Was ist ein Philosophie Forum?

Hier geht es um die Philosophie selbst, denn sie kann sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens machen - zum Beispiel: Was ist Philosophie? Was sind die Themen der Philosophie? Wie grenzt sie sich von anderen Disziplinen ab? ...
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Jörn Budesheim
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Sa 31. Aug 2024, 22:08

Was ist ein Philosophie Forum? Wie kann man von einem Philosophie Forum profitieren? Was sollte man dort tun? Was kann man dort erwarten?
RoloTomasi hat geschrieben :
Sa 31. Aug 2024, 20:00
Ich finde die Diskussion übrigens sehr interessant, und sie hilft mir, meine eigenen Gedanken zu klären. Dafür danke an alle.
Ich finde, das ist ein wichtiger Aspekt, auch für mich. Solche Diskussionen "zwingen" ein oft dazu, die eigenen Gedanken in eine Form zu bringen und das kann oft ein großer Vorteil sein.




RoloTomasi
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Sa 31. Aug 2024, 22:29

Ich bin ja neu in diesem Forum, aber ich muss sagen, dass mich bereits die wenigen Dialoge hier schon sehr bereichert haben. Ich bin noch dabei, mir die diversen Diskussionen in den einzelnen Themenfeldern durchzulesen... alles sehr interessant, wie ich finde.

Ich denke, solche Foren sind wichtig zum geistigen Austausch; sie haben ein bisschen diese freigeistige und kultivierte Note wie früher in den Salons der Aufklärung. Ich selbst gebe beruflich viele Philosophie-Kurse, aber das schriftliche Verfassen und Sich-Austauschen hat eine besondere Qualität...und ist nochmal anders als allein Texte zu schreiben.

Und natürlich ist es schön zu sehen, dass auch andere mit ähnlichen Problemen und Fragen ringen wie man selbst. Ja, ich finde solche Foren sehr wichtig, um gemeinsam geistig in Bewegung zu bleiben.



"Never stop this old erosion - fantastic voyage" (Falco)

Timberlake
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So 1. Sep 2024, 15:47

... wenn man selbst beruflich viele Philosophie-Kurse gibt , kann allerdings ein Philosophie Forum durchaus problematisch werden. Könnte man doch im Verlauf dessen auf etwas stoßen, dass so ganz und gar nicht zu dem passt, was man in diesen Philosophie-Kursen kund tut. Zumal sich in einem Philosophie Forum das Prinzip der Selbstbewegung des Denkens und der Selbstbewegung der Wirklichkeit , gemäß der Dialektik Hegels , auf einem gänzlich anderen Niveau bewegt . So ist dieses Prinzip in einem Philosophie-Kurs in der Regel nur insofern erwünscht , wie das es dem Ziel des Kurses schlussendlich dienlich ist.
  • "Das skeptische Selbstbewußtsein erfährt also In dem Wandel alles dessen, was sich für es befestigen will, seine eigene Freiheit als durch es selbst sich gegeben und erhalten; es ist sich diese Ataraxie des sich selbst Denkens, die unwandelbare und wahrhafte Gewißheit seiner selbst. Sie geht nicht aus einem Fremden, das seine vielfache Entwicklung in sich zusammenstürzte, als ein Resultat hervor, welches sein Werden hinter sich hätte; sondern das Bewußtsein selbst ist die absolute dialektische Unruhe, dieses Gemisch von sinnlichen und gedachten Vorstellungen, deren Unterschiede zusammenfallen und deren Gleichheit sich ebenso – denn sie ist selbst die Bestimmtheit gegen das Ungleiche – wieder auflöst"
    Hegel ... Phänomenologie des Geistes
Wo wenn nicht in einem Philosophieforum kann sich ein skeptisches Selbstbewußtsein mit das austoben , was Hegel hier eine absolute dialektische Unruhe nennt. Eine absolute dialektische Unruhe , die übrigens seiner Zeit im "Kurs" Wissenschaftlicher Kommunismus. beinahe zu meiner Exmatrikulation an der Ingenieurschule für_Verkehrstechnik (Dresden) geführt hat.




Nick Nickless
Beiträge: 32
Registriert: So 2. Okt 2022, 15:10

Fr 6. Sep 2024, 15:27

Timberlake, da hast du ja ein sehr vielsagendes und beziehungsreiches Hegelzitat angezogen, wonach allerdings so ein Forum nicht eine Schule der Philosophie, also der Vernunft, sondern eben bloß der Skepsis, der skeptischen Methode (die dialektische Unruhe, die alles negiert) und der stoisch-skeptischen Ataraxie, der »Meeresstille der Seele«, der Leerheit des Denkens, des reinen Selbstbewusstseins, Ich-bin-Ich, seiner formell-inhaltslosen Freiheit. Und damit magst du denn auch wohl recht haben.

Denn die Forenstruktur legt das skeptische Verfahren ja eben nahe: Man nimmt von irgendwoher, von außen also, irgendeinen Gedanken auf, kaut ein wenig darauf herum, jeder bringt seine Einfälle von daher und dorther herbei, zeigt seine Beschränktheit und Relativität auf, und dann versandet die Sache auf die eine oder andere Weise im Nichts. Und dann schnell zu eine, neuen Gedanke, von außen, zusammenhanglos, herbeigeschafft, ein neuer Thread, ein neues Spiel, mit dem selben Resultat. Das einzige wirklich sich Durchhaltende ist dabei dann eben das Nichts, das man dann als Freiheit des Geistes, Ataraxie, Ungebundenheit, stoische Gelassenheit, woke Aufgeklärtheit, Ironie, Sarkasmus, Toleranz, Weltoffenheit, lebendiges Forum, Diskurs, Gedankenreichtum usw. sich schönreden kann. Das ist eben das Verfahren, das die Skeptiker (Sextus Empiricus) mit Willen und Bewusstsein geübt haben, was auch bei dir, Timberlake, bewusste Intention sein mag, was bei den anderen vielleicht mehr gegen die eigentliche Absicht durchsetzt, denn der einzelne, aus seinem Zusammenhang gerissene Gedanke ist eben seine Auflösung, dem seine Auferstehung in der Einheit mit seinem Anderen verweigert wird, - so würde zumindest Hegel das sehen.

Und deshalb geht Hegel an dieser Stelle auch zur negativen Seite dieser Haltung (also zur Negation der Negation) über, spaltet sie nicht ab ein einen anderen Thread, anderes Thema, andere Baustelle, wo der Zusammenhang der ersten und der zweiten Negation dann verschwindet. Er denkt das skeptische Bewusstsein einfach weiter, zeigt ihm, was es unterbelichtet und abgespalten an ihm selbst hat: »Es lässt den unwesentlichen Inhalt in seinem Denken verschwinden, aber eben darin ist es das Bewusstsein eines Unwesentlichen; es spricht das absolute Verschwinden aus, aber das Aussprechen ist, und dies Bewusstsein ist das ausgesprochene Verschwinden.« Dieses grenzenlose Herumwälzen in der Nichtigkeit aller Dinge, diese negative Freiheit und Gleichheit, hebt sich selbst auf. »Es spricht die Nichtigkeit des Sehens, Hörens usf. aus, und es sieht, hört usf. selbst, es spricht die Nichtigkeit der sittlichen Wesenheiten aus und macht sie selbst zu den Mächten seines Handelns.« Im Handeln ist es zur Eindeutigkeit und Bestimmtheit gezwungen, da bleibt ihm nichts anderes übrig, als eben wieder dogmatisch zu werden, positive Heiligtümer und Denkverbote zu proklamieren, sein krudes So-Sein zu hypostasieren und eben sich an das zu halten, was es skeptisch längst aufgelöst hat, d. h. auf eine tyrannische, zynische, »faschistische« Weise. An dieser globalen Nichtigkeit, dieser Pseudo-Aufklärung, muss schließlich die ganze Welt genesen, denn wo alle Bestimmtheit, auch die Maßstäbe aller Kritik in der negativen Freiheit verschwinden, da wird das Handeln notwendig grenzen-, maß- und rücksichtslos; und je reiner die Skepsis, desto willkürlicher, autoritärer und trumpelder das Handeln; der Gegensatz tritt immer greller hervor durch die konsequente Reinigung der Skepsis von allem Restdogmatismus (z. B. der abstrakten Rechtlichkeit). Aber eben dies ist das skeptische Bewusstsein selbst, sein eigener Widerspruch, an dem es zugrunde geht: »Sein Tun und seine Worte widersprechen sich immer, und ebenso hat es selbst das gedoppelte widersprechende Bewusstsein der Unwandelbarkeit und Gleichheit und der völligen Zufälligkeit und Ungleichheit mit sich. Aber es hält diesen Widerspruch seiner selbst auseinander.« Man ist entweder woke, in der Vielfalt und Zufälligkeit aufgelöst, oder dogmatisch-identitärer Faschist, tertium non datur, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, es sogar verpönt und aus sich ausschließt.

Bei deinem Freund Nietzsche gibt es eine schöne Parallelstelle dazu. Am Ende des ersten Hauptstücks von MA (§20) sieht er, dass sein aufklärerischer Impetus zum Nihilismus wird: »Aber wird so unsere Philosophie nicht zur Tragödie? Wird die Wahrheit nicht dem Leben, dem Besseren feindlich?« Er versucht dann »zur Beruhigung« das Ergebnis im Sinne der Ataraxie, der »Meeresstille«, zu verstehen: »Ich könnte mir ebenso gut wie jene geschilderte und bei einzelnen Naturen mögliche Nachwirkung eine andere denken, vermöge deren ein viel einfacheres, von Affekten reineres Leben entstünde, als das jetzige ist.« Um dann aber am Ende aber doch den Pferdefuß anzudeuten: »Will man aber trotzdem mehr von ihm, so wird er mit wohlwollendem Kopfschütteln auf seinen Bruder hinweisen, den freien Menschen der Tat, und vielleicht ein wenig Spott nicht verhehlen: denn mit dessen ›Freiheit‹ hat es eine eigene Bewandtnis.« Hier ist der Widerspruch, auf den Hegel den Finger liegt, auch zu erkennen, und N. ist nicht nur über die Naivität des Dogmatismus, sondern auch die unmittelbare Gestalt der Skepsis hinaus; er sieht sehr wohl die Einheit, die »Brüderlichkeit«, dieser beiden Formen sieht, die heute ja überall mit Händen zu greifen ist (bei den kriegerischen Naturaposteln, beim reinen ungebrochenen Identitären, das handeln will). Aber N. belässt es dann eben beim geistreichen Apercu, bedingt auch durch die aphoristische Darstellungsweise; schnell weiter zur nächsten Pointe, ganz irgendwo anders. Ein solches Verfahren (»Phil. ist wie ein kaltes Bad, schnell rein, schnell raus«) passt deshalb auch schon rein formell betrachtet optimal zur Struktur eines Internetforums. Der Widerspruch wird N. so nicht zum »pain in the ass«, nicht zum movens des Gedankens, allenfalls zum punktuellen »Goldaufblitzen am Bauch der Schlange Vita«. Ganz im Gegenteil sogar: In seinen späten Schriften will er dann ja, der Leerheit der Skepsis überdrüssig und wieder ganz metaphysisch-dogmatisch redend, die Freiheit des Tatmenschen in Gestalt des Willens zur Macht (also die Nichtigkeit und Leere der Ataraxie zum positiv-aktivistischen Inhalt und Zweck hypostasiert), als ultima ratio präsentieren.

Hegel dagegen verwirft diese Hypostase (er nennt das den »Fanatismus der negativen Freiheit«), sondern hält an den ganzen Widerspruch fest, so wie er sich gezeigt hat, indem er einfach die beiden Seiten eng zusammengestellt hat: »Die Gedankenlosigkeit des Skeptizismus über sich selbst muss verschwinden, weil es in der Tat ein Bewusstsein ist, welches diese beiden Weisen an ihm hat.« Das Denken oder der Mensch kann letztlich nicht in dieser Widersprüchlichkeit der liberal-tyrannischen Skepsis verharren, so sehr er auch demonstrieren, den einen oder den anderen Nietzsche herbeizitieren oder schlicht die drei Affen (Nichts sehen, hören, ...) machen mag. Dieses Wissen um den Widerspruch versandet dann bei Hegel nicht im Nichts, sondern ergibt dann die neue positive Gestalt des »unglücklichen, in sich entzweiten Bewusstseins«, das »Ein Bewusstsein« ist, nämlich nunmehr das Wissen, »in dem einen Bewusstsein immer auch das andere haben und so aus jedem unmittelbar, indem es zum Siege und zur Ruhe der Einheit gekommen zu sein meint, wieder ausgetrieben werden«. Es weiß also, dass es in der reinen Ataraxie die Gewalttätigkeit hat, und der stumpfen Tyrannei nichts als die reine Identität oder Reflexion zugrunde liegt. Dieses Bewusstsein ist dann nicht von außen her aufgenommen, irgendein genialer Fund oder Einfall, neuer Thread, neues Glück, irgendein ganz anderer Aphorismus, der solches jetzt zum Thema hat, - sondern es hat sich aus der Bewegung des Gedankens selbst ergeben. Und die Skepsis ist in dieser neuen Gestalt auch gar nicht verschwunden, sondern eben zurückgenommen in den Zusammenhang, in dem sie allein Sinn und Bedeutung hat, ergänzt um das Moment, das sie zunächst »gedankenlos« von sich ausgeschlossen hatte.

Auf diese Weise wird dann bloße »dialektische Unruhe«, die bloße Reflexion aus aller Realität und Bestimmtheit heraus in das solus ipse, zur »spekulativen Methode«, die bloße Negativität wird so zur »bestimmten Negation« oder »absoluten (sich auf sich beziehenden) Negativität, damit zur »spekulativen Methode«, wodurch sich das Negieren zum »wissenschaftlichen Gang« erhebt, zu einem begründeten Zusammenhang, nicht indem Dogma aus Dogma hergeleitet wird (was immer der Skepsis verfällt), sondern verbunden eben durch diese Negativität; verbunden zu einer kontinuierlich-diskreten Kette von Gedanken, Begriffen, Sphären, die sich zum Ganzen runden, sich in sich reflektieren und sich auch wieder in die Äußerlichkeit entfremden.

Indem der im »unglücklichen Bewusstseins« noch vorhandene Gegensatz sich auflöst, entsteht dann übrigens die Gestalt der »Vernunft«, also die Einheit IN (nicht jenseits) der Vielfalt, des Selbstbewusstseins in seiner Realität, der konkret-universal-göttlichen »linken« Vernunft in der einzelnen, partikularen, natürlichen »rechten« Existenz (ganz abstrakt genommen); also eben das zusammengedacht, was die alltägliche Vorstellung (die eben durch dieses Auseinanderhalten definiert ist) und mehr noch die moderne Ausdifferenzierung strikt auseinander und für ganz unversöhnliche, bis aufs Blut zu bekriegende Gegensätze hält; womit dann freilich nur die Vernunft selbst bekriegt wird. Wo nun aber selbst in der profanen Wirklichkeit bereits zarte Regungen über die Gedankenlosigkeit der liberal-tyrannischen Skepsis hinaus sich zeigen, wo bereits schemenhaft die »Frohe Botschaft« der Vernunft Gestalt und Gegenwart annimmt, da sollte doch wohl das Philosophieforum nicht seinen Stolz darein setzen wollen, die Gedankenlosigkeit, die Schizophrenie der feindlichen Brüder und damit den Irrationalismus zu zementieren, und dies dann gar noch mithilfe eines halbierten Hegel!

Halte dich lieber an den ganz jungen Nietzsche, den Altphilologen des »Bruderbundes von Apollo und Dionysos«, der in Sokrates (und Euripides) den skeptischen Sophisten erkennt, der diesen Bruderbund, der ja die Einheit der Tragödie ist, zerstört, indem er das Ich, die reine Identität, für sich festhalten will und dessen Perspektive auf die Bühne bringt; also eben indem er der festen, nüchternen Bestimmtheit Apollos die rauschhaft-illusorischen Freiheit des Dionysos entgegensetzt; also der Weg, den N. - jenseits der klassischen Kunstphilologie - dann selbst gegangen ist (der Weg, den Hegel in den ersten Kapiteln der PhdG abstrakt rekapituliert), und der schließlich am eigenen Widerspruch, der tragischen Katastrophe, zerschellt und in seinen Grund geht, eben die Vernunft, jenen »Bruderbund«, der halt im Lauf der Zeiten immer wieder neu gewonnen, ausgestaltet und verstanden sein will.




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