Begriffs-Realismus

Hier geht es einerseits um die Erörterung logischer Grundstrukturen in der Philosophie und andererseits um Sprachanalyse als philosophische Methode, Theorien der Referenz und Bedeutung, Sprechakttheorien u.ä.
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Jörn Budesheim
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Mo 17. Jun 2024, 17:46

In der Information-Philosophie von 2|2018 wird ein Buch von Andreas Kemmerling mit dem Titel “Glauben - Essay über einen Begriff” ausführlich vorgestellt. Dabei geht es nicht um “den Glauben” (im religiösen Sinn), sondern um “das Glauben” im Sinne von “für wahr halten”. Im Anschluss an die Buchvorstellung wird Kemmerling interviewt. Kemmerling bezeichnet sich selbst als Realist in Bezug auf Begriffe.

https://www.information-philosophie.de/ ... &y=4&c=132

Was versteht er darunter? Um das zu erläutern, klärt er zunächst, wie er selbst den Begriff “Begriff” versteht. Er bezeichnet damit nicht etwas “Psychisches” zum Beispiel eine mentale Repräsentation. Er sagt: “Ich meine damit etwas, das keine Repräsentation ist, wohl aber der Inhalt einer Repräsentation sein kann. Begriffe in diesem zweiten Sinn sind Bestandteile wahrheitsfähiger Inhalte, sogenannte Propositionen. Und gewöhnlich sind sie etwas [...] das von mehren Subjekten erfasst wird oder zumindest erfasst werden kann.”

Kemmerling unterscheidet zwischen einer psychologischen und einer logischen Wortverwendung des Begriffs “Begriff”. Beide sind in der Philosophie anzutreffen. Ihm ging es bei der Analyse des Begriffs “Glauben” jedoch allein um die logische Verwendung - also, wie er sagt: “um Komponenten des Inhalts dessen, was wir denken, nicht um das psychische Material, mit dem wir denken.”

Kemmerling macht geltend, dass es etliche Grundbegriffe gibt. Begriffe, ohne die wir - wie Davidson sagt - gar keine Begriffe hätten: Grundbegriffe sind “nicht durch explizite Definitionen auf grundlegendere Begriffe zurückführbar. Wodurch sind sie bestimmt? Die beste Antwort, die ich kenne, besagt: durch die Verbindungen, in denen sie zu anderen Begriffen, insbesondere zu anderen Grundbegriffen, stehen.”

Nach Kemmerling werden diese Verbindungen mit Hilfe von Aussagen charakterisiert, bei denen es sich um begriffliche Wahrheiten handelt. Man sagt: die Grundbegriffe seien in dieser Weise “impliziert definiert”. Wenn auch manche dieser Wahrheiten trivial sein mögen, handelt es sich bei der Analyse dieser Grundbegriffe - in meinen Worten gesagt: um ein Forschungsprogramm. Das bedeutet, dass sich das, was sich über die fraglichen Begriff sagen und herausfinden, also erforschen lässt, nicht darin erschöpft, was wir derzeit von ihnen wissen. Zwar kennen wir (kompetente Begriffsverwender) diese Begriffe leidlich gut. Dennoch haben wir - selbst die, die lange über diese Begriffe nachgedacht haben - oft nur unvollständige Kenntnisse von ihren implizieren Definitionen.

Das heißt, es ist möglich, dass es begriffliche Wahrheiten über die fraglichen Grundbegriffe gibt, die wir nicht kennen, möglicherweise sogar niemals kennen werden. Kimmerling stellt sich damit gegen die Position (der er früher selbst “zuneigte”) die glaubt, an einem Begriff könne nicht mehr dran sein als das, was sich in der kompetenten Verwendung, wenn man so will im Sprechen, zeigt. Wer diese Art des Begriffs-Realismus vertritt, wird sich bei der genauen Betrachtung eines der diversen Grundbegriffe niemals mit einer deskriptiven Sprachanalyse begnügen, denn die fraglichen Begriffe führen in dieser Sichtweise eine Art Eigenleben über den Gebrauch hinaus.

Ungefähr eine Handvoll Beispiele für solche Grundbegriffe führt Kemmerling an: Wahrheit, Existenz, Zeit, gut, ich und natürlich Glauben, wovon sein Buch handelt.




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