Unterschiedliche Lösungsansätze

Hier geht es um die Philosophie selbst, denn sie kann sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens machen - zum Beispiel: Was ist Philosophie? Was sind die Themen der Philosophie? Wie grenzt sie sich von anderen Disziplinen ab? ...
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Jörn Budesheim
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So 31. Mai 2020, 12:08

Stefanie hat geschrieben :
Mi 14. Nov 2018, 21:28
Eine grundsätzliche Frage
Möglicherweise gibt es hier ein grundsätzliches "Problem". Dem Jupiter ist es egal, was wir über ihn herausfinden, wie wir über ihn denken. Aber bei vielen Dingen, die du hier ansprichst, ist es anders. Selbstbewusstsein, Denken, Fühlen ... das sieht ja Begriffe, die zu unserer Selbstbeschreibung gehören. Und die Art und Weise, wie wir sind und die Art und Weise, wie wir über uns denken, sind nicht unabhängig voneinander. Davon handelten ja die letzten Beiträge ohnehin.




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Stefanie
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So 31. Mai 2020, 20:11

Hmm. Ich befürchte, ich drücke mich falsch aus.

Der Titel dieses Threads ist dem Umstand geschuldet, dass ich nicht so recht wusste und immer noch nicht weiß, wie ich meine Fragestellung beschreiben kann.
Ich frage mich, wieso eine identischen Fragestellung in den unterschiedlichen Bereichen der Philosophie unterschiedlich behandelt wird.
Hier bei uns finden sich Themen zu Gefühle, Emotionen, oder jetzt Schmerz bei subjektiv und objektiv in den unterschiedlichen Bereichen der Philosophie. Es ist aber doch jedesmal der identische Zahnschmerz.

Jemand behandelt Themen wie Denken, Wissen, Freiheit, Gefühl rein in der Logik oder in der analytischen Philosophie, jemand anderes in der Erkenntnistheorie. Dabei wird nicht jeweils zwischen Bereichen gehüpft. Das Ergebis dürfte ziemlich unterschiedlich ausfallen. Der Zahnschmerz ist immer noch der Gleiche.

Popper und Wittgenstein sind unterschiedlich an die Fragestellungen herangegangen. Ist ja klar, dass die zwei philosophisch nicht zueinander kamen.

Spielt dann die praktische Philosophie den Schiedsrichter?



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Jörn Budesheim
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Spiel doch mal irgendein Beispiel durch, ich habe keine Vorstellung was du meinst bisher.




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Stefanie
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So 31. Mai 2020, 21:06

Auf die Schnelle, das Beispiel, welches hier genannt wurde:

"Tradition entwickelt, aber das ein und dasselbe Zitat (von Heidegger) zwei Thesen (von Gabriel) stützen sollen, deren zweite das Gegenteil der ersten ist, ist - bemerkenswert.

"Der Mensch weiß nicht, wer er ist." (Warum es die Welt nicht gibt)

"Der Mensch lebt sein Leben im Licht einer Vorstellung davon, wer oder was er ist." (Fiktionen)"

Erwähnt hatte ich hier das Ödipus von zwei Philosophen Arendt und Rödl im selben Kontexte als Beispiel verwendet wird, aber unterschiedlich in die jeweilige Philosophie eingeordnet wird. Arendt und rödl sind philospisch in zwei verschiedenen Welten unterwegs, wie es scheint. Das verwirrt mich.

Du erwähnst im subjektiv objektiv Thread die Unterscheidung von Searl, den andere wohl nicht machen, oder ? und erwähnst die ontologische Sicht, d.h. der Schmerz wird nach verschiedenen Kategorien beurteilt. Es ist aber doch immer der identische Zahnschmerz. Was bringt das? Das erweckt bei mir immer den Eindruck, es wird am Mensch vorbei philosophiert.
Ich denke, ich habe das auch mit dem kategorienfehler nicht wirklich verstanden. Fällt mir gerade ein.



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Jörn Budesheim
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Stefanie hat geschrieben :
So 31. Mai 2020, 21:06
aber das ein und dasselbe Zitat (von Heidegger) zwei Thesen (von Gabriel) stützen sollen, deren zweite das Gegenteil der ersten ist, ist - bemerkenswert.
Das zweite ist einfach nicht das Gegenteil des ersten, das habe ich ja ausführlich erklärt.




Nauplios
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Stefanie hat geschrieben :
Do 28. Mai 2020, 23:20

Versteht wahrscheinlich keiner so richtig was ich meine, macht nichts.
Ich habe verstanden, was Du meinst. Gut, das muß Dir nichts bedeuten ... ;) Unverständlich ist mir nur das Bedenken, es würde am Menschen "vorbei philosophiert", trägt doch eine historische Anthropologie den Menschen bereits in ihrem Namen (anthropos). Vielleicht lohnt es sich, der Etymologie des anthropos bei Gelegenheit nachzugehen, setzt er sich doch zusammen aus der Präposition anti und tropos, der "entgegen Gewendete". - Beiläufig: Atropos (das Unabwendbare) ist die älteste der drei Moiren; sie schneidet den Lebensfaden durch! -




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Stefanie
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So 31. Mai 2020, 23:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 31. Mai 2020, 12:08
Stefanie hat geschrieben :
Mi 14. Nov 2018, 21:28
Eine grundsätzliche Frage
Möglicherweise gibt es hier ein grundsätzliches "Problem". Dem Jupiter ist es egal, was wir über ihn herausfinden, wie wir über ihn denken. Aber bei vielen Dingen, die du hier ansprichst, ist es anders. Selbstbewusstsein, Denken, Fühlen ... das sieht ja Begriffe, die zu unserer Selbstbeschreibung gehören. Und die Art und Weise, wie wir sind und die Art und Weise, wie wir über uns denken, sind nicht unabhängig voneinander. Davon handelten ja die letzten Beiträge ohnehin.
Es hängt alles beim Menschen zusammen, bzw. sind nicht unabhängig von einander.
Jetzt entwirft z.B. Rödl sein Konzept zum Selbstbewusstsein. Die von ihm dort angewendeten Grundsätze müsste er dann auch wenden, wenn es um Gefühle, Empfindungen, Phänomene geht.
Schmidt mit seiner Phänomenologie der Gefühle müsste, wenn er ein gesamtes Philosophiekonzept schreiben würde, auch diese Grundsätze auf Fragen der Logik anwenden.
Wie erklärt Wittgenstein die Schmerzempfindung mit seiner Sprachphilosophie, oder Frege diese mit seiner Logik?

Gibt es nicht elementare Unterschiede zwischen den einzelnen Fragenbereichen, auch wenn bei Menschen irgendwie alles zusammenhängt?
Wie führt man das zusammen?



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Stefanie
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Mo 1. Jun 2020, 00:04

Nauplios ich bin mir nicht sicher, ob wir uns richtig verstanden haben.

Ich habe ein Faible für Geschichte. Die Einbeziehung von Geschichte, historische Hintergründe, Zeitablaufe, Entwicklung ist nicht mein Problem.
Von den Philosophen, die ich etwas besser kennen, sind meiner Meinung drei Philosophen ganz klar von der Zeit, der gesellschaftlichen Situation ihre Zeit beeinflusst. Das sind Popper, Arendt, Levinas.
Bei Arendt kann man erkennen, welche Lehrer sie hatte, welcher Philosoph, auch die antiken Philosophen, sie beeinflusst hatten. Plus ihre Herkunft. Das führte dazu, dass sie des öfteren mal ziemlichen Gegenwind bekam, weil sie ihre Grundsätze, die sie auf Basis u.a. vom Kant, Jasper, Heidegger und Aristoteles entwickelte, konsequent anwendete, und z.B. in den USA Ärger wegen eines Artikels bzgl. Eines rassenkonflikts bekam. Oder ihre Sichtweise Barbaren und Co. Da schluckt man dann mal kurz. Sie reagierte dann oft etwas, nun ja, patzig. Sie hat die alte Grundsätze und deren Wortwahl nicht unbedingt immer gut in die neue Zeit mit einem neuen Denken angepasst. Obwohl vieles, was sie schreibt gerade wieder hochaktuell und treffend ist.
Es funktioniert also nicht immer reibungslos ein entwickeltes Konzept inhaltlich auf andere philosophische Bereiche und eine andere Zeit zu übertragen. Jetzt sehe ich das bei den Fragen der politischen Philosophie etwas einfacher.

Aber wie sind die Grundsätze der Logik auf die Frage der Empfindungen, oder Themen wie Freiheit anzuwenden. Oder konnen die Ergebnisse von Diskussionen wie ist das ein Tisch, oder nur die Vorstellung von einem Tisch,auf die Frage, ist Schmerz subjektiv oder objektiv angewendet werden?



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Nauplios
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Mo 1. Jun 2020, 02:58

Stefanie hat geschrieben :
Mo 1. Jun 2020, 00:04
Nauplios ich bin mir nicht sicher, ob wir uns richtig verstanden haben.

[...]

Aber wie sind die Grundsätze der Logik auf die Frage der Empfindungen, oder Themen wie Freiheit anzuwenden. Oder konnen die Ergebnisse von Diskussionen wie ist das ein Tisch, oder nur die Vorstellung von einem Tisch,auf die Frage, ist Schmerz subjektiv oder objektiv angewendet werden?
Ich versuche mal, die Intention Deiner Frage nach den "unterschiedlichen Lösungsansätzen" zu reformulieren:

So wie sich die Philosophie als akademische Wissenschaft in das moderne System der Wissenschaften integriert hat, hat sie mehrere Teildisziplinen ausdifferenziert, die unterschiedliche Fragestellungen behandeln und sich auch unterschiedlichen Gegenstandsbereichen zuwenden. Erkenntnistheorie, Logik, Wissenschaftstheorie, Moralphilosophie, politische Philosophie, Philosophische Anthropologie ...

Dann gibt es - quer dazu stehend - diverse philosophische Schulen und Traditionen wie etwa die Kritische Theorie, die Hermeneutik, die Phänomenologie, Analytische Philosophie ...

Ein weiteres Ordnungsprinzip könnten die Diskurse sein, die sowohl innerhalb dieser Schulen geführt werden als auch traditionsübergreifend und auch noch über die Fachgrenzen der Philosophie hinweg, etwa mit der Theologie, der Physik, der Biologie ...

Solche Diskurse sind beispielsweise der neurophilosophische über Gehirn und Bewußtsein, der Diskurs der Postmoderne über Pluralität in Kunst und Kultur, der Diskurs der Kritischen Theorie mit der Systemtheorie, die ihrerseits Anleihen bei der Kybernetik aufnimmt, der Diskurs, der sich mit der Gruppe "Poetik und Hermeneutik" verbindet und zwischen Philosophen, Literaturwissenschaftlern und Historikern geführt wurde ...

Die Zersplitterung in eine Vielzahl von Teilbereichen, Traditionen und Diskursen hat dazu geführt, daß es eine Spezialisierung gibt, als deren Folge die "Ergebnisse" und Erkenntnisse, die aus den unterschiedlichsten Debatten gewonnen werden, an Reichweite verlieren. - Was in der Logik Geltung hat, läßt sich für die Ästhetik nicht generalisieren, die hermeneutische Auslegung eines Verses aus dem Talmud hilft bei der Auslegung eines neurophilosophischen Befunds nicht weiter, die Erkenntnis dessen, was Gerechtigkeit ist, löst kein logisches Problem.

Eine Frage wie "Was ist Denken?" wird unter diesen Voraussetzungen ein Neurophilosoph anders beantworten als ein Phänomenologe, ein Sprachphilosoph anders als ein Literaturwissenschaftler. - Verbindliches über die Grenzen von Teildisziplinen, Diskursen hinweg gibt es kaum noch. Den "unterschiedlichen Lösungsansätzen" mangelt es an Einheitlichkeit und Generalisierbarkeit, so daß ihre Geltung auf je ihr Fachgebiet beschränkt bleibt. Eine zurechenbare Größe wie "der Mensch" zerfällt unter dem analytischen Blick dieser "unterschiedlichen Ansätze" in einzelne Segmente, die untereinander unverbunden bleiben. So herrscht zwischen Gehirn, Bewusstsein, Gefühl, Wahrnehmung, Erkenntnis, Gesellschaft, Welt .... eine Kontaktarmut, die "den Menschen" in seiner Einheitlichkeit aus dem Blick verliert. All die vielen hochspezialisierten Einzelstudien und philosophischen Konzepte gehen somit "am Menschen vorbei", weil sie sein In-der-Welt-sein verfehlen.

Mir ist aufgefallen, daß Du die Wendung "der Mensch" recht oft gebrauchst.

Bis hierhin ist dieser Beitrag nur ein Versuch, herauszufinden, ob Du Deine "Irritationen", die Du ansprichst, jetzt einigermaßen zutreffend wiedergegeben findest oder ob ich Dich doch nicht richtig verstanden habe.

----‐-------------

Ein Gedanke meinerseits. Hinter all dem steckt nach meinem Eindruck die Vorstellung, die Philosophie sei eine Erklärungsagentur, deren Geschäftsmodell auf Konzepten, Forschungsprogrammen, Experimenten, empirischen Forschungen u.ä. beruht zum Zwecke der Abarbeitung theorieinduzierter Probleme, die dann, wenn sie gelöst sind, nicht mehr bestehen. Ich will damit nicht bestreiten, daß es die philosophische Theoriebildung nicht auch mit Problemen zu tun hätte; aber die Philosophie als Anbieter eines gleichsam unter Laborbedingungen getesteten Know-how zu begreifen, als eine Art Amazon, das bei Bedarf Wissenspakete ausliefert ... das scheint mir eine sehr verkürzte Vorstellung zu sein, die das Fragen leitet.

Man kann das philosophische Denken nicht auf Wissensproduktion verpflichten, deren Effizienzklassen sich am Wahrheitsgehalt von "Aussagen" orientieren: vielleicht wahr - wahrscheinlich wahr - höchstwahrscheinlich wahr - mit absoluter Sicherheit wahr. Wenn sich alle Aussagen in der höchsten Wahrheitsklasse befinden, ist das Geschäft der Philosophie beendet. Für immer. Und bis dahin kommt alle zwei Jahre der Wahrheits-TÜV und macht neue Stempel darauf.

Philosophie ist ja nicht nur Denkform, sondern auch Lebensform. Sie gibt Orientierung, Trost, Lebenskunst, hat also eine pragmatische Dimension. Ihre Darstellungsmittel reichen vom Lehrgedicht über erfundene Gespräche bis zum Aphorismus. Philosophen erzählen Geschichten, Mythen. Andere wiederum kommentieren solche Mythen. Vico nannte die Metapher einen "kleinen Mythos".

Geschichte ist nicht einfach nur das Vergangene. Geschichte ist Wirkungsgeschichte, d.h. sie ragt als Herkunft in die Gegenwart. Seit mehr als zweitausend Jahren beschäftigen sich Philosophen mit Platons Höhlengleichnis. Wenn überhaupt wurden dabei Probleme eher geschaffen als gelöst. ;)




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Jörn Budesheim
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Mo 1. Jun 2020, 08:54

Nauplioss hat geschrieben : So herrscht zwischen Gehirn, Bewusstsein, Gefühl, Wahrnehmung, Erkenntnis, Gesellschaft, Welt .... eine Kontaktarmut, die "den Menschen" in seiner Einheitlichkeit aus dem Blick verliert.
Stefanie hat geschrieben : Wie führt man das zusammen?
Diese Vereinheitlichungs-Fantasien können schnell lebensgefährlich werden. Wenn man vereinheitlichen und zusammenführen will - was ja das Standardprogramm in aller Regel ist - muss man nämlich sagen nach welchem Maß man das tun möchte. Was soll die Einheit stiften? Wie soll das Verschiedene zusammengeführt werden und wohin? Und was soll mit den offenbaren Unterschieden passieren? Oder sollen sie unter Epiphänomen entsorgt werden?

Das dominante Theorie-Angebot bei dieser Frage ist zurzeit wohl die naturwissenschaftliche Weltsicht. Und das obwohl, nach meinem Wissen, eine vereinheitlichte Naturwissenschaft weiter entfernt ist denn je. Die Regeln nach denen die Einheitlichkeit hergestellt werden soll, nach denen man alles Disparate zusammenführen will, sind dann die Naturgesetze. Bewusstsein soll dann ggf. wegreduziert werden (das ist das Programm der Reduktionisten wie Daniel Dennett) und die Art und Weise wie wir uns selbst betrachten, gehört dann zur sogenannten Folk-Psychology, die mitsamt dem Geist auf die Müllhalde der Geschichte gehört.

Ob damit der Mensch wirklich in den Blick gerät, möchte ich gerne bezweifeln.

Ich für meinen Teil sehe weder wie noch warum die Erkenntnisse der Quantenphysik und die Erkenntnisse der Literaturwissenschaften vereinheitlicht werden sollten und könnten.




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Jörn Budesheim
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Mo 1. Jun 2020, 09:44

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Frei nach Jan van Eyck: wie alles miteinander zusammenhängt (gar nicht)




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Stefanie
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Mo 1. Jun 2020, 17:03

Nauplios
Die Zersplitterung in eine Vielzahl von Teilbereichen, Traditionen und Diskursen hat dazu geführt, daß es eine Spezialisierung gibt, als deren Folge die "Ergebnisse" und Erkenntnisse, die aus den unterschiedlichsten Debatten gewonnen werden, an Reichweite verlieren. - Was in der Logik Geltung hat, läßt sich für die Ästhetik nicht generalisieren, die hermeneutische Auslegung eines Verses aus dem Talmud hilft bei der Auslegung eines neurophilosophischen Befunds nicht weiter, die Erkenntnis dessen, was Gerechtigkeit ist, löst kein logisches Problem.

Eine Frage wie "Was ist Denken?" wird unter diesen Voraussetzungen ein Neurophilosoph anders beantworten als ein Phänomenologe, ein Sprachphilosoph anders als ein Literaturwissenschaftler. - Verbindliches über die Grenzen von Teildisziplinen, Diskursen hinweg gibt es kaum noch. Den "unterschiedlichen Lösungsansätzen" mangelt es an Einheitlichkeit und Generalisierbarkeit, so daß ihre Geltung auf je ihr Fachgebiet beschränkt bleibt. Eine zurechenbare Größe wie "der Mensch" zerfällt unter dem analytischen Blick dieser "unterschiedlichen Ansätze" in einzelne Segmente, die untereinander unverbunden bleiben. So herrscht zwischen Gehirn, Bewusstsein, Gefühl, Wahrnehmung, Erkenntnis, Gesellschaft, Welt .... eine Kontaktarmut, die "den Menschen" in seiner Einheitlichkeit aus dem Blick verliert. All die vielen hochspezialisierten Einzelstudien und philosophischen Konzepte gehen somit "am Menschen vorbei", weil sie sein In-der-Welt-sein verfehlen.
Das meinte ich.

Es geht doch um den Menschen, in all seiner Komplexität und Vielfalt. Sowohl in Bezug auf sich selber, und auch in Bezug zur Welt. Das wird alles in Teilbereiche zergliedert, ohne die Zusammenhänge zu berücksichtigen und ohne das Ganze einer Fragestellung zu Betrachten. Die Sprachphilosophie ala Wittgenstein beschäftigt sich mit dem sprachlichen Ausdruck von Emotionen, aber nicht - wie sag ich es - mit der Tiefe. Bei anderen wird dann nicht auf die Sprache Bezug genommen.
In einem kurzen Artikel zu Wittgenstein stand folgendes Beispiel. Mit messen meint man die Entfernung von zwei Steinen auf einer Linie. Wendet man dieses messen auf die Zeit an, passt es nicht und erklärt die Zeit nicht.
Anders Beispiel aktuell, zu Beginn von corona ging es um Expotentialfunktion bei den Infektionen. Diese mathematische Sichtweise bzw. Methode bildet aber nur den naturwissenschaftlichen Teil der Situation ab. Für die Beschreibung der Stimmungslage allerdings ist diese Methode nicht geeignet.
Das was in der formalen Logik richtig erscheint, passt aber nicht in der Phänomenologie.
All das führt dazu, dass es letzendlich am Menschen vorbei geht.
Wenn Philosophie Orientierung geben will, und man das möchte, muss doch der gesamte Mensch betrachtet werden werden. Der Mensch ist vielfältig, allerdings führt diese Zerstückelung der einzelnen Bereiche dazu, dass der Gesamtblick verloren geht. Was nützt es, wenn ich weiß, wie Sprache und Emotionen zusammenhängen, aber nicht zugleich betrachtet wird, was sind denn Emotionen. Dazu muss wer anderes angehört werden, dass muss aber wiederum zur Sprachetheorie passen.
Wenn zwei Philosophen das identische Beispiel im selben Kontext verwenden, aber das Beispiel unterschiedlich auslegen, fragt sich der Mensch Stefanie, ja was nun, gibt es mich doppelt?
Jörn
Wenn man vereinheitlichen und zusammenführen will - was ja das Standardprogramm in aller Regel ist - muss man nämlich sagen nach welchem Maß man das tun möchte. Was soll die Einheit stiften? Wie soll das Verschiedene zusammengeführt werden und wohin? Und was soll mit den offenbaren Unterschieden passieren? Oder sollen sie unter Epiphänomen entsorgt werden?
Meine Fragen, nur bei weitem besser formuliert.
Ich will die Vielfalt der Menschen nicht vereinheitlichen, sondern nur wissen, wie man es schafft, dass diese ganzen Theorien den Menschen im Gesamten im Blick haben.

Wir haben hier im Forum die Rubrik "analytische Philosophie und Philosophie des Geistes". Diese Rubrik stürzt mich regelmäßig in Verwirrung. Den beide Philosophierichtungen sind ja nun unterschiedlich. Gibt es neues Thema, wie subjektiv objektiv, frage ich mich ja, nach welcher Richtung soll es jetzt behandelt werden?



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Jörn Budesheim
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Stefanie hat geschrieben :
Mo 1. Jun 2020, 17:03
dass der Gesamtblick verloren geht
Da es diesen Gesamtblick auf den Menschen gar nicht geben kann, kann er auch nicht verloren gehen.




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Stefanie
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Mo 1. Jun 2020, 17:37

Doch. Der Mensch ist nicht nur Logik, nicht nur Freiheit, nicht nur Sprache, usw. Mensch ist alles zusammen. Gesamtbild. Und das geht verloren.



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"Der Mensch ist nicht nur Logik, nicht nur Freiheit, nicht nur Sprache, usw.' Das stimmt schon. Daraus folgt jedoch nicht, dass es einen Gesamtblick gibt.




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Mo 1. Jun 2020, 18:40

Stefanie hat geschrieben :
Mo 1. Jun 2020, 17:03


Es geht doch um den Menschen, in all seiner Komplexität und Vielfalt. Sowohl in Bezug auf sich selber, und auch in Bezug zur Welt. Das wird alles in Teilbereiche zergliedert, ohne die Zusammenhänge zu berücksichtigen und ohne das Ganze einer Fragestellung zu Betrachten.

[...]

Wenn zwei Philosophen das identische Beispiel im selben Kontext verwenden, aber das Beispiel unterschiedlich auslegen, fragt sich der Mensch Stefanie, ja was nun, gibt es mich doppelt?

[...]


Ich will die Vielfalt der Menschen nicht vereinheitlichen, sondern nur wissen, wie man es schafft, dass diese ganzen Theorien den Menschen im Gesamten im Blick haben.

Wir haben hier im Forum die Rubrik "analytische Philosophie und Philosophie des Geistes".

Die Rubriken sind in Anzahl und Benennung nach konventioneller Übereinkunft eingerichtet und auch im Hinblick auf Verträglichkeit mit der Forensoftware und potentiellen Leserinteressen installiert. Man hätte auch achtzig Unterforen einrichten können oder auch nur acht. Man hat damit den Ausstoß des philosophischen Geschäfts weitgehend abgedeckt; aber im Grunde ist das eine Ordnung, die auch anders möglich gewesen wäre. Aber allein anhand dieser Rubriken sieht man, daß die Philosophen diverse Paradigmen und Denktraditionen ausgebildet haben, auf deren Grundlagen das Philosophieren stattfindet. Die Zersplitterung der Philosophie wird damit bereits in der Forenstruktur abgebildet. (Übrigens werden auch die Schwerpunkte und Akzente der Forenaktivität an dieser Struktur ablesbar; so weist die Abteilung "Analytische Philosophie" die zehnfache Zahl an Beiträgen aus im Vergleich mit "Phänomenologie und Hermeneutik".) -

Dann kommt noch hinzu, daß es in einem Philosophenleben nicht selten Wenden, Korrekturen, "Kehren" gibt - so etwa bei dem von Dir erwähnten Wittgenstein oder bei Heidegger oder Carl Schmitt oder Husserl.

Der Mensch - er tritt als zurechenbare Größe mit seinem Selbst- und Weltverhältnis in den Hintergrund. Liegt das an den Philosophen, die kein Interesse mehr an dem Menschen haben? - Oder liegt eine Erklärung darin, daß DIALOGOS einfach andere Schwerpunkte setzt? - "Gründe und Argumente" ist im "Zettelkasten" der mit Abstand meist beschriebene Thread ... und immer wieder "Wahrheit" ... irgendwo die "99." ... Die Akzente liegen stark auf erkenntnistheoretischen Fragestellungen wie Definitionen, Wahrheit, Argumentation, Wissen, Intentionalität, Geist, Sprache, Begriffe, Logik ... Ein anderer Schwerpunkt sind Fragen zur Kunst, zum Kunstbetrieb ...

Der Mensch - das ist das Kernthema der philosophischen Anthropologie. Allerdings helfen die von Dir angeführten Philosophen Popper und Wittgenstein an diesem Punkt wenig bis gar nicht weiter. Wenn Du in der Philosophie "den Menschen" suchst, dann wirst Du ihn auch finden, Stefanie. ;)




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Kathrin Glüer in "Donald Davidson": "Wer wir sind, und wo unser Ort ist in der Welt — diesen Fragen gilt letztlich das philosophische Interesse, sie motivieren, wenn auch häufig nur indirekt, noch die kleinsten Detailfragen [z.b.] einer Bedeutungstheorie. [Wie bei Donald Davidson]"




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Mo 1. Jun 2020, 19:04

Eines will ich doch noch anfügen. Es ist nicht so, daß es im Forum noch nie Gesprächs- und Leseofferten zum "Menschen" gegeben hätte - etwa über "die Sprache des Menschen" (Benjamin im letzten Sommer) oder den "beglückenden erfüllenden Augenblick" (Byung Chul Han) oder über die "Stummheit des Alls" oder über "Wiegenlieder" ... ;)




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Stefanie hat geschrieben :
Mo 1. Jun 2020, 17:03

Es geht doch um den Menschen, in all seiner Komplexität und Vielfalt. Sowohl in Bezug auf sich selber, und auch in Bezug zur Welt.
Heute habe ich von Alethos gelernt, daß es die Welt gar nicht gibt! ;)

Das macht die Sache mit dem Menschen schon etwas einfacher. Dann müssen wir uns um ein Weltverhältnis des Menschen so wenig Gedanken machen wie um die Bilder, die sich der Mensch von der Welt macht. Es gibt sie gar nicht. Daß die antiken Philosophen die Welt als kosmos verstanden haben, den der Mensch (!) in der theoria betrachtet, daß Augustinus den antiken Kosmos-Gedanken in eine Schöpfung umdeutet, in die der Mensch (!) eingepflanzt ist, daß die Neuzeit diese Schöpfung wiederum in ein stummes, kaltes und schweigendes All verwandelt, das für den Menschen (!) keine Zeichen mehr bereithält ... all dies ist dann nur noch überholte Ideengeschichte für pensionierte Archivare ... Eingangsstempel drauf, Vorgangsnummer oben rechts, abgehakt, einsortiert unter "Fr.Ir."[*] ... vergessen. - So wird das nichts mit dem Menschen. ;)

[*]"Frühe Irrtümer




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Stefanie
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Mo 1. Jun 2020, 20:16

Kurzer Zwischenruf:
Zum Mensch Sein gehört für mich alles, was ihn beschäftigt.
Dazu gehören u.a. auch die Ausführungen von Popper zur Demokratie, Toleranz, Drei Welten Theorie.



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