Rhetorik, Sprache und Philosophie

Hier geht es einerseits um die Erörterung logischer Grundstrukturen in der Philosophie und andererseits um Sprachanalyse als philosophische Methode, Theorien der Referenz und Bedeutung, Sprechakttheorien u.ä.
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Stefanie
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Mo 27. Nov 2017, 15:36

Ich muss mal ganz platt was fragen: Was meint Ihr genau, wenn von Rhetorik gesprochen wird?

Mir schwant, es ist nicht gemeint, als wenn man z.B. Gregor Gysi als einen sehr guten Redner bezeichnet, da er die Rhetorik beherrscht. Geht es darum, etwas zu verkaufen, darum jemanden zu überzeugen? Welchen rhetorischen Mittel sind gemeint?
Ich habe das bisher so verstanden, dass auch die Philosophie rhetorisch schreiben und sprechen muss, damit sie überhaupt erst ihre Ansichten und Meinungen an die Frau und an den Mann bringen kann.



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Jörn Budesheim
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Mo 27. Nov 2017, 19:07

Ein rhetorisches Quintett:

Philosophist fagt: "Was versteht ihr unter "Rhetorisches Philosophieren"?" Stefanie will es auch wissen: "Was meint Ihr genau, wenn von Rhetorik gesprochen wird?" Nauplios spricht mit Blumenberg vom "Recht auf Rhetorik" der gegen einem "Wahrheitsabsolutismus" erst durchgesetzt werden musste. Die Herausgeber des Bandes klingen etwas anders, sie sprechen von der Notwendigkeit, einen Wahrheitsanspruch mit adäquaten Mittel durchzusetzen. Während Friederike noch etwas bescheidener meint, dass Rhetorik nur der Vermittlung eines Gehaltes dient.

Und gleich Ranicki woll'n wir hoffen! Jetzt geht der Vorhang auf: denn alle Fragen sind noch offen!




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Friederike
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Di 28. Nov 2017, 10:21

Neihein !!! :lol: Du hast mich mißverstanden. Ich habe lediglich eine Position wiedergegeben. Es ist nicht die meinige.

NS: Naja doch, ich muß mich korrigieren. Es ist auch meine Position.




Nauplios

Di 28. Nov 2017, 12:13

Man kann die Rhetorik in zweierlei Hinsicht betrachten, in ihrer Substanz und in ihrer Funktion. In ihrer Substanz ist die Rhetorik eine Ansammlung von Stilfiguren, mit deren Hilfe man eine Rede (in der Antike vornehmlich die politische Rede) ausschmückt. Dazu dienen beispielsweise die sogenannten Tropen wie Allegorie, Ironie, Metapher ... mit denen der Redner/Schreiber etwas veranschaulicht oder seine Hörer/Leser überzeugen will - im besten Fall von der Wahrheit, im schlechten Fall aber auch von Falschem, Widersprüchlichem. Platon wirft den Sophisten vor - etwa im Gorgias - es ginge ihnen allein darum, ihre Hörer mithilfe der Rhetorik zu überzeugen, auch dort (und gerade dort), wo sie Falsches lehren. Platon setzt damit eine Kluft zwischen Rhetorik und Philosophie. Die Rhetorik ist damit verdächtig, sich in den Dienst des Unwahren, Sophistischen zu stellen.

Blumenberg und andere Philosophen betrachten die Rhetorik aus der Perspektive ihrer Funktion. Der Mensch lebt in einer Welt, die ihm die Antworten auf seine letzten (Sinn-)Fragen verweigert. Weder die Religion noch die Metaphysik noch andere Sinnproduzenten können den Menschen von der Wahrheit (!) ihrer Angebote überzeugen. Sie treten zwar mit dem unbedingten Anspruch auf Wahrheit auf (Wahrheitsabsolutismus), verlieren aber in der Moderne an Zuspruch. An ihre Stelle treten in der Neuzeit die Wissenschaften, die zwar ebenfalls den Anspruch auf Wahrheit erheben, die den Menschen aber letztlich doch mit seinen existentiellen Fragen allein lassen. In dieser Situation bekommt die Rhetorik die Funktion, dem Menschen Mittel an die Hand zu geben, die schließlich doch noch eine Art "Antwort" auf seine ihn bedrängenden Sinnfragen ermöglichen - ohne damit Anspruch auf Wahrheit zu erheben. Insbesondere dort, wo es um ein Ganzes geht, stellt beispielsweise die Rhetorik Veranschaulichungen zur Verfügung in Form von Metaphern, die es dem Menschen erlauben, sich in seinem Dasein darzustellen (Leben als Seefahrt, Welt als Theater, Geschichte als Fortschritt, Gesellschaft als Organismus, Bewußtsein als Spiegel usw).

"Der Mensch" - damit ist mit einem Mal eine philosophische Disziplin auf den Plan gerufen, die nicht ganz unumstritten ist, die philosophische Anthropologie. Blumenberg geht es um eine "anthropologische Annäherung" an das Phänomen der Rhetorik. Die Skepsis in der Philosophie und in den Wissenschaften gegenüber der Rhetorik hat eine lange Tradition (s. Platon). Sich "klar und deutlich" oder auch "eindeutig" auszudrücken (ohne Rhetorik) ist ja in manchen philosophischen Schulen das erklärte Ziel. Und dieses Ziel wird oft vehement verfolgt, meistens unter Zuhilfenahme der Rhetorik. Denn die Rhetorik arbeitet sehr subversiv. Sie ist auch dort am Werk wo ihre Skeptiker sie nicht vermuten.




Nauplios

Di 28. Nov 2017, 12:28

https://www.google.de/amp/s/amp.berline ... e-15811492

Oliver Müller hat Blumenbergs "Recht auf Rhetorik" in diesem kurzen Zeitungsartikel ganz treffend auf den Punkt gebracht.




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Stefanie
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Di 28. Nov 2017, 14:47

Hmm.

Den Vorwurf, den der Rhetorik gemacht wurde, kann ich nun verstehen. Rhetorik kann eben auch im negativen Sinne verwendet werden.
Für mich hat Rhetorik aber auch noch die Funktion der Verständlichkeit, und wenn ich es mal überspitzt formuliere, der Unterhaltung.
Ein gesprochenes wie auch ein geschriebene Wort soll den Inhalt verständlich transportieren, und auch in dem Sinne unterhalten, dass der Zuhörer/in, die Leser/in weiterliest, weil ein schwieriges Problem auch unterhaltsam und spannend erklärt wird. Rhetorische Kniffe sind durchaus erwünscht, zumindest geht es mir so. Rhetorik muss nicht den Anspruch auf absolute Wahrheit erheben; es ist ein Stilmittel. Sie muss nicht subversiv verwendet werden.
Rhetorik schließt aber doch nicht aus, dass sich klar und deutlich ausgedrückt werden kann.

Die Verwendung von Methapern - warum, wieso, weshalb- kann ich jetzt endlich mal nachvollziehen. Sozusagen Halt geben, ohne Wahrheit zu geben. Mir ist das zu indirekt. Bei den Texten im Vibrationsalarm ist eine Methaper - das Meer wenn ich mich recht entsinnen. Gefiel mir gut, bin aber immer staunen, wieso jetzt was ein Problem sein sollte, was man so umschreiben muss. Die - wie nenne ich es nur- Sehnsucht, sich mit Methapern im Dasein darzustellen, habe ich wohl nicht. Wie gesagt, ich kann es nachvollziehen, aber nicht nachempfinden. Beispiele zur Verdeutlichung sind was anderes.
Ich mag es lieber, klar, flüssig formuliert, mit etwas rhetorischen Pfiff, mit Beispielen hinterlegt, Wortspielerein. Aber die beispielhaften Methapern braucht es nicht unbedingt, weil es erst einen Übersetzungsschritt der Methaper erforderlich wird.



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Alethos
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Di 28. Nov 2017, 23:06

Nauplios hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 12:13
Man kann die Rhetorik in zweierlei Hinsicht betrachten, in ihrer Substanz und in ihrer Funktion.
Ich habe das Gefühl, dass in der Rhetorik Substanz und Funktion, Stilmittel und Zweck, in besonderem Maß eng verwoben sind.

Wir gelangen an die Welt mit allerlei Fragen, die sich z.B. in der Sprache der Wissenschaft beantworten lassen. Die bei der Beantwortung der Fragen nach Wahrheit, nach Ursprung oder Telos angewendete Technik des wissenschaftlichen Erklärens vermag dann aber lediglich den Seins- und Sinnbereich abzustecken, die ihre Mittel zugänglich machen. Wesentliche Teile von Wahrheit werden nicht berührt, es gibt für sie keine Sprache in Wissenschaft. Die Wissenschaft herrscht über ein grosses Wahrheitsreich, und man fragt sich als Narr manchmal, ob man sich den Spass eines kleinen metaphorischen Abschweifers erlauben könne. Streng, wie sie ihre Wahrheit bewacht, duldet sie vielleicht keine Abweichler. Jedenfalls liefert die Wissenschaft ein Bild der Wahrheit in der Plastizität, die ihre sprachlichen Mittel hergeben, ohne das ganze Gefühl von Wahrheit anzuklingen, z.B. das traurige das lustige oder irrige.

Auch die Religion ist eine strenge Herrscherin über das metaphysische Reich, die zwar Metaphern kennt, aber oft nur einen Weg hinauf oder denselben hinab.

Aber Rhetorik, so wie ich sie verstehe, bietet keine Welterklärungen und Apodiktik, sondern Metaphern und Wohlklang. Sie zeigt sich im unverbindlichen Spiel mit der Wahrheit, die sich necken lässt, wie eine junge Katze, oder anschmiegen kann, wie ein treuer Hund, durchgehen kann, wie ein junger Hengst, oder sich legen kann, wie ein Herbstblatt auf den kalten See. Die Rhetorik als metaphorische Daseinsweise gibt uns viele, unendliche Mittel in die Hand, uns auf die Wahrheit ganz oder ganz anders einzulassen: inspiriert durch sie und sie beflügelnd.

Bereits bei Plato wurde denn auch die Kritik an die Sophisten laut, sie hätten es nicht so gehabt mit der Wahrheit, sondern verdrehten sie so, damit sie überreden und verwirren könnten. Ihr Ziel wäre nicht die Wahrheit, sondern die Überzeugung durch hohlen Wohlklang.

Aber wenn der Wohlklang gar nicht hohl ist, sondern erfüllt von Freundschaft mit der Wahrheit, dann liegt doch in der Substanz, im Ornament, in der ausschweifenden Beschreibung zugleich ihre Funktion, nämlich diejenige, Wahrheit eine Sprache zu geben, in der wir uns wohlfühlen können? Vielleicht auch, der wir glauben können? Darum, so wie ich es verstehe, geht es bei der Rhetorik nicht ums Überzeugen, also um diese und keine andere Glaubensrichtung, sondern darum, in jene Bereiche vorzudringen, in die andere, vielleicht dogmatischere Sprachen, nicht gelangen können. Die rhetorische Sprache ist für mich so etwas wie die Wegbereiterin für uns Suchende, die gar nicht finden wollen, indem sie uns Wege zeigt, hier und dort entlang, uns stets mitten ins tiefste Leben führend.



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Alethos
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Di 28. Nov 2017, 23:25

Ich weiss, das klingt fürchterlich pathetisch und ist es vermutlich auch :)



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Philosophist
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Mi 29. Nov 2017, 03:55

Stefanie hat geschrieben :
Mo 27. Nov 2017, 15:36
Ich muss mal ganz platt was fragen: Was meint Ihr genau, wenn von Rhetorik gesprochen wird?

Mir schwant, es ist nicht gemeint, als wenn man z.B. Gregor Gysi als einen sehr guten Redner bezeichnet, da er die Rhetorik beherrscht. Geht es darum, etwas zu verkaufen, darum jemanden zu überzeugen? Welchen rhetorischen Mittel sind gemeint?
Ich habe das bisher so verstanden, dass auch die Philosophie rhetorisch schreiben und sprechen muss, damit sie überhaupt erst ihre Ansichten und Meinungen an die Frau und an den Mann bringen kann.
Rhetorik kann man vor allem als die Kunst verstehen , eine gute Rede zu halten. Und in dieser Rede können dann rhetorische Mittel wie Alliterationen, Anaphern, Metaphern und was es nicht alles an rhetorisches Mitteln gibt zum Einsatz kommen. Ein guter Redner ist jemand der diese Kunst eben beherrscht und das Wissen/die Kompetenz hat wie man vor einem Publikum eine entsprechende Rede hält und diese auch wirksam vorträgt.

Auch der Philosoph hält ja mitunter Reden bzw. verfasst Reden. Berühmtestes Beispiel in der Philosophiegeschichte ist ja die Apologie des Sokrates. Dies ist eine philosophische Rede, die auch entsprechend rhetorisch verfasst ist, sich aber im Grunde gegen die übliche Form von Rhetorik abgrenzen möchte. Dies betont jedenfalls der platonische Sokrates. Die Rede des Sokrates ist aufgrund ihrer rhetorischen Verfasstheit durchaus auch heute noch wirkungsvoll auf den Leser/die Leserin.



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Mi 29. Nov 2017, 03:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 27. Nov 2017, 19:07
Ein rhetorisches Quintett:

Philosophist fagt: "Was versteht ihr unter "Rhetorisches Philosophieren"?" Stefanie will es auch wissen: "Was meint Ihr genau, wenn von Rhetorik gesprochen wird?" Nauplios spricht mit Blumenberg vom "Recht auf Rhetorik" der gegen einem "Wahrheitsabsolutismus" erst durchgesetzt werden musste. Die Herausgeber des Bandes klingen etwas anders, sie sprechen von der Notwendigkeit, einen Wahrheitsanspruch mit adäquaten Mittel durchzusetzen. Während Friederike noch etwas bescheidener meint, dass Rhetorik nur der Vermittlung eines Gehaltes dient.

Und gleich Ranicki woll'n wir hoffen! Jetzt geht der Vorhang auf: denn alle Fragen sind noch offen!
Ja Gott sei Dank sind ja alle Fragen noch offen 8-) Denn sonst wäre die Diskussion schon "zu Ende" und das wäre ja schade oder?



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Mi 29. Nov 2017, 04:04

Nauplios hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 12:13
Man kann die Rhetorik in zweierlei Hinsicht betrachten, in ihrer Substanz und in ihrer Funktion. In ihrer Substanz ist die Rhetorik eine Ansammlung von Stilfiguren, mit deren Hilfe man eine Rede (in der Antike vornehmlich die politische Rede) ausschmückt. Dazu dienen beispielsweise die sogenannten Tropen wie Allegorie, Ironie, Metapher ... mit denen der Redner/Schreiber etwas veranschaulicht oder seine Hörer/Leser überzeugen will - im besten Fall von der Wahrheit, im schlechten Fall aber auch von Falschem, Widersprüchlichem. Platon wirft den Sophisten vor - etwa im Gorgias - es ginge ihnen allein darum, ihre Hörer mithilfe der Rhetorik zu überzeugen, auch dort (und gerade dort), wo sie Falsches lehren. Platon setzt damit eine Kluft zwischen Rhetorik und Philosophie. Die Rhetorik ist damit verdächtig, sich in den Dienst des Unwahren, Sophistischen zu stellen.

Blumenberg und andere Philosophen betrachten die Rhetorik aus der Perspektive ihrer Funktion. Der Mensch lebt in einer Welt, die ihm die Antworten auf seine letzten (Sinn-)Fragen verweigert. Weder die Religion noch die Metaphysik noch andere Sinnproduzenten können den Menschen von der Wahrheit (!) ihrer Angebote überzeugen. Sie treten zwar mit dem unbedingten Anspruch auf Wahrheit auf (Wahrheitsabsolutismus), verlieren aber in der Moderne an Zuspruch. An ihre Stelle treten in der Neuzeit die Wissenschaften, die zwar ebenfalls den Anspruch auf Wahrheit erheben, die den Menschen aber letztlich doch mit seinen existentiellen Fragen allein lassen. In dieser Situation bekommt die Rhetorik die Funktion, dem Menschen Mittel an die Hand zu geben, die schließlich doch noch eine Art "Antwort" auf seine ihn bedrängenden Sinnfragen ermöglichen - ohne damit Anspruch auf Wahrheit zu erheben. Insbesondere dort, wo es um ein Ganzes geht, stellt beispielsweise die Rhetorik Veranschaulichungen zur Verfügung in Form von Metaphern, die es dem Menschen erlauben, sich in seinem Dasein darzustellen (Leben als Seefahrt, Welt als Theater, Geschichte als Fortschritt, Gesellschaft als Organismus, Bewußtsein als Spiegel usw).

"Der Mensch" - damit ist mit einem Mal eine philosophische Disziplin auf den Plan gerufen, die nicht ganz unumstritten ist, die philosophische Anthropologie. Blumenberg geht es um eine "anthropologische Annäherung" an das Phänomen der Rhetorik. Die Skepsis in der Philosophie und in den Wissenschaften gegenüber der Rhetorik hat eine lange Tradition (s. Platon). Sich "klar und deutlich" oder auch "eindeutig" auszudrücken (ohne Rhetorik) ist ja in manchen philosophischen Schulen das erklärte Ziel. Und dieses Ziel wird oft vehement verfolgt, meistens unter Zuhilfenahme der Rhetorik. Denn die Rhetorik arbeitet sehr subversiv. Sie ist auch dort am Werk wo ihre Skeptiker sie nicht vermuten.
Ja . das sehe ich ähnlich, was du hier gesagt hast in vielerlei Hinsicht. Ich würde gern noch folgendes ergänzen wollen: Platon ist zwar derjenige der die Kluft zwischen Rhetorik und Philosophie (anhand seiner Sophisten-Kritik ) aufgemacht hat, was im Grunde mit seinem Gorgias-Dialog beginnt, allerdings ist auch er bzw. ist auch seine Philosophie nicht frei von Rhetorik/rhetorischen Mitteln. Die Apologie des Sokrates z.B. zeigt, dass Platon auch in der Lage war rhetorische Reden zu verfassen, die aber einen philosophischen Impetus/Ausdruckskraft haben, denn Sokrates betont dort, dass er anders als in der üblichen Weise vor Gericht sprechen werde. Bei Platon nennt man dies dann eben "philosophische" Rhetorik.

Und Blumenberg hat das glaube ich gesehen bei Platon, wenn ich mich recht erinnere. Er thematisiert jedenfalls glaube ich das Verhältnis Platons zu den Sophisten in "Die Arbeit am Mythos" irgendwo. Es gibt da nicht nur den Aufsatz über die "Annäherung an die Rhetorik" bei ihm, sondern Anmerkungen in seinem Buch über den Mythos.



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Mi 29. Nov 2017, 04:07

Stefanie hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 14:47
Hmm.

Den Vorwurf, den der Rhetorik gemacht wurde, kann ich nun verstehen. Rhetorik kann eben auch im negativen Sinne verwendet werden.
Für mich hat Rhetorik aber auch noch die Funktion der Verständlichkeit, und wenn ich es mal überspitzt formuliere, der Unterhaltung.
Ein gesprochenes wie auch ein geschriebene Wort soll den Inhalt verständlich transportieren, und auch in dem Sinne unterhalten, dass der Zuhörer/in, die Leser/in weiterliest, weil ein schwieriges Problem auch unterhaltsam und spannend erklärt wird. Rhetorische Kniffe sind durchaus erwünscht, zumindest geht es mir so. Rhetorik muss nicht den Anspruch auf absolute Wahrheit erheben; es ist ein Stilmittel. Sie muss nicht subversiv verwendet werden.
Rhetorik schließt aber doch nicht aus, dass sich klar und deutlich ausgedrückt werden kann.

Nun , dass Rhetorik auch negativ verwendet werden kann, ist natürlich wahr . Und das ist ja auch oft etwas , was die Kritiker der Rhetorik derselben mehr oder weniger vorwerfen. Für mich ist allerdings dies kein Einwand an sich gegen Rhetorik. Denn im Grunde kann ja jede Sache mehr oder weniger für positive oder negative Zwecke gebraucht werden, dass ist dann allerdings kein Einwand gegen die Sache selbst (oder?)



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Mi 29. Nov 2017, 04:11

Alethos hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 23:06
Nauplios hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 12:13
Man kann die Rhetorik in zweierlei Hinsicht betrachten, in ihrer Substanz und in ihrer Funktion.

Bereits bei Plato wurde denn auch die Kritik an die Sophisten laut, sie hätten es nicht so gehabt mit der Wahrheit, sondern verdrehten sie so, damit sie überreden und verwirren könnten. Ihr Ziel wäre nicht die Wahrheit, sondern die Überzeugung durch hohlen Wohlklang.

Aber wenn der Wohlklang gar nicht hohl ist, sondern erfüllt von Freundschaft mit der Wahrheit, dann liegt doch in der Substanz, im Ornament, in der ausschweifenden Beschreibung zugleich ihre Funktion, nämlich diejenige, Wahrheit eine Sprache zu geben, in der wir uns wohlfühlen können? Vielleicht auch, der wir glauben können? Darum, so wie ich es verstehe, geht es bei der Rhetorik nicht ums Überzeugen, also um diese und keine andere Glaubensrichtung, sondern darum, in jene Bereiche vorzudringen, in die andere, vielleicht dogmatischere Sprachen, nicht gelangen können. Die rhetorische Sprache ist für mich so etwas wie die Wegbereiterin für uns Suchende, die gar nicht finden wollen, indem sie uns Wege zeigt, hier und dort entlang, uns stets mitten ins tiefste Leben führend.


Bei Platon gibt es zwar eine Kritik an den Sophisten und ihrer Verwendungsweise von ("schmeichlerischer") Rhetorik, das hindert ihn allerdings nicht selbst eine bestimmte philosophische Form von Rhetorik zu praktizieren in seinem Werk. Ein Beispiel dafür ist wie gesagt die "Apologie des Sokrates". Dort heißt es ja an einer Stelle, dass derjenige ein Redner ist, der die "Wahrheit" sagt. Rhetorik im positiven Sinne verstanden bei Platon ist also um Wahrheit bemüht. Dies ist vermutlich die einzige Form von Rhetorik die Platon akzeptiert hätte.

Sonst ist er ja nicht so begeistert wie die Sophisten mit der Sprache umgehen...



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Friederike
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Mi 29. Nov 2017, 12:26

Alethos hat geschrieben : Ich weiss, das klingt fürchterlich pathetisch und ist es vermutlich auch :)
"Pathos" gehört wohl auch zum rhetorischen Handwerkszeug. Bild

Nur zur Metapher, die Du in Deinem Beitrag aufgegriffen hast: Im Unterschied zum Begriff öffnet sie den Zugang zum Bildbereich und dem der Assoziationen. Insofern ist sie mehr- und vieldeutig, während der Begriff, optimiert in der Definition, möglichst eindeutig sein soll.

Die Philosophie befindet sich eigentlich in der Mitte zwischen der naturwissenschaftlichen und der alltäglichen Sprache. Vernachlässigt worden in ihrer Erkenntnisfunktion ist die Metapher in der Philosophie wohl über Jahrhunderte. Ob dies gegenwärtig auch noch so ist, bezweifle ich. Vor allen Dingen ist in der Philosophie aber nicht beachtet worden, daß die philosophische Sprache sich permanent und reichlich selber der Metaphern bedient. In der jüngeren Philosophie sind es Anleihen bei den neuen Technologien, früher wurden gerne Bilder aus dem Rechts- und Militärbereich benutzt. Sehr vieler Metaphern wird man überhaupt nicht gewahr, weil sie derart im -philosophischen- Sprachgebrauch verankert und üblich sind, daß man ihre Eigenschaft, eine Metapher zu sein, gar nicht mehr bemerkt. Dieser Art metaphorischer Redewendungen dürften in vielen Fällen sogar eindeutiger sein als manche Begriffe es sind.

@Alethos, ich habe Deine Überlegungen lediglich zum Anlaß genommen, in meinen Worten Ähnliches anders zu sagen. Bild




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Alethos
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Mi 29. Nov 2017, 13:22

Friederike hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 12:26
ich habe Deine Überlegungen lediglich zum Anlaß genommen, in meinen Worten Ahnliches anders zu sagen. Bild
:)

Ahnliches, und doch anderes, weil du eine Brücke schlägst zwischen dem rein beschreibendem Begriff und dem metaphorischen Begreifen, wie er such in Philosophie vorkommt. Ähnliches, aber auch anderes, weil weniger Pathos mitschwingt. :)



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Friederike
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Mi 29. Nov 2017, 13:38

Alethos hat geschrieben : Ähnliches, und doch anderes, weil du eine Brücke schlägst zwischen dem rein beschreibendem Begriff und dem metaphorischen Begreifen, wie er such in Philosophie vorkommt. Ähnliches, aber auch anderes, weil weniger Pathos mitschwingt. :)
apropos Begriff + begreifen - "Begriff", übertragen aus dem sinnlich-haptischen Bereich in den geistigen Bereich. Fällt das auch unter Metapher? Metaphernarten gibt es viele. Müßte ich mal googeln, welcher Sorte diese ist.




Nauplios

Mi 29. Nov 2017, 17:12

Friederike hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 12:26
Vor allen Dingen ist in der Philosophie aber nicht beachtet worden, daß die philosophische Sprache sich permanent und reichlich selber der Metaphern bedient.
Das gilt im Großen wie im Kleinen. Vom Letzten hier eine erfrischende Kostprobe, die zwar schon ein paar Jahre alt ist und aus einem Nachbarforum stammt, an der sich aber die "Unauffälligkeit" der Rhetorik für den, der sie in Bausch und Bogen ablehnt, zeigt:

"Philosophie ist keine Rhetorik" titelt der unbekannte Autor seinen Thread und seine Begründung klingt so:

"Philosophie ist eine Tätigkeit auf einer Kriechspur. Sie ist kein Gelände für riesige Schritte und flotte Ergebnisse. Philosophie setzt alle Gewißheit außer Kurs."

Von "Unauffälligkeit" oder gar Subversivität der Rhetorik kann in diesem Beispiel eigentlich schon gar keine Rede mehr sein, eher von einem Feuerwerk an Rhetorik, das gegen dieselbe eingesetzt wird - übrigens unbemerkt von allen anderen Threadteilnehmern.

Bleibt die Erkenntnis, daß offensichtlich die Rhetorik ebenfalls eine Kriechspur ist, aber eine, die Spurwechsel erschwert.




Nauplios

Mi 29. Nov 2017, 17:18

"Kriechspur ... Gelände ... Schritte ... Kurs"

Vier Metaphern in drei Sätzen. Mehr Rhetorik geht kaum. Das gibt's natürlich auch bei den Großen und beliebt sind die Stilmittel der Rhetorik insbesondere dort, wo ihr Verruf ausgeprägt ist.




Nauplios

Mi 29. Nov 2017, 17:27

"An ihrem Grunde, dem logisch Einfachen, angelangt, kann also selbst eine so strenge Wissenschaft wie die Logik nicht auf rhetorische Elemente verzichten." (G. Gabriel; "Zwischen Logik und Literatur"; S. 88)

Was nun?




Nauplios

Mi 29. Nov 2017, 19:14

Der geschäftsführende Bundesjustizminister warnt im Zusammenhang mit dem Attentat auf den Bürgermeister von Altena vor den "rhetorischen Brandstiftern" der AfD. -




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