Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist

Hier geht es einerseits um die Erörterung logischer Grundstrukturen in der Philosophie und andererseits um Sprachanalyse als philosophische Methode, Theorien der Referenz und Bedeutung, Sprechakttheorien u.ä.
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Consul
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Sa 4. Jan 2025, 17:31

Consul hat geschrieben :
Sa 4. Jan 2025, 17:26
"Ordinary Language philosophy, sometimes referred to as ‘Oxford’ philosophy, is a kind of ‘linguistic’ philosophy. Linguistic philosophy may be characterized as the view that a focus on language is key to both the content and method proper to the discipline of philosophy as a whole (and so is distinct from the Philosophy of Language).…"
——————
"Die Alltagssprachenphilosophie, manchmal auch als „Oxford-Philosophie“ bezeichnet, ist eine Art „linguistische“ Philosophie. Linguistische Philosophie kann als die Ansicht charakterisiert werden, dass die Konzentration auf die Sprache sowohl für den Inhalt als auch für die Methode der gesamten Philosophie entscheidend ist (und sich daher von der Sprachphilosophie unterscheidet).…"
[Übersetzt von Google Translate]

Ordinary Language Philosophy:
https://iep.utm.edu/ord-lang/
Ein wichtiger Punkt: Im Gegensatz zur Sprachphilosophie/Philosophie der Sprache ist die linguistische (sprachorientierte/-zentrierte) Philosophie ein metaphilosophischer Standpunkt.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Quk
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Sa 4. Jan 2025, 17:42

Ich bin Metametametaphilosoph und beobachte die Metametaphilosophie beim Untersuchen der Metaphilosophie während diese die Philosophie erforscht.

Meine Zwischenbilanz: Die Philosophie muss sich mehr mit der Gültigkeit des Metaismus befassen. Wie weit kann Meta gehen, ohne sich selber in den Schwanz zu beißen?




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Consul
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Sa 4. Jan 2025, 18:06

Quk hat geschrieben :
Sa 4. Jan 2025, 17:42
Ich bin Metametametaphilosoph und beobachte die Metametaphilosophie beim Untersuchen der Metaphilosophie während diese die Philosophie erforscht.

Meine Zwischenbilanz: Die Philosophie muss sich mehr mit der Gültigkeit des Metaismus befassen. Wie weit kann Meta gehen, ohne sich selber in den Schwanz zu beißen?
Tja, die Metaphilosophie ist die Philosophie der Philosophie. Zwischen der Metaphilosophie und einer "Philosophie der Philosophie der Philosophie" besteht kein Unterschied, sodass es keine zusätzliche Metametaphilosophie gibt. (Es gibt aber die Metametaphysik als Teil der Metaphilosophie.)
"[T]hree very general metaphilosophical questions are (1) What is philosophy? (2) What is, or what should be, the point of philosophy? (3) How should one do philosophy? Those questions resolve into a host of more specific meta­philosophical conundra, some of which are as follows. Is philosophy a process or a product? What kind of knowledge can philosophy attain? How should one understand philosophical disagreement? Is philosophy historical in some special or deep way? Should philosophy make us better people? Happier people? Is philosophy political? What method(s) and types of evidence suit philosophy? How should philosophy be written (presuming it should be written at all)? Is philosophy, in some sense, over – or should it be?"
——————
"Drei sehr allgemeine metaphilosophische Fragen lauten: (1) Was ist Philosophie? (2) Was ist oder sollte der Sinn der Philosophie sein? (3) Wie sollte man Philosophie betreiben? Diese Fragen lösen sich in eine Vielzahl spezifischerer metaphilosophischer Rätsel auf, von denen einige wie folgt lauten: Ist Philosophie ein Prozess oder ein Produkt? Zu welcher Art von Wissen kann Philosophie gelangen? Wie sollte man philosophische Meinungsverschiedenheiten verstehen? Ist Philosophie in irgendeiner besonderen oder tiefgründigen Weise historisch? Sollte uns Philosophie zu besseren Menschen machen? Zu glücklicheren Menschen? Ist Philosophie politisch? Welche Methode(n) und Arten von Beweisen passen zur Philosophie? Wie sollte Philosophie geschrieben werden (vorausgesetzt, sie sollte überhaupt geschrieben werden)? Ist die Philosophie in gewissem Sinne vorbei – oder sollte sie es sein?"
[Übersetzt von Google Translate]

Metaphilosophy: https://iep.utm.edu/con-meta/
Zuletzt geändert von Consul am Sa 4. Jan 2025, 18:25, insgesamt 1-mal geändert.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Jörn Budesheim
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Sa 4. Jan 2025, 18:20

"Der Trieb zum Mystischen kommt von der Unbefriedigtheit unserer Wünsche durch die Wissenschaft. Wir wissen fühlen daß selbst, wenn alle möglichen Wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind unser Problem noch gar nicht berührt ist. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort." Schreibt Wittgenstein in sein Tagebuch. Ähnliches findet sich auch im Tractatus.

6.44 Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.

6.52 Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind ...




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Consul
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Sa 4. Jan 2025, 18:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Jan 2025, 18:20
"Der Trieb zum Mystischen kommt von der Unbefriedigtheit unserer Wünsche durch die Wissenschaft. Wir wissen fühlen daß selbst, wenn alle möglichen Wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind unser Problem noch gar nicht berührt ist. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort." Schreibt Wittgenstein in sein Tagebuch. Ähnliches findet sich auch im Tractatus.

6.44 Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.

6.52 Wir fühlen, daß selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind ...
Es bleiben die Fragen der Ethik.
"No account of scientific facts about the world can by themselves determine what we should do. Some philosophers and scientists have tried to deduce ultimate ethical precepts from the conclusions of evolutionary biology. Thus, it may be pointed out that evolution is tending in the direction from A to B, and it is then suggested that this proves that we should act in certain ways, perhaps by the application of eugenics, so as to help the transition from A to B. The conclusion does not follow. If a man dislikes the prospect of B he may decide to act in such a way as to oppose the transition from A to B. What ethical precepts we recommend depends in the last analysis on what we want. Scientific facts alone cannot give us a precept.
This is not to say that scientific facts are not of the greatest importance for ethics. It is simply that scientific facts do not by themselves determine any ethical system. The fact that some event X causes an event Y can be of great importance, but this importance is a secondary one. If we want Y and discover that X causes Y, then we will want X. If, on the other hand, we want not to have Y, then we will want not to have X.

I have said that no moral rules can be deduced purely from scientific considerations. Science may be able to tell us what means conduce to what ends, but it cannot tell us what ends to pursue. Nevertheless, the scientific temper can be psychologically conducive to an ethics of generalised benevolence. The scientist tries to find laws of nature which apply anywhere and anywhen, and he will therefore be attracted by a moral outlook which places the interests of all men, whatever their caste or creed, on an equality. He will even be attracted, beyond a merely humanistic ethics, to consider the interests of other species of animal, in so far as these seem capable of happiness or unhappiness, and, if it ever in the future of space technology came to the point where it was of practical importance, he might consider the interests of intelligent extra-terrestrial beings to be as important as his own. There is another reason why scientific thought is psychologically conducive to a widening of ethical interest. A scientist has to attend seriously to the arguments of another scientist, no matter what may be that other scientist's nationality, race, or social position. He must therefore at least respect the other as a source of arguments, and this is psychologically conducive to respecting him as a person in the full sense, and hence to considering his interests equally with one's own."
——————
"Keine Darstellung wissenschaftlicher Fakten über die Welt kann für sich allein bestimmen, was wir tun sollten. Einige Philosophen und Wissenschaftler haben versucht, aus den Schlussfolgerungen der Evolutionsbiologie endgültige ethische Grundsätze abzuleiten. So kann man darauf hinweisen, dass die Evolution in die Richtung von A nach B tendiert, und dann behaupten, dies beweise, dass wir auf bestimmte Weise handeln sollten, vielleicht durch Anwendung der Eugenik, um den Übergang von A nach B zu erleichtern. Die Schlussfolgerung ist jedoch nicht schlüssig. Wenn einem Menschen die Aussicht auf B missfällt, kann er sich entscheiden, so zu handeln, dass er den Übergang von A nach B verhindert. Welche ethischen Grundsätze wir empfehlen, hängt letztlich davon ab, was wir wollen. Wissenschaftliche Fakten allein können uns keine Grundsätze geben.
Das soll nicht heißen, dass wissenschaftliche Fakten nicht von größter Bedeutung für die Ethik sind. Es ist einfach so, dass wissenschaftliche Fakten für sich allein kein ethisches System bestimmen. Die Tatsache, dass ein Ereignis X ein Ereignis Y verursacht, kann von großer Bedeutung sein, aber diese Bedeutung ist zweitrangig. Wenn wir Y wollen und entdecken, dass X Y verursacht, dann werden wir X wollen. Wenn wir andererseits Y nicht haben wollen, dann werden wir X nicht haben wollen.

Ich habe gesagt, dass keine moralischen Regeln rein aus wissenschaftlichen Überlegungen abgeleitet werden können. Die Wissenschaft kann uns vielleicht sagen, welche Mittel zu welchen Zielen führen, aber sie kann uns nicht sagen, welche Ziele wir verfolgen sollen. Dennoch kann die wissenschaftliche Einstellung psychologisch einer Ethik der allgemeinen Güte förderlich sein. Der Wissenschaftler versucht, Naturgesetze zu finden, die überall und jederzeit gelten, und er wird sich daher von einer moralischen Einstellung angezogen fühlen, die die Interessen aller Menschen, unabhängig von ihrer Kaste oder ihrem Glauben, gleichstellt. Er wird sich sogar dazu hingezogen fühlen, über eine rein humanistische Ethik hinaus die Interessen anderer Tierarten zu berücksichtigen, sofern diese glücklich oder unglücklich erscheinen; und wenn es in der Zukunft der Weltraumtechnologie jemals zu einem Punkt kommen sollte, an dem es von praktischer Bedeutung wäre, könnte er die Interessen intelligenter außerirdischer Wesen als ebenso wichtig erachten wie seine eigenen. Es gibt noch einen weiteren Grund, warum wissenschaftliches Denken psychologisch zu einer Ausweitung des ethischen Interesses beiträgt. Ein Wissenschaftler muss sich ernsthaft mit den Argumenten eines anderen Wissenschaftlers befassen, ganz gleich, welche Nationalität, Rasse oder soziale Stellung dieser andere Wissenschaftler hat. Er muss den anderen daher zumindest als Quelle von Argumenten respektieren, und dies ist psychologisch förderlich, um ihn als Person im vollen Sinne zu respektieren und daher seine Interessen gleichberechtigt mit den eigenen zu berücksichtigen."
[Übersetzt von Google Translate]

(Smart, J. J. C. Philosophy and Scientific Realism. London: Routledge & Kegan Paul, 1963. pp. 154-5)



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Jörn Budesheim
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Sa 4. Jan 2025, 19:33

"Ich bin entweder glücklich oder unglücklich, das ist alles. Man kann sagen: gut oder böse gibt es nicht. Wer glücklich ist, der darf keine Furcht haben. Auch nicht vor dem Tode. Nur wer nicht in der Zeit, sondern in der Gegenwart lebt, ist glücklich. Für das Leben in der Gegenwart gibt es keinen Tod. Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Er ist keine Tatsache der Welt. Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann kann man sagen, dass der ewig lebt, der in der Gegenwart lebt...“ (Wittgenstein, Tagebuch)

"Ich wollte nämlich schreiben, mein Werk bestehe aus zwei Teilen: aus dem, der hier vorliegt, und aus alledem, was ich nicht geschrieben habe. Und gerade dieser zweite Teil ist der Wichtige. Es wird nämlich das Ethische durch mein Buch gleichsam von Innen her begrenzt: und ich bin überzeugt, dass es, streng NUR so zu begrenzen ist. Kurz, ist glaube: Alles das, was viele heute schwefeln, habe ich in meinem Buch festgelegt, indem ich darüber schweige. Und darum wird das Buch, wenn ich mich nicht sehr irre, vieles sagen, was Sie selbst sagen wollen, aber sie werden vielleicht nicht sehen, daß es darin gesagt ist.“ (Wittgenstein in einem Brief über den Tractatus)




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Jörn Budesheim
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So 5. Jan 2025, 09:31

Meine persönliche Zusammenfassung des bisherigen:

Die Welt ist alles, was der Fall ist – alles, was sich in sinnvollen Sätzen sagen lässt. In Sätzen, deren logische Struktur uns ein logisches Bild der Wirklichkeit vermittelt. Dies ist die Welt der Tatsachen, wie sie uns in den Naturwissenschaften begegnet.

Wir fühlen jedoch, dass selbst, wenn alle möglichen naturwissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Jenseits der Welt der Naturwissenschaften liegt für Wittgenstein das, worüber keine sinnvollen Sätze gebildet werden können, das, worüber wir schweigen müssen: das Mystische, Ethik, Ästhetik, der Sinn des Lebens, Grenzerfahrungen, das ozeanische Gefühl ... das, worüber wir nach Wittgensteins Ansicht nicht sprechen können. Wir fahren es im Staunen darüber, dass etwas ist, im scheinbar sinnlosen Reden, im Anrennen gegen die Grenzen der Sprache und in der Kunst. Es zeigt sich.

Entgegen dem oberflächlichen Eindruck ist der Tractatus also nach meiner Einschätzung unter der Oberfläche ein zutiefst existenzieller Text. Es geht um das Staunen über die Existenz der Welt, das Gefühl eines Sinnzusammenhangs, die Erfahrung von Schönheit und Erhabenheit. Diese Erfahrungen sind für uns von existenzieller Bedeutung, entziehen sich aber nach Wittgenstein der sinnvollen Sprache.

Schweigen bedeutet jedoch nicht völliges Verstummen. Wittgenstein mahnt: „Scheue dich ja nicht davor, Unsinn zu reden, nur musst du auf deinen Unsinn lauschen.“




Wolfgang Endemann
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So 5. Jan 2025, 11:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Jan 2025, 17:13
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 4. Jan 2025, 13:16
ordinary language philosophy ist [...] ein legitimes Kind des [linguistic turn]
Das stimmt wohl, dennoch scheinst du beides zu verwechseln, so wie wenn jemand Apfel und Frucht verwechselt.
Nein, das mißverstehst Du. Ich verwechsele nicht beides, ich setze es in die richtige Relation.

Die Philosophie ist anfangs ganz bescheiden, aber schon immer auch Philosophie der Sprache (oder kannst Du das Platon, Aristoteles absprechen?). Im Falle des tractatus wird die Aufmerksamkeit nicht auf die natürliche, sondern auf die logische Sprache gelegt, eine Kunstsprache, die in Wittgensteins Verständnis die Sprache der Abbildung der Welt in Gedanken ist, freilich ist das im weitesten Sinne eine verschärfte Hinwendung zum Sprachlichen, das habe ich auch konzediert. Geschmacksache, ob man da von Wende sprechen kann, wenn Wende, dann eine andere als die des lt. Es wurde hier schon der wichtige Begriff der Metatheorie gebracht, er kann den lt beschreiben. Im tractatus gibt es noch keine Metatheorie, die allgemeine Problematik der Selbstbezüglichkeit von Sprachen war noch nicht (allgemein) bekannt. Sie ergab sich erst in der spezifischen mengentheoretischen Sprache, für die Russell eine Lösung fand in der Typentheorie, die sich aber nicht allgemein durchgesetzt hat (nicht einmal in der Mengenlehre). Immerhin kann man sie als eine erste Form einer Metatheorie bezeichnen, eine metatheoretische Korrektur der reinen Objektsprache. Und Russell hat diesen Gedanken ja auch fortgeführt. Daß es sich dabei um ein allgemeines Problem des Denkens handelt, hat erst die Revolution in der Mathematik mit der notwendigen Einbettung in die Metamathematik gezeigt. Wenn nicht einmal die Mathematik ohne diese Selbstreflexion auskommt, dann gilt das erst recht für die natürliche Sprache.

Man könnte das also als den eigentlichen lt bezeichnen, diese Notwendigkeit einer Metatheorie des Sprachvermögens, der Untersuchung der Bedingungen der Möglichkeit des sinnvollen Sprechens, eine Übertragung der Kantschen Transzendentalphilosophie auf die Sprache. In diesem Sinn stellt der späte W. mit der ordinary language philosophy ein Kehrtwende zum tractatus dar. Diese olp ist allerdings nur ein Ansatz einer Metatheorie, es gibt zahlreiche andere. Wenn die olp der Apfel ist, ist das set der sprachanalytischen Theorien die Frucht, so wie der tractatus die Kirsche ist, wenn das Nachdenken über Sprache die Frucht ist. Allerdings würde ich den tractatus (den logischen Positivismus) eben nicht zum lt rechnen, sowie ich auch Strukturalismus, Systemtheorie und Konstruktivismus nicht zum lt rechnen würde, weil das umfassendere Konzepte sind, die nicht nur die Sprache thematisieren, eine Sprachtheorie enthalten sie allemal.* Das wichtigste Argument dabei ist für mich, daß lt kaum noch etwas besagt, wenn derart fast alles unter diesem Hut, unter der Frucht lt verschwindet.
Zugegeben, in der wissenschaftlichen Literatur ist die Terminologie nicht so einheitlich, aber wenn man das anders nennen will, sollte man meiner Darstellung widersprechen.

Wenn Du Apfel und Frucht konträr verstehst, dann verwechselst Du Apfel und Frucht, Unter- und Oberbegriff.

* Das entspricht der Aussage: "Die Alltagssprachenphilosophie, manchmal auch als „Oxford-Philosophie“ bezeichnet, ist eine Art „linguistische“ Philosophie. Linguistische Philosophie kann als die Ansicht charakterisiert werden, dass die Konzentration auf die Sprache sowohl für den Inhalt als auch für die Methode der gesamten Philosophie entscheidend ist (und sich daher von der Sprachphilosophie unterscheidet)." Widerspricht aber der Fortsetzung, in der unter lt beide Positionen Wittgensteins, logischer Positivismus und sprachanalytischer Pragmatismus, zusammengefaßt werden. Ich habe anhand des tractatus-Textes versucht, zu zeigen, warum das nicht richtig ist. Die Welt als logisch verfaßt zu sehen ist etwas ganz anderes als sie als sprachlich verfaßt zu sehen.




Wolfgang Endemann
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So 5. Jan 2025, 11:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Jan 2025, 09:31
Meine persönliche Zusammenfassung des bisherigen:

In dieses Dilemma kommt man nur mit dem Ansatz, die Wirklichkeit (Welt) als logisch-verfaßt zu begreifen. Dann zerfällt unser Denken in das Denken des Sagbaren und das phantastische Denken des Unsagbaren, oder in Denken und Fühlen. Wer sich in diesem dualistischen Widerspruch verfangen will, bitteschön. Ich sehe aber nicht, wo das überhaupt funktionieren kann. Wir erreichen mit Logik nicht die Objektivität, und niemand ist bereit, die menschlichen Bedeutungen, Sinngebungen als rein subjektive Fantasien, die nichts mit der Objektivität gemein haben, abzutun.




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Consul
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So 5. Jan 2025, 18:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Jan 2025, 09:31
Meine persönliche Zusammenfassung des bisherigen:

Wir fühlen jedoch, dass selbst, wenn alle möglichen naturwissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Jenseits der Welt der Naturwissenschaften liegt für Wittgenstein das, worüber keine sinnvollen Sätze gebildet werden können, das, worüber wir schweigen müssen: das Mystische, Ethik, Ästhetik, der Sinn des Lebens, Grenzerfahrungen, das ozeanische Gefühl ... das, worüber wir nach Wittgensteins Ansicht nicht sprechen können. Wir fahren es im Staunen darüber, dass etwas ist, im scheinbar sinnlosen Reden, im Anrennen gegen die Grenzen der Sprache und in der Kunst. Es zeigt sich.
Worüber man nicht sprechen kann, darüber kann man paradoxerweise sprechen. Denn sonst könnte man gar nicht sagen, dass es Unsagbares gibt.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Timberlake
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So 5. Jan 2025, 23:42

Consul hat geschrieben :
So 5. Jan 2025, 18:25

Worüber man nicht sprechen kann, darüber kann man paradoxerweise sprechen. Denn sonst könnte man gar nicht sagen, dass es Unsagbares gibt.
  • "Das Buch will also dem Denken eine Grenze ziehen, oder vielmehr – nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken: Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müssten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müssten also denken können, was sich nicht denken lässt).
    Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein."
    Ludwig Wittgenstein ... Logisch-philosophische Abhandlung
.. in diesem Sinne , ich korrigiere ...
  • " Worüber man nicht sprechen kann, darüber kann man paradoxerweise sprechen. Denn sonst könnte man gar nicht sagen, dass es Unsinniges gibt."
Wenn Wittgenstein mahnt: „Scheue dich ja nicht davor, Unsinn zu reden, nur musst du auf deinen Unsinn lauschen.“

Unsinniges , dem man zu lauschen hat. Insbesondere dann , wenn man sich nicht davor scheut , selbst Unsinn zu reden. Nur leider müsste man sich "paradoxerweise" dazu dessen auch bewusst sein. Was mich selbst betrifft , so pflege ich mir meinen Unsinn durch jenen Unsinn bewusst zu machen, wie sie Kabarettisten einsetzten, um Unsinniges , im Sinniges zu entlarven. Insofern man Wittgenstein Mahnung durchaus als das Handwerkszeug des Kabarettisten bezeichnen könnte. Finde zumindest ich.

In diesem Sinne

„Scheue dich ja nicht davor, den Unsinn eines Kabarettisten zu hören , nur musst du auf diesen Unsinn lauschen

Beispiel





Timberlake
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Mo 6. Jan 2025, 12:44

Um übrigens dazu , und zwar ..

Timberlake hat geschrieben :
So 5. Jan 2025, 23:42


Wenn Wittgenstein mahnt: „Scheue dich ja nicht davor, Unsinn zu reden, nur musst du auf deinen Unsinn lauschen.“

Unsinniges , dem man zu lauschen hat. Insbesondere dann , wenn man sich nicht davor scheut , selbst Unsinn zu reden. Nur leider müsste man sich "paradoxerweise" dazu dessen auch bewusst sein.
"… Nur leider müsste man sich "paradoxerweise" dazu dessen auch bewusst sein" und meinen zwei Beispielen, als da wären der "Neue Realismus" von Markus Gabriel und der künstlichen Intelligenz zurückzukommen.

So scheint mir tatsächlich, das man sich dessen Unsinn paradoxerweise nicht bewusst ist. Dafür symptomatisch würde ich die Tatsache halten , dass diese Themen eines gemein haben, und zwar das beide hier mit Abstand die meisten Beiträge generieren konnten.

mueller-denkt.de hat geschrieben :
Von der Klarheit der Sprache

Ohne Wittgensteins Lebenswerk einengen zu wollen, richten wir den Scheinwerfer auf den Tractatus und damit auf den wirkmächtigsten Teil seines Schaffens. Wittgenstein geht es in seiner Sprachanalytik um die Grenzen der Sprache und die Grenzen der Erkennbarkeit der Welt. Er will festlegen, welche Art von Aussagen sinnvoll sind und welche nicht. Damit steht er in der Tradition Immanuel Kants (1724-1804), dessen Bestreben es war, die Grenzen der Erkenntnis zu bestimmen („Was kann ich wissen?“). Der wesentliche Unterschied: Kant sieht die Begrenzungen in einem Mangel an Vernunft, der frühe Wittgenstein (Tractatus) in der Unzulänglichkeit der Alltagssprache.
Wie dem auch sei. Von einer "Klarheit der Sprache" zeugt die Überzahl der Beiträge ganz sicher nicht.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Do 2. Jan 2025, 11:50
... Aber dem späteren Wittgenstein ist dann doch aufgefallen, daß man die Sprache zu sehr durch die logischen Formen einschränkt, und er hat dann ein pragmatischeres Konzept vertreten, den linguistic turn mitvollzogen.
Wenn … aufgemerkt @Wolfgang Endemann … der frühe Wittgenstein (Tractatus) den Mangel in der Unzulänglichkeit der Alltagssprache sieht, was könnte da nicht besser als Beispiel dienen als das , was wir in der Alltagssprache als "künstliche Intelligenz" bezeichnen?
hat geschrieben :
Markus Gabriel: "Real ist, was real ist"
Einhörner gibt es wirklich, sagt Markus Gabriel. Der Philosoph will, dass Denken mehr Spaß macht. Aber das mit den Einhörnern meint er ernst

Gabriel: Wir denken oft, dass es eine einzige Wirklichkeit gibt. Wir sagen: "In Wirklichkeit gibt es keine Feen, Hexen oder Einhörner." Wenn wir aber über Einhörner nachdenken oder Geschichten von ihnen erzählen, existieren sie zumindest in unseren Gedanken. Der Neue Realismus fragt: Warum sollte eine Existenz in Gedanken weniger real sein als eine Existenz im physikalisch ausgedehnten Universum? Ich denke: Real ist, was real ist. Also Gedanken, Wünsche, Ideen, Träume ...
Für den Fall , dass man das mit den Einhörnern tatsächlich ernst meint, würde ich allerdings dergleichen , im Sinne Kants , eher an ein Mangel an Vernunft festmachen wollen. Anscheinend müsste man sich "paradoxerweise" dem Unsinn, leider auch von daher erst bewusst sein. Wie übrigens auch dem Unsinn im Kapitalismus . Um dazu auf das Video im vorigen Beitrag zurück zu kommen.




Wolfgang Endemann
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Mo 6. Jan 2025, 14:27

Timberlake hat geschrieben :
Mo 6. Jan 2025, 12:44


Wenn … aufgemerkt @Wolfgang Endemann … der frühe Wittgenstein (Tractatus) den Mangel in der Unzulänglichkeit der Alltagssprache sieht, was könnte da nicht besser als Beispiel dienen als das , was wir in der Alltagssprache als "künstliche Intelligenz" bezeichnen?

Sehr richtig. Und auch:

"Wie übrigens auch dem Unsinn im Kapitalismus . Um dazu auf das Video im vorigen Beitrag zurück zu kommen."

Gabriel kann man zugute halten, daß er klar unterscheidet zwischen Sein und Denken des Seins. Selbstverständlich ist Denken selbst ein Sein. Und das Denken ist nicht nur richtig oder falsch, oder ein Gemenge aus richtig und falsch, sondern es ist gelegentlich sinnvoll, sinnlos oder unsinnig, Sinn produzierend oder Unsinn produzierend, Sinn erfassend oder Sinn verfehlend, usw.
Allerdings: "Warum sollte eine Existenz in Gedanken weniger real sein als eine Existenz im physikalisch ausgedehnten Universum?" Das ist eine unsinnige Aussage, denn sie unterschlägt ja wieder die Differenz von Denken und Sein. Das Denken ist mehr und weniger als das Sein. Das Denken geht über das unmittelbare Sein hinaus, aber als Denken des Seins ist es immer weniger als das Sein. Gabriel hätte sich darauf beschränken sollen, daß wir die Befreiung vom Sinn durch Unsinn oder eine Autonomie des Sinns genießen können und manchmal wollen, daraus die Aussage zu machen, das Denken ist so real wie die Realität, ist Quatsch.




Körper
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Mi 8. Jan 2025, 13:39

"Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist"

Nein, beim Verstehen eines Satzes geht es nicht um Wahrheit und auch nicht um die Möglichkeit zur Wahrheitsbeurteilung.
Der Begriff "Wahrheit" steht als optionale Möglichkeit nach dem Verstehen eines Satzes.
Es aber so darzustellen, dass die Option gleich dem vorausgehenden Wesentlichen ist, ist Unfug.

Man muss sich lediglich einen Satz vorstellen, der für einen Menschen keine eindeutige Aussage enthält. Die Aussage wurde dann nicht verstanden.
Durch Kontrolle kann dieser Mensch aber durchaus sicherstellen, dass das Durchlaufen des Satzes (also der Verstehversuch) korrekt war - wodurch sozusagen "der Satz an sich", also die darin liegende Möglichkeit, irgendwo anzukommen, verstanden wird.

Das Verstehen eines Satzes liegt also vielmehr im "Irgendwo-Ankommen", als in einer Wahrheitsbeurteilung.
Die Begriffe "Bewegung", "Durchlaufen" und "Irgendwo-Ankommen" sind viel konkreter und sinnvoller, als die Aussage von "Wittgenstein".




Wolfgang Endemann
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Mi 8. Jan 2025, 17:48

Körper hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 13:39

Nein, beim Verstehen eines Satzes geht es nicht um Wahrheit und auch nicht um die Möglichkeit zur Wahrheitsbeurteilung.
Der Begriff "Wahrheit" steht als optionale Möglichkeit nach dem Verstehen eines Satzes.
Es aber so darzustellen, dass die Option gleich dem vorausgehenden Wesentlichen ist, ist Unfug.
Richtig, das habe ich auch schon gesagt (ich hatte festgestellt, daß mit diesem Satz mathematische Sätze nicht verstehbar sind, weil sie nichts über die Welt aussagen). Der Satz legitimiert sich in gewisser Weise in der Axiomatik des tractatus dadurch, daß Sprache, Denken auf das Abbilden der Welt/Wirklichkeit beschränkt ist. Dann kann man ihn trotz dieses fundamentalen Einwands sagen, weil ich, wenn ich ihn verstanden habe, mit der inversen Abbildung weiß, was er über die Wirklichkeit behautet, also daß er genau dann zutrifft, wenn er wahr ist. Und umgekehrt, wenn ich davon ausgehe, daß die Abbildung richtig abbildet, kann ich mit der Kenntnis der Wahrheit, darauf schließen, wie der Satz lauten muß, wenn er richtig abbildet. In Kurzfassung:
Ich habe verstanden ↔ ich weiß, was ist, wenn er wahr ist, und ich weiß, ob er wahr ist, wenn ich weiß, was ist.
Aber selbstverständlich sind die Bedingungen iA nicht gegeben, so daß ich dieses Kriterium gar nicht anwenden kann.

"Durch Kontrolle kann dieser Mensch aber durchaus sicherstellen, dass das Durchlaufen des Satzes (also der Verstehversuch) korrekt war - wodurch sozusagen "der Satz an sich", also die darin liegende Möglichkeit, irgendwo anzukommen, verstanden wird."
Nein, das ist nur ausnahmsweise zutreffend, in der Regel nicht. Denn wir denken, sowohl die Ungeübten als auch die Versierten, die natürlich etwas weniger eingeschränkt, in engen Horizonten. Das ist ja der Grund, warum wir Jahrtausende lang ptolemäisch, dann Jahrhunderte lang kopernikanisch, und nun relativistisch denken, wir denken in Paradigmen, die wir immanent nicht verlassen können. Das Denken ist kein linearer Fortschrittsprozeß.

Das übersieht Dein Bewegungsmodell, das übersieht allerdings noch mehr der frühe Wittgenstein. Daß auch die Logik ein paradigmatisches Denken ist, ist ihm vermutlich bis zum Lebensende nicht bewußt geworden.




Körper
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Mi 8. Jan 2025, 19:05

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 17:48
...also daß er genau dann zutrifft, wenn er wahr ist.
"wahr" ist hier doch nur ein anderes Wort für "zutreffen"
=> "...also daß er genau dann zutrifft, wenn er zutrifft" - ja toll, jetzt haben wir aber echt viel gewonnen.
=> "...also daß er genau dann wahr ist, wenn er wahr ist" - auch diese Variante, erstaunt uns jetzt nicht sonderlich.

Es fehlt schlicht und ergreifend, was beim Verstehen vor sich geht und das kann man nicht durch dümmliches Theater ausgleichen.
Nennen wir es Schicksal.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 17:48
"Durch Kontrolle kann dieser Mensch aber durchaus sicherstellen, dass das Durchlaufen des Satzes (also der Verstehversuch) korrekt war - wodurch sozusagen "der Satz an sich", also die darin liegende Möglichkeit, irgendwo anzukommen, verstanden wird."
Nein, das ist nur ausnahmsweise zutreffend, in der Regel nicht. Denn wir denken, sowohl die Ungeübten als auch die Versierten, die natürlich etwas weniger eingeschränkt, in engen Horizonten. Das ist ja der Grund, warum wir Jahrtausende lang ptolemäisch, dann Jahrhunderte lang kopernikanisch, und nun relativistisch denken, wir denken in Paradigmen, die wir immanent nicht verlassen können. Das Denken ist kein linearer Fortschrittsprozeß.
Ein Mensch kann doch feststellen, ob er einen Satz versteht oder nicht.
Hier gibt es nur ein Kriterium: führt das Durchlaufen des Satzes im Rahmen der Reaktionsmöglichkeiten des jeweiligen Menschen zu einem eindeutigen Standpunkt, ja oder nein.
Wenn er ihn nicht versteht, dann kann er feststellen bis wohin er ihn versteht und anschliessend kann er zum dem, was er nicht versteht, erkennen, ob ihm etwas fehlt oder ob ein "zu viel" vorliegt.
Das ist die Basis zum Stellen von sinnvollen (weil weiterführenden) Rückfragen.
Der nicht verstehende Mensch muss schauen, bis wohin er die Fortschrittsanweisungen des Satzes nachvollziehen kann und ab welchem Punkt er welche Schwierigkeiten, sprich "Hindernisse", vor sich hat.

Wie du weisst, reagieren die User hier im Forum auf meine Beiträge mit "ich verstehe nichts" und sehen das als legitimen Vorwurf an - ist oft genug vorgekommen.
Ein vernünftiger Mensch würde nachschauen, bis wohin er "mitkommt" (-> Bewegung) und wo, welche Hindernisse (-> Bewegungseinschränkung) vorliegen - ohne dieses Handwerkzeug geht es natürlich nicht weiter, denn ich müsste ja sowohl die Fähigkeiten und Hindernisse das Anderen erraten, um die "dicke Lösung" zu präsentieren.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 17:48
Das übersieht Dein Bewegungsmodell, das übersieht allerdings noch mehr der frühe Wittgenstein.
Aha, und "mein Bewegungsmodell" sorgt dann wohl dafür, dass du, obwohl du es ablehnst, den Begriff "Horizont" ("überschaubare Bewegungsmöglichkeit von einem Sandpunkt aus") verwenden musst.
Ich finde so etwas lustig.




Wolfgang Endemann
Beiträge: 1108
Registriert: Di 23. Apr 2024, 14:30

Mi 8. Jan 2025, 23:02

Körper hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 19:05

"wahr" ist hier doch nur ein anderes Wort für "zutreffen"
Nein. Wie die meisten, Du vielleicht nicht, unterscheide ich "wahr sein" von "zutreffen", sogar kategorial. Ein Zutreffen, ein Tatbestand, kann kontingent und notwendig sein, daraus ergeben sich zwei ganz unterschiedliche Formen der Wahrheit. Das eine ist das Wissen, daß etwas zutrifft, das andere ist das Wissen, warum es notwendig zutrifft.

"Ein Mensch kann doch feststellen, ob er einen Satz versteht oder nicht."
Manchmal, hoffentlich öfters. Bei nicht gänzlich eindeutigen sprachlichen Ausdrücken, strenggenommen also bei allen Ausdrücken, die keine Eigennamen oder prädikativ gebildete Begriffe sind, gibt es vom Aussagegehalt und der Komplexität abhängig individuelle Bedeutungsdifferenzen, damit kein vollständiges Verstehen, und es gibt Mißverstehen, das nicht verstanden wird und als Verstehen mißverstanden wird. Und ein Mißverstehen kann die Sache besser treffen als ein Verstehen.
Daß sich vorhandene Mißverständnisse stetig abbauen, ist eine große Illusion.
Wie kommst Du darauf, daß ich den Begriff "Horizont" ablehne?




Körper
Beiträge: 654
Registriert: Fr 18. Feb 2022, 20:14

Do 9. Jan 2025, 14:40

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 23:02
Das eine ist das Wissen, daß etwas zutrifft, das andere ist das Wissen, warum es notwendig zutrifft.
Die "Warum"-Wahrheit ist ja dann nochmal weiter weg vom Verstehen eines Satzes und zudem beliebig umfangreich - das sollten wir auf jeden Fall weglassen.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 23:02
Daß sich vorhandene Mißverständnisse stetig abbauen, ist eine große Illusion.
Es geht hier um das Durchlaufen eines Satzes, nicht um den längerfristigen Auf- oder Abbau eines Wissensstandes.

Allein wegen des Durchlaufens eines Satzes unterliegt die Reaktion einem Konkretisierungsprozess.
Das Durchlaufen kommt bei "Wittgenstein" gar nicht vor, was ein NoGo darstellt.
Das Durchlaufen des Satzes verengt das Reaktionspotenzial nach und nach (im Idealfall) auf eindeutige Art.
Beim Nicht-Verstehen eines Satzes ist die Verengung nicht eindeutig - es gibt dann zu viel Spielraum und damit entweder keinen oder ganz unterschiedliche Reaktionskandidaten.
Man steht dann an einer "Kreuzung" und kann entweder nirgendwohin oder hat ganz unterschiedliche Richtungen vor sich. (Im Extremfall ergibt sich noch nicht einmal "das Stehen an einer Kreuzug")
Beim Falsch-Verstehen liegt zwar eine eindeutige Verengung vor, allerdings in einer ungünstigen Richtung.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 23:02
...gibt es vom Aussagegehalt und der Komplexität abhängig individuelle Bedeutungsdifferenzen..
So, das ist doch jetzt der eigentliche "Elefant im Raum": Bedeutung.

Dieses auffallend grobmotorische "Festlegen" von "Wittgenstein" hat doch letztlich genau einen Grund:
Philosophie hat beim Begriff "Bedeutung" eine Maximalschwäche - da geht gar nichts.

Der Mensch ist davon überzeugt, dass er beim Verstehen mit "Bedeutung" umgeht.
poetisch: "Das Verstehen eines Satzes ist das Erarbeiten/Erreichen/Nachvollziehen seiner Bedeutungs-Konstellation".
Mit den einzelnen Wörtern und ihrer Anordnung formt der Mensch eine Art "Gesamtbedeutung".
Beim Durchlaufen des Satzes sammelt der Mensch nach und nach "Bedeutungsauflagen" und versucht damit die "Gesamtbedeutung" zu konkretisieren.

Ein Satz stellt quasi einen Plan dar, mit dem ein trainierter Mensch eine geeignete Reaktion in Bezug auf eine "Gesamtbedeutung" erreichen kann.
Das Verstehen ist nicht die "Gesamtbedeutung", sondern das Erreichen der dazu passenden Reaktion.

"Wittgenstein" startet im Grunde mit der Gesamtbedeutung, vermeidet aber den Begriff "Bedeutung" und versucht ihn mit der Suggestion rund um Wahrheit zu ersetzen - Motto: "ihr wisst ja jetzt, was ich meine".
Das bringt natürlich nichts.
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 23:02
Wie kommst Du darauf, daß ich den Begriff "Horizont" ablehne?
Gar nicht - schau genau nach, du hast lediglich meinen Satz falsch verstanden.
In meinem Satz ist das, was du ablehnst "das Bewegungsmodell", nicht der "Horizont".
Das Erstaunliche ist, dass du die Bewegungs-Thematik ablehnst, aber dann selbstständig den Bewegungs-Raum-Begriff "Horizont" verwendest.
Du lehnst also etwas ab, für das du noch im Ablehnen demonstrierst, dass du es wie selbstverständlich verwendest.




Timberlake
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Registriert: Mo 16. Mai 2022, 01:29
Wohnort: Shangrila 2.0

Fr 10. Jan 2025, 01:01

Körper hat geschrieben :
Mi 8. Jan 2025, 13:39
"Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist"

Nein, beim Verstehen eines Satzes geht es nicht um Wahrheit und auch nicht um die Möglichkeit zur Wahrheitsbeurteilung.
Der Begriff "Wahrheit" steht als optionale Möglichkeit nach dem Verstehen eines Satzes.
Es aber so darzustellen, dass die Option gleich dem vorausgehenden Wesentlichen ist, ist Unfug.
Glücklicherweise bietet sich das Zitat geradezu dazu an, diesen Unfug einmal durch die Negation seiner Teile darzustellen. Als da wären ..
  • "Einen Satz nicht verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist"
    "Einen Satz verstehen, heißt, wissen was nicht der Fall ist, wenn er wahr ist"
    "Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er nicht wahr ist"
  • "Einen Satz nicht verstehen, heißt, wissen was nicht der Fall ist, wenn er wahr ist"
  • "Einen Satz verstehen, heißt, wissen was nicht der Fall ist, wenn er nicht wahr ist"
Und um dergleichen auf die Spitze zu treiben ...
  • "Einen Satz nicht verstehen, heißt, wissen was nicht der Fall ist, wenn er nicht wahr ist"
Aber auch eine Umstellung seiner Teile wäre denkbar.

  • "Einen Satz verstehen, heißt, wenn er wahr ist , zu wissen was der Fall ist.


Weil nun mehr der Begriff "Wahrheit" als optionale Möglichkeit vor .. "zu wissen was der Fall ist" .. steht , so erscheint mir im Vergleich zu all den anderen Varianten, diese Variante die plausibelste zu sein. Die Variante .. "Einen Satz nicht verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist" .. halte ich allerdings tatsächlich für Unfug.




Wolfgang Endemann
Beiträge: 1108
Registriert: Di 23. Apr 2024, 14:30

Fr 10. Jan 2025, 12:28

Der Satz von Wittgenstein ist etwas verwirrend, weil er zwei Ebenen, die Objektebene und die Metaebene, verknüpft. Man kann ihn nur richtig verstehen, wenn man die Voraussetzung versteht, die W. im tractatus macht: Logik istdanach das korrekte Abbild der Welt in Sprache. Dann kann man den Satz formalisieren (mit S=Satz, W=Wissen, w=wahr, V=Verstehen):
[1] V("S") ↔ w(S)→W(S)
Wenn die Welt logisch verfaßt ist, und das nimmt W. an, dann gilt für jeden Satz S˅⌐S und ⌐(S˄⌐S). Daher kann man [1] umformen in:
[2] V("S") ↔ w(S)↔W(S)
Dann gilt:
[3] ⌐(V("S")) ↔ ⌐(w(S)↔W(S)) ↔ ((w(S)˄⌐W(S))˅(⌐w(S)˄W(S)))
Der Satz von Wittgenstein ist also absolut korrekt unter der von ihm gemachten Voraussetzung, Nichtverstehen ist das Nichtverstehen der Korrespondenz von Wahrheit eines Satzes (Metaebene) und Gegebenheit (Objektebene).




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