Weiterkommen in der Philosophie

Hier geht es um die Philosophie selbst, denn sie kann sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens machen - zum Beispiel: Was ist Philosophie? Was sind die Themen der Philosophie? Wie grenzt sie sich von anderen Disziplinen ab? ...
Nauplios
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Mi 16. Sep 2020, 14:33

"Wir haben aber philosophische Analphabeten und moralische Analphabeten und die sind schlimmer als normale Analphabeten."

"Die richtige Philosophie ... findet mehr oder weniger selten statt; dazu braucht man die geeigneten Gesprächspartner. In Deutschland wird die akademische Philosophie falsch betrieben und hat also insofern auch nicht den Namen 'Philosophie' verdient ... Das sind Verfallserscheinungen ... "

" ... während in Deutschland der Geist der Gründlichkeit die akademische Philosophie ruiniert ..."

"Wir sind als Philosophinnen und Philosophen dazu ausgebildet, kompetent, sachorientiert und rational transparent diese Gespräche zu führen, um Unsinn zu eliminieren."

"Kant war einer der stolzesten Rassisten, die man sich vorstellen kann."

"Der KI-Unsinn ist der nächste Gegner."

"Das ist alles Unsinn ... Weg! ... Da hab' ich hoffentlich jedenfalls den Todesstoß versetzt ... " (gemeint ist der "Neuro-Unsinn")

https://www.carl-auer.de/magazin/neuigk ... osophieren
(Der Podcast mit dem Gespräch mit Markus Gabriel befindet sich unten auf der Seite)

Man sieht, der "moralische Fortschritt" schreitet fort. Die Frage ist aus der Luft gegriffen, in der sie liegt: Liegt die "dunkle Zeit" schon hinter uns oder liegt sie vor uns? :o

Aber wie gesagt, wer meint, etwas eliminieren zu müssen oder sich zu Todesstößen berufen fühlt, soll seinem Henkerhandwerk nachgehen. Ich möchte nur unbehelligt von solchem "Fortschritt" sein und lieber philosophischer und moralischer Analphabet bleiben. ;)




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Sep 2020, 18:32

Nauplios hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 14:33
[Gabriel:] "Wir haben aber philosophische Analphabeten und moralische Analphabeten und die sind schlimmer als normale Analphabeten."
Die Frage war, wie Gabriel seinen Kindern erklärt, was er eigentlich macht. Mit seiner vierjährigen Tochter philosophiert er bereits viel, wie er erzählt. Wie es eigentlich alle Kinder machen!

Es dann ging eigentlich darum, dass in der Schule nach Ansicht von Gabriel die Philosophie nicht ausreichend gefördert wird. Zwar erlernen wir in der Schule selbstverständlich Rechnen und Schreiben und Lesen, aber es gibt keine Ausbildung in Philosophie. Würde man uns nicht Rechnen, Schreiben und Lesen lehren, dann würden wir Analphabeten bleiben ... Und in diesem Zusammenhang fiel dann sinngemäß das obige Zitat.

Auch ich würde es als einen Fortschriften finden, wenn Philosophie (und Kunst) in der Schule viel stärker unterrichtet würden.




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Stefanie
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Mi 16. Sep 2020, 18:40

Austeilen war früher auch schon beliebt...

Arthur Schopenhauer "Über die Universitätsphilosophie"
https://www.gleichsatz.de/b-u-t/trad/sh ... vers1.html



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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Mi 16. Sep 2020, 18:54

Nauplios hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 14:33
[Gabriel:] "Die richtige Philosophie ... findet mehr oder weniger selten statt; dazu braucht man die geeigneten Gesprächspartner. In Deutschland wird die akademische Philosophie falsch betrieben und hat also insofern auch nicht den Namen 'Philosophie' verdient ... Das sind Verfallserscheinungen ... "
Hier wurde Gabriel zu dem Unterschied zwischen Philosophie und Philosophieren gefragt. Seine Antwort war, vereinfacht gesagt, dass Philosophie eigentlich im lebendigen Gespräch stattfindet, (man denke hier z.b. an die platonischen Dialoge) auch wenn das natürlich ebenso in schriftlicher Form geschehen kann. Solche Philosophie findet mehrer oder weniger selten statt. In Deutschland wird die akademische Philosophie in diesem Sinne teilweise falsch betrieben. Und im folgenden ging es darum, dass nach seiner Ansicht Philosophie an der Uni oft falsch gelehrt wird, nämlich dann wenn man den Studenten z.b. philosophische Versatzstücke in Form von PowerPoint-Folien vorsetzt - dann hat sie auch nicht den Namen 'Philosophie' verdient. (In so einem Fall liegt letztlich weder lebendiges Philosophieren noch Philosophie vor.) Und der Begriff Verfallserscheinungen bezieht sich darauf. Die Gründe hierfür sieht er in den Aktivitäten der Apparatschiks der Wissenschaftsförderung.




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Sep 2020, 19:14

Nauplios hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 14:33
" ... während in Deutschland der Geist der Gründlichkeit die akademische Philosophie ruiniert ..."
Hier geht es darum, dass man mit der Philosophie nie an einem Ende kommen kann und zwar nach Gabriels Ansicht aus prinzipiellen Gründen heraus. Denn man kann nicht wissen, ob man alle relevanten Aspekte betrachtet hat. Und einfach gesagt, darauf bezieht sich der Ausdruck der "Geist der Gründlichkeit", der diesen Aspekt der Vorläufigkeit unterschätzt.

(An dieser Stelle bricht er, wenn man so will, auch eine Lanze für Alethos 😃)




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Mi 16. Sep 2020, 19:27

Nauplios hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 14:33
"Wir sind als Philosophinnen und Philosophen dazu ausgebildet, kompetent, sachorientiert und rational transparent diese Gespräche zu führen, um Unsinn zu eliminieren."
Hier geht es darum, welche Rolle die Philosophie im gesamtgesellschaftlich politischen Diskurs spielen soll und kann. Gabriel fordert, dass die Idee der Universität die Gesellschaft hineinwirkt. (Später wird im Zusammenhang mit der Aufklärung noch deutlicher werden, was damit gemeint sein könnte.)

(Ich für meine Teil würde das auch in dem Zusammenhang mit der ausbleibenden philosophischen Ausbildung in der Schule sehen wollen. Das Erstarken von Rechten und sehr rechten Positionen hängt auch, aber natürlich nicht nur, damit zusammen, dass viele Menschen die simpelsten Fehl-Argumente nicht erkennen können. Und wenn mehr Menschen in der Lage wären unsinnige Fehl-Argumente zu eliminieren, könnte man meines Erachtens dieser Hinsicht von einem Fortschritt sprechen.)




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Jörn Budesheim
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Mi 16. Sep 2020, 19:42

Nauplios hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 14:33
"Kant war einer der stolzesten Rassisten, die man sich vorstellen kann."
Auch das ist ohne den Zusammenhang des gesamten Interviews nicht richtig einzuordnen. Zunächst muss man sagen, dass Gabriel in dem Interview mehrfach über Kant spricht und keineswegs abschätzig, denn er nennt ihn einen der größten Philosophen und in dem fraglichen Zusammenhang das Gesicht der Aufklärung. In Kants Zeit fiel zwar gewissermaßen der Startschuss der Aufklärung, aber sie hält natürlich bis heute an und kein Ende ist in Sicht, vorsichtig gesagt.

An dieser Stelle zählt Gabriel auf, welche Erkenntnisse zur Zeit Kants noch nicht erwirtschaftet wurden, die aber dennoch für das Projekt der Aufklärung notwendig sind. Und im Rahmen dieser Aufzählung wird erwähnt, dass Kant neben den vielen anderen Dingen, die er noch nicht wusste und teilweise auch nicht wissen konnte, ebenso nicht wusste, dass die Menschen auf Feuerland eben auch Menschen sind. Dabei bezieht sich Gabriel übrigens auch auf die Ergebnis eines Rassismusforschers.

(Nach meinem Wissen war Kant zwar über lange Zeit ein Rassist, aber nicht bis zum Ende seines Lebens, irgendwo hier im Forum gibt es einen Link zu einem sehr interessanten Artikel dazu.)

Gabriel sinngemäß (relativ dicht am Text) weiter: "Die Idee der Aufklärung ist, dass alle Zusammenarbeit dem einen Ziel folgt: alle Institutionen auf die moralische Verbesserung des Menschengeschlechts hin zu orientieren! Das ist Aufklärung. Und das interessante ist, wenn man das so sagt, werden viele irgendwie das auf einmal gar nicht so gut finden ... und dann muss man rote Karte zeigen und sagen: seht ihr ihr mögt die Demokratie gar nicht, ihr glaubt die nur zu mögen."




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Mi 16. Sep 2020, 20:07

Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 18:40
Austeilen war früher auch schon beliebt...

Arthur Schopenhauer "Über die Universitätsphilosophie"
https://www.gleichsatz.de/b-u-t/trad/sh ... vers1.html
Ja, Schopenhauer ist ein in diesem Zusammenhang oft zitierter Philosoph. Markus Gabriel hat ja nun seit einiger Zeit seine Gegner fest im Visier, wozu der "postmoderne Unsinn" gehört, der "Neuro-Unsinn" und nun auch der "KI-Unsinn", Nietzsche ohnehin. Ich habe sein Buch Fiktionen ganz gerne gelesen; daraus kann man viel lernen. - Wer seinen Namen bei Google eingibt, stößt unter den Fundstellen auf unzählige Interviews. Er ist bemüht, seine Anliegen - seit Erscheinen seines letzten Buches zählt dazu auch der "moralische Fortschritt" - einem breiten Publikum zu vermitteln, nicht nur den akademischen Kollegen.

Das ist soweit legitim. Legitim ist allerdings auch, davon unbeeindruckt zu bleiben. - Meine Interessen gehen in eine andere Richtung (rückwärts), aber ich hab' natürlich nichts dagegen, wenn sich jemand den "moralischen Fortschritt" auf die Fahnen schreibt. Meine Skepsis hab' ich formuliert. Doch diese Skepsis verhindert ja nicht die weitere Publikations- und Werbetätigkeit von Markus Gabriel. Sie verhindert auch nicht die Diskussion seiner Thesen hier im Forum. Ich selber habe ja schon einen Thread über die Fiktionen gestartet. Wie gesagt, ich habe das Buch mit Gewinn gelesen. - Ich hab' sogar das neueste Werk über den Moralischen Fortschritt in dunklen Zeiten hier ebenfalls erwähnt (und wenn ich es richtig erinnere sogar empfohlen).

Ich bin allerdings wohl der Meinung, daß dieser "moralische Fortschritt" auch ohne mich vonstatten gehen kann. Man könnte doch einen Thread dazu einrichten. - Die grundsätzliche Frage wäre: will man die Philosophie in ihrer Vielfalt haben (wozu dann auch das Rückwärtsgewandte gehört) oder will man dem "Neuen Realismus" zum historischen Sieg verhelfen. Wenn ich dem im Weg bin, sagt kurz Bescheid. "Rote Karte" genügt. ;)




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Alethos
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Mi 16. Sep 2020, 20:13

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 19:27
Nauplios hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 14:33
"Wir sind als Philosophinnen und Philosophen dazu ausgebildet, kompetent, sachorientiert und rational transparent diese Gespräche zu führen, um Unsinn zu eliminieren."
Hier geht es darum, welche Rolle die Philosophie im gesamtgesellschaftlich politischen Diskurs spielen soll und kann. Gabriel fordert, dass die die Idee der Universität die Gesellschaft hineinwirkt.

(Ich für meine Teil würde das auch in dem Zusammenhang mit der ausbleibenden philosophischen Ausbildung in der Schule sehen wollen. Das Erstarken von Rechten und sehr rechten Positionen hängt auch, aber natürlich nicht nur, damit zusammen, dass viele Menschen die simpelsten Fehl-Argumente nicht erkennen können. Und wenn mehr Menschen in der Lage wären unsinnige Fehl-Argumente zu eliminieren, könnte man meines Erachtens dieser Hinsicht von einem Fortschritt sprechen.)
Ich vermute einmal, dass sich Nauplios' Kritik nur stellvertrend an Gabriel richtet, sie gilt aber eigentlich dem so verstandenen Realimus, der von sich behauptet zu wissen, was universell wahr mit Bezug auf moralische Richtigkeit ist.

Daran krankt meines Erachtens die Philosophie generell, wenn sie sich so versteht, als müsste sie allgemeingültig wahre Schlüsse produzieren.
Lebenswirklichkeiten sind komplex und sie sind es, weil es ständig zu Überlagerungen kommt: geschichtlichen, sozialen, begrifflichen, zwischenmenschlichen. Diese auszublenden ist vielleicht der grösste Irrtum bei der Bewertung unserer Urteile als absolut wahre oder falsche. Daran krankt auch der Realismus, wenn er die Welt in eine dichotome Struktur hineinzwängt, in der alles, was wahr ist, zugleich unmöglich falsch sein kann und umgekehrt alles, was falsch ist, unmöglich wahr sein kann. Diese binäre Struktur wohnt dem Realismus inne, weshalb unter seinen Vorzeichen Fortschritt eine Tilgung des Falschen sein muss. Alles, was falsch ist, muss eliminiert werden, weil zwischen dem (noch) Irrtum und der (ontologischen) Wahrheit etwas steht: der Irrende. Fortschritt ist - realistisch gesehen - Irrtumsbeseitigung. Für den Realisten gibt es an und für sich wahre Positionen (politische und philosophische), so dass auch die irrigen Ansichten ausgemerzt werden müssen, denn Ziel ist ja die Erlangung von Wahrheit. Fortschritt hat eine klare Richtung nach vorne, darin wird das teleologische Moment erkennbar: Dass es dort eine Wahrheit gibt, die sich uns rein und unumstösslich zu erkennen anbietet - wenn wir bloss nicht irren - und dass unser Weg derjenige ans Licht ist, strebend nach dieser Wahrheit, die uns anleitet.

Aber man kann auch ein anderes Wahrheitskonzept haben, in welchem sich Wahrheit nur schemenhaft zeigt. Wo sie nur durch die Kontexte hindurch, durch die geschichtlichen, politischen, sozialen, philosophischen Geflechte durchscheinend zeigt. Keiner ist Herr oder Herrin über die Wahrheit, in diesem Konzept, sondern jeder ist in diesem vielmehr aufgefordert, auf die Sensibilitäten der komplexen Sachverhalte einzugehen. Es ist in diesem Sinn von Wahrheit ja dann auch nicht einfach wahr, dass es richtig ist, alle Flüchtlinge von Moria aufzunehmen. Es gibt da deshalb auch nicht die Ansicht der Rechten, die einfach falsch ist, weil sie diese Flüchtlinge nicht aufnehmen will. Es gibt keine solche moralische Wahrheit in Reinform, wenn nicht alle Befindlichkeiten, wenn nicht alle sozialen Wahrheiten berücksichtigt werden. Es ist deshalb auch nicht einfach ein Fortschritt telquel, wenn sich die EU dazu durchringt, alle Migranten aufzunehmen. Es gibt kein absolut richtig oder falsch: das Lager der Wahrheitskämpfer und das Lager der Irrenden, es gibt nur eine sehr komplexe Lage, die schwierig ist, weil sie sich moralisch anders zeigt als sozial und nochmal politisch anders als philosophisch. Das ist Wirklichkeit - kein rein durch philosophisches Spiel, kein rein durch logisches Kalkül oder moralisiernden Diskurs Bereitbares.

Das ist der Grund, warum die Philosophie nicht fortschreitet, weil sie sich zu sehr darauf versteht zu belehren, anstatt sich dieser schwierigen Wirklichkeit ohne den Anspruch auf allgemeingültig wahre Aussgen über sie zu stellen.
Und darum ist der Metaphorologe im Vorteil gegenüber dem Realisten: weil er keine absolute Wahrheit postuliert, sondern nur Bilder, Analogien, Gleichnisse sucht, um mittels der Unschärfe der Begriffe den fliessenden Konturen der Wirklichkeit, den schwebenden Grenzen Raum zu geben für ihre Entfaltung in Sprache.
Das muss also so sein, dass der Poet lügt, denn er muss die Unwahrheit des Realisten sagen, wenn er sagen will, was wirklich ist. Und die Unwahrheit ist, dass die Zukunft auch hinter uns liegt - in der Vergangenheit: das ist nicht logisch wahr, aber poetisch. Fortschritt ist demnach kein reines nach Vorn, sondern ein tiefer Hinein, ein Zürück, ein Vermengen, ein Aufmischen. Fortschritt ist so gesehen keine Wahrheitssuche, sondern ein Aufgeben von Wahrheit für Wirklichkeit - im poetischen Sinn von wahr.



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Mi 16. Sep 2020, 20:31

Alethos hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 20:13
Ich vermute einmal, dass sich Nauplios' Kritik nur stellvertrend an Gabriel richtet, sie gilt aber eigentlich dem so verstandenen Realimus, der von sich behauptet zu wissen, was universell wahr mit Bezug auf moralische Richtigkeit ist.
Aber das behauptet der so verstande Realismus gar nicht. Um zu behaupten, dass es so etwas wie moralische Wahrheiten gibt, muss man nicht zugleich behaupten, dass man sie alle kennt. Gerade der Realismus ist die Position, die Nichtwissen und Irrtum überhaupt begründen kann.




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Mi 16. Sep 2020, 20:45

Alethos hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 20:13
Und darum ist der Metaphorologe im Vorteil gegenüber dem Realisten: weil er keine absolute Wahrheit postuliert, sondern nur Bilder, Analogien, Gleichnisse sucht, um mittels der Unschärfe der Begriffe den fliessenden Konturen der Wirklichkeit, den schwebenden Grenzen Raum zu geben für ihre Entfaltung in Sprache.
Ist das so? "Blumenberg fordert sogar, 'auf Metaphern nicht auszuweichen, wo Formeln möglich" seien". (Wetz)




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Stefanie
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Mi 16. Sep 2020, 20:49

Mir fiel beim Lesen der letzten Beiträge ein weiteres Zitat ein, welches Sokrates zugeschrieben wird, das über die Jugend.
"Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer."

Schopenhauer fiel zu seiner Zeit aus dem Rahmen. Querkopf, Querdenker, neue Wege. Seine Kommentare zu Hegel sind legendär. Zu den Frauen auch. Seine Philosophie war zu seiner Zeit anders als die herrschende Lehre. Er ging andere Wege. Wie ein junger Mensch, der mit den Erwachsenen aneckt.
Gabriel, auch Precht, ich denke auch ein Rödl (mal abgesehen von dem Buch, was wir hier hatten), oder Chambers in seinem Videos, die ich mal gesehen habe, präsentieren und entwickeln Philosophie anders als dies im 20. Jahrhundert der Fall war. Sie entsprechen nicht dem Typus eines Philosophie Professor, wie sich vielen diesen vorstellen.
Gabriel entwickelt neue Gesichtspunkte, die ich persönlich schon schwierig finde, mit seinem Stil komme ich nicht so klar. Precht und Gabriel wollen die Philosophie den Menschen näher bringen. Das ist keine Abwertung des Alten, der Klassiker. Jörn hat das schon dargestellt.
Salopp formuliert, sie entstauben die Philosophie. .
Schopenhauer und Nietzsche haben ähnliches zu ihrer Zeit gemacht. Das Zitat von Sokrates auf die Philosophie übertragen, passt ganz gut. Das Zitat hält sich nicht ohne Grund seit Jahren.

Legitim finde ich es, dem skeptisch gegenüber zu stehen und seinen eigenen Weg zu gehen. Letzteres mache ich auch. Man muss Realismus oder andere Richtungen nicht teilen. Das gilt auch für andere, ältere Richtungen und Strömungen.
Allerdings fand ich die Art und Weise der Zusammenstellung der Zitate von Gabriel nicht ... berauschend. Sie belegen so präsentiert nichts.

Zumindest sind wir uns bei den Flüchtlingen einig. Während ich den Beitrag anfing, gab es auf Pro7 wieder 15 Minuten von Joko und Klaas. Es ging um Moira. Eins muss man Pro7 lassen, Mut haben sie. Der Bericht war heftig.



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Jörn Budesheim
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Mi 16. Sep 2020, 21:10

Alethos hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 20:13
Aber man kann auch ein anderes Wahrheitskonzept haben, in welchem sich Wahrheit nur schemenhaft zeigt.
Aber warum muss man das generalisieren? In etlichen Fällen mag es so sein, dass die Wahrheit nur schemenhaft zu erkennen ist. Daraus folgt aber nicht, dass es immer so ist und dass ein entsprechendes Wahrheits-Konzept angezeigt ist. Manchmal liegt die Wahrheit nämlich auch einfach klar auf dem Tisch. Und manchmal zeigt sich die Wahrheit nicht mal schemenhaft.




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Do 17. Sep 2020, 01:36

Alethos hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 20:13

Ich vermute einmal, dass sich Nauplios' Kritik nur stellvertrend an Gabriel richtet, sie gilt aber eigentlich dem so verstandenen Realimus, der von sich behauptet zu wissen, was universell wahr mit Bezug auf moralische Richtigkeit ist.

Daran krankt meines Erachtens die Philosophie generell, wenn sie sich so versteht, als müsste sie allgemeingültig wahre Schlüsse produzieren.
Lebenswirklichkeiten sind komplex und sie sind es, weil es ständig zu Überlagerungen kommt: geschichtlichen, sozialen, begrifflichen, zwischenmenschlichen. Diese auszublenden ist vielleicht der grösste Irrtum bei der Bewertung unserer Urteile als absolut wahre oder falsche. Daran krankt auch der Realismus, wenn er die Welt in eine dichotome Struktur hineinzwängt, in der alles, was wahr ist, zugleich unmöglich falsch sein kann und umgekehrt alles, was falsch ist, unmöglich wahr sein kann. Diese binäre Struktur wohnt dem Realismus inne, weshalb unter seinen Vorzeichen Fortschritt eine Tilgung des Falschen sein muss. Alles, was falsch ist, muss eliminiert werden, weil zwischen dem (noch) Irrtum und der (ontologischen) Wahrheit etwas steht: der Irrende. Fortschritt ist - realistisch gesehen - Irrtumsbeseitigung. Für den Realisten gibt es an und für sich wahre Positionen (politische und philosophische), so dass auch die irrigen Ansichten ausgemerzt werden müssen, denn Ziel ist ja die Erlangung von Wahrheit. Fortschritt hat eine klare Richtung nach vorne, darin wird das teleologische Moment erkennbar: Dass es dort eine Wahrheit gibt, die sich uns rein und unumstösslich zu erkennen anbietet - wenn wir bloss nicht irren - und dass unser Weg derjenige ans Licht ist, strebend nach dieser Wahrheit, die uns anleitet.
Du bringst die Sache auf den Punkt, Alethos. - Sich an Markus Gabriel zu halten, liegt natürlich nahe, weil er der zur Zeit wohl prominenteste Vertreter des Neuen Realismus ist in der deutschsprachigen Philosophie. Letztlich geht es um die Vielfalt und Vielstimmigkeit der Philosophie. Diese Vielstimmigkeit folgt in etwa dem Muster eines Orchesters. Da gibt es die Streichergruppe, die Holzbläser, die Blechbläser und die Schlaginstrumentalisten. Da gibt es lyrische Stimmen wie etwa die Harfe, sanfte Stimmen wie die Oboe, kräftige Stimmen wie die Posaunen und gelegentlich haut einer auf die Pauke. Das Konzert, das die Philosophen aufführen ist seit Jahrtausenden ein polyphones Stück, manchmal wie im Mittelalter mit starken Leitmotiven, manchmal atonal wie in der Postmoderne. Und weil es zu den Aufführungen der Philosophie keine Partitur gibt, läßt sich auch kaum sagen, wer wann falsch spielt. Man kann vielleicht die Stimmigkeit einzelner Melodieführungen kontrollieren, doch kann dies immer nur vor der Geräuschkulisse der anderen geschehen, denn das Orchester spielt derweil weiter. Der erste Besuch im Konzertsaal hinterläßt deshalb in der Regel den Eindruck eines mächtigen Durcheinanders. Wo ist die Melodie? Welche Tonart? Welches Tempo? - Niemand dirigiert. Und vom Komponisten weiß man nicht, ob er überhaupt existiert. Das philosophische Orchester ist eines, das über das Einstimmen der Instrumente nie hinauskommt. Das Einstimmen ist die Aufführung.

Das gefällt nicht jedem. Schon ein Begriff wie Vielfalt ist dem Neuen Realismus verdächtig. Denn die Vielfalt ist die Nachbarin der Beliebigkeit. Und wo die am Werk sind, geht die Wahrheit in einer Kakophonie der Mehrstimmigkeit unter. Nun kommt der Neue Realismus und tritt selbstbewußt ans Dirigentenpult. Vor ihm war schon mal der Alte Realismus da. Deswegen schmunzeln die älteren Musiker. Doch der Neue Realismus gebietet Ruhe. Unter dem Arm hat er einen Schwung Noten. Die werden jetzt verteilt und auf dem Dirigentenpult liegt die Partitur: "Symphonie Nr. 1. Aufklärung in dunkler Zeit. 1. Satz: molto furioso". - Wer sich jetzt noch Irrtümer erlaubt, muß eliminiert werden, da er ansonsten den philosophischen Gleichklang stört. "Dann muß man rote Karte zeigen." Die "dichotome Struktur" erfordert "Tilgung des Falschen". Genau so ist es. Was "falsch" ist, ist ja ganz klar zu erkennen. Falsch/richtig, wahr/unwahr ... Das Falsche muß wie Du sagst "ausgemerzt" werden. Denn das Falsche ist "Unsinn". Was wollen wir noch mit "Unsinn"?

Es mag möglich sein, daß am Ende alle unisono spielen, einstimmig. Dann ist aus dem Orchester ein Fanfarenzug geworden. Alle trompeten die Wahrheit fortissimo hinaus.

Der Neue Realismus braucht Gegner. Denn sein Programm ist wesentlich Gegnerschaft. Er lebt inmitten von "Unsinn" verbreitenden Gegnern wie Konstruktivismus, Postmoderne, Naturalismus, Neoliberalismus, "Neuro-Unsinn", "KI-Unsinn" ... Fortschritt heißt für ihn vor allem: sich vom Ballast vergangener Irrtümer zu befreien. Und es ist das alte platonische Modell der Philosophenkönige, das hier vorgestellt wird. Heute heißt das Politikberatung. Die Philosophen sollen gehört werden. (Welche eigentlich?) Denn SIE wissen, wie es läuft. SIE können aufklären. Ob Corona- oder Flüchtlingskrise, ob Eurokrise oder Klimawandel - ohne die Philosophen geht nichts mehr. Ethik und Philosophie spätestens in der Grundschule. Eine Art Leibesertüchtigung, diesmal für den Geist. Sparta würde mir dazu einfallen. -

Wer möchte wohl kein Realist sein? - Doch hier geht es längst nicht mehr nur um eine erkenntnistheoretische Schule. Hier führt jemand einen Kulturkampf.




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Alethos hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 20:13

Und darum ist der Metaphorologe im Vorteil gegenüber dem Realisten: weil er keine absolute Wahrheit postuliert, sondern nur Bilder, Analogien, Gleichnisse sucht, um mittels der Unschärfe der Begriffe den fliessenden Konturen der Wirklichkeit, den schwebenden Grenzen Raum zu geben für ihre Entfaltung in Sprache.
Das muss also so sein, dass der Poet lügt, denn er muss die Unwahrheit des Realisten sagen, wenn er sagen will, was wirklich ist. Und die Unwahrheit ist, dass die Zukunft auch hinter uns liegt - in der Vergangenheit: das ist nicht logisch wahr, aber poetisch. Fortschritt ist demnach kein reines nach Vorn, sondern ein tiefer Hinein, ein Zürück, ein Vermengen, ein Aufmischen. Fortschritt ist so gesehen keine Wahrheitssuche, sondern ein Aufgeben von Wahrheit für Wirklichkeit - im poetischen Sinn von wahr.
Blumenberg bestimmt in den Paradigmen das "Verhältnis der Metaphorologie zur Begriffsgeschichte als solches der Dienstbarkeit". - Das ist geradezu eine Unterwerfungsgeste! - Als Blumenberg das schrieb, war er vierzig Jahre alt, also genauso alt wie Markus Gabriel heute ist. Welch´ eine Bescheidenheit gegenüber den Ansprüchen von Markus Gabriel!

Daß Markus Gabriel die Poeten in die Verbannung schicken will, das glaube ich natürlich auch nicht. Der Hinweis auf Syrakus und auch auf die Philosophenkönige ist nur als Paradigma gedacht, d.h. hier gibt es eine Art Schlachtordnung: da sind die Aufzuklärenden und hier sind die Aufklärer. Dabei geht es ja nicht um die Aufklärung eines Irrtums. Es geht um nichts weniger als den "Entwurf eines Gesellschaftssystems". Ich habe nichts gegen Aufklärung, aber erstens glaube ich nicht daran, daß man ein Gesellschaftssystem entwerfen kann und zweitens folgt der Aufklärung als Staatsräson oft das Jakobinertum, eine philosophical correctness, die dann rote Karten zeigt.




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Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 20:49

Gabriel, auch Precht, ich denke auch ein Rödl (mal abgesehen von dem Buch, was wir hier hatten), oder Chambers in seinem Videos, die ich mal gesehen habe, präsentieren und entwickeln Philosophie anders als dies im 20. Jahrhundert der Fall war. Sie entsprechen nicht dem Typus eines Philosophie Professor, wie sich vielen diesen vorstellen.
Gabriel entwickelt neue Gesichtspunkte, die ich persönlich schon schwierig finde, mit seinem Stil komme ich nicht so klar. Precht und Gabriel wollen die Philosophie den Menschen näher bringen.

Allerdings fand ich die Art und Weise der Zusammenstellung der Zitate von Gabriel nicht ... berauschend. Sie belegen so präsentiert nichts.
Philosophie hat viele Präsentationsformen. Dazu braucht es nicht zwangsläufig ein Katheder. Aber eben auch nicht Kamera und Mikrophon. Die Philosophie "den Menschen näher bringen" - sofern die Menschen die Nähe der Philosophie suchen: ja. - Ich persönlich brauche keinen Philosophieaktivisten, der mir irgendetwas "näher bringen" will. Ich wende mich damit nicht gegen die Expertise oder Integrität von Precht oder Gabriel. Sooft ich Precht im Fernsehen sehe, stelle ich nur fest, daß mich sein Vortrag von der Sache her einfach nicht interessiert. Das sind alles kluge Leute, aber als Philosophen haben diese "Fernsehphilosophen" für mich keinerlei Reiz. Ich denke, das liegt auch am Format, in dem sie auftreten. Es geht nicht um den "Typus eines Philosophieprofessors"; den Typus Precht gab´s zu meiner Zeit an den Unis auch schon.

Und was die Jugend von heute betrifft. Keine Klage. Ich arbeite sehr viel mit jungen Musikern zusammen, darunter ein begnadeter Gitarrist aus Portugal, eine Sängerin aus Marokko, eine weitere aus den Niederlanden. Zu meinen Schülern und Schülerinnen zählen junge Menschen aus Rußland, der Türkei, Syrien ... manche sprechen drei Sprachen, manche noch mehr. Also für die "dunklen Zeiten" kann man die jungen Leute nicht verantwortlich machen. ;)

Die Zitate von Gabriel hat Jörn in die richtigen Zusammenhänge eingeordnet. Dadurch gefallen sie mir nicht besser.




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Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Sep 2020, 20:49

Sie entsprechen nicht dem Typus eines Philosophie Professor, wie sich vielen diesen vorstellen.
Jürgen Goldstein, der Blumenberg-Biograph, ist auch ein Philosophieprofessor. Wenn Du mal ein paar Minuten Zeit hast, Stefanie, dann höre mal in das Interview mit Judith Heitkamp rein. Auch so kann ein Philosoph in der Öffentlichkeit auftreten. Zurückhaltend, bescheiden.

https://www.br.de/radio/bayern2/sendung ... g-100.html




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Nauplios hat geschrieben :
Do 17. Sep 2020, 01:36
Schon ein Begriff wie Vielfalt ist dem Neuen Realismus verdächtig.
Nun ist aber gerade Vielfalt der Kernbegriff des neuen Realismus, so wie in Gabriel vertritt: auf der Ebene der Ontologie die unendliche Vielfalt von Wirklichkeiten. Und auf der Ebene der Sozialontologie die Vielfalt der Perspektiven. Vielstimmigkeit und Dissens in einem weiten Sinne sind die Grundlagen der Gesellschaft.

Vielfalt ist nicht dadurch gefährdet, dass jemand selbstbewusst Wahrheitsansprüche erhebt, begründet und gegen Einwände verteidigt.




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Jörn Budesheim
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Do 17. Sep 2020, 07:33

Carlo Rovelli, zitiert nach Markus Gabriel hat geschrieben : Eher als ein Gemälde auf einer einzelnen Leinwand ist die Welt eine Überlagerung vieler Leinwände, vieler Schichten, von denen das Gravitationsfeld nur ein Feld unter anderen ist. Wie die anderen ist es weder absolut noch gleichförmig oder fest. Vielmehr krümmt, streckt, kontrahiert und ballt es sich zusammen mit den anderen. Gleichungen beschreiben die wechselseitige Beeinflussung sämtlicher Felder. Und die Raumzeit ist ein solches Feld.
Damit beschreibt Rovelli im Grunde einen Grundgedanken des neuen Realismus, sowie ihn Markus Gabriel vertritt. Wir haben es nicht mit einer flachen Ontologie zu tun, das heißt nicht mit einer einzelnen Leinwand, die wir erforschen können und über die es eine einzige Wahrheit geben könnte, sondern mit einer unendlichen Vielfalt von Schichten und Überlagerungen und wechselseitigen Beeinflussungen vieler Felder/Bereiche. Die Leinwände entsprechen dabei vielen verschiedenen "Ordnungen": die Wirklichkeiten sind bunt. Klare Kompositionen im Stile von Mondrian und haben dort ebenso Platz, wie Wolkenbilder von Turner. Dem trägt Gabriel bis in die grundlegende Terminologie Rechnung, indem er zum Beispiel von Existenz als Erscheinen in einem Sinnfeld spricht, was eben Raum lässt für Wolkiges, Vages und ineinander Verschwimmendes.




Nauplios
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Do 17. Sep 2020, 11:52

Es geht nicht um die Vielfalt von Sinnfeldern, sondern um die Vielfalt des philosophischen Denkens. Wer sich seiner "Todesstöße" rühmt und davon schwadroniert, den "Unsinn" anderer Philosophen "eliminieren" zu müssen, der befindet sich auf einer Mission, einem Kreuzzug. Besonders deutlich wird das in seinen unzähligen Interviews mit denen Gabriel seinen Neuen Realismus in Stellung bringt. Da ist kaum die Rede von der Vielfalt von Sinnfeldern, sondern von der Einfalt anderer Philosophen. Es ist ein aggressiver und prahlerischer Gestus, mit dem Gabriel auf alles losgeht, was sich seinem Neuen Realismus nicht fügt. Mit einem jugendbewegten Sturm und Drang, dem man ihm nachzusehen könnte und einem selbstbewußten Erheben von Wahrheitsansprüchen hat all das nichts mehr zu tun wenn jemand sich zum Statthalter des "moralischen Fortschritts der Menschheit" inszeniert.

Mai Thi Nguyen-Kim ist eine junge Wissenschaftsjouralistin ("Quarks"). Der Kölner Stadtanzeiger berichtet vor zwei Tagen:

"'Ein unvorstellbarer Skandal'. Philosoph Markus Gabriel greift Mai Thi Nguyen-Kim an"

https://mobil.ksta.de/kultur/-ein-unvor ... n-37340664

Was kommt nun nach dem "Neuro-Unsinn" und dem "KI-Unsinn"? - Der Virologen-Unsinn?

Ich kann die Seite des Kölner Stadtanzeigers nicht vollständig einsehen und damit den Text des Artikels nicht lesen, nur seine Überschrift und die Untertitel. Möglicherweise geht es um dieses Video:





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