"glauben"

Hier geht es einerseits um die Erörterung logischer Grundstrukturen in der Philosophie und andererseits um Sprachanalyse als philosophische Methode, Theorien der Referenz und Bedeutung, Sprechakttheorien u.ä.
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Jörn Budesheim
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Mo 29. Apr 2019, 06:21

Die Ausdrucke "Glauben/glauben" können verschiedenes bedeuten. In diesen Thread soll es darum gehen, die verschiedenen Bedeutungsnuancen heraus zu arbeiten. Spontan fallen mir diese drei Möglichkeiten ein, vermutlich gibt es mehr.
  1. Hans glaubt, dass der Schlüssel unter der Matte liegt.
  2. Hans glaubt an Gott.
  3. Hans glaubt keinem mehr.
Im ersten Beispiel ist "glauben" gemeint im Sinne von "fürwahrhalten". Davon unterscheiden sollte man "glauben" "im religiösen Sinne". Und das dritte Beispiel geht wohl eher in Richtung "vertrauen".

Wer bietet mehr?




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Stefanie
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Mo 29. Apr 2019, 22:20

Ist bei Beispiel Nr. 1 nicht auch immer etwas Unsicherheit oder Zweifel dabei?
"Weißt du wo mein Schlüssel ist? Ich glaube der liegt auf der Anrichte." Also immer wenn, man sich nicht ganz sicher ist, gibt es die Aussage ich glaube, dass. Oder?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

szimmer
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Di 30. Apr 2019, 00:06

Glauben kommt ja von "Gott loben"...dann hat es wie bei Stefanie noch die Bedeutung von "annehmen", vermuten aber nicht sicher wissen. Ich kenne noch das Wort aufg(/k?)lauben, d.h. etwas Gefallen.
es vom Boden aufsammeln...

Interessant finde ich noch die Bedeutung von akzeptieren, o.k
Friederike hat lieber bejahen ...😃

Da fällt mir dann mein Lieblingszitat von Dostojewski ein: "Einen Menschen zu lieben bedeutet ihn/sie so zu akzeptieren wie Gott ihn/sie gemeint hat".
Wobei akzeptieren wohl nur eine Übersetzungsmöglichkeit ist...Thema freie Variable und Gott...

Das haben meine Schwester und ihr Mann dann vor 5 Jahren als ihren Hochzeitsspruch gewählt...
d.h. bei der Ver.trauung ☺️



P.S. Wer den Fehler findet darf ihn behalten ;)

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Jörn Budesheim
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Di 30. Apr 2019, 05:29

Laut wissen.de ist das Folgende die Etymologie des Wortes: glauben >
das Wort geht über die westgerm. Form *ga–laub–on auf germ. *(ga)laubija– „glauben“ zurück, das wiederum abgeleitet wurde von *ga–lauba– „vertrauenerweckend, zutraulich“; vermutet wird auch eine Zugehörigkeit zur Wortgruppe von → Laub im Sinne „Laub als Lockmittel für Tiere“, das sich dann zu „zutraulich, zahm“ entwickelte...


Interessant ist auch dieses hier > als Lehnübersetzung aus lat. creditor entstand im 15. Jh. die Bildung Gläubiger für „jemanden, bei dem man Schulden hat“; das Verb beglaubigen ist seit dem 17. Jh. in Gebrauch und bedeutet „etwas glaubhaft machen, bestätigen"

Interessant ist der Zusammenhang mit den Schulden, finde ich. wer es glaubt und dieses äußert ist in anderen gegebenenfalls eine Erläuterung/Begründung schuldig.




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Jörn Budesheim
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Di 30. Apr 2019, 05:52

Stefanie hat geschrieben :
Mo 29. Apr 2019, 22:20
Ist bei Beispiel Nr. 1 nicht auch immer etwas Unsicherheit oder Zweifel dabei?
"Weißt du wo mein Schlüssel ist? Ich glaube der liegt auf der Anrichte." Also immer wenn, man sich nicht ganz sicher ist, gibt es die Aussage ich glaube, dass. Oder?
Kann sein, muss aber nicht. Nehmen mir folgende Beispiele:

John: Trump ist der beste Präsident, den wir je hatten!
Jörn: Das glaube ich nicht!

Jörn: "Ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine Welt gibt."


Beides würde ich so sagen und in beiden Fällen würde ich eine feste Überzeugung ausdrücken.




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Stefanie
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Di 30. Apr 2019, 22:03

Wenn bei uns jemand auf eine konkrete Frage antwortet "Ich glaube schon" kommt oft oft zurück, ja weißt du es oder nicht?


Zu Nr. 3 fällt mir ein..
"Ich glaube Dir, dass du ...."
oder
"Ich halte Herrn Muster für glaubwürdig. "



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Jörn Budesheim
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Mi 1. Mai 2019, 06:27

Stefanie hat geschrieben :
Di 30. Apr 2019, 22:03
Wenn bei uns jemand auf eine konkrete Frage antwortet "Ich glaube schon" kommt oft oft zurück, ja weißt du es oder nicht?
Yepp. Oder man sagt: "geglaubt wird in der Kirche". Das ist zwar in der Regel als Scherz gemeint, oft läuft es aber auch einfach auf den Fehler hinaus, den es natürlich zu vermeiden gilt, die diversen Bedeutungaspekte des Begriffs zu verwechseln. Nicht immer, wenn jemand das Verb "glauben" nutzt, ist "glauben" im religiösen Sinne gemeint.

Oft wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das Englische für die verschiedenen Bedeutung eigene Wörter hat, nämlich faith und believe (manchmal folgt dann auch noch trust) ... Meine englischkenntnisse reichen allerdings nicht dafür aus, das zu vertiefen.




storyway
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So 19. Jan 2020, 14:31

Meines Erachtens war das Wort Glauben ursprünglich benutzt worden, um die Vertrauenswürdigkeit einer Erzählung, eines Berichtes (Alle drei Formen der Erzählung: Epos, Mythos, Logos) auszudrücken, auch wenn kein Wissen dahinter steht: Ich glaube es, weil ich erfahren habe, dass der/die Berichtende bisher die Wahrheit gesagt hat, Glaube (ich glaube dir) ist also zunächst Vertrauen, vermittelt über die Person des/r Berichtenden, den Weisen, Eltern, Älteren, Erfahreneren, Autoritäten. Mit diesem Vertrauen ist dem Bericht gefolgt worden (Da hinten ist Nahrung - ich glaube dir und gehe dort hin, um Nahrung zu finden) und vice versa: "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht.", das Vertrauen also erschüttert ist.

Seit der Entdeckung des logos ist der Glaube die Gewissheit geworden, ausgedrückt in der logischen Formel: Wenn … dann, also auch wenn ich nicht dran glaube und die Klimaschützer blöd finde, kein Vertrauen zur Wissenschaft habe, wird sich der logische Schluss erfüllen. Also, z. B. die Klimaerwärmung kommt auch, wenn ich, ja sogar alle oder die Mehrheit nicht dran glaube. Feuer brennt auch, wenn ich nicht dran glaube.

Dann die religiöse Perversion: "Credo quia absurdum est" (Paulus, Tertullian und Augustinus zugeschrieben). Seitdem ist der Glaubensbegriff verschmutzt und wird als Gegenbegriff gegen Wissen gesetzt. Aus Vertrauen wird blindes Vertrauen, nicht hinterfragtes und ungeprüftes Vertrauen in die Erzählungen der Mütter, Väter, Priester, Herrscher.
Aus Autorität gegründet auf Erfahrung wird Autorität gegründet auf das Gewaltmonopol. Recht wird eine Machtfrage. Dem entsprechend werden Zweifler, Ketzer, Nachfrager verfolgt und niedergehalten, bis die Unterdrückung der Wissenschaft den Verfall der Gesellschaft so weit getrieben hat, dass die Macht zum Niederhalten verschwindet und die Zweifler, Ketzer und Nachfrager schliesslich zur Macht gelangen und die Spirale sich fortsetzt.




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Friederike
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So 19. Jan 2020, 15:02

storyway hat geschrieben :
So 19. Jan 2020, 14:31
[...] Seitdem ist der Glaubensbegriff verschmutzt [ kursiv von mir, F.] und wird als Gegenbegriff gegen Wissen gesetzt.
Mit diesem Wort bewegt Du Dich aber entschieden im religiösen Bereich 8-) ...




storyway
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So 19. Jan 2020, 21:01

Friederike hat geschrieben :
So 19. Jan 2020, 15:02
storyway hat geschrieben :
So 19. Jan 2020, 14:31
[...] Seitdem ist der Glaubensbegriff verschmutzt [ kursiv von mir, F.] und wird als Gegenbegriff gegen Wissen gesetzt.
Mit diesem Wort bewegt Du Dich aber entschieden im religiösen Bereich 8-) ...
Wie das? Im Übrigen unterscheide ich deutlich zwischen religiösem, also Tatsachen und Handlungen, welche Menschen zusammenführen, und Kirche als Machtinstrument.

Die Wortverschmutzung beschäftigt mich schon lange: Was fällt Euch ein, wenn Ihr "Kommunismus" hört, oder "Muslime", oder "Christentum". Die "Was darf man noch sagen? Debatte geht in ähnliche Richtungen.




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Jörn Budesheim
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Mo 20. Jan 2020, 07:59

Zum Glauben im religiösen Sinn gehört meines Erachtens (der ich ein Atheist bin) wesentlich der Bezug zu etwas Transzendentem. Das muss nicht immer ein Gott sein, aber zum Kern gehört, wenn ich mich nicht täusche, immer die Vorstellung, dass es mit den Dingen hier im Dieseits noch nicht getan ist, sondern dass das Ganze mehr ist und einen Sinn hat.

Region erschöpft sich meines Erachtens daher auch nicht darin, unverstandene natürliche Phänomene verständlich zu machen, sodass sie eigentlich überflüssig würde, soweit die Naturwissenschaften einen gewissen Stand erreicht haben. Diese Art von Glauben kann man nicht gegen eine Form des naturwissenschaftlichen Wissens eintauschen. Glaube in diesem Sinn ist nicht der Vorhof zum (naturwissenschaftlichen) Wissen. Daher ist es meines Erachtens grundlegend verkehrt, Glauben im religiösen Sinne als eine Vorform (oder gar Schwundform) des Wissens zu verstehen.

Wir haben es hier in der Regel mit einem komplexen System von Vorstellungen, Überzeugung, Glaubenssätzen zu tun, die auch keineswegs bloß deskriptiv sind, schließlich sollen sie Sinn "stiften" (erkennen/erfahrbar machen/...) und auch unsere Handlungen anleiten. Zu diesen Handlungen gehören nicht nur bestimmte Handlungen gegenüber sich selbst und den Mitmenschen, man denke an den barmherzigen Samariter, sondern auch bestimmte gemeinschaftliche Handlungen, Gottesdienste, Traditionen, Riten und ähnliches. Daher gehört zur Religion meines Erachtens in aller Regel auch, dass sie komplexe, traditionsreiche Institutionen geschaffen haben. Religion ist nach meiner Vorstellung nicht einfach Privatsache. Einer Religion gehört man an. Wenn man etwas recherchiert, kommt man zu einer erstaunlichen Zahl: acht von zehn Menschen fühlen sich einer Religion angehörig!




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Friederike
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Mo 20. Jan 2020, 11:50

storyway hat geschrieben :
So 19. Jan 2020, 21:01
Wie das? Im Übrigen unterscheide ich deutlich zwischen religiösem, also Tatsachen und Handlungen, welche Menschen zusammenführen, und Kirche als Machtinstrument.
@storyway, ich hatte Dich nur ein bißchen anpiksen wollen, weil ich mir dachte, Du, der Du die verwaltete Religion (=Kirche) harsch angehst, bedienst Dich dabei eines Wortes, das zumindest in der jüdisch-christlichen Religion eine maßgebliche Rolle spielt: das Reine und das Unreine, Reinigung und Verschmutzung. Naja, und warum mir nach Anpiksen war ... ich finde den Ansatz von Dir (Flossmann) spannend, bin aber von dem moralischen Tenor, mit dem Du die These vom Logos zum Mythos begleitest, abgeschreckt. Moral oder/und heftige Gefühle wie Ablehnung versperren die klare Sicht. Ich halte es für richtiger, philosophisch-historische Betrachtungen von moralischen Beurteilungen zu trennen, d.h. sie sollten mE nicht beiläufig in die eher beschreibenden Ausführungen einfließen.




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