Das harmlose Ist-Wort

Hier geht es einerseits um die Erörterung logischer Grundstrukturen in der Philosophie und andererseits um Sprachanalyse als philosophische Methode, Theorien der Referenz und Bedeutung, Sprechakttheorien u.ä.
Hermeneuticus
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Segler hat geschrieben :
Mo 18. Sep 2017, 09:45
Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 18. Sep 2017, 08:12


Wenn ich dieser Versuchung widerstehe, sage ich: Über "Nicht-Seiendes" lassen sich keine wahren affirmativen Aussagen machen.
Bestreitest Du, dass der Satz "Einhörner existieren nicht." eine wahre affirmative Aussage ist?
Es handelt sich doch offenbar um eine negative Aussage, die man äquivalent umformen kann in: "Einhörnern kommt das Prädikat 'existieren' nicht zu". Formalisieren lässt sich das entweder so: "(x): ~Fx" (lies: "für alle x: nicht Fx") oder so: "~(Ex): Fx" (lies: "für kein x: Fx").

Es ist doch auch eigentlich klar, dass einem Nichts kein Prädikat zukommt bzw. dass es keine "Eigenschaften" haben kann. Also ist keine wahre bejahende Aussage über Nichts möglich. (Außer vielleicht bei Heidegger: "Das Nichts nichtet.") :-)

Aber auch über Nichtseidendes kann man mindestens eine wahre Aussage machen, nämlich dass es nicht existiert.
Das ist aber 1. eine negative Aussage und 2. tautologisch, also nichtssagend wie etwa "Das Nicht-Rote ist nicht rot."

Die Diskussion geht aber darum, ob "existieren" überhaupt ein sinnvolles Prädikat sei, d.h. ob damit überhaupt etwas Sinnvolles oder Nicht-Selbstverständliches ausgesagt wird. Informationstheoretisch betrachtet, besteht die Minimal-Information in genau einem Unterschied. Nun haben wir im Verlauf der Diskussion einhellig festgestellt, dass sich der Unterschied zwischen "existent" und "nicht-existent" nicht explizieren lässt, dass also kein Kriterium für ihre Unterscheidung existiert. Somit ist die Informationsmenge des Prädikats/der Eigenschaft "existent" = 0.




Segler
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Mo 18. Sep 2017, 21:34

Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 18. Sep 2017, 10:29


Die Diskussion geht aber darum, ...
Hier liegt das Grundproblem dieser Diskussion. Es gibt abweichende Ansichten darüber, worum es eigentlich geht. In der Folge wird aneinander vorbei argumentiert.


Soll die Diskussion fruchtbar werden, müssen wir zuerst sämtliche Grundannahmen und Prämissen klären. Anders wird das nichts.




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Alethos
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Di 19. Sep 2017, 12:01

Es war mit Absicht, dass ich das Thema
nicht unnötig eingegrenzt habe auf ein bestimmtes Argument oder auf eine Prämisse. Ich denke, dass sich über das Ist und die logischen Impliktionen auch so diskutieren lässt. Aber ich bin auch nicht sehr forumserprobt.

Worum es mir persönlich geht, hier nochmal verdeutlicht:

Existenz ist kein Faktum, sondern die Bedingung für Faktizität.

Nichtexistenz und Existenz sind beide wahr, wobei die Wahrheit von Nichtsein nicht sinnvoll behandelt werden kann. Nichts ist eben keine leere Menge, sondern schlicht in Sprache nicht sinnvoll auszudrücken.

Existenz ist als Bedingung von Faktizität das unwesentliche Merkmal von Gegenständen, da es jedem Gegenstand überhaupt in gleicher Weise zukommt: einem Apfel, einer Idee, einer unwahren Aussage, einem Geistesblitz. Sie ist die Bedingung ohne die überhaupt ein Gegenstand nie wäre, aber sie ist zugleich nur die Bedingung der
Möglichkeit von Gegenständlichkeit und daher nur unwesentlich. Existenz beinhaltet sich nicht selbst als Gegenstand, sondern liefert die Realisierbarkeit von Gegenständlichkeit. Wir sagen aber: Der Apfel existiert. oder Der Kaffee auf meinem Morgenrisch existiert. Aber ist das korrekt ausgedrückt?

Denn wir sagen doch von einem Gegenstand, er sei so und so beschaffen. Diese Beschaffenheit (Eigenschaft) ist das Wesentliche eines Dings, was einem Gegenstand zukommt. Die Eigenschaften eines Gegenstands sind seine Präsenz für uns, und der Begriff seine Essenz für uns. Es kommt dort auf dem Morgentisch dann aber keine Tasse zur Existenz oder eine Existenz zur Tasse, sondern es west dort eine Fülle von Eigenschaften, die wir mit einem Begriff erfassen, den wir Tasse nennen.

Nun drücken wir diese Eigenschaftlichkeit prädikativ aus und sagen z.B.: Der Schnee ist weiss. Weisssein ist ein konstitutives Wesensmerkmal von Schnee wie kalt oder kristallin. Wir können ein Ding also gar nicht ohne seine Eigenschaftlichkeit denken. Für diesen Seinsmodus der Eigenschaften verwenden wir nun ein flaches Ist. Wir beschreiben also die Eigenschaften zu einem Ding mit einem Ist, so als würden wir der Substanz, hier Schnee, eine Eigenschaft anhängen durch das dieses Etwas zu diesem etwas so Bezeichneten würde. Dabei ist das, was wir begreifen, durch seine Eigenschaftlichkeit das, was es für uns ist. Das heisst die Eigenschaft ist das identifizierende Attribut eines Gegenstands.

Nun verwenden wir eben diesen flachen Seinsmodus in Form eines Ist für Eigenschaftlichkeit. Und ich frage mich, ob wir damit wirklich einem höheren
Anspruch auf Seinsbeschreibung einen Dienst erweisen. Denn Ist als Ausdruck dafür, dass etwas existiert, z.B. das Rotsein einer Rose, müsste sich gerade nicht auf die Ebene des Wesentlichen beziehen, auf die Substanz, sondern auf die Bedingung von Eigenschaftlichkeit überhaupt. Nun wäre es aber komisch, wenn wir sagen müssten, die Rose röselt
und rötet :)

Ich will sagen, Existenz ist überhaupt kein logisches Prädikat, da Existenz selbst nicht existiert. Sie ist die ontologische Voraussetzung für Wesentlichkeit. Aber ich denke, dass unsere Sprache dieser Wesentlichkeit semantisch nicht gerecht wird. Wir müssen uns zum Zweck eines pragmatischen Sprachgebrauchs vielleicht auf diese simplifizierenden Verwendungsweisen von Ist einstellen, aber wir sollten nicht vergessen, das Wie des Was stets mitzudenken.

Mir ist bewusst, dass ich hier mit Essenz und Eigenschaftlichkeit problematische Begriffe in die Diskussion bringe.



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Segler
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Di 19. Sep 2017, 12:37

Alethos hat geschrieben :
Di 19. Sep 2017, 12:01


Ich will sagen, Existenz ist überhaupt kein logisches Prädikat, da Existenz selbst nicht existiert. Sie ist die ontologische Voraussetzung für Wesentlichkeit.
Wie kann etwas nicht existierendes Voraussetzung für etwas sein?




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Alethos
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Di 19. Sep 2017, 12:45

Segler hat geschrieben :
Di 19. Sep 2017, 12:37
Alethos hat geschrieben :
Di 19. Sep 2017, 12:01


Ich will sagen, Existenz ist überhaupt kein logisches Prädikat, da Existenz selbst nicht existiert. Sie ist die ontologische Voraussetzung für Wesentlichkeit.
Wie kann etwas nicht existierendes Voraussetzung für etwas sein?
Existenz existiert nur in der Wesentlichkeit, die sie ermöglicht. Existenz wird durch die Wesentlichkeit der Gegenstände 'repräsentiert', aber sie existiert nicht selbst als Wesentlichkeit, so dass man sagen könnte, Existenz exisitiere.



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Hermeneuticus
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Sa 23. Sep 2017, 12:10

Alethos hat geschrieben :
Di 19. Sep 2017, 12:01
Ich will sagen, Existenz ist überhaupt kein logisches Prädikat, da Existenz selbst nicht existiert. Sie ist die ontologische Voraussetzung für Wesentlichkeit. Aber ich denke, dass unsere Sprache dieser Wesentlichkeit semantisch nicht gerecht wird. Wir müssen uns zum Zweck eines pragmatischen Sprachgebrauchs vielleicht auf diese simplifizierenden Verwendungsweisen von Ist einstellen, aber wir sollten nicht vergessen, das Wie des Was stets mitzudenken.
Wenn ich Dich richtig verstanden habe, bin ich mit dem Verstandenen auch einverstanden. :-) Aber mir scheint, Du fokussierst Dich zu sehr auf einzelne Ausdrücke oder Begriffe. Du scheinst von unserer Sprache zu erwarten, dass sie auf einen Schlag, mit einem angemessenen Wort der Komplexität der Dinge gerecht wird bzw. das komplexe Sein der Dinge repräsentiert oder abbildet. Genau aus dieser hochgespannten Erwartung heraus bist Du enttäuscht von dem simplen, blassen Wörtchen "ist", mit dem wir - quasi mechanisch - einzelne Prädikate an Gegenstände heften oder - im Fall der Negation - davon abziehen. Du nennst diese simple Funktionsweise unserer Sprache "pragmatisch" im abwertenden Sinne. Damit drückst Du Resignation aus, seufzende Abfindung mit dem Zweit- oder Drittbesten, weil das Eigentliche, das Du gern hättest, nicht verfügbar ist... :-)

Aber vielleicht sind Deine Erwartungen überspannt? Vielleicht gehen sie einfach an die falsche Adresse? Denn es mag ja sein, dass unsere einzelnen Sätze primitiv und grob gestrickt sind, aber wir müssen ja nicht alles in einem Satz sagen, müssen nicht die Komplexität der Dinge in einem Prädikat bündeln. Wir können viele Sätze bilden und so die Komplexität des "Seins" nach und nach, also diskursiv entfalten oder auslegen. Und dabei steht es uns frei, die Dinge oder Sachverhalte, von denen wir sprechen, in vielerlei Facetten zu beleuchten oder zu schattieren, sie mal gegen dies, mal gegen jenes abzugrenzen oder sie in unterschiedliche Zusammenhänge einzubinden. Die Wörter und Sätze, die wir dabei verwenden, dürfen - für sich genommen - ruhig simpel sein; das schadet nicht. Bedeutend ist vielmehr, ob wir in unserer Rede die Zusammenhänge und nötigen Differenzierungen immer mit anklingen lassen, damit der Sachverhalt, den wir jeweils angemessen darstellen wollen, nicht blass, abstrakt, banal "rüberkommt".

Dafür benötigt man keine Wort-Ungetüme und Neologismen, muss der Sprache keine Gewalt antun, ihr nicht etwas abpressen, das sie nicht leisten kann. Relax! Stay cool! Lean back! 'Cause:
Nice 'n Easy does it... everytime.
8-)





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Sa 23. Sep 2017, 13:14

Ja, Relaxtheit ist sicherlich kein Attribut, das mein Dasein am besten beschreibt :) Ich bin auch der Meinung, dass man diskursiv vorgehen kann und nicht jeden Satz 'überfrachten' muss. Ein einzelner Satz muss aber auch für sich selbst genommen richtig sein und nicht allein in der funktionalen Einbettung in ein diskursives Ganzes. Das macht simple Sätze schwierig :)

Es stimmt schon, dass meine Erwartungen an Sprache überspannt sind, diese Überspannung kann unproduktiv wirken. D'accord. Aber sie kann auch produktiv wirken. Neologismen und poetische Konstrukte, metaphorische Krücken etc. helfen auch nicht wirklich weiter. Das mag so sein und ist wahrscheinlich so. Aber es geht mir um mehr, nämlich um eine Objektivierung von Wahrheit in Sprache :) Ich möchte versuchen durch einen bewussteren Umgang mit Sprache und unserer Verwendung von ihr einen objektiven Wahrheitsgehalt von Gedanken zu schaffe , der Eigentum von vielen werden kann. Das lehnt sich an Jörns Zitat von Frege an:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 06:24
Frege hat geschrieben : „Ich verstehe unter Gedanken nicht das subjektive Tun des Denkens, sondern dessen objektiven Inhalt, der fähig ist, gemeinsames Eigentum von vielen zu sein.
Wenn wir in Sprache und durch Sie Gedanken produzieren, so ist eine akkurate Verwendung sicherlich anzustreben, wenn diesen Gedanken Wahrheitsgehalt zukommen soll. Aber Wahrheit stellt sich doch auch dort nur ein, wo Aussagen sich in grösstmöglicher Übereinstimmung mit den Gegenständen befinden, die sie betreffen.

Wenn wir also z.B. von Existenz sprechen, aber Gegenstände meinen, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass Gegenstände und ihre Existenz nicht dasselbe meinen. Und wir sollten uns darauf konzentrieren zu untersuchen, was dieses Sein der Dinge eigentlich ausmacht.



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Sa 23. Sep 2017, 21:16

Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 13:14
Und wir sollten uns darauf konzentrieren zu untersuchen, was dieses Sein der Dinge eigentlich ausmacht.
Das wird nichts. "Existenz" ist ein Grundbegriff.
Grundbegriffe sind nicht definierbar. Daher ist es unter Philosophen beliebt, den Diskurspartner aufzufordern seine Begriffe, unter denen naturgemäß auch Grundbegriffe sind, zu definieren. Da der Diskurspartner diese Grundbegriffe nicht definieren kann, glaubt der Fragesteller, überlegen zu sein. Da irrt er allerdings. Er ist einfach nur zu dumm, um die Undefinierbarkeit zu erkennen.

Jedem ist klar, was mit Existenz gemeint ist. Definieren kann man Existenz trotzdem nicht. Es ist eben ein Grundbegriff.
Das Problem tritt auch in den Naturwissenschaften auf. Man frage nach einer Definition für Zeit, Raum oder Masse. Da hat der Physiker die gleichen Probleme wie der Philosoph mit der Existenz.

Richtig schräg wird es, wenn "Philosophen" auftreten, die Definierbarkeit als Voraussetzung für Existenz postulieren. Die haben entweder irgendetwas nicht begriffen oder sie sind bösartig. Beides spricht nicht gerade für sie.




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Sa 23. Sep 2017, 21:36

Ich habe nirgends jemanden aufgefordert, einen Begriff zu definieren. Ich glaube übrigens nicht an nicht definierbare Grundbegriffe. Und auch verfolge ich nicht die Taktik, jemanden durch meine Fragen in eine Falle zu locken und blosszustellen. Entweder habe ich dich jetzt also falsch verstanden oder du mich: aber auf diesem Pfad kommen wir nicht weiter.

Worum es mir geht, habe ich darzulegen versucht: ums Denken über Gegenständlichkeit, um Wahrheit, um Sprache.



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Sa 23. Sep 2017, 22:55

Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 21:36
Ich glaube übrigens nicht an nicht definierbare Grundbegriffe.
Dann definiere doch "Existenz". :-)




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Sa 23. Sep 2017, 23:49

Sein eines Seienden 😁



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Sa 23. Sep 2017, 23:58

Auch Heidegger hat in SuZ festgehalten, dass sich Sein nicht als Allgemeinbegriff definieren lässt, also nicht als Oberbegriff alles Seienden denkbar ist. Daher war mein Definitionsvorschlag der folgende: Existenz (Sein) ist die Bedingung für Gegenständlichkeit (Seiendes), selbst aber unwesentlich (nicht das Seiende des Seienden).

"»Sein« kann nicht so zur Bestimmtheit kommen, daß ihm Seiendes zugesprochen wird. Das Sein ist definitorisch aus höheren Begriffen nicht abzuleiten und durch niedere nicht darzustellen. Aber folgt hieraus, daß »Sein« kein Problem mehr bieten kann? Mitnichten; gefolgert kann nur werden: »Sein« ist nicht so etwas wie Seiendes. Daher ist die in gewissen Grenzen berechtigte Bestimmungsart von Seiendem – die »Definition« der traditionellen Logik, die selbst ihre Fundamente in der antiken Ontologie hat – auf das Sein nicht anwend- bar. Die Undefinierbarkeit des Seins dispensiert nicht von der Frage nach seinem Sinn, sondern fordert dazu gerade auf" - Martin Heidegger, Sein und Zeit, S. 4



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So 24. Sep 2017, 09:29

Segler hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 21:16
"Existenz" ist ein Grundbegriff.
Grundbegriffe sind nicht definierbar. Daher ist es unter Philosophen beliebt, den Diskurspartner aufzufordern seine Begriffe, unter denen naturgemäß auch Grundbegriffe sind, zu definieren. Da der Diskurspartner diese Grundbegriffe nicht definieren kann, glaubt der Fragesteller, überlegen zu sein. Da irrt er allerdings. Er ist einfach nur zu dumm, um die Undefinierbarkeit zu erkennen.
Ich glaube nicht, dass der Begriff "definieren" für alle Fälle eine ganz einheitliche Bedeutung hat. Wenn man jemand auffordert, einen bestimmten Begriff zu definieren, kann das manchmal einfach heißen, dass man den anderen bittet, wenigstens in groben Zügen das Verständnis des Begriffes darzulegen. Nehmen wir ein Beispiel. Vielleicht ist Wahrheit einer der Grundbegriffe, die nicht zu definieren sind. Dennoch kann es zu etwas führen, den anderen zu bitten, den Begriff zu definieren, sprich zu erläutern. Der eine geht vielleicht von einem ontischen WahrheitsBegriff aus, während der Andere meint, es gäbe nur so etwas wie Aussagenwahrheit.

Mit "existieren" ist es offensichtlich ähnlich. Ist der Begriff grundlegend und undefinierbar? Wie auch immer die Antwort darauf lautet, ganz offensichtlich gibt es in diesem Forum - und nicht nur hier - ganz unterschiedliche Auffassungen, darüber was der Begriff besagt.

Ich bin z.b., wie du weißt, der Ansicht, dass man den Begriff existieren so fassen muss, dass darunter auch Tatsachen, Zahlen, Farben, fiktionale Figuren und einiges mehr fallen. Andere hingegen könnten meinen, dass letztendlich nur diejenigen Dinge existieren, die unsere besten Naturwissenschaften, spricht die Physik untersuchen.

Manche Philosophen verlangen nachgerade reflexhaft vor jeder Diskussion eine fein säuberliche Definition aller darin verwendeten Begriffe. Ich selbst halte das weder für grundsätzlich wünschenswert, noch für grundsätzlich zielführend, noch generell für möglich. Das ändert aber meines Erachtens nichts daran, dass man versuchen kann, zu erläutern, wie man die jeweiligen Begriffe verwendet, manchmal genügen auch Fingerzeige oder Beispiele ...

Die berühmten "was ist X fragen" müssen meines Erachtens auch nicht immer auf eine Definition hinauslaufen.




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Wittgenstein hat geschrieben : Was den philosophischer Betrachter unserer Sprache am meisten befremdet, ist der Unterschied zwischen Sein und Schein.




Segler
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So 24. Sep 2017, 09:50

Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 23:58
Daher war mein Definitionsvorschlag der folgende: Existenz (Sein) ist die Bedingung für Gegenständlichkeit (Seiendes),
Definiert das wirklich Existenz?

Ist es eine Definition von Masse, zu sagen, Masse sei die Bedingung für Gravitation, ohne selbst Gravitation zu sein? Damit beschreibe ich doch nur eine Wirkung. Reicht das als Definiens?




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So 24. Sep 2017, 12:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 09:29

Ich glaube nicht, dass der Begriff "definieren" für alle Fälle eine ganz einheitliche Bedeutung hat. Wenn man jemand auffordert, einen bestimmten Begriff zu definieren, kann das manchmal einfach heißen, dass man den anderen bittet, wenigstens in groben Zügen das Verständnis des Begriffes darzulegen. Nehmen wir ein Beispiel. Vielleicht ist Wahrheit einer der Grundbegriffe, die nicht zu definieren sind. Dennoch kann es zu etwas führen, den anderen zu bitten, den Begriff zu definieren, sprich zu erläutern. Der eine geht vielleicht von einem ontischen WahrheitsBegriff aus, während der Andere meint, es gäbe nur so etwas wie Aussagenwahrheit.

Mit "existieren" ist es offensichtlich ähnlich. Ist der Begriff grundlegend und undefinierbar? Wie auch immer die Antwort darauf lautet, ganz offensichtlich gibt es in diesem Forum - und nicht nur hier - ganz unterschiedliche Auffassungen, darüber was der Begriff besagt.

Ich bin z.b., wie du weißt, der Ansicht, dass man den Begriff existieren so fassen muss, dass darunter auch Tatsachen, Zahlen, Farben, fiktionale Figuren und einiges mehr fallen. Andere hingegen könnten meinen, dass letztendlich nur diejenigen Dinge existieren, die unsere besten Naturwissenschaften, spricht die Physik untersuchen.
Für den ersten Schritt reicht es zwischen Nominal- und Realdefinitionen zu unterscheiden.

Nominaldefinitionen sind Setzungen, die einer Begründung nicht bedürfen. Das findet man häufig in den Gesellschaftswissenschaften. Begriffe werden willkürlich mit einer Bedeutung verbunden. Solche Definitionen sind subjektiv. Man kann dem Begriff auch eine völlig andere Bedeutung zuweisen. So wird der Begriff der Depression auch in der Psychologie verwendet. Dort bedeutet er etwas völlig anderes als in den Wirtschaftswissenschaften.

Beispiel: Als Depression wird hier ein anhaltendes Konjunkturtief mit der Tendenz zur Verstetigung bezeichnet.

Realdefinitionen müssen das Definiendum hinreichend genau beschreiben. Solche Definitionen sind intersubjektiv. Man kann sie nicht zurückweisen, ohne sich dem Vorwurf der Irrationalität auszusetzen.

Beispiel: Der Mensch ist ein zweibeiniges, sprachbegabtes Säugetier.


Grundbegriffe sind dadurch gekennzeichnet, dass sich keine Realdefinition für sie finden lässt. Nominaldefinitionen sind dagegen möglich. Genau das führt zu dem Eindruck, dass jeder etwas anderes darunter verstehe.

Gerade die ach so präzise Physik arbeitet mit Gegenständen, die es überhaupt nicht gibt. Beispiele dafür sind Ideale Gase, reibungsfreie Ebenen, dimensionslose Massen und dergleichen mehr. Es handelt sich hier um Idealisierungen, die dazu dienen, Berechnungen zu vereinfachen, indem man Nebenbedingungen, die realiter immer vorhanden sind, ausschließt.




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??? (Ist der Beitrag an mich adressiert?)




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Segler hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 09:50
Definiert das wirklich Existenz?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 09:29
Ich glaube nicht, dass der Begriff "definieren" für alle Fälle eine ganz einheitliche Bedeutung hat. Wenn man jemand auffordert, einen bestimmten Begriff zu definieren, kann das manchmal einfach heißen, dass man den anderen bittet, wenigstens in groben Zügen das Verständnis des Begriffes darzulegen.
Wir haben wirklich keine eindeutige Definition von Definition :) Wir können eine Definition definieren als Oberbegriff für alle darunterfallenden Begriffe. So interpretiert verstehen wir unter Definition eine logische Funktion. Einer Aussagen wird durch die Funktion ein Wahrheitswert zugeschrieben oder nicht.

Eine Definition kann aber auch eine Umschreibung sein, eine Abgrenzung von anderen Begriffen, ein iterativer Prozess. Und wenn Existenz oder Wahrheit solche Grundbegriffe sind, die wir diskursiv und beschreibend, umschreibend gemeinsam erarbeiten können, dann spricht nichts dagegen, ein paar Versuche zu wagen. Sie erhalten dadurch einen intersubjektiven Wert und es lässt sich mit ihnen weiterarbeiten.



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Segler hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 09:50
Alethos hat geschrieben :
Sa 23. Sep 2017, 23:58
Daher war mein Definitionsvorschlag der folgende: Existenz (Sein) ist die Bedingung für Gegenständlichkeit (Seiendes),
Definiert das wirklich Existenz?

Ist es eine Definition von Masse, zu sagen, Masse sei die Bedingung für Gravitation, ohne selbst Gravitation zu sein? Damit beschreibe ich doch nur eine Wirkung. Reicht das als Definiens?
Ich sehe hier keine wirkliche Korrelation zwischen meiner Definition und der hier präsentierten Analogie. Masse und Gravitation sind beides Seiendes, nicht das eine Sein und das andere Seiendes. Seiend ist auch keine Wirkung von Sein, sondern dasjenige, was in Sein vorkommt. Das Sein "ist" das existenziale Medium, durch das Gegenständlichkeit überhaupt vorkommen kann. So wie Zeit oder Raum nicht Seiendes der Sinnlichkeit sind, sondern die der sinnlichen Erfahrung vorgehende Bedingungen der Möglichkeit für Sinnlichkeit überhaupt sind, so ist Existenz die Bedingung der Möglichkeit von Seiendem.

Ich werfe diesen Versuch einer Beschreibung aber auch nur in die Runde zur weiteren möglichen Bearbeitung, möge sich eine erfolgreichere Umschreibung finden :)



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Alethos hat geschrieben :
Sa 2. Sep 2017, 11:52
Mir liegt daran, etwas über euer Verständnis des Wortes 'Ist' zu erfahren.
Wie verwendet ihr es, was sagt es euch, wenn ihr es lest, wie stehen die Dinge und ihr 'ist' für euch in Zusammenhang.

Ich verwende das Wort 'Ist' , im Sinne von Sein ( Wann 'ist' etwas!) , vorzugsweise im Zusammenhang mit der Zeitpräferenz (auch Gegenwartspräferenz) ...

  • Zeitpräferenz (Volkswirtschaft)
    Die Zeitpräferenz (auch Gegenwartspräferenz) ist ein Konzept der Volkswirtschaftslehre und beschreibt dort, insbesondere in der Mikroökonomie, die Präferenz von Konsumenten, Konsum in der Gegenwart gegenüber künftigem Konsum vorzuziehen. Allgemeiner ausgedrückt bestimmt die Zeitpräferenz, zu welchem Zeitpunkt ein Individuum den Konsum eines bestimmten Guts vorzieht, wenn es die Wahl zwischen mehreren möglichen Zeitpunkten hat (intertemporale Entscheidung).

    In der Regel nimmt man an, dass ein Konsument ein Gut lieber in der Gegenwart als in der Zukunft genießen möchte.Dieser Fall einer positiven Zeitpräferenz liegt den meisten ökonomischen Modellen zugrunde. Es ist aber prinzipiell auch denkbar, dass eine Person ein Gut erst später konsumieren möchte (vgl. Vorfreude).
Segler hat geschrieben :
So 24. Sep 2017, 12:36

Realdefinitionen müssen das Definiendum hinreichend genau beschreiben. Solche Definitionen sind intersubjektiv. Man kann sie nicht zurückweisen, ohne sich dem Vorwurf der Irrationalität auszusetzen.

Beispiel: Der Mensch ist ein zweibeiniges, sprachbegabtes Säugetier.

So würde ich übrigens schon sagen , dass man eine solche Zeitpräferenz (auch Gegenwartspräferenz) des Menschen nicht zurückweisen kann , ohne sich dem Vorwurf der Irrationalität auszusetzen.

Beispiel: Der Mensch .. "ist" .. ein zweibeiniges, sprachbegabtes Säugetier, dass ein Gut lieber in der Gegenwart, als in der Zukunft genießen möchte.




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