenn man die Welt in Materielles und Nicht-Materielles unterteilt?
Bei materiellen Gegenständen sagen wir sofort, es ist wahr, dass da ein Gegenstand ist.

Problematisch wird das mit der Wahrheit doch immer erst bei Nicht-Materiellen Gegenständen.
Zum Beispiel bei Empörung. Aber auch etwa bei Wille, Vernunft usw.
War ein Wille vorhanden bei dieser Tat? War dieser Mensch empört? War das vernünftig?
Da kommen dann immer die Probleme, ob etwas wahr ist oder nicht.
Unter nicht materiellen Gegenständen würde ich nicht unbedingt Empfindungen verstehen. Ich denke da eher an so Sachen wie Zahlen, platonische Ideen etc. Aber sei's drum.
Warum sollte es bei psychischen Phänomenen (um es einmal so zu nennen) problematisch mit der Wahrheit werden? Hier tritt an die Stelle der Empirie die Evidenz. Zwar fehlt dieser Evidenz in einer gewissen Weise der intersubjektive Charakter. Das beeinträchtigt aber nicht den Wahrheitsgehalt dieser Erlebnisse für die jeweilige Person, die eben diese Erlebnisse hat. Für den Richter allerdings, der die Tat nachträglich zu bewerten hat, schaut die Sache wieder anders aus.




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Jörn Budesheim
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Pseudonym hat geschrieben :
Fr 10. Feb 2023, 08:20
Und meine Gegenrede war, dass man, wenn man denn möchte, jedem beliebigen Prädikat eine propositionale Struktur unterschieben kann. Das ist ja nicht verboten. Es stellt sich aber die Frage nach dem Sinn dieses Manövers.
Deswegen schreibe ich, welches die Struktur der Empörung ist: Sie "pickt" etwas "besonderes" raus und weist ihm das allgemeine Prädikat zu. Und das ist eben die propositionale Struktur. Bei Emotionen ist das in der Regel so, so haben eine propositionale Struktur.




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